Disclaimer: Alles gehört Tolkien und seinen Erben. Ich leihe es mir nur aus und gebe es nach Entfernung der zusätzlichen Anbauten auch wieder zurück.

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6. Kapitel: Netter Anblick

Oder: Ist dein OFC Eomers jüngere und rebellische Schwes- … oh warte, das ist Eowyn!

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Zeit, dass du es auf den Weg bringst.' Die Sprecherin gab sich keine Mühe, ihre Ungeduld zu verhehlen.

Als hätte ich nichts Besseres zu tun.'

Nein, du hast wirklich nichts Besseres zu tun.'

Man sollte es nicht überstürzen.'

Wir sollten aber auch nicht zu lange warten. Niemand weiß genau, was geschehen wird.'

Das Übliche.'

Das Übliche trifft hier nicht zu. Also bemühe dich, von alleine wird kein gutes Ende gefunden werden.'

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„Ich kann reiten?" Eher misstrauisch tätschelte ich das riesige, braune Pferd, das fertig zum Abmarsch neben mir stand.

„Kannst du."

„Sicher? Galadhrim reiten nicht oft."

„Das liegt daran, dass die Pferde so ungern auf die Bäume klettern."

„Ich finde das nicht komisch."

Rumil berieselte mich mit einem strahlenden Lächeln und einem seelenvollen Blick aus seinen blaugrauen Augen. Damit lenkte er mich erfolgreich davon ab, dass er meine Taille umfasste und mich einfach in den Sattel hob. Ich unterdrückte einen empörten Schrei, trat aber nach ihm. Er bemerkte es nicht einmal, weil er sich schon umgedreht und auf sein eigenes Pferd geschwungen hatte.

„Los dann!" schallerte Eowyn, die geduldig neben uns gewartet hatte und die Truppe setzte sich in Bewegung.

Gemütlich trottete mein Untersatz voran und tatsächlich, ich rutschte keineswegs wie ein nasser Sack aus dem wuchtigen Sattel, den das Tier so unbeeindruckt auf seinem Rücken trug wie die Patientinnen meines dahingeschiedenen Ex-Chefs einen Louis-Vitton-Rucksack. Ich schwankte zwischen einer Art Hochgefühl, dass ich das Ganze so gut meisterte und der dunklen Ahnung, dass Hochmut vor dem Fall kam. Dementsprechend konzentriert verbrachte ich den ersten Teil unserer Rückreise nach Edoras.

Nur langsam konnte ich mich auf meine Umgebung konzentrieren. Wir waren deswegen schon außer Sichtweite von Helms Klamm, als ich endlich den Blick vom Nacken meines Pferdes nahm und der neben mir reitenden Eowyn meine Aufmerksamkeit schenkte. Sie hatte im Gegensatz zu mir überhaupt keine Eingewöhnungsschwierigkeiten. Allerdings durfte man das wohl auch von einer Eorlinga erwarten. Wahrscheinlich konnten die Kinder eher reiten als das erste Wort sprechen.

„Ich freue mich, dass es dir wieder so gut geht", sagte sie, kaum bemerkte sie meinen Blick.

„Und ich danke dir, dass du meine Wunde genäht hast", erwiderte ich, eingedenk der sehr bildhaften Erzählung Rumils über die Behandlung.

„Dein Onkel hat das meiste geleistet." Sie zögerte ein wenig bei der Familienbezeichnung und lehnte sich dann zu mir herüber. Mit gesenkter Stimme fuhr sie fort: „Ist er wirklich dein Onkel? Er scheint noch so jung."

„Ist er und er ist alt", flüsterte ich zurück und ignorierte Rumils kaum verstecktes Grinsen. Eowyn brauchte dringend Nachhilfe in Sachen Elben. Irgendjemand musste ihr mal stecken, dass wir nicht nur gucken konnten wie ein Feldstecher, sondern auch noch hörten wie eine Fledermaus. Außerdem sprachen alle Mitglieder meiner Familie fließend mehrere Fremdsprachen, war mir aufgefallen. Von wegen, die verstehen nix!

„Aragorn sieht auch noch sehr jung aus für sein Alter", überlegte sie.

Ich schnaubte leise. „Fängst du schon wieder an?"

