Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Siebtes Kapitel

Zukunftswahrsagestunde


Nach dieser Pleite bei der ersten Flugstunde hatten sie erst einmal bis auf weiteres Flugverbot.

Selbst die Quidditch-Teams mussten ihre Besen registrieren lassen, die nun auf ›bockgefährdet‹ beziehungsweise ›bockungefährdet‹ eingestuft wurden und meist wurde selbst dann angeordnet, dass ein Lehrer anwesend sein sollte, wenn man auf einem flog.

Sirius fragte sich, was das bringen sollte, schließlich war Madam Hooch nicht gerade eine Hilfe für ihn gewesen und er begann ernsthaft am Verstand der Lehrer zu zweifeln.

Ein paar Tage nach Sirius' Erlebnis mit der Peitschenden Weide gab es sogar einmal Flugalarm, als ein Schüler versehentlich einen Besen bestieg, der als ›bockgefährdet‹ abgestempelt worden war.

Die Durchsage kam mitten in ihrer Zaubertrankstunde am Nachmittag. Die Professoren Piler, McGonagall und Brewpot sollten sich auf den Schlossgründen einfinden, da ein Viertklässler, der den Nachmittagsunterricht frei hatte, unkontrollierbar auf dem Gelände herumfliege, auf einem Besen der SG-Klasse (›speziell-gefährdet‹).

Die Erstklässler bei Professor Brewpot konnten ihr Glück kaum fassen, da der Unterricht damit erledigt war, wenngleich der Lehrer befahl, sie sollten im Klassenzimmer auf ihn warten.

Natürlich beobachteten sie vom Fenster aus, wie Brewpot, Piler und McGonagall die »Rettungsaktion« starteten. Allerdings stellte sich das Ganze als ein Witz heraus, denn sobald die Lehrer in der Luft waren (selbstverständlich auf Besen der U-Klasse, für ›ungefährdet‹) und der betroffene Schüler sie erblickte, setzte er zur Landung an. Anscheinend hatte er den Besen bestens im Griff und so schien er recht verwirrt über die ganze Aufregung.


Am Abend gingen die verschiedensten Gerüchte um. Manche behaupteten steif und fest, der Viertklässler wäre der Schule verwiesen worden, andere waren der Ansicht, er habe für sein Haus dadurch eine Stange Punkte verloren…

Sirius glaubte weder das eine, noch das andere, aber er hatte auch andere Sorgen, als sich um Gerüchte zu kümmern, die sich in Hogwarts ohnehin schnell genug verbreiteten: Seit einigen Tagen lief er schon unauffällig im Schloss umher, auf der Suche nach diesem mysteriösen Drachenkopf, von dem Remus erzählt hatte.

Bis zu Halloween war es nach Sirius' Ansicht leider noch viel zu lange hin…


An einem Montagmorgen wachte Sirius für seine Verhältnisse viel zu zeitig auf, was er unter anderem daran erkannte, dass sogar Remus, der Frühaufsteher von den Jungs, noch friedlich in seinem Himmelbett lag.

Die roten Samtvorhänge hatte er sorgsam zugezogen, obwohl er üblicherweise selbst am Wochenende dafür sorgte, dass niemand länger im Bett blieb, als bis zu dem Zeitpunkt, da die Sonne ihre ersten Strahlen durch das Fenster im Schlafsaal sandte.

Sirius vermutete allerdings, dass es nichts mit dem Sonnenschein zu tun hatte, sondern damit, dass man Remus' Meinung nach die Ankunft der Eulen nicht verpassen sollte und überhaupt konnte man ja nicht einfach den ganzen Tag verpennen…

Vom anderen Ende des Raumes hörte Sirius Peters gewöhnliches Schnarchen und auch James, Davey und Timothy schliefen noch selig. Er wollte sich wieder umdrehen, um in Ruhe weiterzuschlafen, als etwas Großes, Haariges auf sein Bett sprang. Mit einem Schrei fuhr er hoch, wobei er das Etwas auf den Boden warf.

»Was soll denn das?«

»So früh am Morgen!«

»Mist, verschlafen! Dabei muss ich doch Geschichte der Zauberei lernen!«

»Hä? Es ist Montagmorgen, warum musst du da Zaubereigeschichte lernen! Das haben wir doch erst am Dienstagnachmittag wieder!«

»Darum geht's doch hier gar nicht! Was war das gerade für ein Lärm?«

»Charles«, kreischte Peter jäh.

