Disclaimer (Kurzfassung): Alles Tolkien, mich nix und nix für ungut.

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A/N: So und jetzt ist Schluss mit lustig. Es wird ernst! Tut mir leid, aber es musste sein.

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5. Kapitel: Familienbande

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Oder: Rettet dein OFC einem Tolkien-Charakter das Leben? In dem sie selber beinahe stirbt?

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Ich fürchte für sie.'

Ich ebenso.'

Du holtest sie her. Schütze sie.'

Soweit ich es kann.' Der Verursacher des Ungleichgewichts schien zu seufzen. ‚Du weißt, dass sie uns früher oder später entgleiten.'

Nicht alle. Nicht DIESE hier.'

Und warum nicht?' mischte sich eine dritte Stimme ein.

Die beiden anderen schwiegen einen Moment verblüfft.

Er hat etwas Glück verdient', erklärte dann die weibliche Stimme langsam.

Vielleicht hast du Recht', gab der Neuankömmling schließlich zu. ‚Wenn es wahrhaftig ist, soll es so sein.'

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„Keine Heldentaten."

Die Ermahnung hätte sich Haldir sparen können. Ich nickte und der Helm rutschte mir leicht in die Stirn. Mit einem leisen, aber interessanten Fluch auf den Lippen hantierte der Elb am Kinnriemen meines rohanschen Helms herum.

„Wir haben deinem Vater versprochen, dich heil wieder nach Hause zu bringen und ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen."

Mein Onkel hatte sich wieder von dem Schreck erholt, den er wohl erlitten hatte, als seine verloren geglaubte Nichte sich diese kurze Auszeit genommen hatte. Wirklich nur kurz, es reichte nicht einmal, um auf die harten Steine der Wehrmauer zu sinken. Dabei hätte ich überhaupt nichts dagegen gehabt, in einen längeren komatösen Zustand zu fallen. Alles war besser, als zwischen den neugewonnenen Mitgliedern meiner ebenso neuen Familie auf der Wehrmauer zu stehen, während die Orks bereits in Sichtweite waren.

Angesichts der nahen Bedrohung war nur wenig Zeit geblieben, das Dunkel zu lüften, das über meiner Vergangenheit als angebliche Tochter Orophins lag. Eingekeilt zwischen meinen besorgten Onkeln – oh ja, der gute Rumil war der zweite Elb, der mich nach meiner Schwindelattacke in eine etwas vorsichtigere Umarmung gezogen hatte – war ich nach kurzer Debatte auf dem Wall gelandet.

Da stand ich nun und ließ beinahe apathisch alles mit mir machen, was für gut befunden wurde. Was blieb mir auch anderes übrig? Elbische Logik unterschied sich grundsätzlich von meiner eigenen. Für mich war der sicherste Platz eigentlich einer in den Höhlen und nicht hier. Für die beiden war es stattdessen der in ihrer Reichweite. Wir befanden uns zwar in der ersten Schlachtreihe und die Ork-Armee würde nicht mehr lange bis zum Angriff brauchen, aber egal.

Mit einem leichten Kopfschütteln betrachtete Rumil meinen in Edoras konfiszierten Rohan-Bogen. Ein entschiedener Ausdruck trat auf seine katzenhaften Züge, bevor er mir die Waffe kurzerhand wegnahm und gegen seine eigene tauschte. „Es ist besser, du kämpfst mit einem vertrauten Bogen", erklärte er und fingerte prüfend an der Sehne des menschlichen Erzeugnisses herum.

„Ah", machte ich und wunderte mich nicht einmal, dass sich das leicht grünliche Holz wirklich sehr vertraut in meinen Händen anfühlte. „Und du?"

„Rumil ist der beste Bogenschütze, den es unter den Eldar gibt. Er zielt auch noch gut genug mit diesem anderen Bogen", beruhigte mich Haldir in aller Bescheidenheit und seine Aufmerksamkeit wechselte zwischen mir und der doppelten Schlachtreihe seiner Krieger, durch die Aragorn gerade marschierte und eine für meine Begriffe völlig überflüssige Aufmunterungsrede hielt. Wenn überhaupt, hätte sich Aragorn auf die sterblichen Krieger konzentrieren sollen, die im Vergleich zu den Elben noch schlechter abschnitten als zuvor.

„Besser als er selbst", bestätigte Rumil und blinzelte mir zu. „Auch wenn er das ungern zugibt. Zeig mir dein Schwert."

