Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes
Zweites Kapitel
Potter, Lupin und Pettigrew
Die restlichen Ferien verbrachte Sirius, sofern er nicht gerade zum Essen in der trostlosen Küche war und seine Familie ertragen musste, fast ausschließlich auf seinem Zimmer, wo er hauptsächlich damit beschäftigt war, über Hogwarts nachzudenken.
Die Zeit schien für ihn regelrecht stillzustehen, wenngleich er sich am Grimmauldplatz nicht mehr ganz so einsam fühlte, seit ihm der Rabe Gesellschaft leistete. Oxbow jedenfalls war es egal, ob Sirius ›Unverzeihliche Flüche‹ oder ähnliche schwarzmagischen Sprüche lernen wollte, die seine Eltern – ungeachtet der Tatsache, dass die meisten solcher Zauber strengstens verboten waren – mit Vorliebe seinem Bruder beibrachten.
In einem verzweifelten Versuch die langen, sich mühsam dahin schleppenden Minuten zu verkürzen, klappte er sogar an einem Tag, etwa eine Woche vor Schulbeginn, sein ›Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 1‹ auf, um gelangweilt darin herumzublättern. Ein paar Zaubersprüche probierte er aus, die ihm alle auf Anhieb gelangen, sodass er das Zauberkunstbuch nach kurzer Zeit wieder desinteressiert zuschlug.
Und dann, endlich, nachdem scheinbar eine Ewigkeit vergangen war, kam der erste September.
Es war ein trüber Tag und Sirius saß oben in seinem Zimmer, als seine Mutter plötzlich mit schriller Stimme von unten herauf schrie: »Sirius! Kommst du jetzt bald runter! Die Malfoys warten schon auf dich und sie haben mit Sicherheit Besseres zu tun!«
Der Junge legte noch schnell einen Anti-Auslauf-Zauber, von dem er im Zauberkunstbuch im letzten Kapitel gelesen hatte, auf sein Denkarium. Das war eine Schale, in die man mit Hilfe seines Zauberstabs Gedanken und Erinnerungen in Form von silbriger Flüssigkeit nach Belieben hinein legen und wieder herausholen konnte. Er hatte es von seinem Onkel Alphard zum Geburtstag bekommen.
Nun verstaute Sirius es sicher eingepackt in seinen Koffer und verschloss danach Oxbows Käfig. Der Rabe krächzte heiser, vermutlich, weil er nicht gerade erfreut darüber war, eingesperrt zu werden, denn für gewöhnlich ließ Sirius ihn frei herum fliegen.
Es schien Sirius aber vernünftiger, seinen gefiederten Freund diesmal im Käfig zu transportieren, da sie heute auf Muggelart zum Bahnhof King's Cross kommen würden, dem Bahnhof, von dem der Hogwarts-Express immer am ersten September um elf Uhr vom Gleis Neundreiviertel abfuhr.
Mit Oxbow im Käfig würden sie die Muggel, die es ohnehin schon als komisch ansahen, wenn ein Junge mit einem Raben herum lief, nicht noch misstrauischer machen.
Darüber hatte sich Mrs Malfoy schon seit einer Stunde lang und breit ausgelassen. »Dass wir wegen diesem neuen Muggelschutzgesetz jetzt auch noch mit dem Taxi zum Bahnhof fahren müssen ist völlig indiskutabel!«
Im Prinzip hatte alle Aufregung nichts gebracht. Die Malfoys hatten sich dann doch unterordnen und Muggelgeld besorgen müssen. Gesetz war schließlich Gesetz und so hatten sie keine andere Wahl gehabt.
Sirius hatte jedoch das seltsame Gefühl, dass dieses Gesetz sich nicht lange halten würde. Schließlich hatten die Malfoys gute Verbindungen zum Ministerium und besaßen außerdem eine Menge Gold, dass sie auch mal gut und gerne ihren befreundeten Beamten schenkten, um unverhohlen das zu bekommen, was sie wollten. Immerhin waren sie die Malfoys…
Sirius schüttelte den Kopf, um aus seinen Erinnerungen in die Gegenwart zurückzukehren. Rasch schloss er auch noch den Koffer ab, um ihn zusammen mit Oxbow, der im Käfig einige Male ungestüm mit den Flügeln schlug, hinunter in die Eingangshalle zu tragen.
Kaum war er auf halbem Weg die Treppe hinunter, da lachte Lucius, der zusammen mit Mrs Malfoy, Capella, Pherkard und Regulus in der Eingangshalle stand, schallend los, als er das Tier erblickte.
»Einen Raben! Was Besseres konntest du dir nicht leisten?«, stichelte er, was Regulus natürlich zum Lachen reizte.
Regulus lachte überhaupt immer, wenn Lucius etwas sagte, das einem Witz ähnelte, vor allem, wenn es seinen älteren Bruder betraf.
Sirius verkniff sich sämtliche Schimpfwörter, die ihm in diesem Moment in den Sinn kamen und zog stattdessen sein Gepäck die letzten Stufen bis zu der kleinen Versammlung herunter.
»Lucius, zeig Sirius, wohin er seinen Koffer tragen soll«, befahl Mrs Malfoy, woraufhin sie sich von Capella und Pherkard verabschiedete und Regulus lächelnd eine Schachtel ›Bertie Botts Bohnen aller Geschmacksrichtungen‹ in die Hand drückte.
Der aschblonde Junge eilte unterdessen zur Tür und bedeutete mit einem genervten Blick, dass Sirius sich beeilen sollte.
Sirius stand jedoch unschlüssig da und überlegte, wie und ob er sich von seiner Familie verabschieden sollte, da er sie ziemlich lange nicht mehr sehen würde.