Errötend konzentrierte sie sich darauf, einen größeren Pulk Heimkehrer der Westfold zu umrunden. Wir waren zwar erst einen ganzen Tag nach der Hauptmasse der Flüchtlinge aufgebrochen, aber die Heimkehrer waren erschöpft und im Gegensatz zu uns mit Sack und Pack zu Fuß unterwegs.

Es gab klare Rangfolgen unter den Rohirrim. Theoden mochte sein Volk in der Hornburg in Sicherheit gebracht haben, aber deswegen waren sie immer noch einfache Leute. Nun, wo die Gefahr vorüber war, überließ er es ihnen selbst, wieder in ihre Dörfer zurückzukommen. Pferde gab es schon mal gar nicht gratis. Glücklich, wer ein eigenes dabei hatte, die aus den königlichen Ställen waren nun an die gut zwanzig Elben und ebenso viele Soldaten verteilt, die zu unserer Reitergruppe gehörten.

Der Hauptteil der Soldaten war zusammen mit Haldir und denjenigen seiner Krieger, die noch kampftauglich waren, bereits am Morgen nach der Schlacht aufgebrochen. Einige wenige Rohirrim blieben in Helms Klamm, um die Schäden an der Hornburg zu beseitigen und schließlich waren wir noch da. Die Elben in meiner Begleitung waren ebenso wie ich verletzt worden und so hatte ihnen Haldir befohlen, unter Rumils Kommando nach Edoras zu ziehen. Mein heimlicher Verdacht war ja, dass sie gleichzeitig auf mich aufpassen sollten. Es fragte sich, was seine Chefin im Goldenen Wald dazu sagte, wenn er Galadhrim für private Schutzaufträge abzog. Aber darüber konnte ich mir später Gedanken machen.

Eigentlich war es sogar recht angenehm, im Kreise meiner Lieben zu reisen. Ich fühlte mich sicher, sehr sicher. Die Galadhrim waren mir alle irgendwie vertraut und sie selber schienen mich auch recht gut zu kennen. Aber zum Glück rückte mir keiner auf die Pelle, um Erinnerungen aufzufrischen, die ich leider noch nicht anzapfen konnte. So war es ein ruhiger Ritt, bei dem wir immer wieder Flüchtlingstrupps überholten, für die der Anblick ihrer Schildmaid sowie der Elbenkrieger wohl eine nette Abwechslung darstellte.

Da wir erst gegen Mittag aufgebrochen waren, erwartete uns eine Übernachtung in der rohanschen Wiesenlandschaft. Diese Freiluftunternehmungen gehörten so langsam zu den unangenehmeren Begleiterscheinungen meines Hochspannungsunfalls. Gut, noch unangenehmer waren die Zusammenstöße mit schwarzhäutigen, übelriechenden Kreaturen, die mit Kämpfen, Tod und aufgeschlitzten Oberschenkeln einhergingen, aber Übernachten auf hartem Boden ohne jeden Komfort sollte auch nicht unterschätzt werden.

Zu den netten Zwischenspielen an diesem speziellen Abend gehörte das Abendessen. Mit der Szene vor Augen, wie der zukünftige König Gondors beinahe Gelbsucht bekam von Eowyns Eintopf hatte ich großzügig verzichtet, als die begnadete Köchin den Rundgang mit ihrem Kochtopf machte. Rumil, der ein überaus höflicher und charmanter Elb war, verfügte über diesen Wissensvorsprung nicht.

„Das war grauenhaft", meinte er später zu mir, als er den undefinierbaren Inhalt seiner Suppenschale im Gras entsorgt hatte. „Kein Wunder, dass die Sterblichen dauernd Kriege führen. Dieses Essen nimmt einem die Furcht vor dem Tod."

„Eowyns Stärke liegt woanders", kicherte ich vergnügt.

Eigentlich war dieser Abend der bislang schönste, den ich seit meiner furiosen Ankunft erlebte. Die Rohirrim, die Eowyns Kochkünsten ebenso entsagt hatten, hüllten sich in dieser recht kühlen Frühlingsnacht in ihre dicken Wollumhänge. Die Elbenkrieger, von denen einige wie Statuen am Rande unseres Lagers standen und unsere Sicherheit garantierten, verströmten große Ruhe und mein bildschöner Onkel ließ sich dazu hinreißen, mit einer grandiosen Stimme ein Lied zu singen, das von einem Vogel erzählte, der sich in eine Quelle verliebte.