»Armes Kätzchen, ganz ruhig! Onkel Remus kümmert sich schon um dich. Du brauchst keine Angst mehr zu haben vor…« Remus warf Sirius einen argwöhnischen Blick zu, sagte aber nichts weiter, sondern begnügte sich damit, Charles, der auf seinen Arm geflüchtet war, über sein mausgraues, getigertes Fell zu streichen.

»Moment mal, warum steh ich jetzt eigentlich als der Böse da? Das Vieh hat mich doch angegriffen«, empörte sich Sirius endlich, als er aufstand. James unterdessen lag nur lachend im Bett und so war es diesmal er, der sich einen bösen Blick von Sirius einfing.

»Du könntest mir aber auch mal beistehen!«

»Ich finde, Sirius hat Recht«, kicherte James.

»Kaum hat man einen Black im selben Haus, wird man um seinen Schlaf gebracht«, keifte Timothy jetzt böse.

Sirius sah abwechselnd James und Remus an und fragte dann böse: »Hat da wer was gesagt?« ehe er wütend hinaus rauschte.

In seiner Aggression nahm Sirius immer zwei Stufen auf einmal, ohne auf seine Umgebung zu achten, bis er schließlich mit Eileen zusammen krachte. Er konnte gerade noch sein Gleichgewicht halten und fuhr das Mädchen wütend an: »Was machst du denn hier!«

»Ich hab was vergessen«, entgegnete Eileen mit vorgerecktem Kinn und Sirius hatte den jähen Eindruck, als wäre sie etwas blasser als sonst. Vielleicht lag das am Wetter, oder einfach nur daran, dass die Lehrer ihnen zurzeit so viel Extraarbeit aufbrummten…

»Im Jungenschlafsaal?«, erwiderte Sirius ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen.

»Oh!« Damit drehte sich das Mädchen um und ging die Treppe wieder hinunter. Sirius schüttelte nur ungläubig den Kopf und murmelte: »Freaks«, ehe auch er hinab in den Gemeinschaftsraum stieg.


Der restliche Tag verlief ruhig, außer dass Remus sie anschnauzte, dass er in Ruhe lernen wollte, weil sie sich lautstark darüber aufregten, dass James' Kräuterkundebuch spurlos verschwunden war, ausgerechnet jetzt, wo sie doch morgens gleich eine Doppelstunde Kräuterkunde hatten und so keine Zeit fürs Suchen blieb.

Als sie schließlich (alle außer James mit Büchern über die Pflege magischer Pflanzen unter den Armen) auf dem Weg zu Kräuterkunde über die – noch immer vom Regen durchweichten und schlammigen – Schlossgründe schlenderten, versuchte aber auch Remus James zu beruhigen:

»Mach dir doch nicht so viele Sorgen! Was soll sie denn…«

»Sie könnte dich zum Beispiel nachsitzen lassen, nachdem sie dir zwanzig hart verdiente Punkte abgezogen hat«, unterbrach ihn Sirius grinsend.

»So ein Quatsch! Professor Sprout nimmt das doch nicht so ernst!«

»Da hab ich aber was anderes gehört. Sie soll einen Jungen in eine Teufelsranke verwandelt haben, als der zu spät kam«, mischte sich Peter schüchtern mit ein.

Bevor Sirius Peter anfahren konnte, dass er auch alles glaubte, was er hörte, warf James ein: »Jungs, mir ist dieses Kräuterkundebuch so was von egal!«

»Was will denn Dumbledore hier draußen?«, fragte Snapes kühle Stimme unvermittelt hinter ihnen.

Sirius drehte sich etwas erschrocken herum und sah, dass Snape mit Eileen sprach. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seinen Freunden zu, ohne den beiden weitere Beachtung zu schenken.

»Deshalb war die heute morgen so komisch, sie ist in die Fänge von Snape geraten«, erklärte er ungläubig.

»Wieso denn komisch?«, hakte Remus gleich nach, doch seine Frage blieb unbeantwortet, da sie von Dumbledore abgelenkt wurden, der ihnen augenzwinkernd zuwinkte, während auch er gemächlich über den Schlosspark schritt.

»Hey Jungs, wenn wir uns mit dem Schulleiter unterhalten, wird es uns die Sprout nicht ankreiden, wenn wir zu spät kommen«, flüsterte Sirius seinen Freunden schelmisch zu, damit Dumbledore ihn nicht verstehen konnte.