Gehorsam zog ich das Teil von meinem Gürtel, das mich schon seit unserem Aufbruch von Edoras störte. Ich schwenkte die scharfe Klinge haarscharf an Haldirs Kopf vorbei. Zu meinem Glück war seine Aufmerksamkeit wieder von Aragorn zu mir gewandert und er wich noch rechtzeitig aus. Anstatt mich über die Brüstung zu schmeißen, wanderte nur seine linke Augenbraue ein Stück nach oben und ich schrumpfte ein wenig.

„Hast du gedacht, dieses Unglück würde ihre Künste damit etwa verbessern?" spottete Rumil in Richtung seines Bruders. Seine Künste jedenfalls hatten Verbesserung nicht nötig. Er ließ den Griff kurz um sein Handgelenk kreisen, schwenkte es ein paar Mal hin und her und gab es mir recht zufrieden zurück. „Es ist nicht schlecht. Vielleicht brauchst du es ja auch gar nicht."

„Ich denke doch", murmelte ich unüberlegt. „Sie werden die Mauern stürmen."

Mein Glück, dass die Ork-Armee endlich zum Halt gekommen war und mit psychologischer Kriegsführung begann, die darin bestand, mit ihren Speeren oder auch einfach nur mit den Füßen auf den Boden zu stampfen, während sie eine Art rhythmisches Grollen von sich gaben, das die Luft zum Vibrieren brachte. So kamen meine Verwandten nicht dazu, mich nach der Quelle meiner Erkenntnisse zu befragen.

Ausgerechnet jetzt schlug auf dem noch unberührten Stück Land zwischen Angreifern und Verteidigern ein beachtlicher Blitz ein. Ich konnte nicht verhindern, dass ich einen Schritt vortrat und mich an die Steinbrüstung lehnte. Sekunden später legte sich eine Hand auf meine rechte Schulter, eine auf meine linke und ich wurde energisch wieder in die Reihe zurückgezogen.

„Keine Blitze mehr!" verkündete Haldir, dem die Hand auf meiner rechten Schulter gehörte und schüttelte nochmals nachdrücklich den Kopf. „Der eine hat gereicht."

„Für den Rückweg nehmen wir Pferde", bekräftigte Rumil, dem die Hand auf meiner linken Schulter gehörte.

Ich ersparte mir die Bemerkung, dass man nicht von einer Dimension in die andere zu reiten pflegte. Es hätte mich sowieso niemand gehört, denn Aragorn gab lautstark den Befehl, die Pfeile zu zücken.

Und ich tat es!

Nicht MarySue, sondern ich selbst machte es. Ihr Verdienst war es vielleicht, dass die Aktion nicht weniger elegant war als bei den anderen Elben, aber die wilde Entschlossenheit kam ganz von mir alleine. Ich wollte einfach nicht sterben. Von denen da unten würde nämlich keiner Rücksicht darauf nehmen, dass ich hier nichts zu suchen hatte. Es war ernst, soviel war mir klar. Natürlich konnte ich immer noch hoffen, dass mich ein Blitz erwischte, aber in der Zwischenzeit ging es nur noch darum, mein Leben zu retten.

Also stand ich mit den anderen in einer Reihe, getrieben von einem Überlebensinstinkt, den ich so stark gar nicht in mir vermutet hätte und der vielleicht ein wenig Unterstützung von der guten Luthaduial erhielt, ausgestattet mit einem wehrhaften, beinahe unsterblichen Elbenkörper und voller Hoffnung, dass ich den nächsten Sonnenaufgang noch erleben würde, wenn ich mich nicht ganz so dämlich anstellte.

Die Elben waren die einzigen, die ihre Bögen noch nicht gespannt hatten, auch wenn es ihnen wohl am leichtesten gefallen wäre, dies eine ganze Weile durchzuhalten. In dieser Hinsicht waren sie weitaus gescheiter als die Sterblichen, die sich vielleicht wehrhafter fühlten mit den Pfeilen so dicht neben ihren Ohren. Dabei war es Unsinn, seine Kräfte daran zu verschwenden.

Übrigens hörten die Blitze auf und dafür setzte starker Regen ein. Ich war ja so ein Glückspilz.