Der Text war zwar nicht anspruchsvoll, auch Elben lieben Mainstream, aber wie erwähnt: die Stimme und der Elb, dem sie gehörte, entschädigten für vieles. Außerdem genoss ich das Privileg, auf Tuchfühlung neben dem Sänger zu sitzen, der onkelhaft freundlich seinen Arm um mich gelegt hatte. Diese Familienbande waren wirklich eine Strafe. Mir wäre es lieber gewesen, Legolas wäre mein Onkel oder Cousin dritten Grades oder meinetwegen auch Schwager und ich hätte mich stattdessen auf diesen netten Prachtkerl hier stürzen können, der sich nicht zu schade war, bis zum Handgelenk in meinem aufgeschlitzten Oberschenkel rumzuwühlen, um eine Arterie aufzuspüren.

„Woher kannte Legolas mich eigentlich?" erkundigte ich mich, während ich Orli beobachtete, der sich über die Überreste von Eowyns Eintopf hermachte. Dieser Ratterich war einfach das Letzte!

„Aus Caras Galadhon", war die nicht sehr überraschende Antwort. „Während die Gefährten dort ausruhten, seid ihr euch wohl ein paar Mal begegnet."

„Das hätte ich mir denken können."

„Und du warst eigentlich ganz angetan von ihm."

Adé Nachtruhe! „War ich nicht!"

„Aber sicher." Rumil rutschte etwas tiefer gegen den Sattel, den er in seinem Rücken platziert hatte und machte es mir so an seiner Schulter noch etwas gemütlicher. Diesmal genoss ich sogar freiwillig den unerhört engen Körperkontakt zu einem perfekten Mannsbild und versuchte mich zu erinnern, ab welchem Verwandtschaftsgrad Inzest begann. „Es war schon recht auffällig. Dein Vater meinte nur, wenn er noch ein einziges Mal beim Abendessen den Namen ‚Legolas' hört, bittet er die Herrin, dich vorzeitig wieder an die Westgrenze zu schicken."

„Du machst Witze."

„Frag Haldir."

„Uh. Damit er mir sagt, dass ich um diesen Prinzen rumgeschwirrt bin?"

Ich spürte, wie er lachte, auch wenn nichts zu hören war. „Du bist nicht geschwirrt, Lucy", meinte er dann beruhigend. „Unsere Familie schwirrt nicht, auch wenn ein angeheirateter Thronfolger sicher nicht das Schlechteste wäre."

Thronfolger…ich überlegte. Man sollte seinen Feind kennen, das half ungemein dabei, ihn abzuwehren. „Erzähl mir von ihm, ich kann mich gerade an seinen Namen erinnern."

„Das Muster, nach dem du deine Erinnerungen verloren hast, ist wirklich recht eigentümlich."

Und er wusste nicht einmal einen Bruchteil von den Eigentümlichkeiten, die tatsächlich abliefen. „Es gibt kein Muster. Legolas…?"

„Thranduils ältester Sohn", begann Rumil leise.

„Er hat mehrere?"

„Zwei", war die Antwort. „Legolas und Valerion. Es heißt, Königin Malleniavas ist vor zweihundert Jahren nur deswegen nach Westen gesegelt, weil ihr Mann und Söhne auf die Dauer zu anstrengend wurden."

Das klang überhaupt nicht gut. Entweder war die königliche Mutter sehr zart besaitet, oder Gemahl und Sprösslinge sogar für ein unsterbliches, liebendes Mutterherz zuviel des Guten.

„Tawarwaith sind starke Kämpfer", sagte Rumil nachdenklich. „Ihre Heimat ist anderen Bedrohungen ausgesetzt als der Goldene Wald. Das hat sie verändert. Sie sind anders als wir, wilder. Selbst ihre Auffassung von Humor ist merkwürdig."

Ich hatte offen gestanden Mühe, mir den zurückhaltenden Elb in der Rolle des Berserkers vorzustellen und sonderlich humorvoll war er mir auch nicht gerade vorgekommen. Bis heute kam ich schon nicht drüber weg, wie er mit der Vase durch Lothlorien marschiert ist.