Diese nahm ihm aber die Entscheidung ab, weil Regulus sogleich die Verpackung seiner neuerworbenen Süßigkeiten aufriss, und sein Vater rief ihm nur über die Schulter zu: »Wir sehen uns dann in den nächsten Sommerferien. Ich erwarte, dass du die restliche Zeit in Hogwarts verbringst.«
»Und mach ja keinen Ärger!«, fügte Capella als Verabschiedung hinzu.
Damit verschwanden sie alle drei im Salon, ohne Sirius auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
»Kommst du jetzt endlich, Black? Ich hab keine Lust deinetwegen den Hogwarts-Express zu verpassen«, schnauzte Lucius ihn von der Tür aus an.
Sirius sah nicht mehr zurück, als er Koffer und Käfig hoch hievte, um beides hinter den Malfoys die Treppen hinunter zum Taxi zu tragen.
Draußen war es grau und unfreundlich, was Sirius' Stimmung jedoch nicht trüben konnte, denn endlich kam er einmal weg von seiner verhassten Familie!
Er sog die morgendliche Spätsommerluft tief ein und spürte, wie etwas – vielleicht die Anspannung, die im Grimmauldplatz stets auf ihm lastete – von ihm abfiel. Dieses Gefühl der Erlösung begleitete ihn sogar auf dem ganzen Weg zum Bahnhof King's Cross hin, obwohl er jetzt Lucius ausgesetzt war, der immer und immer wieder heraushängen ließ, dass er Schulsprecher war und als solcher über ein großes Maß an Macht verfügte.
Glücklicherweise lag das Haus der Blacks nicht weit vom Bahnhof entfernt, sodass Sirius es nicht allzu lange mit den Malfoys in einem Auto aushalten musste.
Mrs Malfoy bezahlte das Taxi grummelnd mit Muggelgeld, wobei sie dem Fahrer ordentlich Trinkgeld gab, was allerdings allein auf der Tatsache beruhte, dass sie sich mit dem Zahlungsmittel der Muggel nicht auskannte.
»Behalten Sie diese… Pfund!«, sagte sie angeekelt. Auch die Arroganz war dabei in ihrer Stimme nicht zu überhören.
Anschließend rauschte sie mit den beiden Jungs, die inzwischen ihr Gepäck aus dem Kofferraum geschafft hatten, davon.
Der Taxifahrer sah ihnen reichlich verwirrt nach, als sie mit Lucius' schlafender Schleiereule und Oxbow, der einmal mehr sein heiseres Krähen hören ließ, verschwanden.
Ohne dem Muggel weiter Beachtung zu schenken, beschafften sie sich Gepäckwagen, auf die sie ihre Koffer luden, um mit diesen in den Bahnhof zu marschieren.
Sirius war, anders als Regulus, noch nie mitgekommen, wenn Lucius für ein weiteres Schuljahr nach Hogwarts ging. Somit hatte er keinen blassen Schimmer, wie er auf ein Gleis kommen sollte, das, wie die Nummer verkündete, irgendwo zwischen Gleis neun und zehn lag.
Typisch, dass sein Bruder in diesem Jahr nicht mit zum Bahnhof kam, als Sirius sein erstes Schuljahr antrat. Damit wollte er ihm ohne Zweifel zeigen, dass es ihn nicht interessierte, was mit Sirius passierte. Dennoch musste es ihn sicher einige Überwindung gekostet haben, sein großes Vorbild Lucius somit nicht begleiten zu können.
Nicht, dass es Sirius in geringster Weise gestört hätte – so hatte er wenigstens seine Ruhe…
Während Lucius sich von seiner Mutter verabschiedete, die es, wie sie betonte, eilig hatte, wartete Sirius geduldig ab. Dabei beruhigte er Oxbow, den das ganze Durcheinander, das die Muggel um sie herum veranstalteten, sichtlich aufregte.
»Los Black, rauf aufs Gleis neundreiviertel«, verhöhnte Lucius ihn, als er mit dem Abschiednehmen fertig war. Er wusste genau, dass Sirius keine Ahnung hatte, was zu tun war und kostete seine Überlegenheit sichtlich aus.
»Halt die Klappe und geh vor«, knirschte Sirius genervt, denn mittlerweile konnte er Oxbow nur noch schwer bändigen.
Malfoy blickte ihn verächtlich an, schob seinen Wagen aber dann doch gemächlichen Schrittes geradewegs auf die Wand zwischen den Gleisen neun und zehn zu, um im nächsten Moment in ihr zu verschwinden.
Von Illusionszauberei hatte Sirius schon öfter gehört und etwas anderes konnte hier auch nicht angewandt worden sein, um all die Muggel zu täuschen.
Mrs Malfoy hatte sich, sobald Lucius außer Sicht war, wieder auf den Rückweg gemacht hatte, sodass Sirius sich nicht einmal von ihr verabschieden musste. Ohne groß nachzudenken schob er seinen Gepäckkarren auf die Wand zu, bis der Wagen mit der Vorderseite einfach durch die Absperrung hindurch fuhr.
Sirius folgte Lucius und erblickte im nächsten Moment eine knallrote Dampflok mit der Aufschrift ›Hogwarts-Express‹.
Überall auf dem Bahnsteig wimmelte es nur so von Kindern und Jugendlichen mit ihren Eltern. Manche, wie auch Sirius, waren noch in Muggelkleidung, einzelne hatten schon ihre Hogwarts-Umhänge angelegt; einige riefen sich gegenseitig Grüße zu oder kämpften sich durch das Getümmel zu ihren Freunden, andere wiederum verabschiedeten sich unter Tränen von ihren Familien…
Sirius hatte noch nie so viele Hexen und Zauberer auf einem Haufen gesehen, was schon etwas heißen sollte, denn er hatte es – sehr zu seinem Leidwesen – nicht vermeiden können, auf ein paar Familienfeiern der Blacks und Malfoys zu gehen.