Irgendwo zu meiner Linken weiter die Reihe der Bogenschützen runter, witzelte Legolas mit Gimli herum. Ich bedauerte nur, dass ich zu ohnmächtig gewesen war, um sein verdutztes Gesicht zu sehen, nachdem er feststellen musste, dass ich zumindest den Blitz nicht erfunden hatte. Dieser Elb war eindeutig überheblich. Viel schlimmer als Loriens Hauptmann, der eigentlich recht nett war, wenn auch ein wenig grummelig.

Es war nicht ein einziger Pfeil, der den arthritischen Händen von Theodens Senioren-Armee entfleuchte, sondern sofort ein halbes Dutzend an unterschiedlichen Stellen der Verteidigungslinie.

Es war aber nur ein einziger, der auch traf.

Dann brach die Hölle los.

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Diese Schlacht…es ist schwer, sie zu beschreiben. In vielem entsprach sie dem, was ich bereits im Film gesehen hatte. Ich war also nicht wirklich überrascht, als der Ansturm der Uruk'hai begann und ich war auch nicht überrascht, als die Bresche in den Wall gesprengt wurde. Legolas konnte den Uruk'hai gar nicht aufhalten, der mit dem Sprengsatz heran kam. Dieses riesige Monster war von genug anderen umgeben, die sich für den Willen ihres Meisters opferten.

Was mich überraschte, war, um wie viel grauenhafter das alles war, als ich es mir in meinen düstersten Albträumen hätte vorstellen können.

Eigentlich bekam ich diese Vorfälle nur nebenbei mit. Anstatt in einer großen Schlacht war ich wie wohl die meisten anderen auch in meinem persönlichen Albtraum gefangen. MarySue ließ mich im Stich. Vielleicht hatten sie die Schreie der Sterbenden und Verletzten so sehr erschreckt, dass sie sich in irgendeinen Winkel zurückgezogen hatte, in dem MarySues sich einfach vor dem Grauen versteckten, das sie vorher so freudig heraufbeschworen hatten.

Mir blieb diese Flucht nicht. Ich rettete einen Teil meines Verstandes damit, dass ich mit Luthaduials Hilfe einfach machte, was alle anderen auch taten: ich verschoss meine Pfeile und schrie die kleinen Jungen an, die die Aufgabe hatten, uns mit Nachschub zu versorgen. Mit weitaufgerissenen Augen huschten sie herum, zerrten die Pfeile der Orks aus den Körpern der Toten und brachten uns diese blutverschmierten Dinger dann heran. Ohne die Handschuhe hätte ich den Bogen, der inzwischen ebenfalls glitschig vom Blut war, gar nicht mehr halten können.

Dann stürmten die Uruk'hai den Wall. Aragorn blies zum Rückzug in die Hornburg und es gab keinen unter uns, der ihm nicht von Herzen zustimmte.

Zittrig wollte ich mich schon auf den Weg machen, als mir einfiel, was das bedeutete. Der Rückzug in die Hornburg war Haldirs Ende. Anstatt nun an seine Seite zu eilen, um ihn zu warnen oder womöglich sogar diesen Uruk'hai selber abzuschlachten, der es auf ihn abgesehen hatte, stand ich wie erstarrt da und es gelang nicht einmal Rumil, mich von der Stelle zu bewegen.

Ich bekam kein Wort heraus, keinen Warnruf, nichts!

Stattdessen war eine Art Lähmung über mich gekommen, die damit enden würde, dass dieser Hauptmann tot zu Boden sinken würde. Dabei hielt ich doch ein Schwert in der Hand, ich hätte auch den Bogen nehmen und mit einem der letzten verbliebenen Pfeile schießen können. Haldir war nicht weit entfernt, nur ein paar Schritte.

„Bring sie in die Hornburg!" schrie er Rumil an, der immer noch an mir rumzerrte. „Luthaduial! Beweg dich!"

Ich wollte, aber ich konnte nicht. Das war alles zuviel für mich. Zuviel Blut, zu viele Tote und zu viele Schreie, die mir in den Ohren klangen und mich mit Kälte füllten.

In diesem Moment hasste ich die MarySue, weil sie nichts unternahm. Warum war sie denn sonst hier? Um diesen blonden Prinzen flachzulegen? Es gab Wichtigeres, das Leben eines Elben zum Beispiel, der so ein beherzter Krieger war.

Ich rettete ihn trotzdem.