Das ist er gar nicht, ging es mir ungefragt durch den Kopf. Legolas hatte stattdessen einen Krug mit Celeborns bestem Wein einkassiert und sich mit meinem durchaus genussfähigen Onkel Haldir hinter einem Mallorn einen auf die Lampe gegossen. Ich erinnerte mich – MarySue erinnerte sich vielmehr oder auch Luthaduial, die zunehmend Eigenleben entwickelte – daran, weil sie oder ich oder wer auch immer das Ganze von einem höher gelegenen Talan interessiert beobachtet hatte.

Wo kam nur plötzlich diese dritte Persönlichkeitsstörung her? Mit MarySue-Magie hatte das nichts zu tun.

„Schlaf jetzt, Lucy."

Der hatte gut reden. Nicht mehr lange und ich fing an, von mir in der Mehrzahl zu sprechen.

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Wir trafen vor dem Isengard-Trupp wieder in Edoras ein und Eowyn machte sich sofort ans Werk, die Goldene Halle auf Vordermann zu bringen. Da es sich nicht gerade um einen riesigen Palast handelte, wurden die Schlafplätze zu einem Problem. Ich erwischte die Schildmaid Rohans dabei, wie sie einen Grundriss der Halle in die Asche an der großen Feuerstelle zeichnete und dann kleine Holzstücke in den Zimmern hin und herschob. Dabei hatte sie die Stirn gefurcht und murmelte Namen vor sich hin.

„Was tust du da?"

Eowyn schrak zusammen. „Lucy! Schleich doch nicht so rum."

„Ich schleiche nicht", verkündete ich hoheitsvoll und völlig an der Wahrheit vorbei. Natürlich war ich an sie heran geschlichen. Elben können das und ich übte meine fremden Fertigkeiten. „Was ist das da für eine Zeichnung?"

„Ich weiß nicht, wo ich alle unterbringen soll", meinte sie leicht verzweifelt.

Neugierig trat ich näher und versuchte, den einzelnen Stöckchen Personen zuzuordnen. Nach meiner Erkundung der Halle vor einigen Tagen war mir der Grundriss halbwegs vertraut. „Wer ist das?" fragte ich und deutete auf einen einzelnen Splitter im Raum neben dem ihren. Wenn ich mich recht erinnerte, war es Theodreds Unterkunft gewesen.

Eowyn murmelte etwas Undeutliches.

„Wer?"

„Aragorn…", kam es noch immer sehr leise und die Schildmaid lief tomatenrot an.

„Ich hab es geahnt." Entschlossen packte ich den Holzsplitter und legte ihn in einen etwas größeren Raum, in dem schon vier andere lagen. Dann legte ich noch zwei weitere dazu. „Für die Hobbits."

„Welche Hobbits?"

„Vertrau mir", rettete ich mich. Da Theodreds Raum jetzt frei war, legte ich ein leicht angesengtes Holzstück hinein. „Meiner."

Resigniert nickte sie. „Wie geht es deinem Bein?"

„Gut", antwortete ich und fasste unwillkürlich an meinen Oberschenkel. Längere Märsche wären zwar noch keine gute Idee, aber mir ging es wirklich blendend. „Nähen kannst du, das muss man dir lassen. Ein Muster wäre noch nett gewesen."

„Du bist unmöglich", lächelte sie wieder munterer, bevor sich ihre Miene erneut verdüsterte. „Ich hasse es, dass ich nicht wie du bei den Kriegern kämpfen darf."

„Findest du es so erstrebenswert, Blut zu vergießen?"

„Es ist ein Privileg, das Leben derjenigen schützen zu dürfen, die man liebt."

Warum stellte ich eigentlich solche Fragen? Für diese Leute gab es kaum andere Problemlösungen, ausdiskutiert wurde hier aber auch rein gar nichts. Bevor ich mich in moralisierenden Tiraden über die Macht des Wortes und den Wert jedes einzelnen Lebens ergehen konnte und wahrscheinlich wie ein Fernsehprediger geklungen hätte, zeugte Lärm von draußen davon, dass die Heimkehrer die Tore Edoras' erreicht hatten.