»Aber was wollen wir denn zu dem sagen? Am Ende stehen wir uns in peinlichem Schweigen gegenüber«, wandte Remus ein, der vor Schreck über Sirius' Einfall beinahe sein Kräuterkundebuch fallen gelassen hätte.

»Wenn dir nichts einfällt, dann fang einfach an, ›Sur le pont d'Avignon‹ zu singen«, schlug Sirius albern vor, woraufhin Remus ungläubig stehen blieb und feststellte: »Du spinnst doch total«, ehe Sirius ihn am Umhang hinter ihnen herschleifte.

»Wunderschönen guten Morgen, Professor Dumbledore«, flötete Sirius, als er sich dem Schulleiter (betont lässigen Schrittes, da es so aussehen sollte, als wären sie ihm rein zufällig über den Weg gelaufen) näherte.

Dieser lächelte vergnügt. »Ihnen ebenfalls einen wunderschönen guten Morgen! Bei Merlins Bart, das Wetter wird auch von Tag zu Tag trüber… Aber dafür ist ja bald Halloween, das entschädigt mich meinerseits immer für diese trüben Tage«, kam der Direktor ins Schwärmen.

Doch dann blickte er seine Schüler an, als würde er gerade erst merken, dass er keinen Kollegen vor sich hatte, mit dem er disputieren konnte, und brach sein Sinnieren freundlich ab: »Aber ich möchte euch nicht aufhalten. Ich bin sicher, ihr habt nicht vor, Kräuterkunde zu verpassen…«

Sirius starrte ihn einen Moment lang baff an, wobei er sich fragte, ob der Schulleiter die Stundenpläne aller seiner Schüler auswendig konnte, da er unmöglich wissen konnte, dass sie jetzt Kräuterkunde hatten.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, deutete Dumbledore zwinkernd auf das Kräuterkundebuch in seiner Hand.

James, der sich als erster wieder gefangen hatte, redete sich viel zu enthusiastisch heraus: »Als ob wir das verantworten könnten! Was denken Sie nur von uns! Wir lieben Kräuterkunde doch über alles und würden es um nichts auf der Welt verpassen wollen.«

»Ich nehme an, Mr Severus Snape hat euch mal wieder zutiefst in Depressionen gestürzt, als er im Unterricht nicht hundertprozentig aufgepasst hat?«, grinste der Direktor.

Auch auf diesen Konter wusste Sirius nicht sofort etwas zu entgegnen (die Runde ging eindeutig an Dumbledore, dachte er), doch zum Glück hakte Remus freundlich nach, anscheinend um vom Thema abzulenken: »Wo wollen Sie denn hin, Sir?«

»Hagrid hat mich auf eine Tasse Tee eingeladen…«, erklärte Dumbledore, doch Sirius, der unbedingt eine Freistunde herausschlagen wollte, und endlich auch seine Sprache wieder gefunden hatte, unterbrach ihn sofort:

»Wir haben Hagrid auch schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen, oder, Jungs? Wir sollten ihn auch mal wieder besuchen gehen! Wie wär's denn mit… jetzt?«

Sirius hatte versucht, es als eine beiläufige Bemerkung klingen zu lassen, doch eigentlich war ihm gleich klar gewesen, dass Dumbledore nicht so leicht getäuscht werden konnte.

»Das kann ich leider nicht verantworten, sonst würdet ihr ja das geliebte Fach, das ihr um nichts auf der Welt verpassen wollt, versäumen«, bedauerte Dumbledore die vier.

Als sein Blick auch Peter streifte, der sich im Hintergrund gehalten hatte, lief der rot an und ließ sein Buch fallen, was Pech war, denn da der Boden so matschig war, landete es in einer großen Schlammpfütze.

Während Peter es verlegen wieder aufhob und an seinem Umhang trocken wischte, begann James: »Aber wenn es eine Sache gibt, die uns noch mehr am Herzen liegt, als Kräuterkunde, dann ist das…«

»Abgesehen von Zaubertränke natürlich!« warf Dumbledore grinsend ein.

»Natürlich«, bestätigte Sirius. Endlich konnte James fortfahren: »…unsere innige Freundschaft zu Hagrid!«

In diesem Moment packte Remus seine beiden Freunde am Kragen und schleifte sie davon, nicht ohne ein »Angenehmen Tag noch, Sir« hinzuzufügen.