Da Sirius außer Lucius hier niemanden kannte, suchte er mit den Augen den Bahnsteig nach ihm ab. Er entdeckte ihn bei einer Gruppe Siebtklässlern, die gerade lauthals über irgendetwas lachten.
Na wenigstens war er ihn jetzt los!
Sirius packte seinen Koffer und Oxbows Käfig, um beides in ein noch nicht besetztes Abteil im Zug zu schaffen und auf der Gepäckablage zu verstauen.
Vom Fenster aus beobachtete er wieder die Abschiedsszenen auf dem Bahnsteig: Ein Junge, Sirius schätzte ihn als Fünftklässler ein, drückte eben seine kleine Schwester an sich, die ihn erst wieder losließ, als ihre Mutter sich zwischen sie schob, um eine kleine, silbern schimmernde Plakette auf dem tiefschwarzen Umhang des Jungen zurechtzurücken, auf der ein großes ›V‹ glänzte. Sirius erkannte das Vertrauensschülerabzeichen. Es war dem ähnlich, das Lucius besaß, nur dass Lucius' Abzeichen ein ›S‹ für Schulsprecher zeigte.
Von ein paar kichernden Mädchen ganz in der Nähe drang ein Gesprächsfetzen zu Sirius herüber: »Die Springmäuse sind ja soooo süüüß!«
Das rote Haar von einem der Mädchen, das mit dem Rücken zum Hogwarts-Express stand, kam Sirius irgendwie bekannt vor und er musste nicht lange überlegen, um zwei der Mädchen wieder zu erkennen. Er war ihnen in der ›Magischen Menagerie‹ begegnet.
Nach einer Weile entdeckte er auch den Jungen namens James, den er in der Winkelgasse gesehen hatte, als dieser von seinen Eltern begleitet, lässig durch die Absperrung trat. Sobald Sirius ihn mit seiner dümmlich aussehenden, gescheckten Eule sah, deren Käfig er hochmütig unter dem Arm trug, wandte er sich vom Fenster ab, gerade in dem Moment als Malfoy mit seinen drei hässlichen Kumpanen das Abteil betrat.
»Hey Black, gut, dass du uns was freigehalten hast«, grinste Lucius sarkastisch, während er sich quer über zwei Sitze ausbreitete.
Eigentlich wollte Sirius entgegnen, dass sie sich gefälligst aus seinem Abteil verziehen sollten, doch in Anwesenheit von vier Slytherins aus der siebten Klasse erschien ihm das zu gefährlich, besonders weil zwei davon recht bullig und groß waren.
Das mussten wohl Crabbe und Goyle sein, von denen Malfoy schon öfter erzählt hatte. Sirius konnte folglich zwischen zwei Übeln wählen: Die Slytherins oder James anglotzen.
Er entschied sich für James, der eben von seiner Mutter an sich gedrückt wurde. Endlich riss sich der Junge von ihr los und verschwand mit seinem Gepäck im Zug.
Draußen auf dem Bahnsteig lichtete sich allmählich die Fülle an Hexen und Zauberern.
Immer mehr Schüler bestiegen den Hogwarts-Express, sodass fast nur noch Mütter, Väter und jüngere Geschwister neben der Lok standen. Alle warteten noch darauf, dass der Zug abfuhr, um ihren Kindern und Geschwistern winken zu können.
Sirius wünschte sich fast ein wenig, dass dort draußen auch jemand stand, der ihm winken würde, der traurig war, dass er so weit wegfuhr…
Plötzlich wurde die Abteiltür mit Elan aufgestoßen und zwei Mädchen, eine Fünft- und eine Drittklässlerin, traten herein und zogen Sirius' Aufmerksamkeit auf sich.
Er verdrehte nur die Augen, als sich seine Cousine Bellatrix neben einem besonders hässlichen Kumpel von Malfoy, einem der Lestranges (ebenfalls eine der schwarzmagischen, reinblütigen Zaubererfamilien) von dem Sirius glaubte, er hieße Rodolphus, niederließ. Die jüngere der beiden Schwestern, Narzissa, setzte sich wie selbstverständlich neben Malfoy.
Beide hatten bereits ihre schwarzen Hogwarts-Roben an und obwohl Bellatrix eigentlich recht hübsch war, lag eine Kälte in ihren Augen und vorübergehend verzerrte eine zornige Falte auf ihrer Stirn das sonst so makellose Gesicht.
»Wieso habt ihr am Bahnsteig nicht auf uns gewartet?«, fauchte sie Malfoy an, ohne Sirius zu beachten.
Beiläufig holte sie einen aschgrauen Spiegel aus einer Umhangtasche und durchkämmte rasch ihre schwarzen, langen Haare mit einer ebenso dunklen Haarbürste. Sie würdigte auch Malfoy keines weiteren Blickes.
Anscheinend wagte der Slytherin nicht, etwas gegen Bellatrix zu sagen, da sie wahrscheinlich die Einzige war, bei der ihm kein bissiger Kommentar einzufallen schien und die ihm auch in punkto Dunkle Flüche Paroli bieten konnte, weil sie diese, wie Sirius aus leidvoller Erfahrung wusste, seit frühester Kindheit zu ihrem Hobby gemacht hatte.