Eowyn eilte hinaus, um auf dem Treppenabsatz in ihrem hübschen, cremefarbenen Kleid eine wirklich gute Figur zu machen. Ich folgte ihr etwas langsamer. Eine gute Figur machte ich ein Stück hinter ihr mit Sicherheit auch. Elbinnen in rohanscher Männerkleidung mit magisch guter Frisur konnten gar nicht anders.

Und meine ernste Miene hatte diesmal sogar einen guten Grund: so ganz gefiel mir der Gedanke nicht, dass der Zauberer unter den Rückkehrern sein würde. Zauberer, besonders die echten, sahen und wussten viel mehr als der Durchschnittsbewohner dieser Gefilde. Ich hatte schon deutlich vor Augen, wie er sich vor mir aufbaute, den Arm ausstreckte und ‚Eindringling' schrie, bevor er mich in einen Haufen Asche verwandelte.

Dabei war Gandalf gar nicht mein dringlichstes Problem. Die ganze Horde, die aus den Hauptpersonen sowie einer Menge Elben und Rohirrim bestand, zog überaus beeindruckend durch Edoras und ihre Anführer hielten zu Füßen der Goldenen Halle. Boromir, mein ältester Freund hier, schmiss allerdings die hübsche Szenerie um.

„Lucy!" brüllte er, kaum waren alle von den Pferden gerutscht.

Mit großen Sätzen stürmte er die Holztreppe herauf und versenkte mich regelrecht in einer Bären-Umarmung. Irgendwie meinten alle, dass sie mich zerquetschen mussten bei einem Wiedersehen.

„Mpf", ächzte ich gegen seine Lederweste und mit einer Silberniete mitten auf die Nase gedrückt.

Mit einem Lachen – Boromir hatte ein wunderbares Lachen, wie ich bereits erwähnte – packte er mich an den Schultern und hielt mich ein Stück von sich weg. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."

„Nicht nötig", schnaufte ich. „Aber sehr nett. Du hast auch alles gut überstanden?"

„Aber sicher." Das nächste war ein herzhafter Kuss.

Boromir hatte zumindest einen guten Schutzengel, auch wenn er das nicht wusste. Hinter ihm hatte sich nämlich meine Verwandtschaft aufgebaut, die wohl befürchtete, dass der sterbliche Schmutzfink mir etwas antun wollte. Haldir war das verkörperte Unwetter, das sich gleich über Boromirs Haupt entladen würde.

„Du hältst alle auf", raunte ich meinem Freund zu, der mir einen Arm um die Schulter schmiss und mich mit sich zog, um mich vor einen blondgelockten Krieger zu platzieren.

„Das ist sie", verkündete er. „Lucy, darf ich dir Eomer, Eomunds Sohn vorstellen?"

Warum so förmlich? hätte ich fast geflötet. Jesus, hier reihte sich ein Sahnestück an das andere. Die rustikale Schönheit der Sterblichen konnte eine Nonne zum Sabbern bringen. Aber ich war ja keine Nonne, sondern eine Elbin, die sozusagen den Atem ihres Onkels im Nacken fühlte.

Eomer blickte mir tief in die verträumten Augen und verneigte sich leicht. „Es ist ein Geschenk, wenn man aus der Schlacht heimkehrt und von soviel Schönheit begrüßt wird."

„Das hast du zu mir noch nie gesagt", rettete Eowyn seinen Hals, bevor Haldir ihn packte und rumdrehte wie den eines dürren Huhns.

„Du bist nur meine Schwester", zog der Marschall der Riddermark sie auf und ließ sich ablenken.

Eowyn schlug leicht nach ihm und nahm sich dann Boromir vor. „Und Ihr, Herr Boromir, was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?"

„Man sollte sich das Beste für zuletzt aufheben", erklärte er charmant und ließ mich endlich los, um Eowyn den Arm zu reichen. Rohans Schildmaid errötete unplanmäßig und kicherte sogar impulsiv.