Seltsamerweise war James in Kräuterkunde nicht der einzige, der etwas verlegt hatte. Während sie Kürbisse in Form von Fledermäusen für Halloween düngten, hörte Sirius, wie sich zwei Hufflepuffs am Nebentisch darüber unterhielt, dass sie ihre Verwandlungbücher vermissten und Sirius hörte Lily Eileen fragen, ob sie eine Ahnung hatte, wo sie ihr Futter für ihre Springmäuse hingetan hatte…

Endlich war das Wochenende von Halloween herangerückt und am Mittagstisch in der Großen Halle trafen die Schüler der höheren Klassen aus Hogsmeade wieder ein, denn der Samstag vor Halloween war immer Hogsmeade-Tag.

Sirius Gedanken konzentrierten sich während des Essens auf den Abend, wenn es endlich so weit sein würde und sie auf die Suche nach diesem Drachenkopf gehen würden; darüber redete er auch die ganze Zeit mit James und Remus.

Auf der anderen Seite des Tisches diskutierten Timothy und Davey angeregt über ein neues Gerücht, das sich momentan rasendschnell unter den Schülern verbreitete.

Die anderen drei waren allerdings so sehr in ihr eigenes Gespräch vertieft, dass sie von dem Gerede über die so genannte ›Heulende Hütte‹ in Hogsmeade, in der es angeblich spukte, nicht viel mitbekamen. Sirius konnte es kaum mehr erwarten, bis es endlich Abend wurde und die Schüler zum Halloweenfest in die Große Halle gingen.

James, Remus und Sirius verweilten so lange im Gemeinschaftsraum, bis alle weg waren, um dann ungestört auf Schatzsuche gehen zu können.

Da alle Schüler in der Großen Halle versammelt waren, schlichen sich die drei Freunde vorsichtig an eben dieser vorbei, da James sich zu erinnern glaubte, in der Nähe einmal einen Drachenkopf an der Wand gesehen zu haben.

Sie hatten die Tür eben passiert, da schwang diese auf und eine schrille Stimme schrie ihnen nach: »He, kommt doch rein! Es gibt ganz viele Fledermäuse und Kürbisse und… was tut ihr hier eigentlich?« Peter starrte die drei Gryffindors an.

Sirius und James wechselten einen schnellen Blick und Sirius trat vor: »Uns ist dieses Halloween-Zeug zu kindisch. Geh zurück in deinen Kürbis, Pettigrew!«

Da der Junge noch immer in der offenen Tür stand, eilte Remus zu ihm, um diese schnell hinter Peter zu schließen. »Damit die anderen nicht auch noch was mitbekommen«, verteidigte sich Remus auf James' verständnislosen Blick.

»Wie, soll das heißen, der Kleine kommt mit?«, empörte sich Sirius, wobei er Peter aus dem Gespräch ausschließen wollte. Schließlich hatte der eine Hand dafür (eigentlich eher zwei!), alles zu ruinieren.

»Was tut ihr denn? Wohin soll ich mitkommen? Ihr tut doch nichts Verbotenes, oder? Ich – ich werde das Professor McGonagall sagen«, drohte Peter mit zitternder Stimme.

Kurzerhand packte Sirius ihn am Kragen und zerrte ihn hinter sich her. »Du wirst dich doch nicht selbst verpetzen, oder Kleinhirn?«, knurrte er, »James, zeig uns den Kopf.«

Schweigend schritten sie hinter James her. Sirius war noch immer verstimmt, weil sie Peter mitnehmen mussten, während dieser sichtlich befürchtete, dass sie erwischt werden würden. Da jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, bemerkte niemand, dass sie sich schon lange nicht mehr in der Nähe der Großen Halle aufhielten.

»Sagtest du nicht, dieser doofe Kopf hänge nicht so weit entfernt?«, fuhr Sirius James launisch an, wobei er Peter einen bösen Blick zu warf, als Remus plötzlich unerwartet stehen blieb und erstaunt rief: »Da vorne!«

»James, du sagtest, das Ding sei im Untergeschoss«, stellte Sirius trocken fest. Kein Wunder, dass er die vergangenen Wochen umsonst gesucht hatte!

»Na ja, zumindest haben wir den Drachenkopf jetzt, oder?«, rechtfertigte sich James, der seine Verlegenheit zu überspielen versuchte.

»Ja, ja, los, Remus, hol endlich den Schlüssel«, murrte Sirius.

»W – was für ein Schlüssel?«, stotterte Peter ängstlich.

»Wir sperren dich im Kerker ein, wenn du noch ein Wort sagst«, grinste Sirius böse.