Sirius freute sich gerade darüber, mit diesen begriffsstutzigen Slytherins keine Konversation betreiben zu müssen, als Bellas Blick, nachdem sie ihre Schönheitsutensilien wieder weggesteckt hatte, wie auf Befehl zu ihm wanderte. Sie starrte ihn böse an.
»Was will der Knirps denn hier?«, blaffte sie zu Malfoy; wahrscheinlich war Sirius es ihr nicht einmal wert, persönlich angesprochen zu werden.
»Wir sind doch nicht das Babysitterabteil!«
Bellatrix bezeichnete ihn für gewöhnlich als Baby, obwohl er nur vier Jahre jünger als sie war, sodass Sirius es schon gewohnt war und dem keine weitere Beachtung schenkte.
Zum Glück kam Sirius' Tante Desdemona mit ihren drei Töchtern nur recht selten zu Besuch.
Die Älteste seiner Cousinen, Andromeda, hatte ihre Ausbildung in Hogwarts bereits beendet, was Sirius eigentlich schade fand, denn sie war die Einzige, mit der man vernünftig reden konnte, was man vom Rest seiner Familie nicht gerade behaupten konnte.
Sirius' Eltern gingen öfters zusammen mit ihren Söhnen zu Tante Desdemona, doch Sirius hatte es vor einiger Zeit schließlich doch geschafft, seine Familie davon zu überzeugen, dass er bei solchen Besuchen (bei denen er ohnehin unerwünscht war) daheim bleiben durfte.
Noch bevor Malfoy Bellatrix antworten konnte, ertönte das Abfahrtssignal und der Hogwarts-Express rollte an.
Seine Cousine warf Sirius noch immer vernichtende Blicke zu, doch sie kam nicht dazu, ihn aus dem Abteil zu werfen, denn kaum waren sie unterwegs, stieß jemand erneut die Abteiltür auf. Peter, der schusselige Junge, den Sirius schon zuvor bei Madam Malkins gesehen hatte, stolperte herein.
»Ist hier noch frei?«, erkundigte er sich schüchtern, wobei er hoffnungsvoll auf den leeren Platz neben Bellatrix blickte.
Diese hatte nur wieder ein neues Opfer in Peter gesichtet, sodass sie ihren Vetter vorübergehend in Ruhe ließ und stattdessen die Füße provozierend auf ihren Nebensitz legte. »Nö, alles besetzt«, grinste sie fies.
Die Slytherins – besonders Crabbe und Goyle – brachen in Gelächter aus, woraufhin Peter rot wie eine Tomate anlief und es vorzog, das Abteil schnell wieder zu verlassen.
Bellatrix grinste noch immer hämisch zur Abteiltür, durch welche Peter kleinlaut verschwunden war, und sah sehr selbstgefällig aus. Wenigstens ließ sie Sirius weiterhin in Ruhe.
»Hey«, wandte sich Rodolphus schließlich an Malfoy, »jetzt, wo du Schulsprecher bist, kannst du mit diesen kleinen Ratten ja machen was du willst, oder!«
»Ja«, erwiderte Lucius amüsiert, »ich hab auch schon ein paar Ideen…«
Doch bevor er diese preisgeben konnte, unterbrach ihn Bellatrix, die sich nun, da Peter nicht mehr im Abteil war, doch wieder ganz Sirius widmete: »Dann schick aber erst mal den raus!«
Bellatrix nickte abwertend in Sirius' Richtung, wobei sie ihre Nase auf eine Weise kraus zog, wie nur sie es konnte.
Auch Lucius sah ihn missbilligend an. »Du hast sie gehört. Raus!«
Erst wollte Sirius etwas entgegnen, entschied sich aber dafür es bleiben zu lassen, da er keine Lust darauf hatte, die ganze Fahrt über mit diesen Slytherins zu verbringen.
Folgsam erhob er sich und verließ das Abteil, wobei er sich fragte, ob es in diesem Zug überhaupt jemanden gab, der halbwegs vernünftig war.
Ein paar Türen weiter suchte Peter derzeit immer noch nach einem Sitzplatz.
Da Sirius aber lieber stehen würde, als sich mit diesem ein Abteil zu teilen, schlug er die entgegengesetzte Richtung ein, und lugte durch ein paar Türen, jedoch ohne Erfolg. Erst ziemlich am Ende des Hogwarts-Express' entdeckte er ein Abteil, in welchem die vier kichernden Mädchen, die er vorhin auf dem Bahnsteig gesehen hatte, saßen.
Eine von ihnen, er glaubte, sie hieß Lily, winkte ihm hereinzukommen, doch Sirius schaute sie nur skeptisch an und ging weiter.
Ganz sicher würde er sich kein Abteil mit diesen albernen Mädchen teilen. Eher würde er zu Peter gehen, überlegte sich Sirius, als er eben bei der letzten Tür angelangte.
Er fragte sich, ob er diese überhaupt noch öffnen sollte, da erkannte er durch das Fenster, dass das Abteil nur von zwei Jungen besetzt wurde, die sich angeregt unterhielten.
Einer davon war James. Zu diesem verweichlichten James würde er natürlich auch nicht gehen, dachte Sirius, da kam ihm die Idee ihn einfach ein bisschen zu belauschen – er hatte sowieso keine Lust, die Gegenrichtung auch noch nach Plätzen abzuklappern. Also ließ er sich kurzerhand vor der Tür nieder.
»Was glaubst du denn, in welches Haus du kommst? Ich hoffe wirklich, dass ich nach Gryffindor komme!«
Sirius erkannte James' Stimme, die etwas gedämpft durch die Abteiltür zu ihm drang. Er bildete sich ein, einen arroganten Unterton im Tonfall des Jungen herauszuhören, was nur zu gut zu dem Bild passte, das er bisher von ihm gewonnen hatte.