Sinnend blickte ich den dreien nach. Eigentlich hatte Eowyn den ältesten Sohn des Stewards ja nie kennen gelernt, sondern sich später dann irgendwie zusammenhanglos in den zweiten Sohn Faramir verliebt. Das Ganze roch nach Komplikationen. Ich sah schon, wie Faramir mir schluchzend Vorwürfe machte, dass ich ihn um die Liebe seines Lebens gebracht hatte und sein älterer Bruder mal wieder alles abbekam, während er leer ausging.

Ein Räuspern brachte mich zurück in die Wirklichkeit. So räusperte sich nur einer, das wusste ich einfach. Mit einem harmlosen Lächeln drehte ich mich um. Haldir wollte gerade den Mund aufmachen, um inquisitorische Untersuchungen über meine Beziehung zu Boromir zu beginnen, als ich die neue Nahkampftechnik einsetzte, die hier jeder zu beherrschen schien.

„Onkel Haldir!" rief ich grinsend und umarmte ihn.

Zu meiner Überraschung ließ er es sogar schmunzelnd über sich ergehen. „Wenn du mich noch mal so nennst", raunte er mir dabei zu, „schneid ich dir die Haare ab."

Ich verbuchte das unter Kindheitsgeplänkel, an die ich mich leider nicht erinnerte und drückte den elbischen Kleiderschrank noch ein bisschen fester, bevor ich ihn endlich losließ. „Würdest du nie tun."

„Dreihundert Jahre und sie ist dir endlich auf die Schliche gekommen", amüsierte sich Rumil und löste so nebenbei das Rätsel um mein Alter.

Für eine Elbin war ich sozusagen ein Frischling. Irgendwie beruhigend. Soviel Weisheit wurde von mir also auch nicht erwartet. Es erklärte auch, warum die beiden Lorien-Brüder immer so um mich herum gluckten.

„Luthaduial."

Er hätte auch ‚blöde Schlampe' sagen können und ich wäre nicht weniger schockiert gewesen. Ich starrte Legolas an, der sich aus Haldirs Windschatten schob. Abartig schön, wie er nun mal war und das, nachdem sie tagelang herumgeritten waren. Gut, Haldir sah auch nicht aus, als wäre er gerade durch einen Schweinekoben gekrochen, aber das war etwas anderes.

„Legolas", quetschte ich mir einen Gruß ab.

„Es erfreut mich sehr, dass Ihr wieder wohlauf seid", sagte Thranduils Ältester mit einer formvollendeten Neigung seines Kopfes.

Ich hätte gerne hochmütig auf seinen Scheitel niedergesehen, doch dafür war er leider zu groß. Aber es gab ja noch andere Methoden, unfreiwillige Verehrer in die Flucht zu schlagen. Im Grunde tat ich ihm einen Gefallen. Er hatte sich mich nicht ausgesucht und ich mir ihn nicht. Zickige Elbinnen standen hier bestimmt auch nicht hoch im Kurs. „Dann glaubt Ihr also diesmal, dass die Stichwunde wirklich vorhanden ist?" erkundigte ich mich also boshaft und bemerkte eher nebenbei, dass meine Verwandtschaft uns prompt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. „Versteht mich nicht falsch, ich möchte nur erneuten Anschuldigungen zuvorkommen."

Zu meinem Ärger mutierte seine höfliche Anteilnahme zu plötzlichem Interesse. Anders ließ sich das eigentümlich Auffunkeln seiner Augen jedenfalls kaum deuten. So war das eigentlich nicht geplant, jedenfalls nicht von mir. Irgendwie beschlich mich das ungute Gefühl, spätestens jetzt eine klassische MarySue-Kettenreaktion in Gang gesetzt zu haben. Gab es eigentlich überhaupt irgendeine Kommunikation mit ihm, die nicht damit endete, dass wir uns über kurz oder lang wollüstig zwischen seidenen Laken wälzten? Musste ich mir erst Herpes zulegen, damit ich Ruhe hatte?

„Luthaduial-.."

Ich verzog das Gesicht.

„Seit sie vom Blitz getroffen wurde, bevorzugt sie Lucy", klärte ihn Haldir auf. Schnelle Elbin, die ich war, wollte ich ihm dafür gegen den Oberarm boxen, aber Loriens Hauptmann packte mein Handgelenk, ohne wirklich hinzusehen. „Bis auf die Erinnerungslücken ist das die einzige Besonderheit, die geblieben ist."