Währenddessen klopfte Remus mit seinem Zauberstab die Wand ab. »Rupo… rupo… hier irgendwo… rupo rupo…«, murmelte er verbissen. Im selben Moment versank der Stein, auf den er getippt hatte, in der Wand und ein goldener, alter Schlüssel erschien in einem Geheimfach.

Peter glotzte mit offenem Mund auf das Fach, aus dem Sirius den Schlüssel längst herausgefischt hatte.

»Und jetzt?«, fragte James trocken.

»Wände abtasten?«, schlug Sirius vor, worauf er und James in Lachen ausbrachen.

Remus sah die beiden verwirrt an und Peter machte nur »Hm?«, womit er sich ängstlich gegen die Wand drückte über welcher der Drachenkopf hing. In der nächsten Sekunde gab diese seinem enormen Gewicht jedoch nach und Peter verschwand dahinter, woraufhin sich die Wand von selbst wieder schloss.

»Ich glaube, er hat den Geheimgang gefunden«, stellte Sirius fest.

Sofort traten alle an die Stelle, an der Peter verschwunden war und drückten kräftig dagegen. Wiederum öffnete sich die massive Wand und die drei Freunde traten in einen großen Raum, der von einer unsichtbaren Lichtquelle erhellt wurde.

In der Mitte stand ein Podest, auf dem ein schweres, ledernes Buch lag. Peter rannte jammernd auf die drei zu (offensichtlich hatte er eine gewaltige Angst ausgestanden), aber Sirius schubste ihn weg.

»Leute, ich bin – gelinde gesagt – enttäuscht. Was soll dieser Wälzer?«

»Denk doch nur an die Worte aus meinem Buch«, entgegnete Remus sogleich, der von Natur aus mehr für Literatur übrig hatte. »›Ein Blick in das, was geschehen wird‹! Vielleicht steht in diesem Buch ja unsere Zukunft geschrieben?«

James trat unterdessen schulterzuckend näher an das Podest heran. »Abgeschlossen«, meinte er enttäuscht.

»Ach nee! Wofür haben wir wohl den Schlüssel?«, erwiderte Sirius sarkastisch mit seiner Alles-nur-Freaks-Stimme.

Damit schritt auch er zu dem Buch und zog den Schlüssel, den er in die Umhangtasche gesteckt hatte, hervor. Er betrachtete das Buch mit dem Schloss einen Augenblick lang mit glänzenden Augen, dann rammte er den Schlüssel ins Schlüsselloch.

Der Wälzer mit seinen schweren, vergilbten Seiten sprang auf und die Jungs (sogar Peter) scharten sich um das Podest und blickten neugierig hinein. Die aufgeschlagene Seite zeigte in der oberen, rechten Ecke ein Datum: Montag, der 3.September 1973. Also knapp zwei Jahre später!

Die Freunde blickten sich überrascht an, doch schon wurden sie von einem unheimlichen Farbenstrudel erfasst, der sich aus den Seiten des Buches herauswand, um sie zu sich zu ziehen. Es war fast so, als wenn man mit Flohpulver reiste.

Während dieses Wirbels war es totenstill, obwohl Sirius neben sich Remus und Peter, die neben ihm wirbelten, schreien sah, doch ihren geöffneten Mündern entrang sich kein Laut.

Sirius wusste, dass es ein Ende haben würde, als Peters ängstliches Quieken die Stille durchbrach und tatsächlich landete er gleich darauf hart auf dem Boden.

Auch James, der sich schon vor ihm aufgerappelt hatte, rieb sich neben ihm seinen linken Arm.

»Wo bei allen bockenden Besen sind wir hier?«, wollte Sirius wissen, während auch er sich erhob und dabei den wimmernden Peter wegschubste.

»Wo, weiß ich nicht genau, aber ich vermute mal, dass wir uns hier im Jahre 1973 befinden«, erklärte Remus altklug, wobei er sich den Staub vom Umhang klopfte, »Das heißt, dass wir theoretisch in unserem dritten Schuljahr sein müssten.«

»Das hätte ich jetzt nicht gedacht«, meinte Sirius ironisch und blickte sich endlich im Raum um.

Sie befanden sich anscheinend in einem runden Turmzimmer, in dem überall kleine Tischchen mit Kissen darum standen, zwischen denen Schüler herumwuselten.

Sirius entdeckte an einer Seite einen großen Ohrensessel, in dem eine regungslose, schattige Gestalt saß, doch bevor er sich noch mehr für sie interessieren konnte, stieß Remus verblüfft hervor: »Leute, da sind wir!«

»Wo?« Sirius und James drehten sich gleichzeitig herum und musterten die älteren Schüler.

