Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Achtes Kapitel

Der Blutige Baron


»Sirius, wach auf! Es ist wichtig!« Jemand rüttelte Sirius unsanft an der Schulter. Verschlafen erblickte dieser im fahlen Licht des fast vollen Mondes Peters Gesicht.

»Geh ins Bett und lass mich in Ruhe!« Ohne einen weiteren Kommentar drehte er sich auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf.

Warum konnte er denn nicht einmal einfach nur in Ruhe gelassen werden! Diesmal drang Peters Stimme etwas gedämpft zu ihm durch: »Es ist dringend, ich mach mir gleich in die Hose!«

Genervt schlug Sirius die Decke wieder zurück, setzte sich auf und seufzte: »Wovor hast du denn diesmal wieder Angst?«

»Wer redet denn von Angst? Ich muss aufs Klo!«

»Dann geh doch!« Damit ließ er sich abermals nach hinten in die Kissen zurück fallen.

»Kommst du mit?«, bat Peter eindringlich.

»Nein«, raunzte Sirius knapp, mit dem verzweifelten Wunsch, Peter möge ihn allein lassen oder – noch besser – er möge wie von Zauberhand verschwinden und Sirius würde feststellen, dass alles nur ein Alptraum war!

»Wieso nicht?«, kam es prompt von Peter, was Sirius schmerzhaft bewusst machte, dass es kein Traum war.

»Ich bin doch kein Mädchen!«

»Bitte! Ich hab Angst, alleine im Dunklen zu gehen!«

Lustlos stieg Sirius schließlich doch aus dem Bett, mit dem Gedanken, dass er wohl oder übel in den bitteren Kürbis beißen musste und murrte dabei: »Warum immer ich? Hättest du nicht Remus fragen können!«

Peter zuckte hilflos mit den Schultern und lief eilig voraus, während Sirius erst einmal in aller Seelenruhe seine Hausschuhe anzog. Danach folgte er Peter hinunter in den Gemeinschaftsraum.

Da die Jungenklos auf Grund eines Rohrbruchs derzeit nicht benutzt werden konnten, mussten sie auch noch den Gryffindor-Turm verlassen.

Als sie nun also den Korridor Richtung Toiletten durchquerten, hörte Sirius auf einmal das Geräusch von nackten Füßen auf Steinboden. Automatisch blickte er zu Boden, doch da er selbst Hausschuhe anhatte, sah er zu Peter hinüber.

Sein Blick wanderte von dessen nackten Füßen zu dessen Kopf und Sirius fragte ungläubig: »Warum hast du keine Schuhe an?«

»Die konnte ich nirgends finden… Können wir uns etwas beeilen?« Peter lief schon rot an.

»Alles Freaks«, schüttelte Sirius den Kopf und bog in den nächsten Korridor ein, der noch finsterer wirkte, als der Rest des Schlosses in dieser rabenschwarzen Nacht.

Eine Wolke hatte sich eben vor den Mond geschoben und so fiel nicht einmal mehr dessen silberner Schimmer durch die Fenster herein.

»Sicher, dass wir hier richtig sind?«, holte Peter ihn jäh aus seinen nächtlichen Träumereien zurück, nachdem er ängstlich neben ihn gehastet kam und sich in der vollkommenen Finsternis umsah.

Von Zeit zu Zeit fuhr er herum und blieb eine Sekunde lang völlig reglos stehen, ehe er wieder eilig zu Sirius aufschloss. Dieser beachtete ihn nicht weiter, sondern eilte flotten Schrittes voran, da er möglichst schnell wieder zurück in sein gemütliches Bett wollte.

Als ein weiterer Korridor den ihren kreuzte, war Sirius tatsächlich in Versuchung, seinen Zauberstab zu entzünden, weil er sich nicht ganz sicher war, ob dies wirklich der richtige Weg zu den Toiletten war, doch er besann sich eines Besseren, da er weder von irgendwem, der eventuell in den Gängen herumschlich, gesehen werden wollte, noch die Lust hatte, in seinen Umhangtaschen nach seinem Zauberstab zu kramen – und außerdem war er viel zu müde…

KLIRR!

Im Bruchteil einer Sekunde hatte Sirius den Zauberstab in der Hand, flüsterte »Lumos!« und fuhr – bereit zum Angriff – herum.

Er sah Peter im Schein seines Zauberstabs am Boden liegen und ängstlich an die Wand starren, wo – wie Sirius feststellte – eine Ritterrüstung stand, mit der er wohl eben zusammengekracht sein musste.