Das klang, als hätte ich einen leichten Dachschaden, der aber niedlich genug war, von meiner anspruchsvollen Familie verkraftet zu werden. Andererseits klang es noch viel mehr, als hätte ich einen ganz kapitalen Dachschaden und er versuchte, mich an Legolas abzuschieben.

„Wie…ungewöhnlich." Legolas musterte anzüglich mein artfremdes Outfit und grinste dann leicht boshaft. „Aber es passt dennoch."

„Es klingt wie ein Hobbitname", kommentierte Haldir unbelastet von jeglichem Charme.

„Zeit, diese gastliche Runde zu verlassen", verkündete ich. „Ich wollte noch mit Boromir schwatzen."

„Aber mehr auch nicht", riet mir Haldir mit drohend zusammen gezogenen Augenbrauen.

Mit der mir eigenen Genialität erkannte ich sofort die Chance, die sich mir da bot. Legolas würde niemals einem anderen die Frau respektive Elbin wegnehmen. Fabelhafte Gelegenheit und ich ergriff sie natürlich. Zwar kein Herpes, aber Boromir tat es auch. „Er küsst gut."

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Die Elbin denkt und jemand anders lenkt. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich keine Ahnung von Familie hatte. Wenn man wie ich in Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen war, kannte man diesen Beschützerwahn nicht, der wohl die männlichen Mitglieder einer Familie beflügelte, die weiblichen Mitglieder vor anderen männlichen Nichtfamilienmitgliedern zu beschützen. Das hing dann wohl damit zusammen, dass sie von ihren eigenen schmuddeligen Gedanken auf die aller anderen männlichen Wesen schlossen. Wahrscheinlich nicht einmal zu Unrecht.

Ich hatte Zeit, mich mit dem Problem auseinander zu setzen. Haldir und Rumil konferierten zwar den Rest des Tages mit den anderen wichtigen Herrschaften, aber das hieß noch lange nicht, dass Loriens Elite-Hauptmann gewillt war, mich aus den Augen zu lassen, solange Boromir von Gondor auch nur in Sichtweite war. Sichtweite bei einem Elb ist ein sehr weitumfassender Begriff.

Also lungerte ich im Hintergrund der Goldenen Halle herum, während zu Füßen von Theodens Thronsessel – aus Holz und offenkundig unbequem, weshalb sich der König einen anderen Sitzplatz gesucht hatte – an einem langen Tisch die Diskussion hin und her wogte.

Ich saß in einer schattigen Ecke, von denen es in diesem Gebäude genug gab, auf einer gepolsterten Bank und beobachtete abwechselnd das strategische Oberkommando diesseits des Nebelgebirges und Orli, der ganz in meiner Nähe auf einem der Tische saß. Irgendwoher hatte er ein Stück müffelnden Käse organisiert, zu dem er sich immer mal wieder einen Schluck Wein gönnte, den ich großzügig in eine Schale gegossen und neben ihm platziert hatte.

Freiwillig hockte ich da nicht, sondern auf Befehl der lieben Onkel, die mir äußerst schmerzhafte und vor allen Dingen demütigende Vergeltungsmaßnahmen angedroht hatten, sollte ich mich aus ihrem Gesichtsfeld entfernen. Anstatt sich zu freuen, dass die Nichte einen mutigen jungen Mann aus gutem Hause aufgerissen hatte, führten sie sich auf, als wäre es der Untergang des Elbentums. So langsam bekam ich eine Vorstellung davon, was Lord Elrond gedacht haben musste, als Arwen ihm verkündete, sich mit dem Waldläufer, der gerade mal die Aussicht auf einen Thron hatte, zu verloben.

Und ich bekam eine noch bessere Vorstellung davon, was Arwen wohl hinter sich hatte, seit der liebe Daddy es wusste. Wahrscheinlich hatte er sie die ersten fünfzig Jahre irgendwo in Bruchtal eingesperrt, die Fenster vergittert und seine Söhne mit gezogenen Schwertern vor der Tür postiert. Elben waren ein durchaus elitärer Haufen, wurde mir klar, und ich gehörte zumindest zeitweise dazu.

„Elben spinnen", flüsterte ich ganz leise.