Die des anderen Jungen antwortete fröhlich: »Ich hoffe ich werde ein Ravenclaw. – Aber Hufflepuff wäre immer noch besser als Slytherin.«
Sirius gab dem Jungen innerlich Recht: Alles war besser als Slytherin, obwohl Hufflepuff auch nicht wirklich viel besser war.
Bei diesem Gedanken wurde er ein klein wenig schwermütig, wusste er doch, dass er selbst ohne Zweifel in dieses Haus kommen würde. In das Haus der Schlangen, so wie jeder Black…
Über seine Gedanken hatte er ganz vergessen, dem Gespräch weiter zu folgen, weshalb er auch nicht mitbekommen hatte, dass die beiden Jungen längst nicht mehr sprachen.
So war Sirius jetzt ziemlich überrascht, als die Tür aufging. Da er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür gelehnt hatte, kippte er nun rücklings ins Abteil. Verdutzt sahen die Jungs ihn an, worauf einige Sekunden lang Stille herrschte.
Schnell rappelte Sirius sich auf und gab vor, sich den Staub von der Hose zu klopfen.
»Hallo!«, begrüßte James ihn sichtlich verwirrt.
»Ich geh dann jetzt mal, ich wollte sowieso nur schauen, wer noch so neu nach Hogwarts kommt.«
Der fremde Junge maß ihn mit einem prüfenden Blick.
»Mein Bruder hält mir weiter vorne im Zug einen Platz frei.« Unbeholfen deutete er in den Gang, worauf er ohne ein weiteres Wort verschwand.
»Bin eingenickt, als ich grad das Abteil betreten wollte«, rechtfertigte sich Sirius ironisch und wollte sich an dem davoneilenden Jungen ein Beispiel nehmen und das Zugabteil auch schon wieder verlassen, da meinte James grinsend: »Versteh schon, wirst sicher mal 'n Hufflepuff. Die sollen doch alle ein bisschen schläfrig sein…«
Sirius' Hass auf diesen fremden Jungen wurde nach dessen Worten noch stärker, aber gerade als er auf ihn losgehen wollte, betrat ein weiterer Junge das Abteil.
Dieser war Sirius völlig unbekannt. Auch er trug bereits seinen Umhang, welcher ziemlich verschlissen wirkte, und sein hellbraunes Haar sah stumpf aus. Überhaupt sah er ziemlich elend aus, so als ob er gerade eine schwere Grippe hinter sich hatte.
»Ist hier noch frei?«, wollte er lächelnd wissen.
»Klar«, knirschte Sirius und fläzte sich auf einen Sitz gegenüber James, ohne den Fremden dabei aus den Augen zu lassen.
»Ist hier ja anscheinend das Abteil der Übriggebliebenen«, fügte er hinzu, ehe er schließlich doch den Blick abwandte und demonstrativ gelangweilt aus dem Fenster sah.
Die Landschaft hatte sich schon verändert, obwohl sie erst einige Minuten unterwegs waren. London hatten sie hinter sich gelassen und fuhren jetzt an Wiesen und Feldern vorbei, auf denen Kühe weideten. Die Landschaft wirkte wegen des Wetters jedoch eher grau und trostlos.
Jetzt fehlte ja nur noch Peter, dachte sich Sirius, als dieser gerade seinen Kopf herein streckte. Sirius verdrehte die Augen und legte seine Füße quer über zwei Sitze.
»Ist nichts frei«, meinte er, bevor Peter überhaupt fragen konnte.
Der bis jetzt namenlose Junge, der neben James saß, rutschte noch etwas näher zu diesem, damit auch Peter noch Platz hatte, während Sirius sich über die ganze Bank ausstreckte.
Sirius wollte eben wieder aus dem Fenster sehen – jetzt sogar um einiges mieser gelaunt – da begann der fremde Junge: »Ich bin übrigens Remus Lupin. Und wie heißt ihr?«
Sirius deutete nacheinander auf die ihm bekannten Jungs. »James – Peter – und ich bin Sirius!«
Verdutzt glotzten James und Peter ihn an. »Woher weißt du…«, begann James, wurde jedoch von Sirius über den Mund gefahren: »Ich bin ein Seher!«
Ehrfürchtig starrte Peter Sirius an, während James genervt die Augen verdrehte.
»Was glaubt ihr denn, in welches Haus ihr kommt?«, versuchte Remus jetzt schnell abzulenken.
»Der da will nach Gryffindor…« Sirius wies abwertend auf James, danach nickte er in Peters Richtung, bevor er fortfuhr: »…Und ich schwör euch, dass der nach Hufflepuff kommt. – Ich für meinen Teil komme wohl nach Slytherin, wie meine ganze Familie!«
Ein Hauch Verachtung schwang in Sirius' Stimme mit, doch das schien keiner der anderen Jungen mitbekommen zu haben.
Mit jedem von seinen Worten schien Peters Bewunderung für Sirius zu wachsen. Er keuchte nur: »Meine Eltern sagen auch andauernd, dass ich wahrscheinlich nach Hufflepuff komm!«
»Ich fände Ravenclaw nicht schlecht…«, mischte sich Remus wieder ein.
Bevor er ein neues Gesprächsthema finden konnte, wurde die Abteiltür aufgerissen und Malfoy, jetzt in seinem Hogwarts-Umhang warf Sirius den Käfig mit dem krächzenden Oxbow zu. Rodolphus schob hinter Lucius auch Sirius' Koffer herein.
»Hier, dein Zeug nervt, Black«, schnarrte Lucius.