Allerdings nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Eigentlich verdankte Haldir letztendlich sein Leben einem Uruk'hai. Rumil hatte das Geschöpf abgestochen und er hätte tot sein müssen, soviel schwarzes Blut war über unsere Stiefel gespritzt. Kein Wunder, dass wir ihn ignoriert hatten. Es lagen unzählige Leichen und Kadaver um uns herum, da konnte man nicht auf jeden achten. Selbst nicht auf einen, in dem noch etwas Leben steckte und natürlich Hass. Der richtete sich ausgerechnet auf mich.

Er war herangekrochen, ohne dass wir es bemerkt hatten. Ich spürte seine Gegenwart schließlich deswegen, weil er mir einen Dolch in den rechten Oberschenkel rammte. Mit einem lauten Schmerzensschrei knickte ich ein. Das wiederum vernahm Haldir und er fuhr herum. Kaum sah er mich, stürzte er los und der Skimitar des Uruk'hai, der auf seinen Rücken gerichtet war, traf ins Leere. Unmittelbar danach wurde der erfolglose Bursche auch schon von einem Pfeil Rumils getroffen, der wirklich gar keine Schwierigkeiten hatte, mit einem Rohan-Bogen umzugehen.

In dem ganzen Chaos hockte ich auf dem Boden und starrte verblüfft auf die handlange Wunde an meinem Oberschenkel, aus der dunkelrotes Blut in rauen Mengen floss. Aber wenigstens hatte ich verhindert, dass Haldir diesen dramaturgisch unbefriedigenden Tod auf dem Wall fand. Die tiefe Zufriedenheit wich nicht einmal von mir, als mich mein geretteter Onkel heftig vom Boden hochriss und tiefer in die Burganlage schleppte.

Mir war kalt, ich war klatschnass und ich starb. Jesus, ich hätte heulen sollen, aber irgendwie war ich sehr entspannt.

„Luthaduial!" schrie er mich dabei an. „Bleib jetzt wach!"

„Ich hasse diesen Namen", erklärte ich ihm. „Nenn mich Lucy."

„Wie bitte?" Haldir hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck, als er sich umblickte, wo er mich abladen sollte.

„Lucy", wiederholte ich und fühlte mich müde.

„Das klingt fürchterlich", widersprach er, bevor er mich in einen Raum voller Verletzter brachte und auf dem Boden ablegte.

„Versprich es", verlangte ich und ihn meinen richtigen Namen sagen zu hören, erschien mir auf einmal das Wichtigste von der Welt.

„Lucy", meinte er mit einem seltsamen Stirnrunzeln.

Es klang wirklich gut. Mehr hatte ich gar nicht gewollt.

„Wir müssen die Blutung stoppen", erklang Rumils Stimme an meiner anderen Seite und dann tauchte sein ebenfalls besorgtes Gesicht über mir auf. „Ich kümmere mich darum. Geh du nur, Bruder."

„Rumil…" Haldir hörte sich sehr merkwürdig an. „Es würde Orophin das Herz brechen."

„Ich weiß. Geh jetzt, sonst war alles vergebens."

Ich sterbe, erkannte ich mit zunehmender Müdigkeit. Kaum eine Woche arbeitslos und schon tot. Sehr widerstandsfähig ist das nicht.

Eine ganze Weile schwebte ich über einem dunkelroten, unruhigen Meer. Immer wieder peitschte ein heißer Wind die Wellen hoch und wenn sie mich erreichten, durchfuhr mich ein siedendheißer Schmerz. Meistens suchte sich die ätzende Flüssigkeit auch noch mein rechtes Bein aus, das der Ork schon halb filetiert hatte.

Hatte denn niemand Mitleid mit mir?

Nur langsam beruhigte sich die Wasserfläche unter mir und über den Himmel trieben Erinnerungsbilder wie schnelle Wolkenfetzen. Es gab keine Reihenfolge und keine Ordnung, Bilder meiner Leben zogen an mir vorbei.

Es heißt ja auch, wenn man stirbt, zieht das ganze Leben noch einmal an einem vorbei. Das dürfte schon unter normalen Umständen recht verwirrend sein, wenn es jedoch gleich zwei so unterschiedliche Leben sind, wird es äußerst anstrengend.

Mein Leben, so wie ich es kannte, gehörte zu den eher uninteressanten Wolkenspielen. Anfangs noch vereinzelt, später immer mehr kamen jedoch Bilder hinzu, die mir vertraut und doch wieder völlig unbekannt waren.