»Da hinten, neben dem Fenster!« Remus deutete auf vier Jungs, die sich gerade kichernd niederließen.

Sirius erkannte sich sofort in seiner älteren Ausgabe wieder und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust, als er feststellte: »Mann, seh ich mal gut aus!«

Die Haare des zwei Jahre älteren Sirius waren einige Zentimeter länger und wie üblich tiefschwarz… Doch plötzlich stutzte Sirius, als er eine pummelige Gestalt neben seinem Alter Ego erkannte.

»Was will der denn da?«, fragte er ungläubig, als ihm klar wurde, dass das Peter war.

»Pssst! Ich will verstehen, was ich sage«, fuhr James ihn an. Also wandte Sirius widerwillig seine Aufmerksamkeit ihren älteren Ichs zu.

»Hey, Leute, das ist unsere erste Wahrsagestunde«, stellte James 2 gerade aufgeregt fest, so als ob ihm eben etwas aufgefallen wäre, das nur er selbst zu bemerken schien.

Während Remus 2 sorgsam sein Wahrsagebuch und Schreibzeug auspackte, um es ordentlich auf ihrem Tisch zu platzieren, holte Remus 1 aus seiner Umhangtasche ebenfalls Feder und Pergament hervor. Sirius konnte dem allerdings nicht viel Aufmerksamkeit beimessen, da er vom Gespräch ihrer älteren Ichs viel zu gebannt war.

»Na und? Abgesehen davon, dass ich noch nicht alle Hoffnung aufgegeben habe, dass Wahrsagen nicht so unsinnig ist, wie Alte Runen, seh ich nichts Besonderes daran… Außer vielleicht dass wir zu früh dran sind«, äußerte sich Sirius 2 mit einem flüchtigen Blick auf seine Uhr gelangweilt, während er sich seine langen, schwarzen Haare aus der Stirn strich und sich in sein Kissen lümmelte.

Remus 1 unterdessen kritzelte eifrig auf seinem Pergament und bat schließlich sogar Peter 1, ihm als Unterlage herzuhalten, damit seine Schrift nicht so unsauber war. Sirius, den das Geräusch der kratzenden Feder und des raschelnden Pergaments störte, ging noch einen Schritt näher, um auch ja nichts von dem Gespräch zu verpassen.

»Erinnerst du dich denn nicht mehr, als wir damals…«, begann James 2, doch Sirius' älteres Ich fuhr augenblicklich erschrocken auf, jetzt mit der selben Miene, wie James 2 kurz zuvor, als würde er sich mit einem Schlag an etwas längst Vergessenes erinnern, wobei er sich den Kopf an der schrägen Wand stieß.

»Nein, nicht«, verbot er schnell, sich den Schädel reibend, »Das hast du damals auch schon gesagt und wir wollten doch nicht, dass wir das heute sagen!«

»Ja, aber das, was du gerade gesagt hast, hast du damals auch schon gesagt«, mischte sich Remus 2 neutral mit ein, der mit dem Sortieren seiner Schulsachen fertig war und nun in einem ziemlich dicken Buch las.

Als Sirius über den Rand von Remus 2's Schulter sah, stellte er fest, dass es den Titel »Die Unendliche Geschichte« trug, was auch immer das für ein seltsamer Wälzer sein sollte…

»Aber du hast damals auch schon gesagt, dass ich gesagt habe, dass er das schon gesagt hat«, erwiderte Sirius 2 indessen ernst.

»Hä?«, warf Peter 2 nur baff ein.

»Das hast du damals auch schon gesagt«, meinten die anderen drei Freunde gleichzeitig.

Remus 2 legte jetzt sein Buch beiseite (anscheinend war er zu dem Schluss gekommen, dass er sich bei all dem Lärm ohnehin nicht konzentrieren konnte) und holte ein altes Stück Pergament aus seiner Tasche, das er sorgsam entfaltete.

»Oh nein! Nicht das doofe Pergament! Ich hab dir doch gesagt, du sollst das Teil wegwerfen«, stöhnte Sirius' 2 ärgerlich auf.

Sirius sah finster von dem Pergament in Remus 2's Hand, auf das in Remus 1' Hand, da ihm eben ein Licht aufgegangen war. Letzterer machte sich noch immer fleißig auf seinem Pergament, das er auf Peters 1 Rücken aufgelegt hatte, Notizen, sah kurz auf, beugte sich dann aber, als er Sirius' Blick begegnete lieber noch tiefer über seine Mitschrift.