Sirius spürte, wie sich die Blicke der drei anderen im Abteil auf ihn geheftet hatten, nachdem Malfoy seinen Nachnamen genannt hatte, versuchte aber, dies nicht zu beachten.
Lucius unterdessen blickte sich im Abteil um und fügte dann verächtlich hinzu: »Was sind das denn hier für Ratten? – Deine neuen Freunde?«
»Halt's Maul, Malfoy«, erwiderte Sirius kalt.
Er war sich bewusst, dass James', Remus' und Peters Blicke nach wie vor auf ihn gerichtet waren, sah jedoch nicht zu ihnen auf, sondern fixierte stattdessen nur starr die Slytherins.
»Du solltest dich lieber in Acht nehmen, Black, schließlich ist Lucius jetzt Schulsprecher!« – Malfoy warf sich in die Brust und deutete wichtigtuerisch und völlig überflüssigerweise auf sein Abzeichen, das an einer gut sichtbaren Stelle an seinem Umhang glänzte.
»Und wenn er will, kann er dir das Leben ganz schön zur Hölle machen«, blaffte Rodolphus zurück.
»Wenn du's genau wissen willst, Malfoy«, bezog sich Sirius auf Lucius' Frage, »Ja, das sind ›meine neuen Freunde‹.«
Die Slytherins brachen in höhnisches Gelächter aus. »Du solltest lieber abwarten, ob die auch nach Slytherin kommen! Sind die überhaupt reinblütig?« Lucius musterte die drei Erstklässler mit einem prüfenden Blick, als könnte er damit herausfinden, ob sie Reinblüter waren.
»Denkst du, ich würde mich überhaupt im selben Abteil mit ihnen aufhalten, wenn sie's nicht wären?« In Sirius' Stimme hatte neben der Ironie auch eine Spur Verbitterung gelegen – es war ihm in Wirklichkeit gleichgültig, ob jemand reinblütig war oder nicht – doch er war sich fast sicher, dass niemand davon Notiz genommen hatte.
Zu seinem Glück, denn die Reinblütigkeit stand bei Slytherins in großen Ehren und Malfoy hätte es wohl als Verrat angesehen, wenn er wüsste, wie egal Sirius solche Nebensächlichkeiten waren. James schnaubte hörbar auf, doch bevor er noch etwas tun konnte, zogen die zwei Siebtklässler endlich wieder ab.
»Black!«, fragte James entrüstet und fassungslos zugleich.
Natürlich war jedem in der Zaubererwelt der Name Black ein Begriff… selbstverständlich für die dunkle Magie.
»Ja, und was bist du für ein Muttersöhnchen?«, knurrte Sirius, um darauf James nachzuäffen: »Mum, darf ich diesen Besen haben? Kommt bestimmt gut, wenn ich mit einem eigenen Besen in Hogwarts ankomme!«
Perplex blickten die anderen drei ihn an, bevor Remus wieder das Thema wechselte.
»Der Nachname spielt doch gar keine Rolle, oder?… Wie heißt ihr denn überhaupt weiter?« Remus sah sich fragend zu James und Peter um.
Jedoch entging Sirius nicht, dass sein Blick etwas bittend wirkte, wohl um den anderen zu bedeuten, das Thema ›Black‹ lieber unter die Sitzbank zu kehren.
»Pettigrew«, gab Peter sogleich mit seiner dünnen Stimme Auskunft, allerdings ließ er Sirius dabei nicht aus seinen vor Angst weit geöffneten Augen.
Anscheinend erwartete er von ihm, dass er jeden Moment jemanden grundlos angriff und mit einem schwarzen Fluch belegte.
James dagegen wollte schon wieder ansetzten, Sirius etwas an den Kopf zu werfen, begegnete aber Remus' bedeutungsvollem Blick und überlegte es sich anders.
Schmollend gab auch er seinen Nachnamen preis: »Potter. – Aber das ist keine so dunkle, schwarzmagische Zaubererfamilie, wie…«
Weiter kam er nicht, denn Remus wechselte abermals mit Blitzgeschwindigkeit in nur einem einzigen Atemzug das Thema: »Ich finde es echt schön, dass du uns schon als Freunde siehst!«
»Glaubst du etwa, das habe ich ernst gemeint? Nicht für alles Gold der Welt würde ich auch nur mit einem von euch Freaks befreundet sein wollen!«
Schließlich wusste Sirius, wann er unerwünscht war und dieser Potter wollte allem Anschein nach nichts mit ihm zu tun haben. Nicht, dass es ihn gestört hätte. Er konnte sehr gut darauf verzichten!
»Bilde dir bloß nicht ein, dass wir überhaupt mit dir befreundet sein wollten, Black!«, blaffte James sogleich zurück.
»Pass lieber auf, dass ich dir keinen verbotenen Fluch auf den Hals hetze!« Sirius' Hand war unwillkürlich zu seinem Zauberstab gehuscht, der in seiner Hosentasche steckte.
Obwohl er nicht wusste, wie, war er plötzlich auf den Beinen, bereit zum Angriff und mit einer kochenden Wut im Magen.
Natürlich konnte er gar keinen verbotenen Fluch und würde auch nie einen anwenden, aber das musste dieser Potter, der sowieso zu glauben schien, dass alle Blacks schwarze Magie bestens beherrschten, ja nicht unbedingt wissen!
»Versuch's doch!« Auch James war aufgesprungen und deutete mit seinem Zauberstab auf Sirius, jeder Zeit bereit, ihn einzusetzen.
Peter sah nur baff von Sirius zu Remus, von Remus zu James und wieder zurück, als würde er eben ein besonders spannendes Quidditchspiel beobachten.