Unlogik ist beim Sterben erlaubt, keine Beschwerden also.

Ich erkannte Lothlorien, auch wenn ich noch nie dort gewesen war. Tiefe Sehnsucht überkam mich, als ich die grüne Märchenwelt betrachtete und die Szenen eines Lebens, das nicht besser hätte sein können. Haldir war dort und auch Rumil, meine Perspektive schien sich im Lauf der Zeit zu ändern. Zuerst sah ich sie überlebensgroß, von unten betrachtet, später immer mehr auf gleicher Höhe.

Und noch ein dritter Elb beherrschte sehr viel mehr als die beiden meine Erinnerungen. Er war irgendwie eine gelungene Mischung aus dem athletischen Haldir mit seinen wirklich etwas überheblichen Gesichtszügen und Rumil, der viel schmaler und unübersehbar katzenhaft war.

Orophin…

Je länger ich ihn beobachtete, desto mehr wünschte ich mir, er wäre wirklich mein Vater. Sein Lachen war ansteckend und seine blaugrauen Augen so voller Zuneigung, dass ich hätte heulen können. Wenn sie wirklich mir gegolten hätte, wäre ich das glücklichste Geschöpf der Welt gewesen.

Irgendwann verblassten die Bilder, die letzte Wolke trieb fort. Orophin beugte sich über mich und legte mir seine kühle Hand auf die Stirn.

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Natürlich starb ich nicht.

Ja, wer hätte das gedacht?

MarySues sind wohl sehr zäh, Lucys aber auch.

Orli holte mich sozusagen ins Leben zurück. Der Ratterich, der tatsächlich alles gut überstanden hatte, wollte sich ein Nest in meinen Haaren bauen. Ich war nicht einmal richtig wach, aber es reichte, den Flohsack mit der Hand vom Kopfkissen zu schubsen. Es war ein energischer Schubs, der den quiekenden Orli aus dem Lichtkegel der Öllampe beförderte, die neben meinem Bett auf einem kleinen Tisch stand.

Jemand lachte leise.

Als ich endgültig wieder klare Sicht hatte, erblickte ich Rumils unverkennbare Silhouette in einem Lehnstuhl am Rande der Lichtinsel, die die Lampe um mein Bett und einen Teil des Raumes gelegt hatte. Ich befand mich wieder in der Unterkunft, die Eowyn mir zugewiesen hatte. Im Vergleich zu meinem ersten Aufenthalt in diesem Raum war es sehr friedlich. Keine martialischen Geräusche von draußen, keine hastigen Schritte auf dem Gang, nur Ruhe…

Rumil hatte es sich in dem Lehnstuhl gemütlich gemacht, soweit das einem Elb seiner Größe in so einem Möbelstück überhaupt möglich war. Seine langen Beine hatte er ausgestreckt, den linken Ellbogen auf die Armlehne und das Kinn auf die Hand gestützt.

„Ich dachte, ich verblute", krächzte ich.

„Das dachten wir auch, Orophiniell", schmunzelte mein jüngster Onkel, der ohne seine Rüstung und die Waffen noch viel besser aussah, als gut für ein einzelnes Wesen war. „Offen gestanden hast du dir auch große Mühe gegeben, dass es dir gelingt."

„Der Uruk'hai…"

„Hat dich am Bein erwischt."

„Nein, der andere…"

„Hätte beinahe Haldir getötet." Rumil sah mich nachdenklich an. „Wenn du nicht geschrieen und ihn abgelenkt hättest, wäre es wohl geschehen. Die Herrin Galadriel hatte Recht: alles hat seinen Grund. Wir können ihn nicht immer erkennen, aber er ist da."

Ich schnaufte leise und rappelte mich soweit auf, dass ich gegen die Wand gelehnt sitzen konnte. Das war nicht so mühsam wie es klingt. Schmerzen hatte ich eigentlich keine, mein Bein fühlte sich noch etwas taub an, mehr aber auch nicht. Ich war nur etwas schwach. Rumil hinderte mich auch nicht, stattdessen stopfte er das dünne Kissen in meinen Rücken und reichte mir einen Becher Wasser, bevor er sich wieder in seinen Lehnstuhl platzierte, auf dessen Rückenlehne jetzt Orli thronte und sich putzte.

