Nobody's Listening
Es war Nacht und Delu lag schlafend weit außerhalb der anderen Elben. Sie hatte diese schon gar nicht mehr im Blick, denn man hatte sie fest an eine herausragende Wurzel gebunden. Ihr wäre es unmöglich gewesen sich hier zu befreien, der Schlaf war ihr in diesem Moment wichtiger. Den ganzen Tag hatte man ihr schon Nahrung verweigert und ihr Magen schmerzte. Der Schlaf war das Einzige, was sie noch aus dieser furchtbaren Situation befreien konnte. Alles in ihr schmerzte. Doch sie hatte noch Glück, denn die Blutungen an ihrem Bein hatten nachgelassen, dennoch war ihr durch den hohen Blutverlust schwindelig und sie konnte kaum noch geradeaus laufen, geschweige denn sich aufrecht halten. Die täglichen Schläge nahm sie schon als Selbstverständlichkeit hin, schließlich wollten diese Männer ihren Hass ihr gegenüber freien Lauf lassen, doch es war keine Entschuldigung. Halb tot hatten sie Delu schon geprügelt. Sie lag blutend am Boden, gab kein Geräusch mehr von sich, doch niemand ließ von ihr ab. Sie verspürten einen unglaublichen Zorn, wenn sie Delu auch nur ansahen. Legolas hatte in den letzten Tage diese Schlägereien gemieden und hatte sich mehr zurückgezogen, was eine nur noch unheimlichere Wirkung auf Delu hatte. Es schien, als würde er irgendetwas planen, doch sie wollte gar nicht wissen, was dies sei. Sie rechnete schon mit einem baldigen Tod, eine qualvolle Hinrichtung oder etwas Vergleichliches. Ihr Tod war beschlossene Sache. Aber die tägliche Pein und Schmerzen machten es ihr auch nicht gerade leichter. Aber was hatte sie von ihnen erwartet? Froh gesinnt waren sie ihr nach allem nicht mehr, Mitgefühl konnten sie gar nicht verspüren und das Einzige, was sie noch wollten, war diese Frau sterben oder zumindest leiden sehen. Das erfüllten sie sich zum Teil selbst durch die Qualen, die sie ihr täglich bereiteten. Dass Delu eine schöne zierliche Frau war, übersahen sie dabei vollkommen. Sie war keine Frau mehr, sie war die Verkörperung ihres Hasses. Als mehr wollten sie Delu nicht mehr ansehen.
Wie ein Hund war sie an dieser Wurzel angebunden. Wäre sie wach gewesen, hätte sie von weitem die Stimmen der Elben vernehmen können. Doch nicht mehr viele waren noch wach. Nach einiger Zeit saß nur noch die Wache neben dem kleinen Feuer und starrte hinaus in die Nacht, öfter sogar in die Richtung, in der Delu lag, nur konnte man sie nicht sehen, da sie hinter Büschen und Sträuchern auf der Erde lag. Als sie hier ankamen fiel sie sofort in sich zusammen und in einen tiefen Schlaf, auf dem sie vorher lange gewartet hatte. Seitdem hatte sie sich nicht ein einziges mal gerührt, zu wichtig war ihr die Ruhe, die ihr nur nachts gegönnt wurde. Aber selbst dann gab es Zeiten, in denen sie keinen Schlaf fand, da man sie so unmöglich irgendwo anband, dass sie kaum stehen oder sitzen konnte, ganz zu schweigen von liegen. Um ihre Handgelenke hatten sich blaue Streifen von dem Druck gebildet, den der Strick auf die Knochen ausübte. Mehrmals am Tag versuchte sie sich die Handgelenke zu reiben, doch war der Strick so fest gebunden, dass ihr dies nicht möglich war. Seit man sie vor Tagen gefunden hatte, hatte man ihr nicht ein Mal die Stricke abgenommen oder gar gelockert. Seitdem färbte sich ihre Haut an den Unterarmen zunehmend blau.