Remus schien nun auch etwas sagen zu wollen, doch James, der ebenfalls mit seinem Zauberstab Sirius taxierte, war diesmal schneller: »Was ist? Traust du dich nicht!«
Aus den haselnussbraunen Augen des anderen Jungen sprühte Sirius grenzenloser Zorn entgegen, der ihm nur zu deutlich sagte, dass James nicht log: Er hasste die dunklen Künste wirklich zutiefst. Noch immer hatten sie ihre Zauberstäbe auf den jeweils anderen gerichtet.
»Du scheinst zu vergessen, dass du gegen einen Black keine Chance hast«, griff Sirius sein Gegenüber an.
Einmal mehr bemerkte niemand, dass Sirius seinen Namen mit größter Verachtung aussprach. Es war zwar alles nur geblufft (schließlich war ›Abraxas‹ alles, was er an Flüchen kannte), aber anscheinend konnte er diesen Potter auf diese Weise wütend machen.
James schien das endgültig zur Weißglut zu treiben. Er warf seinen Zauberstab beiseite (Sirius vermutete stark, dass wohl auch er noch keinen anständigen Fluch kannte) und stürzte sich mit bloßen Händen auf Sirius.
Im nächsten Moment geschahen mehrere Dinge auf einmal: Peter schrie auf und Sirius hätte wohl James' Faust im Auge gehabt, wenn nicht Remus aufgesprungen wäre und ihn am T-Shirt gepackt hätte.
Gleichzeitig öffnete sich auch noch die Abteiltür und der Vertrauensschüler, den Sirius am Bahnsteig gesehen hatte, als er sich von seiner kleinen Schwester verabschiedet hatte, meinte: »Hallo Kinder, ich bin…«
Ob er ihnen seinen Namen mitteilen wollte, oder dass er Vertrauensschüler war, sollten sie nie erfahren.
Denn gerade in dem Augenblick erfasste der Fünftklässler die Lage: James, rot vor Wut, der von Remus nur mit Mühe gebändigt wurde, Sirius, der seinen Zauberstab bereithielt, um einen Fluch zu sprechen, den er sowieso nicht kannte, und zuletzt Peter, der das Geglotze abgebrochen hatte und nun sein Gesicht zitternd in den Händen vergraben hatte.
»Was soll das denn hier! Ein Muggelduell!«
Sirius, der sowieso nicht vorhatte, mehr Zeit mit diesen Freaks in einem Abteil zu verbringen, steckte seinen Zauberstab weg, packte hastig Oxbows Käfig unter seinen rechten Arm, seinen Koffer mit der anderen Hand und schleppte beides auf die Abteiltür zu.
»Ich wollte sowieso gerade gehen!« Damit rauschte er an dem Vertrauensschüler vorbei, stieß mit dem Fuß die Tür wieder auf und verließ das Abteil.
Es wurde schon langsam dunkel, als Sirius, jetzt ebenfalls in seinem Zaubererumhang und mit Süßigkeiten beladen, die er von einer alten Hexe gekauft hatte, die ihren Süßigkeitenwagen durch den Hogwarts-Express fuhr, durch den Korridor zu seinem eigenen Abteil wollte.
Plötzlich tauchte Malfoy wieder vor ihm auf, diesmal von Bellatrix begleitet.
Sirius wollte sich einfach an ihnen vorbei schieben, doch Lucius versperrte ihm den Weg und spöttelte: »Wo sind denn deine neuen Freunde?«
»Baby Black und Freunde?«, wiederholte Bellatrix ungläubig, doch unverhohlen amüsiert.
Dann wandte sie sich an Sirius: »Du bist eine Schande für unsere Familie, vergiss das nicht. Du hast doch keine Freunde!«
Ohne seine Cousine zu beachten, begann Sirius kalt auf Malfoys Frage zu antworten (ohne richtig zu wissen, was er eigentlich sagen wollte, aber Improvisation war schließlich alles!): »Wenn du's genau wissen willst, Malfoy…«, noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, hörte er eine Stimme hinter sich.
»Hier.«
Überrascht drehte Sirius sich um und sah hinter sich im Gang James, Remus und Peter stehen. Remus hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während James ihn unverhohlen angesäuert betrachtete.
Anscheinend hatte er Sirius noch lange nicht vergeben, was er ihnen vorhin an den Kopf geworfen hatte – oder es behagte ihm einfach nicht, mit einem Black zu reden.
Es war unverkennbar, dass er von Remus hierzu überredet– oder wahrscheinlich eher gezwungen – worden war.
Peter stand neben den Zweien und gab sich Mühe, furchtlos auszusehen, wobei er allerdings hoffnungslos versagte. Seine Knie schlotterten beim Anblick der Vertrauensschülerin und des Schulsprechers, die ihnen jederzeit Strafarbeiten geben könnten, doch Lucius und Bellatrix brachen nur in ihr gewöhnliches, fieses Lachen aus, und schoben sich an den Vieren vorbei.
Sirius konnte es nicht fassen. Was bildeten sich diese Freaks eigentlich ein! Er hatte nicht um ihre Hilfe gebeten, mal abgesehen davon, dass er sie gar nicht nötig gehabt hatte. Und außerdem hatte er sie sowieso vom ersten Augenblick an abstoßend gefunden – und sie ihn doch schließlich auch!
»Was sollte das denn? Ich glaube, ich habe vorhin richtig gestellt, dass ihr nicht meine Freunde seid!« Warum redete er überhaupt noch mit denen!
»Wir auch nicht deine, Black, aber falls du's nicht mitbekommen hast, die Slytherins haben dich gerade blöd angemacht, also wird man wohl etwas Dankbarkeit von dir erwarten können«, fuhr ihn James an, noch ehe Remus etwas sagen konnte.