„Einen Tag", beantwortete Rumil meine Frage, bevor ich sie überhaupt stellen konnte. „Du hast einiges verpasst."

„Das passiert mir in letzter Zeit öfter." Ich warf einen Blick unter die Decke und betrachtete kritisch den rustikalen, aber sauberen Verband an meinem rechten Oberschenkel. „Klär mich auf."

„Wo soll ich anfangen?"

Man sollte immer die Gunst der Stunde nutzen. „Bei dem Blitz?"

„Ah…", machte er mit einem Lachen in der Stimme. „Der legendäre Blitz, den Haldir wohl niemals vergessen wird. So fassungslos habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt." Er tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger auf die Lippen. „Wenn ich es recht überlege, ist es überhaupt noch nie vorgekommen."

„Er wurde auch vom Blitz getroffen?" Ich hatte literweise Blut verloren, da funktioniert das Gehirn eben noch nicht richtig.

„Nein, aber er war nur fünfzig Schritte von dir entfernt, als es passierte."

„Oh."

„Ja, eben warst du noch da und im nächsten Moment blieb von dem Talan, auf dem du Wache schieben solltest, nur eine verkohlte Plattform übrig. Wir dachten erst, du wärst tot."

Hatte es jetzt tatsächlich zwei Blitze gegeben? Und wenn ja, was war mit der richtigen Lutha-irgendwas geschehen? Ich kam nicht gegen die Vorstellung an, wie sie in ihrer elbischen Kleidung, aber in meinem sterblichen Körper mitten auf dem Feldweg aufwachte. Wenn ich schon schlecht dran war, dann hatte sie die absolute Niete gezogen.

Rumil verschränkte die Hände und beugte sich etwas vor. „Dein Vater hätte sich beinahe aus diesem Leben verabschiedet, als wir ihm die Nachricht überbrachten."

„Aber er lebt noch?"

„Sicher", bestätigte Rumil hastig. „Sorg dich nicht. Die Herrin Galadriel verhinderte das Schlimmste. Sie sagte uns, dass du noch lebst und wir dich finden würden."

„Hier in Helms Klamm."

„Nein, das sagte sie allerdings nicht, sonst hätten wir unseren Bruder kaum davon abhalten können, uns zu begleiten. Wir waren selber überrascht, als Legolas uns mit der Neuigkeit überraschte."

„Er ist ein Schwätzer", grollte ich. „Woher kenne ich ihn eigentlich?"

Statt einer prompten Antwort musterte mich mein schöner, freundlicher Onkel eingehend. „Sag mir, Lucy, an was erinnerst du dich wirklich? Legolas und Aragorn sind da recht unterschiedlicher Ansicht. Boromir von Gondor berichtete sogar, du hättest nicht einmal gewusst, dass du eine Elda bist."

„Ich weiß gar nichts mehr." Jedenfalls nichts, was ihn zu interessieren hätte.

„Du weißt, wie man einen Bogen benutzt."

„Nun ja."

„Du weißt, was ein Uruk'hai ist."

„Das weiß jeder."

„Dir sagen Namen und Orte etwas."

„Es reicht", fauchte ich. „Also gut, ich weiß nichts mehr über mich und meine Vergangenheit. Bist du immer so übergenau?"

„Nein", lächelte er entschuldigend. „Das ist gewöhnlich Haldirs Privileg."

„Wo ist er eigentlich?"

„Unterwegs nach Isengard", war die überraschende Antwort. „Nachdem Sarumans Heer geschlagen ist, hat man entschieden, den Orthanc direkt anzugreifen."

„Gandalf ist rechtzeitig gekommen?"

Kleiner Fehler, fiel mir auf, als mein Onkel plötzlich schmale Augen bekam. „Du weißt von Gandalf?"

„Aragorn erzählte es", log ich hastig. „Er wollte wohl im Morgengrauen zurückkommen."

„Und das tat er auch, zusammen mit den Reitern der Riddermark und Eomer." Rumil wirkte milde amüsiert. „Ein großartiges Schauspiel, habe ich mir sagen lassen."

Ich wollte schon fragen, wo er denn gewesen war, als mir ein Erinnerungsfetzen durchs Hirn trieb, dass Rumil sich um mich gekümmert hatte.

„Eben", meinte er noch amüsierter. „Ich war unabkömmlich."

