Easier To Run
Mit einem harten Ruck zog jemand an Delus ohnmächtigen Körper, nachdem er die Fesseln von der Wurzel gelöst hatte. Erst als Delus Kopf dadurch schmerzhaft gegen einem Stein geschleudert wurde, erwachte sie. Doch sie war nicht mehr in der Lage sich zu bewegen. Sie war nur noch Herr ihrer Augenlider in dem Moment, denn ihr Körper war taub, schmerzte und gehorchte auf keinen ihrer befehle mehr. Blut lief über ihre Stirn nach unten aus der Wunde, die sich durch den Aufprall am Stein gebildet hatte. Lange dunkle Linien, die von Delus Augen bis über das Kinn verliefen, zeugten davon, dass Delu Tränen vergossen hatte, doch dafür interessierte sich der Elb nicht, der sie so unsanft aus ihrem Schlaf geweckt hatte. Als Delu nicht aufstehen konnte, zog er sie auf die Beine, doch diese waren so schwach, dass sie unter ihrem gewicht einbrachen. Nur eine schnelle Bewegung des Mannes konnte sie davon aufhalten wieder in das vom Tau feuchte gras zu stürzen. Als sie schwankend auf dem Beinen stand, wagte sie einen kurzen Blick in das Gesicht des Mannes und sofort kam Pein über sie. War dies der Mann von der Vornacht? War er es, der ihr das antat? Sie wandte den Blick sofort wieder ab, denn Ekel keimte in ihr auf und sie fühlte sich so elend, so falsch, dass sie am liebsten sofort gestorben wäre.
Der Mann schenkte Delu keine weitere Aufmerksamkeit und zog sie nur unbarmherzig hinter sich her zu dem Platz, wo schon die anderen Elben um die Stelle versammelt standen, an der sie noch am Vortag am Lagerfeuer gesessen hatten. Sie schienen sich um ihren Herren versammelt zu haben, denn Delu konnte mit ihren schwachen Augen den Prinzen in ihrer Mitte erkennen. Dieser sah die Gefesselte nur mit verschränkten Armen und kalten Blick an. Zwar verzog er keine Miene, doch in seinem Augen konnte sie erkennen, wie es ihm gefiel, die Jägerin als geschändetes Tier zu sehen.
Die Wache führte Delu weiter an ihrer Leine bis vor den Prinzen, der sie weiterhin mit seinen schrecklich kaltherzigen Blick verfolgte. Ruppig ließ er die zierliche Frau los, worauf sie zu Boden stürzte – zu Legolas' Genugtuung in eine knieende Position. Für eine Sekunde schien es, als würde jegliche Luft aus Delus Lungen weichen, als sie auf ihren Knien aufkam. Ihr Körpergewicht verlagerte sich nach hinten, wodurch sie sich auf ihre Unterschenkel absetzte. So saß sie nun vor ihm, wie eine Sklavin, eine Bettlerin, die um ihr Leben winselte. Legolas hatte Mühe sich zusammenzureißen, denn am liebsten hätte er ihr ein siegessichere Lächeln geschenkt.
Eine Weile verharrte Delu so auf den Boden, ihren Kopf nach unten gerichtet, als wäre keine Kraft mehr in ihr, um ihn auch nur anzuheben. Legolas fühlte sich wohl – so triumphierend über den Mörder seiner Verlobten. Es erfüllte sein schmerzendes Herz mit etwas wohliger Wärme, das Mädchen so vor sich dahinsterben zu sehen.