Delu schlief tief und fest und so bemerkte sie nicht die Geräusche, die sich näherten. Die Schritte kamen immer näher. Es war ein dumpfer Ton wie schwere Schritte auf weichen Untergrund. Der Wachposten, der noch eben am Feuer saß, kniete sich nun zu Delu und betrachtete ihr Gesicht. Sie schien völlig erschöpft zu sein. Sie sah fast tot aus und so fühlte sie sich auch. Er strich ihr sanft mit dem Zeigefinger über die Wange, die sich von den Ohrfeigen blau gefärbt hatte, wovon Delu erwachte. Dieses Gefühl war so unvertraut und es schmerzte auf ihrer wundenden Haut. Erschrocken sah Delu hinauf zu der dunkle Gestalt, deren Gesicht sie in der Dunkelheit des Waldes nicht erkennen konnte. Fast wollte sie aufschreien, doch wofür? Wem würde es interessieren, dass mal wieder ein Wachposten zu ihr kam um sie zu schlagen, zu treten oder sie zu beschimpfen? Womöglich würde dann nur umso mehr dazu kommen, um sich an der Schlägerei zu beteiligen. Doch er tat nichts, er sah sie nur an und als seine Hand sich wieder ihrem Gesicht näherte, wich sie zurück, doch er schlug sie nicht. Er strich ihr nur erneut über die Wange. Zu gerne hätte Delu den Gesichtsausdruck des Mannes sehen können um einzuschätzen, was dieser vorhatte. Er beugte sich über Delu und sah sie genauer an und eine Angst erpackte sie. Diese Situation war völlig fremd, doch wartete sie ab, was geschehen würde. Plötzlich setzte er sich mit einer schnellen Bewegung auf sie und nun nahm die Angst in ihr schlagartig zu. Voller Panik wollte sie nun doch schreien, doch noch bevor ein Laut aus ihren geöffneten Mund dringen konnte, hatte er seine Hand auf diesen gelegt. Furcht stieg in ihre Augen und ließ diese aufglühen. Sie versuchte sich zu bewegen, doch war sie festgebunden und der Körper des Mannes nahm ihr die Möglichkeit auch nur irgendwie aufzustehen oder sich wegzudrehen. Sie versuchte ihn sofort in seine Hand zu beißen, doch er presste ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie den Mund nicht öffnen konnte. Sie war sich sicher, ein furchtbares Grinsen auf seinen Gesicht erkennen zu könne, wenn nicht Dunkelheit ihr die Sicht nehmen würde. Sie schloss die Augen und wartete ab, was geschehen würde, da sie eindeutig in der Falle war. Als er Delu von ihrer Kleidung befreite, öffnete sie panisch die Augen und versuchte erneut zu schreien, doch kein Laut war zu hören. Das konnten sie doch nicht zulassen. Vielleicht schlugen sie Delu öfter, vielleicht wünschten sie ihr den Tod, aber konnten sie das dulden? Sie hoffte nur, dass schnell jemanden kommen würde und dem ein Ende bereitete, doch sie schliefen und niemand schien das Fehlen der Wache zu bemerken. Wieder schloss Delu die Augen und wandte ihren Kopf zur Erde. Sie wünschte sich nur noch weit weg, nur für diesen Augenblick, damit sie dies nicht miterleben musste, doch ihre Wünsche wurden schon ewig nicht mehr erhört. Sie konnte nicht mehr sehen, was geschah, doch sie konnte es spüren. Mit einem kräftigen Stoß drang der Elb in die wehrlose Frau ein und Delu schrie erneut auf, was man jedoch nicht hören konnte. Zum ersten mal, seit sie in diese Gefangenschaft war, stiegen Tränen in ihre Augen und sie war wie versteinert. Delu konnte seine schnellen Atemgeräusche hören und sie widerte der Gedanke daran an, was gerade geschah. Tränen liefen über ihr Gesicht und sie hatte es schon aufgegeben zu schreien oder sich zu wehren. Es gab kein Entkommen für sie. Es war wie in einem Traum, sie nahm alles gar nicht wirklich war. Es geschah nicht mit ihr, nicht mit ihren Körper. Sie fühlte sich wie eine Außenstehende, die nichts gegen dieses Verbrechen unternehmen konnte. Es schienen endlose Stunden gewesen zu sein, als er sich endlich von ihr zurückzog. Delu konnte nicht aufstehen, verblieb in ihrer Lage und weinte immer weiter. Längst war der Mann verschwunden und sie blieb am Erdboden liegen. Zum ersten mal konnte Delu spüren, wie einsam und ausgeliefert sie war. Niemand scherte sich noch um ihr Leben, es schien wertlos geworden zu sein.