»Die können laufen«, hauchte Peter ehrfürchtig, wobei er die Rüstung nicht aus den weit geöffneten Augen ließ.

Sirius dagegen verdrehte nur seine Augen und knirschte, da er sich fast vor sich selbst schämte, vor Peter erschrocken zu sein: »Mach das ja nie wieder!«

Im nächsten Moment hörte er ein Geräusch aus dem abzweigenden Gang und so fügte er, nachdem er seinen Zauberstab mit einem »Nox« gelöscht hatte, dazu: »Wird auch kaum nötig sein, du hast wahrscheinlich sowieso schon das ganze Schloss geweckt!«

Da das Geräusch (ein Windzug, wie Sirius verwundert bemerkte, gefolgt von einer heiseren Stimme, die Sirius vage bekannt vorkam) näher kam, half er Peter auf und zerrte ihn hinter die Rüstung.

»Wenn man zulässt, dass dieser Peeves noch unverschämter wird, dann wird er uns bald nur noch auf der Nase herumtanzen. Der Direktor höchstpersönlich hat es ihm untersagt nachts Krach zu machen, aber anscheinend schwindet auch schon Dumbledores Einfluss in dieser Schule… wenn nicht einmal mehr dieser Poltergeist auf ihn hört… Wenn das so weitergeht, dann werde ich mal ein ernstes Wort mit Peeves reden müssen – danach wird er nicht einen Mucks mehr von sich geben, dieser unverfrorene Nichtsnutz!«, schimpfte die heisere Stimme wütend.

Eine andere, Sirius unbekannte Stimme, antwortete beschwichtigend: »Wir sollten ihm einfach noch eine Chance geben…«

Die beiden Gesprächspartner hatten die Mitte der Kreuzung erreicht und blieben stehen.

Sirius wagte (mit einer Hand auf Peters Mund gepresst) durch den Schlitz zwischen Rüstung und Mauer zu spähen… und erfasste zunächst nur zwei helle Schimmer in dem schwarzen Gang, die in der Luft schwebten.

Bei näherer Betrachtung erkannte Sirius den Blutigen Baron, wusste aber nicht, ob er darüber froh sein sollte oder nicht (immerhin war es nicht Pringle). Der andere Geist musste wohl der Fette Mönch sein, denn auch wenn Sirius ihn noch nie gesehen hatte, hatte er ihn sich von den Beschreibungen genauso vorgestellt (fett, kahlköpfig und eben ein Mönch).

»Natürlich ist er in diesem Jahr besonders für Schabernack aufgelegt«, krächzte der Blutige Baron mit seiner Stimme, die sich anhörte, als habe er zu seiner Lebzeit zu viel Zauberertabak geraucht.

Das, was Sirius von dem Gesicht des Fetten Mönchs sehen konnte, schien entsetzt und seine bisher so gelassene Stimme zitterte leicht, als er fragte: »Dann ist es also wahr? Der Wächter ist erwacht?«

Ohne Peter zu beachten, der versuchte, sich Sirius' Griff zu entwinden, wahrscheinlich um etwas zu sagen, beobachtete Sirius gespannt den Blutigen Baron, auch wenn er keine Ahnung hatte, worum es da eigentlich ging.

Der sah – noch immer in der Mitte des Kreuzkorridors schwebend – in alle Gänge, als hoffe er, Peeves doch noch zu erwischen, wobei er sich mit der Antwort sehr viel Zeit ließ.

»Man munkelt viel! Aber wenn Ihr mich fragt, gehört ein gutes Stück Magie dazu.«

Langsam wurde es Sirius hinter der Rüstung ungemütlich und er fragte sich schon, ob die Gespenster noch die ganze Nacht vor ihrem Versteck lauern würden, als er seinen Namen aufschnappte:

»…der kleine Black hätte eigentlich nach Slytherin kommen sollen, nicht wahr? Ihr habt es selbst gesagt. Dann steckt also er dahinter?«

Diesmal lag keine Spur vorgetäuschter Höflichkeit mehr in der gehauchten Stimme des Blutigen Barons: »Ihr, Mönch, haltet Euch da raus, verstanden? Das ist eine Angelegenheit zwischen dem Haus Slytherin und Gryffindor! Ist das klar?«

Damit entschwebte der Blutige Baron wütend und kurz darauf verließ auch der Fette Mönch seinen Posten mit einem eingeschüchterten Gemurmel, aus dem Sirius etwas wie »Ich will ja gar keinen Ärger machen, Herr Baron… sehr gereizt heute wieder…« heraushören konnte.