„Meinetwegen", sagte ich leise und mir fiel auf, dass ich mich noch nicht bei ihm bedankt hatte. „Rumil…"

Er winkte einfach ab und erhob sich. Verwandtschaft hin oder her, es ist ein Genuss, einem Elb bei so einer einfachen Bewegung zuzusehen. Warum war der Kerl mit mir verwandt, bitte schön? Rumil hätte mir sehr viel mehr gelegen als dieser Waldelbenprinz mit den Murano-Augen, der mir binnen weniger Minuten schon auf die Nerven gegangen war.

Bevor ich noch weiter mit meinem Schicksal hadern konnte, landete eine schwarze Hose auf meinem Bett. Ich schätzte, die andere mit dem Einstich würde auch eine gute Kunststopferin nicht mehr hinbekommen. „Zieh dich an, Lucy."

Verblüfft starrte ich das Kleidungsstück an. „Ich soll aufstehen?"

„Sicher, dein Bein ist doch noch dran. Und etwas frische Luft wird dir gut tun."

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Revolutionär, zumindest vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet.

Auf Rumils Arm gestützt, humpelte ich durch die nächtliche Hornburg. Das alleine war schon ein Wunder, wenn man bedachte, dass ich keine vierundzwanzig Stunden früher kurz vor dem Exitus gestanden hatte.

„Wie hast du das angestellt?" erkundigte ich mich, während ich doch ein wenig zittrig die Stufen auf die innere Wehrmauer heraufstakste.

„Was meinst du?"

„Wie hast du diese Blutung gestoppt?"

„Du hast viel vergessen", meinte Rumil mit einem Seufzer. „Willst du es wirklich wissen?"

„Sicher."

„Ich hab solange in der Wunde herumgefingert, bis ich die verletzte Ader gefunden habe. Dann hab ich sie zusammengedrückt, bis deine sterbliche Freundin Eowyn mit Nadel und Faden angerannt kam, um sie wieder zusammen zu flicken."

Ich schluckte. Soviel also zu den elbischen Heilkräften. Kein Wunder, dass Tolkien einen mystischen Schleier über diese Metzgermethoden gelegt hatte.

„Eine sehr glitschige Angelegenheit." Rumils Augen glitzerten vor Vergnügen. „Ich besitze nicht die Heilkräfte deines Vaters, Lucy."

„Die hat er?"

„Ganz gewiss, auch wenn er hier wohl nur wenig anders vorgegangen wäre." Rumil führte mich an den wenigen Soldaten vorbei, die noch Wache schieben mussten.

Die Männer bemühten sich zwar um Zurückhaltung, aber dennoch streiften mich überraschte und scheue Blicke. Möglicherweise hatten sie gehört, wie schwer die Verletzung angeblich war und die schnelle Heilung verbreiterte wieder ein wenig die Kluft zwischen den Erstgeborenen und den Sterblichen, die durch den Einsatz der Elbenkrieger am Vorabend gerade erst enger geworden war.

Ich war eindeutig ein Störfaktor, sogar wenn ich dem Tod von der Schippe sprang.

„Ignorier sie", riet mir Rumil, der sich nicht die geringsten Sorgen machen brauchte, dass sie uns verstanden. Wenn einer von diesen Kriegern elbisch gesprochen hätte, wäre ich auf der Stelle zu einem rosa Elefanten geworden.

Wir hatten wieder sternenklaren Himmel. Nichts trübte den Ausblick auf das Schlachtfeld. So sicher war ich mir gar nicht gewesen, ob ich es wirklich sehen wollte, aber nun starrte ich fasziniert runter auf die Ebene, die nach gut hundert Metern plötzlich in einem dichten Wald beheimatete, der sie fast völlig ausfüllte.

„Ein Wald, den ich freiwillig nie betreten würde", erklärte Rumil mit großem Ernst. „Diese Bäume hassen, das spürt man ganz deutlich, wenn man sich ihnen nähert. Gandalf muss ihn gerufen haben, denn er tauchte beinahe gleichzeitig auf. Keiner von uns hat wirklich begriffen, wie es sich zugetragen hat."

„Und kein Ork hat ihn wieder verlassen", murmelte ich versonnen.

„Nein", bestätigte er. „Sarumans Armee ist geschlagen."

„Na, dann bleibt ja nur noch eine."

Er stutzte, bevor er laut auflachte. „Der Blitz hat deinen Tatendrang nicht wirklich gedämpft."

