Die Zeit verging langsam. Um ehrlich zu sein strich sie förmlich vor sich. Irgendwann schob Draco entnervt die Tastatur von sich. Es hatte einfach keinen Sinn. Die ganze Zeit schwirrten seine Gedanken nach oben, hinauf zu dem kleinen Dieb. Zu dem Weasley. Immer noch konnte er sich mit diesem Gedanken nicht wirklich anfreunden. Nicht nur, weil die Weasleys damals alle von Voldemort ermodert worden waren, sondern auch weil… er wusste nicht warum. Es war da, aber es gelang ihm nicht, es näher zu definieren. Dieses Unwohlsein, dieses Gefühl, dass es falsch war, von ihm als einem Weasley zu denken.

Wie lange saß er nun schon hier, ohne ein einziges Wort geschrieben zu haben? Dauernd diesen Geruch von ihm in der Nase zu haben? Und sich zu überlegen, wie er wohl geguckt haben mochte, als er von Dracos kleinem Kunststück erfahren hatte? Nun musste er grinsen. Mit den Zehenspitzen stieß er sich vom Tisch ab, sodass der Stuhl über den Teppich rollte und sich dabei leicht drehte. Er blieb genau vor dem Regal stehen, indem sich das Gefäß befand.

Es ähnelte einem Denkarium, nur dass blauviolette Flammenzungen und Blitze hervortraten. Die Zauberkraft des Jungen war gewaltig gewesen, aber Draco war weder dumm, noch hatte er kein Gefühl mehr für so was in den Fingern. Magie war nicht gleich Magie. Das hier war ein ganzes Sammelsurium, ein Fundus an den unterschiedlichsten Kräften. Einiges gut, vieles pechschwarz. Der Junge musste unglaublich viel zusammengeklaut haben, um das alles in sich zu haben. Was er damit wohl alles hatte anstellen können… Fast ein wenig wehmütig dachte Draco an die Zeit, als er noch einen Zauberstab besessen hatte. Sie war zu Ende gewesen, zeitgleich mit dem Ende seiner Schulzeit.

Natürlich hätte er sich einen neuen kaufen können, nach einigen Jahren hatte sich alles dermaßen normalisiert, die Todesser waren derart in Vergessenheit geraten, dass niemand fragen würde, wenn er in den Laden käme. Er könnte sich einen neuen holen…einen mit Drachenherzfasern vielleicht…Eibe…14 und ein halber Zoll. Aber er verlief sich in Träumen. Die Malfoys würden nie wieder zaubern. Aber einem Jungen die Zauberkraft stehlen, sie ihm aus den Adern saugen, das konnte er noch. Sein Finger fuhr über das Holz des gestohlenen Zauberstabes, glatt und weich. Es war, als wollte es anfangen zu singen. Welcher Ton wohl entstehen würde?

Draco seufzte, schloss für einen Augenblick die Lieder. Und hatte sofort diesen Geruch in der Nase. Diesen Geruch nach Regen und Erde. Nach Wind und Freiheit irgendwie. Und Dunkelheit. Es war nur eine Spur gewesen…eine Nuance, aber es war da. Irgendwie…mochte er diesen Duft. Zumindest bekam er ihn einfach nicht mehr aus der Nase.

„Draco!"

Wieder ein Seufzen, diesmal gequält. Als er die Augen öffnete, brach sich das Licht gerade in einem der Unebenheiten der milchigen Wand, warf einen Regenbogen an die gegenüberliegende.

„Draco!" Nun…es war also wieder Zeit für's Essen.

Der Blick seines Vaters, die milchigen Augen, folgten den Geräuschen seiner Schritte. Doch sie machten keine Geräusche. Es mochte ein kindischer Trotz sein, dennoch schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Die weißen Augäpfel zuckten unruhig hin und her, doch sie vermochten ihn nicht zu lokalisieren.

Draco stellte das Tablett vor ihn auf den Tisch. „Essen, Vater."

Lucius zuckte unmerklich zusammen. Seine Finger tasteten sich über den Tisch, bis sie gegen die Gabel stießen.

„Soll ich dir sagen, wo was liegt?"

„Nein."

Draco zuckte mit den Schultern. Noch ein paar Sekunden lang blieb er stehen und betrachtete, wie sein Vater mit der Gabel nach dem klein geschnittenen Fleisch tastete. Metall schabte über Porzellan. Als er ein Stück erwischte verfehlte er den Mund und das Stück fiel herunter. Er setzte dazu an etwas zu sagen, vermutlich wollte er nach Dobby rufen, doch dann besann er sich und presste stattdessen die Lippen zusammen. Es war einfach sich auszumalen, was er in diesem Augenblick dachte, wie er das Zaubereiministerium verfluchte dafür, dass es ihnen keinen magischen Besitz erlaubte. Wenn er wüsste…

„Ich mache mich dann wieder an die Arbeit."