„Was hat denn unser Hase, ist er müde?" Delu öffnete ihre Augen und das einzige, was sie sah, waren ihre verfilzten Haare, die auf ihren schmutzigen und blutigen Oberschenkeln lag. Langsam hob sie den Kopf an, doch ein stechender Schmerz breitete sich in ihren Nacken aus und nur mit Mühe konnte sie ihr Gelenk dennoch zwingen, den Kopf zu erheben. Sie sah den Prinzen direkt in sein schönes Gesicht und sie konnte das Funkeln der Freude in seinen Augen sehen. Delu spürte, dass ihr Ende gekommen war. Alle standen um sie herum und begafften ihren zitternden Körper wie ein saftiges Stück Fleisch. Delu konnte nur noch eines spüren, einen stechenden Schmerz in ihrem Herzen, sie merkte, wie ihr langsam der Hals zugeschnürt wurde, und ihre Augen begannen zu brennen, als wollten tausende Tränen ausbrechen um diesen Männern von ihrem Leid zu berichten. Doch sie unterdrückte sie. Noch lebte sie, noch hatte sie ein Fünkchen Stolz und Würde zurückbehalten, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt unnötig war diesen zu zeigen
Sie wollte ihn anschreien, ihn fragen, weshalb sie leiden musste, nur weil sie keine Wahl hatte. Sie musste töten, entweder ihre Opfer oder sie würde sterben und sie hatte nur die eine Wahl - für sich und ihr Kind. Musste sie deshalb nun so leiden? So geschunden und erniedrigt werden? Wie sehr hoffte sie auf das eine Wunder, dass sich der Prinz hätte erweichen lassen, doch dann verstand sie, was sie tat. Endlich begriff sie, was sie wirklich getan hatte, all die Jahre, welches Leid sie verteilte. Sie hatte es verdient, genau dies musste geschehen. Und hier und heute würde Legolas ihr Richter sein. Und ab diesen Moment war Delu bereit alles anzunehmen, jedes Urteil, denn sie hatte all diese Strafen verdient, egal welche Gründe sie gehabt hatte.
Legolas ging um Delu herum und nickte einer der Wachen zu. Diese stellte sich hinter Delu, packte ihre Handgelenke, an denen sie die schwache Frau unsanft nach oben zog. Delu schwankte noch, denn ihre Beine waren schwach – ein Wunder, dass diese sie überhaupt noch tragen konnten. Der Mann legte seine Hand auf ihre schmale Schulter und sorgte somit, dass sie nicht sofort wieder in sich zusammenfallen würde. Legolas beendet derweil seine Umkreisung und blieb vor Delu stehen und sah sie einen Moment lang vollkommen ausdruckslos an.
„Ich will ein wenig spielen." Er machte eine kurze Pause und ließ seinen Blick über sie schweifen und Delu erfasste bittere Panik. Sie riss ihre Augen auf und wollte sich schon aus den Griff der Wache befreien, doch diese war kräftiger als der ausgelaugte Frauenkörper und so blieb sie an Ort und Stelle. Legolas war etwas belustigt, welche Reaktion sie auf seine Worte gezeigt hatte, und fuhr dann fort.
„Ich werde dich laufen lassen.", sagte er nur tonlos und verzog keine Miene. Die Worte hallten in Delus Kopf wider und sie sah den Prinzen an, als hätte sie seine Sprache nicht verstanden. In der Tat brauchte sie eine Weile bis ihr der Sinn der Worte klar wurden, denn diese waren das letzte, womit sie noch gerechnet hätte. Sie wollte sich schon zu dem Mann hinter sich umdrehen um ihn zu sagen, er solle sie endlich loslassen, doch Legolas hatte seine Ausührungen noch nicht beendet.
„Schaffst du es von hier aus bis zu den Beorningern südlich von hier, werde ich dir die Freiheit schenken, doch wenn ich dich vorher finde, gehörst du mir." Dabei hatte er einen Blick, als hätte er gerade ihr Todesurteil unterzeichnet. Delu sah ihn eine Weile an. Ihr schwirrten so viele Gedanken im Kopf herum, doch einer war übermächtig: Sie war frei.
Endlich ließ der Mann sie los und nahm ihr darauf auch die Fesseln ab. Delu stand da, vor all diesen Männern und konnte sich nicht rühren. Ihr wurde gar nicht begreiflich, was vor ihr lag – die Freiheit. Gerade wollte ein Mann auf sie zugehen, da bemerkte sie erst, dass sie fliehen musste, sonst wäre ihre Freiheit vertan. Sie drehte sich herum und als sie den Waldweg vor sich sah, überkam sie neue Kraft. Sie fasste Mut – Mut aus Verzweiflung. Er gebot ihr Eile und plötzlich rannte sie los - den Schmerz in ihren Beinen ignorierend. Sie sah nicht zurück. Sie lief nur in ihre Freiheit.