Auch Remus 2 senkte verlegen und etwas rosa anlaufend den Blick.

»Hä?«, fuhr Peter 2 abermals dazwischen, der anscheinend rein gar nichts verstand. Sirius 2 unterdessen vergrub sein Gesicht in den Händen und raufte sich die Haare, sodass er gar nicht mehr zu sagen brauchte, dass Peter 2 das damals schon gesagt hatte.

Remus 2 jedoch fasste sich ein Herz und erklärte: »Ich hatte doch damals notiert, was wir uns haben machen sehen… Laut meinen Aufzeichnungen –« (Er runzelte leicht die Stirn und besah sich sein Pergament) »– wird Sirius hier mich gleich anschreien… Echt? Kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern«, setzte er dann verwundert hinzu, immer noch mit demselben stark nachdenklichen Gesichtsausdruck.

»WERDE ICH NICHT!«, fuhr der ältere Sirius auf, schlug sich dann aber sogleich die Hand vor den Mund, was James, Remus und Peter 2 zu einem schadenfrohen Grinsen veranlasste.

»Okay, ich sag jetzt einfach kein Wort mehr«, kapitulierte Sirius 2 grimmig und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu schauen.

»Oh doch«, widersprach Remus 2 ernst, »Hier steht, dass du gleich sagen wirst:…«

»Ich werde gar nichts sagen, solange ich nichts sagen will«, entrüstete sich Sirius 2, doch da Remus 2 zur gleichen Zeit den selben Satz von seinem Pergament abgelesen hatte, mussten alle vier Jungs – einschließlich Sirius 2 – in Lachen ausbrechen.

Sirius 1, James 1, und Peter 1, die das Gespräch wortlos beobachtet hatten, sahen sich nun an und schüttelten verständnislos die Köpfe.

Selbst Remus 1 hielt kurz in seiner Mitschrift inne, während Sirius augenrollend flüsterte (obwohl das völlig überflüssig war, da sie ja eh niemand hören konnte): »So 'n Quatsch! Das könnt ihr mir nicht weismachen, dass ich mich je so aufführen werde! Wenn ihr mich fragt, wird das nie so passieren!«

Da sich ihre anderen Ichs in der Zwischenzeit etwas erholt hatten, meinte James 2 an Sirius 2 gewandt nun: »Warst du es nicht, der behauptet hat, dass das hier nie so eintreffen wird!«

Remus zog einmal mehr sein Pergament zu Rate und meinte dann: »Stimmt, Sirius als Erstklässler hat behauptet, er werde sich nie so aufführen… und, ah ja, da haben wir's ja, wenn ich zitieren darf: Wenn ihr mich fragt, wird das nie so passieren! Das war kurz bevor James, der hier neben mir steht seine geniale Eingebung hatte!«

Sirius 1 verschränkte kopfschüttelnd die Arme, sorgsam darauf bedacht, nicht James 1, Remus 1 oder Peter 1 anzuschauen, denn er wusste, dass die ihn gerade auf die gleiche Weise schadenfroh angrinsten, wie zuvor ihre älteren Ausgaben sein anderes Ich amüsiert angesehen hatten, als Sirius 2 los geschrien hatte.

Und so fixierte er lieber James 2, der sich geheimnistuerisch in der Runde umblickte.

»Hey, Jungs! Ich hatte eben eine Offenbarung. Wir sehen uns doch selbst gerade! Wir könnten uns doch eine Botschaft übermitteln!«

»Wie zum Beispiel?«, hakte Sirius 2 skeptisch nach, nun wieder lässig in sein Kissen gesunken, da er wohl schon aufgegeben hatte, sich oder die anderen davon abzuhalten, etwas zu sagen, was sie möglicherweise damals schon gesagt hatten.

»Na ja, vielleicht…« – James senkte die Stimme, wobei er ihre nächsten Klassenkameraden misstrauisch beäugte, als fürchtete er, sie könnten lauschen – »das von der Heulenden Hütte«, schlug James 2 achselzuckend vor.

Sirius, James, Remus und Peter 1 blickten sich fragend an. (In der Zwischenzeit hatte Sirius 2 James 2 doch wieder darauf aufmerksam gemacht, dass er auch das schon damals angeregt hatte.) Doch bevor sie noch rätseln konnten, was es damit auf sich hatte, sprachen die anderen Freunde wieder.