Peter nutzte den Augenblick, in dem Sirius verwirrt über das eben Gehörte und dessen Bedeutung nachdachte, und entwand sich ungeschickt Sirius' Griff. »Worum ging's denn da?«, flüsterte er.

»Wolltest du nicht aufs Klo?«, knurrte Sirius nur und schlug diesmal den richtigen Korridor ein, sodass sie endlich die Jungentoiletten erreichten.

Peter drückte die Tür auf, doch anstatt hineinzugehen, starrte er den Fliesenboden an.

»Du, Sirius, kannst du mir mal deine Schuhe leihen? Ich will nicht krank werden«, bat er dann unverschämt. Sirius seufzte schicksalsergeben und zog seine Schuhe aus, mit dem Hintergedanken, dass das weniger zeitaufwendig war, als mit Peter eine Diskussion über Gesundheit anzufangen.

»Aber beeil dich gefälligst! Ich will in mein warmes, sicheres, peterfreies Bett«, knurrte Sirius nur, woraufhin der Junge im Toilettenraum verschwand.

Sirius verschränkte unterdessen die Arme vor der Brust, während er sich lässig gegen die Mauer lehnte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er sich ohnehin keinen Reim auf das Gespräch der zwei Geister machen konnte und es somit unsinnig war, länger darüber nachzudenken.

Dennoch ging ihm die krächzende Stimme des Blutigen Barons nicht ganz aus dem Kopf und der verunsicherte, fast ängstliche Ausdruck auf dem Gesicht des Fetten Mönchs. Der Wächter ist erwacht? Und dann schienen sie auch noch ihn, Sirius, für den Schuldigen zu halten, wenngleich Sirius nicht ganz wusste, wofür.

Das einzige, was er sicher wusste, war, dass er nicht schuldig war. Egal, was der Blutige Baron oder der Fette Mönch dachte.

Unvorhergesehen trat der Hausmeister aus der gegenüberliegenden Wand. Er bekam große Augen, als er Sirius entdeckte, der freundlich fragte: »Na, können Sie auch nicht schlafen?«

»Was tust du denn hier, Bursche?«, fauchte Pringle böse.

»Ich warte genau genommen auf meine Hausschuhe«, erwiderte Sirius.

In diesem Moment ertönte von drinnen die Klospülung und einen Augenblick später kam Peter erleichtert heraus. Er zog Sirius' Schuhe aus und gab sie ihm mit den Worten zurück: »Danke, waren echt warm!«

Sirius nickte nur, nahm sie entgegen und zog sie an. Als er wieder aufblickte, hatte auch Peter endlich Pringle entdeckt, der etwas irritiert schien.

»Ihr wollt mich wohl veralbern! Das bekommt euch nicht gut, glaubt mir, Jungs! Mitkommen, sofort«, bellte der Hausmeister wütend.

Noch bevor sie allerdings einen Schritt tun konnten, erschien die hagere Gestalt von Professor McGonagall vor ihnen.

»Was tun Sie denn hier zu dieser nachtschlafenden Zeit?«, gähnte die Lehrerin herzhaft.

»Och, wir amüsieren uns prächtig«, grinste Sirius.

»Ich habe diese Rumtreiber hier vor dem Klo herumlungern erwischt«, triumphierte Pringle, der Sirius' Kommentar einfach überging. Die Schreckschraube blickte ihn verstört an und erwiderte: »Sie werden wohl auf die Toilette gegangen sein.«

»Einer vielleicht, aber der andere sicher nicht!«

»Was stört Sie an zwei Jungen, die aufs Klo müssen!«

»Aber… sie haben…«, stotterte Pringle, der vor Zorn rot anlief bei der Aussicht, seinen Fang laufen lassen zu müssen.

Da die beiden Erwachsenen die Jungen gar nicht mehr beachteten und ihre Anwesenheit vergessen zu haben schienen, räusperte sich Sirius laut.

Weder Pringle, der eben angesetzt hatte die Schulregel auswendig zu zitieren, welche besagte, dass Schüler nachts auf den Korridoren nichts verloren hatten, noch McGonagall, die – nicht minder zornig – entgegnete, dass ihr die Schulregeln bestens bekannt seien, nahmen Notiz von Sirius' wiederholtem Husten, das jedes Mal an Lautstärke zunahm.

Hilflos musste er auch noch mit anhören, wie Pringle sich darüber ausließ, welche Strafen (vom Schulverweis angefangen bis hin zu einer lebenslangen Haft im Zauberergefängnis von Askaban) er für solche Rumtreiber gerne aussetzten würde.