„Du hast den ganzen Morgen gearbeitet. Vielleicht solltest du dich ein wenig um Cassy kümmern. Eines Tages wird das Ministerium dieses unsinnige Verbot aufheben und dann soll niemand sagen, sie hätte keine Ahnung von Magie. Die Theorie muss sie können, wenn sie ihren Zauberstab erhält."

„Nun Vater, ich muss arbeiten, da ich unseren Lebensunterhalt verdiene." Draco nahm das zweite Tablett und entfernte sich. „Vielleicht könntest du ja mal die nächsten Theoriestunden abhalten?"

Das Grummeln hinter ihm wurde immer leiser, je weiter er die Treppe hinaufstieg. Nur zu gerne vergaß er es, blendete den ganzen alten Mann vollkommen aus, der einmal sein Vater gewesen war. Ein starker Mann, ein Mann voller Stolz und Würde, der Voldemort treu ergeben gewesen war, ohne vor ihm zu kriechen. Wie er damals zu ihm zu ihm aufgesehen hatte…

Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben und konzentrierte sich stattdessen ganz auf den jetzigen Augenblick, darauf, was er jetzt zu tun hatte.

Im Türrahmen blieb er einen Augenblick lang stehen und ließ seinen Blick über den Junge gleiten. Die grünen Augen waren auf Draco gerichtet. Sie waren irgendwie seltsam verschleiert…

Draco sah beinahe verboten gut aus. Die Haare waren zerstrubbelt, als wäre er sich mehrmals unbewusst mit der Hand hindurch gefahren. Darüber, was sich wohl unter dem Hemd und der Weste, unter der dunklen Stoffhose befinden mochte, wollte er lieber gar nicht erst nachdenken. Er hatte schon auf der Schule gewusst, dass Malfoy ihn nicht kalt ließ, auch, dass er ihn meist umso attraktiver fand, je wütender er wurde. Und im Moment war er stinksauer.

„Du mieser kleiner Schleimscheißer..." Es bereitete ihm keine Mühe, seine Stimme ruhig zu halten. Noch nicht. Noch war sie eisig kalt. Ungläubig beinahe. „Hattest du nicht gesagt, dieses Haus wäre alles magische, was ihr noch hättet?"

„Nun, dieses Haus, der Flakon und ein trickreiches kleines Gefäß, in dem nun deine Zauberkraft munter vor sich brodelt… Hatte ich irgendwie vergessen zu erwähnen."

Hatte er irgendwie vergessen zu erwähnen…und jetzt lachte der Kerl auch noch! Ein sehr melodiöses Lachen, wie ihm jetzt auffiel, während sich seine Muskeln spannten, er sich wünschte, seine Hand in dieses lachende Gesicht zu schlagen.

„Hast du Hunger?" Draco stellte ein Tablett mit Essen vor ihm auf einen kleinen Beistelltisch.

Das meinte der Kerl jetzt nicht ernst, oder? Er sah die Teller an. Sah demonstrativ wieder weg. Natürlich hatte er Hunger. Zwei verschiedene Hungergefühle kämpften in ihm. Der Hunger nach Macht war natürlich schlimmer. Der Hunger nach Macht war immer schlimmer. Stetiger. Brennender.

Dennoch existierte auch der nach Nahrung. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Und warum musste Draco nur so furchtbar grinsen? Warum hatte der Junge so viel Spaß daran, ihn zu verarschen?

Sein Kopf drehte sich wieder zu dem Tablett.

„Du bindest mich los?"

„Nein.", sagte Draco ernst. „Hast du Hunger?"

„Ja." Warum es verneinen, wenn selbst er das Gegrummel seines Magens als unnatürlich laut empfand?

„Dann mach mal schön den Mund auf."

Dieser Bastard schien tatsächlich Freude daran zu haben, ihn zu demütigen und nach Strich und Faden zu verarschen. Seine Augen folgten Dracos Bewegungen. Was kam jetzt?

Draco nahm Messer und Gabel.

Draco schnitt ein Stück Fleisch ab.

Spießte es auf die Gabel, hielt es ihm hin.

Nee, oder?

Harry starrte den Malfoyspross an, der sich sichtlich ein Grinsen verkneifen musste. Das Fleisch baumelte vor seiner Nase und roch durchaus verführerisch. Aber das ging nun wirklich gegen seine Ehre! Beinahe trotzig kniff er die Lippen zusammen. „Binmchlos.", nuschelte er hindurch.