Es fehlte noch, dass hier falsche Vermutungen aufkamen. Helms Klamm war eine Erfahrung gewesen, die ich nun wirklich nicht wiederholen wollte. Energisch schüttelte ich den Kopf. „Ich habe nicht gesagt, dass ich unbedingt nach Minas Tirith ziehen will."

„Wir werden sehen."

Orli verhinderte leider, dass ich nachforschen konnte, was der Galadhel mit dieser Äußerung meinte. Hinter uns klirrte die Spitze einer Lanze auf den Steinboden und als wir uns umdrehten, huschte der Ratterich in heller Panik zwischen den Kriegern umher.

„Hey!" schnauzte ich impulsiv die Männer an. „Lasst die Ratte zufrieden! Die gehört zu mir!"

Rumil hob zwar eine Augenbraue und damit war endgültig klar, dass die arrogante Geste offenbar in dieser Familie durch Vererbung entstand, beugte sich aber dennoch zu Boden und streckte die Hand aus. Orli rettete sich gehetzt auf seinen Arm und galoppierte dann über seine Schulter, um mit einem wagemutigen Sprung auf die meine überzusetzen. Da blieb er schweratmend sitzen und bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick.

„Was willst du?" knurrte ich ihn an. „Wenn du mir nicht dauernd nachrennen würdest, hättest du diese Probleme nicht."

In dem kurzen Moment, in dem ich auf seine Antwort wartete, wurde mir klar, was ich da gerade tat. Ich sprach also jetzt ernsthaft mit einer Ratte. Deprimiert lehnte ich mich an Rumil und tröstete mich dann damit, dass der ganze Wahnsinn mir wenigstens Körperkontakt mit diesem göttlichen Elb einbrachte.

Alles hat eben seine Vor- und Nachteile.

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Shelley: Was hast du gegen Rumil? Lucy mag ihn, und sehr nichtenhaft klingt sie nicht dabei. Es wird sich ja noch zeigen, ob Legolas die bessere Alternative ist. Dieser Elb ist nicht so harmlos, wie er vorgibt –geisterhaftes Lachen-

Was die Ratte angeht…also eines vorweg, sie bzw. er ist nicht die arme Elbin, der Lucy den Körper geklaut hat. Was aber mehr damit zusammenhängt, dass mir die Idee nicht gekommen ist, um mal ganz ehrlich zu sein.

TOD: Genau, du hast Recht. Wenn schon eine MarySue, dann wenigstens eine klassische und die landen irgendwie immer bei Legolas. – seufz-.

Der Name ist gut, gelle? So viele Vokale…ich hab ihn in der ersten Zeit dauernd falsch geschrieben und dabei hab ich ihn mir ja sogar ausgedacht. Am Ende hab ich ihn ein paar Mal laut vor mich hingesagt. Aber erst, nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass keiner mich hören kann. Ich bin bei den Zusammensetzungen der Namen immer etwas äh künstlerisch frei. Nicht wortwörtlich, sondern so, dass der Klang dann auch passt.

Zerroanna: Jau, Haldirs Nichte und die Ratte ist blond! Hab ich ehrlich gesagt auch noch nicht gesehen. Ich hatte aber mal ein blondes Meerschweinchen. Aber stell dir das dann vor: sie wird begleitet von einer Meersau? Nee, dann doch lieber die Ratte.

Viviane54: Hey, danke für das Lob. Hoffentlich gefallen dir die restlichen Kapitel immer noch so gut. Das hier war ein bisschen ernster und bald wird es gefühlvoll –seufz-, irgendwie jedenfalls, oder auch nicht…hm, ich denke jedenfalls.

BIBI: Schneller wird's nicht –kicher-. Hauptsache, du hast Spaß beim lesen. Auch wenn ich mich natürlich über jedes Review freue, wer tut das nicht? Tja, Lucy weiß zwar, wer sie ist, aber es hilft ihr nicht wirklich. Sie ist schon ein armes Tucktuck.

Annchen: Mach dir nur keinen Stress. Die Story ist doch zur Unterhaltung gedacht. Vielleicht kannst du dann ab und zu mal grinsen, wenn die Schule gar zu anstrengend wird oder dir einen Blitz wünschen, der das gerade rückt. Übrigens, wer hat denn gesagt, dass sie weggelaufen ist? Legolas ist da immer so vorschnell mit seinen Verdächtigungen!