»Ach was«, winkte Remus 2 ab, »Das kriegen sie noch früh genug raus!«

»Wir könnten ihnen doch die Prüfungsergebnisse sagen«, schlug Peter 2 hoffnungsvoll vor.

Peter 1 sprang vor Freude auf, sodass Remus 1 für einen Moment keine Schreibunterlage mehr hatte. Doch Peter 1's Euphorie wurde gleich darauf wieder gedämpft.

»Ach, die waren doch leicht«, wischte Sirius 2 den Vorschlag weg, »Wir könnten ihnen den Weg in die Küche verraten!«

»Quatsch, so eine Lappalie doch nicht! Wir sagen ihnen, was es mit dem Fluch auf sich hat«, unterbrach James 2, »Also Jungs…«

James 2 blickte angespannt ins Leere vor sich, wobei er geradewegs an James, Sirius und Peter 1 vorbei starrte, doch Sirius 2 stieß ihn unwillig an, als ihm scheinbar etwas wieder einfiel: »Komm schon, du vergisst, dass die Upperstick dich sowieso nicht ausreden lässt!«

»Hättest du mich jetzt nicht unterbrochen, dann hätte ich es ihnen vielleicht noch sagen können…«, brauste James 2 auf, doch in dem Moment erhob sich die Schattengestalt in der Ecke.

Sirius 1 konnte nicht einmal die Umrisse dieser Upperstick erkennen, als plötzlich…

PLOPP!

Sirius landete zum zweiten Mal unsanft auf dem Boden. Als er sich umsah, erkannte er, dass sie wieder in dem geheimnisvollen Raum mit dem Buch waren.

Sofort sprang er auf und meinte: »Moment mal! Ich will wissen, wie's ausgeht!«

»Das ist doch keine Seifenoper hier«, empörte sich James, der sich auch aufrappelte.

»Aber er hat recht, es wäre wirklich nicht schlecht zu wissen, was du… also… du später… ähm… auf jeden Fall, was das mit dem Fluch auf sich hat«, mischte sich Remus ein und auch Peter drängte: »Blätter noch mal um! Vielleicht kriegen wir doch noch die Prüfungsergebnisse heraus.«

Sirius ließ sich das nicht zweimal sagen, da er den Weg zur Küche erfahren wollte, und blätterte in dem großen, ledernen Buch herum, doch die Seiten blieben diesmal völlig leer. Kein Datum, kein Bild, nichts.

»Mist«, stellte Sirius trocken fest, dann erinnerte er sich wieder an das eben Gesehene und er drehte sich zu Remus: »Und du wirst dieses doofe Pergament los! Wirf's weg oder verbrenn's noch besser! Das ist die Chance zu beweisen, dass das alles nur Schund ist mit diesem Buch und Zukunftsvorhersagen und so!«

»Hä?«, warf Peter zum dritten Mal baff ein, diesmal allerdings der Peter der Gegenwart.

Genervt wandte sich Sirius ihm zu: »Ist doch ganz einfach: Remus vernichtet das Pergament, dann kann Remus später das Pergament auch nie aus seiner Tasche kramen und folglich kann das Ganze nie so eintreten. Hat das jetzt auch der Letzte hier kapiert?«

Peter wurde ganz klein, doch James lenkte ab: »Warum willst du eigentlich nicht, dass das unsere Zukunft ist? War doch ganz witzig, abgesehen davon, dass wir total den Müll dahergeredet haben, aus dem wir leider nicht schlau werden!«

Sirius hatte absolut keine Lust, James zu erklären, dass er weder gedachte, mit irgendwem Freundschaft zu schließen, noch Lust darauf hatte, so eine dämliche Prophezeiung aus einem schäbigen Buch wahr werden zu lassen.

Deshalb sagte er einfach gar nichts, was zum Glück Peter für ihn übernahm: »Können wir nicht zum Halloweenfest zurück?«, fragte er kleinlaut, »Ich hab Hunger.«

»Okay, gehen wir«, pflichtete Sirius ihm schulterzuckend bei, froh darüber, nicht mehr über das eben Erlebte reden zu müssen.

Doch kaum hatten sie die letzte Treppe betreten, als ihnen von dort alle Schüler satt gegessen entgegen fluteten. Die vier Jungs wurden gegen die Wände gedrückt, während die anderen in ihre Schlafsäle eilten.

Endlich standen sie verlassen im Treppenhaus, sahen wehmütig den anderen Schülern nach und Sirius stellte trocken fest: »Jetzt wäre es nicht schlecht, wenn wir den Weg in die Küche kennen würden…«

tbc...