Malfoy schüttelte sanft den Kopf, als ob Harry ein kleines Kind wäre, dem man alles drei Mal erklären musste. „Jetzt mach den Mund auf, Richard."

„mhich…", begann er wurde jedoch unterbrochen. Dracos Finger strich sanft über seine Lippen. In seinem Magen begann er zu kribbeln und er riss erschrocken den Mund auf. Eine Sekunde später fühlte er kaltes Metall und einen Broken Fleisch im Mund.

Zutiefst beleidigt wollte er es erst Malfoy wieder ins Gesicht zurück spucken, überlegte es sich dann aber doch anders. Oder eher gesagt, sein Magen nahm ihm die Entscheidung ab.

Dennoch überlegte er sich, wie er hier raus kommen sollte, um Malfoy dieses dreckige Grinsen aus dem Gesicht zu schneiden.

Als die demütigende Prozedur endlich abgeschlossen war, stellte Draco das Tablett weg und sah ihn auf einmal sehr ernst an. „Satt?"

„Nein…" Es gab keine Möglichkeit seinen Hunger zu stillen. Hatte es nie gegeben. Immer mehr Artefakte, immer mehr wurde ihm geopfert nur um ihn immer weiter und weiter anzufachen.

„Unersättlich?" Das Lächeln auf seinen Lippen wurde wieder weich. Ein sanftes Lächeln, wie man es ihm als Jungen nie zugetraut hätte.

„Bei bestimmten Dingen…" Das klang beinahe etwas zweideutig. Vielleicht sollte er aufpassen. Wer am Bett gefesselt lag, sollte nicht mit Zweideutigkeiten werfen… oder etwas in der Art.

Er war gerade noch in diesem Gedanken versunken, als er die Wärme spürte und dann ein Gewicht auf seinem Bauch. Harry keuchte und starrte Draco an, der es sich auf seinem nun mehr oder minder vollen Bauch bequem machte.

„Also…könntest du mir vielleicht erklären, warum du am Leben bist, mein lieber Richard? So weit ich mich erinnere, sind eigentlich alle Weasleys tot oder irre ich mich da?"

Nein, er irrte sich natürlich nicht. Aber musste er deswegen sich so nah über ihn beugen? Er konnte ja seinen Atem auf dem Gesicht spüren.

Mrs Weasley hatte damals eine Weihnachtsfeier organisiert und jeder Weasley hatte zu erscheinen. Sie wollte den damaligen Schrecken trotzen und endlich einmal wieder alle zu Gesicht bekommen. Auch Harry war eingeladen gewesen. Aber er hatte keine Zeit gefunden. Dumbledore hatte ihm keine Zeit gelassen.

Der Totenkopf, der über der Ruine des Fuchsbaues gehangen hatte, war weithin sichtbar gewesen.

„Ich hatte keine Zeit um zu kommen.", antwortete er wahrheitsgemäß. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Tante Molly hatte gedroht alle zu töten, die nicht kommen würden."

Als er an die Mutter von Ron dachte, an seinen alten Freund selbst und seinen etwas verschrobenen Vater, die Zwillinge, kam ein Gefühl der Scham auf in ihm, nicht der Trauer. Getrauert hatte er lange und ausdauernd. Aber wie immer, wenn er an diese Menschen dachte, begann er sich leicht zu schämen dafür, dass er ihr Andenken derart in den Schmutz zog, nur um selbst ein wenig sicherer zu sein.

Draco sah ihn noch immer an, konzentriert, nachdenklich. Blonde Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht oder daran vorbei und strichen über die Haut von Harrys Wangen. Auf einmal hatte er das Bedürfnis, sie ihm wieder hinter die Ohren zu streichen. Natürlich konnte er es nicht.

Seine Arme bewegten sich ein wenig unruhig, auch wenn sie nicht viel mehr konnten, als zu zucken. Er wünschte sich, nicht so vollkommen ausgeliefert unter seinem ehemaligen Widersacher zu liegen.

„Ich möchte dir einen Deal vorschlagen, Richard."

So, das war's auch schon mal wieder. Ich möchte mich bei allen Reviewern bedanken für die lieben Kommentare. Ich hab mich wirklich sehr gefreut. .

Und ich möchte mich natürlich auch für die lange Wartezeit entschuldigen (auch wenn es, möglicherweise, öfter vorkommen könnte…manchmal bin ich ein ziemlicher Schreibmuffel…), aber ich bin vor Ferienbeginn nicht ganz fertig geworden und war dann gleich zwei Wochen in Schweden. (Wo es trotz des miesen Wetters einfach toll war! Will wieder zurück….schnüff….was sind schon 23 ½ Stunden Hinfahrt?)

Bis zum nächsten Mal und weiter fleißig reviewen, bitte!