Orli hob die Schnauze aus dem Weinnapf und sah mich ein wenig verschwommen an. Der Ratterich war angeheitert, hörte mir aber wenigstens zu.

„Die beiden führen sich auf, als wäre ich die letzte Jungfrau Mittelerdes und Boromir ein Wüterich, der mich beinahe auf den Stufen Meduselds flachgelegt hätte."

Meine besoffene Hausratte schien zu grinsen, bevor sie ihre scharfen Zähne wieder in den Käse schlug. Orli war der Genuss-Typ, darin ähnelte er den Hobbits, die an einer anderen Stelle der Halle vor einem Berg Schüsseln saßen und sich die Bäuche vollschlugen. Viel hatte ich noch nicht von ihnen erlebt, außer eben, dass sie hungrig waren und recht klein. Außerdem liefen sie barfuss herum, was meiner Meinung nach für ihren Wagemut sprach. Ich wäre an ihrer Stelle bestimmt in irgendwas reingetreten, was entweder eklig oder schmerzhaft gewesen wäre.

Vom Konferenztisch im rustikalen Blockhausstil warf mir Haldir mal wieder einen durchdringenden Blick zu. Schatten hin oder her, der Elb sah alles. Ich winkte schwach und er konzentrierte sich auf Aragorn, der gerade ein flammendes Plädoyer dafür hielt, nach Gondor zu eilen und den drohenden Angriff aus Mordor zurückzuschlagen. Theoden starb nicht gerade vor Enthusiasmus bei diesem Vorschlag, während Boromir seinem zukünftigen König den Rücken stärkte.

Etwas irritiert wegen meiner eigenen Überlegungen begann ich, an meinem Daumennagel zu knabbern. War ich eigentlich noch Jungfrau? Wenn es nach Tolkien ging, bestand da wohl kein Zweifel. Aber was ging hier schon nach ihm? Jeder machte, was er wollte oder vielmehr was der Urheber dieses AU wollte.

Ich konnte genauso gut eine Nymphomanin sein und meine Onkel wollten nur verhindern, dass ich jetzt auf Sterbliche umstieg und die Familienehre endgültig ruinierte.

Die nächste Facharztpraxis war wohl etwas weiter entfernt und auf eine Selbstdiagnose hatte ich nicht die geringste Lust. Es bliebe noch die Möglichkeit, meine Onkel zu fragen, aber ich bezweifelte, dass ich eine vernünftige und ruhige Antwort bekommen würde. Außerdem wissen Onkel auch nicht immer alles.

Eowyn eilte äußerst geschäftig durch die Halle. Als sie mich entdeckte, wechselte sie abrupt die Richtung und marschierte zu mir herüber. Ihr Blick wanderte kurz zur Kommandoebene, in der die Diskussion sich weiter dahin zog. Theoden war immer noch nicht begeistert, die Truppen in Bewegung zu setzen.

„Eomer wird noch mit ihm reden", meinte die Schildmaid ärgerlich. „Ich verstehe sein Zögern nicht. Dem Krieg können wir auch hier nicht entgehen."

„Er wird die richtige Entscheidung treffen", winkte ich ab. „Du hast viel zu tun?"

„Für das Fest heute Abend", bestätigte sie. „Wir feiern den Sieg über Sarumans Truppen. Es wird dir gefallen."

Ich heuchelte elbische Begeisterung. Ganz so schwer ist das nicht, da Elben immer ein wenig abgeflacht in ihrer Temperamentskurve sind, sobald Sterbliche um sie rumstreunen. Das gehörte wohl zum Image und ich konnte gut damit leben.

„Ich glaube, deine Ratte ertrinkt", warnte mich Eowyn und zeigte auf den Tisch.

Sturzbesoffen war Orli über dem Weinnapf zusammengesunken und hing nun mit dem Kopf in der roten Flüssigkeit. Mit einem Seufzer erhob ich mich, packte den Ratterich mit Daumen und Zeigefinger am Nackenfell und hob ihn hoch.

Andere MarySues hatten Adler, Pferde, Wölfe, Tiger oder sonst was – ich hatte eine alkoholabhängige Ratte. Jesus Christus, musste ich in meinem vorherigen Leben Mist gebaut haben.

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