Als die Schreckschraube den Hausmeister darauf hinwies, was die eigentlichen Strafen wären (Abzug von Punkten bis höchstens Strafarbeit), hatte Sirius genug. Er drängte sich einfach zwischen den zwei Erwachsenen hindurch und machte sich Richtung Gemeinschaftsraum auf.

»Wo wollen Sie denn jetzt schon wieder hin?«, fragten McGonagall und Pringle, die Sirius schließlich doch wieder wahrnahmen, wie aus einem Mund.

»Streiten Sie sich ruhig weiter, das ist mir so was von egal. Ich will einfach nur in mein schönes, warmes, minerva-, apollyon- und peterfreies Bett! Gute Nacht«, schnauzte er genervt und bog um die nächste Ecke. »Alles Freaks! Durchweg, alles Freaks. Die spinnen hier doch alle…«


Vom darauf folgenden Schultag bekam Sirius so ziemlich nichts mit, da er nur müde über seinen Büchern saß.

In Geschichte der Zauberei schlief er sogar auf dem Tisch ein. Zum Glück weckte James ihn, als die Stunde aus war.

Danach war er allerdings ziemlich ausgeschlafen, so dass er am Abend, als er zusammen mit James im Gemeinschaftsraum saß, maulte: »Mir ist langweilig!«

Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt, an dem Peter seine Hausaufgaben machte, wobei er entspannt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in seinem Sessel lümmelte.

James, der ebenfalls gelangweilt seinen Zauberstab polierte, antwortete: »Wir müssen doch eh noch den Verwandlungsspruch üben.«

Sirius hob eine Braue: »Diesen Kerzenständer-Mist können wir doch sowieso schon längst!«

James zuckte die Schultern und meinte: »Na ja, dann hätten wir wenigstens was zu tun!«

»Äh… Leute…«, Peter hatte inzwischen aufgehört, an seinem Aufsatz rumzukritzeln, »…könntet ihr mir den Verwandlungszauber auch mal beibringen?«

Sirius fuhr ihn augenrollend an: »Frag lieber Remus, Kleiner, der ist es gewöhnt, Nieten zu helfen!«

»Den hab ich schon überall gesucht, aber nicht gefunden«, piepste Peter schüchtern.

Um sich selbst zu überzeugen, warf Sirius einen Blick in die Ecke, in der Remus für gewöhnlich saß und seine Hausaufgaben machte. Sie war leer.

»Oh, ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass der fehlt«, murmelte James peinlich berührt. Nur um Peter loszuwerden, befahl Sirius: »Geh doch mal im Schlafsaal nachsehen!« Zu seiner Überraschung war Peter so dumm, zu gehorchen. Er sah ihm noch immer verdattert nach, als James ungläubig feststellte: »Der kann doch nicht schon wieder krank sein!«

Sirius wandte sich schulterzuckend Peters blöder Katze zu, die mal wieder versuchte, die Wand empor zu klettern und meinte abschließend: »Der ist wahrscheinlich nur in der Bibliothek…« Damit zückte er seinen Zauberstab und verwandelte Charles mit einem Schlenker seiner Hand in einen Kerzenständer. Triumphierend grinste er James an: »So, und jetzt verwandle den mal in ein Buch!«

Spät in der Nacht, als der ÜV die Katze wieder in ihre Ursprungsgestalt zurück verwandelt hatte, schlichen die beiden leise lachend nach oben in ihren Schlafsaal.

Sirius wollte sich umgehend in sein Bett werfen, doch James hielt ihn am Arm zurück und deutete auf Remus' leeres Bett: »Sieh mal, er ist immer noch nicht wieder da. Denkst du, wir sollten mal im Krankenflügel nach ihm schauen?«

Natürlich willigte Sirius ein, denn das war mal eine echte Ausrede, nachts im Schloss herumzuschleichen. Kurz darauf klappten sie die fette Dame auf und stahlen sich lautlos durch die Gänge. Als sie gerade um eine Ecke biegen wollten, hörten sie wieder Dumbledores ›Sur le pont d'Avignon‹-Gesumme und drückten sich leise kichernd in eine Nische.

Nach einigen Minuten erreichten sie endlich den Krankenflügel, dessen Tür sie vorsichtig öffneten und hineinspähten. »Wieso sind alle Betten leer?«, fragte Sirius ungläubig.

»Anscheinend ist Remus ja doch nicht krank«, erkannte James grimmig. Einmal mehr wurde Sirius' Verdacht bestätigt, dass Remus ihnen irgendetwas verheimlichte.

»Aber wo ist er dann?« Diese Frage blieb Sirius unbeantwortet…

tbc...