»Und falls du es noch nicht mitbekommen hast, Potter: Das war Bellatrix Black – meine Cousine!« Sirius hätte nie gedacht, dass er Bellatrix einmal als seine Verwandte bezeichnen würde, aber immerhin war das eine gute Methode, diesen Potter, Lupin und Pettigrew zu schocken.
Den Moment, in dem ihn alle abermals verdutzt anglotzten, nutzte Sirius, indem er die drei stehen ließ und sich in sein neues Abteil verdrückte, in dem schon ein anderer, schwarzhaariger Junge mit einer Hakennase saß, die er in das Buch ›Dunkle Kräfte – Ein Kurs zur Selbstverteidigung‹ gesteckt hatte.
Obwohl Sirius mittlerweile schon mehrere Stunden mit ihm im selben Abteil verbracht hatte, kannte er weder seinen Namen, noch den Klang seiner Stimme.
Die Schweigsamkeit des anderen war ihm mehr als sympathisch, denn er hatte absolut keine Lust, ein weiteres Mal an diesem ersten Tag nach seinem Namen gefragt zu werden – und die Reaktion ignorieren zu müssen, wenn der Andere erfuhr, dass er ein Black war.
In einem Stillschweigeabkommen waren sie sich wohl beide einig, lieber ihre Ruhe haben zu wollen.
Allerdings war das auch schon das Einzige an dem fremden Jungen, was Sirius gefiel. Allem Anschein nach war er ein ziemlicher Streber, wenn er schon auf dem Weg nach Hogwarts in ihrem Verteidigungsbuch las und außerdem hätten seine Haare eine Wäsche dringend nötig gehabt…
Gerade begann Sirius seine Schokofrösche zu verspeisen, als der Hogwarts-Express langsamer wurde.
Durch die Fenster konnte er sehen, dass es draußen in der Zwischenzeit noch finsterer geworden war, während sie es hier drinnen im Zug gemütlich warm und hell hatten. Dicke Wolken hatten sich vor den nunmehr sternlosen Himmel geschoben, als der Hogwarts-Express sein Tempo immer weiter verringerte.
Die Schatten der Nacht zogen wie Schlieren nebeliger Dünste am Zug vorbei. Schließlich kam der Zug ganz zum Stillstand. Draußen wurde die Dämmerung von den matten Lichtern des Bahnhofs erhellt.
Seufzend verstaute Sirius seine Süßigkeiten im Koffer, während auch der hakennasige Junge sein Buch endlich zuklappte, und schob sich mit der Masse der anderen Schüler nach draußen auf den Bahnsteig.
In all dem Chaos, dem Gedränge und Gequetsche blieb es Sirius wenigstens erspart, diesem Potter, sowie Lupin und Pettigrew noch mal zu begegnen!
Auf dem Bahnsteig bahnte sich ein enorm großer Mensch seinen Weg durch die Schüler, der andauernd rief: »Erstklässler zu mir! Erstklässler zu mir!«
Das Licht seiner Laterne erhellte sein bärtiges Gesicht und Sirius überlegte sich, dass er lieber mit Peter Freundschaft schließen würde, als mit diesem Monster mitzugehen.
Daher schloss er sich dem weitaus größeren Strom der Schüler an, die sich zu pferdelosen Kutschen durchdrängten.
Er bestieg eine Kutsche mit ein paar Drittklässlermädchen, die ihn komisch ansahen, aber nichts dazu sagten, sondern sich ungestört über die Hogsmeade-Wochenenden unterhielten, die erst ab der dritten Klasse erlaubt waren.
Sirius wusste, dass Hogsmeade ein Dorf war, in dem ausschließlich Zauberer und Hexen lebten; jedoch hatte er nicht geahnt, wie viele Geschäfte es dort geben musste, wenn er der schwärmenden Unterhaltung der Mädchen Glauben schenken durfte.
Sobald sich die Kutschen selbstständig in Bewegung setzten und der Regen einsetzte, der schon den ganzen Tag über in der Luft gehangen hatte, war Sirius heilfroh, nicht mit den anderen Neuankömmlingen über den See fahren zu müssen, was, wie er ebenfalls aus dem Gespräch der Drittklässler erfuhr, das Ritual für die Neuen war.
So fuhren sie stattdessen gemütlich dem Schloss entgegen, bis sie endlich vor den Steinstufen zum Eingang hielten.
Beeindruckt kletterte Sirius hinter den Drittklässlern aus der Kutsche und er konnte sich nicht zurückhalten, anerkennend durch die Zähne zu pfeifen. Dieses Schloss hatte eindeutig Stil!
Es schien immense Ausmaße zu haben, sodass er seine ganze Pracht gar nicht auf einen Blick erfassen konnte. Eine Welle von Emotionen überflutete ihn. Ein Glücksgefühl, das er noch nie in seinem Leben verspürt hatte.
Er war seine Familie ein ganzes, herrliches Jahr lang los und hatte keinerlei Bindungen an irgendwelche Freaks. Wenn er es nur gewollt hätte, da war er sich in diesem Augenblick sicher, dann hätte er nur die Arme ausbreiten müssen und er wäre abgehoben.
Es gab nur ihn und dieses Schloss, das sich gegen den dunklen Nachthimmel abhob und hoch, fast majestätisch vor ihm aufragte.
Es dauerte eine Weile, bis Sirius begriffen hatte, was er in dem Moment fühlte: Denn wie er so dastand, vor dem Schloss, das zumindest für ein Jahr sein neues Zuhause sein würde, spürte er zum ersten Mal in seinem Leben Freiheit.
tbc...
