Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Siebzehntes Kapitel

Die Stimme in der Dunkelheit


»Haben Sie auch die Feuerzauber wiederholt?«, fragte McGonagall am nächsten Morgen, als Sirius und James ihre Professorin vor deren Büro trafen.

»Feuerzauber!« Sirius und James blickten sich überrascht an. Alles was sie am Abend zuvor noch getan hatten, war Zaubersprüche aus den neuen Büchern von Remus und Peter auszuprobieren.

»Na gut, wir kriegen das bestimmt auch so hin«, seufzte McGonagall und stapfte ihnen voraus Richtung Erdgeschoss.

Sirius und James fielen absichtlich etwas zurück, damit die Schreckschraube sie nicht schon wieder zuquatschen konnte und James zog das Pergament, auf dem er die Geheimgänge notierte, heraus.

»Stell dir mal Remus' und Peters Gesichter vor, wenn wir bei ihrer Rückkehr im Gemeinschaftsraum ein Festessen veranstalten«, fiel Sirius begeistert ein, während James den Weg auf Pergament festhielt.

»Glaubst du, die haben wieder so gute Roast Beefs, wie vor 'ner Woche?« James sah hoffnungsvoll von seinen Aufzeichnungen auf.

»Sagen Sie das nicht zu laut, sonst fangen die Hauselfen sofort an, für Sie zu kochen«, mischte sich die Schreckschraube von vorne in ihr Gespräch ein. »Außerdem muss ich Ihnen sagen, dass es verboten ist, einfach so die Küche zu plündern!«

»Au ja! Und erst diese Donuts heute Morgen…«, schwärmte Sirius unbeirrt weiter.

McGonagall führte sie eine Treppe gegenüber der Großen Halle hinab, die in einen steinernen Korridor voller Bilder von Gerichten führte, bis sie endlich vor dem Gemälde einer Obstschale stehen blieb. Sofort kritzelte James eifrig auf sein Pergament.

McGonagall, die das nicht mitzubekommen schien, kitzelte die Birne, die sich zu winden und zu kichern begann, wobei sie sich zu einem grünen Türgriff formte, den die Schreckschraube herunterdrückte. Nun ließ sich das Gemälde wie eine Tür öffnen.

Dahinter führten einige Treppen in einen riesigen Raum, etwa so groß wie die Große Halle, die sich direkt über ihnen befinden musste, in dem ein langer leerer Tisch stand – ein Ebenbild dessen, der sich in der Großen Halle über ihnen befinden musste.

Zwischen diesen wuselten unzählige Hauselfen herum, die fast so hässlich waren wie Kreacher, obwohl den keiner übertraf. Sobald diese die Besucher entdeckten, brach unter großem Geschrei Chaos aus (»Holt den Gästen was zu essen!« – »Werft die Öfen an! Wir brauchen sofort Kekse!« – »Macht Kaffee für die ehrwürdige Professorin und Tee für die beiden Jungen!«), das sich erst wieder legte, als sie mit Tee, Keksen und Donuts vor James, Sirius und McGonagall aufwarteten.

McGonagall wollte schon ablehnen, als die Gryffindors herzhaft zugriffen.

»Kommen Sie, wir haben noch Arbeit!« Die Schreckschraube schritt tatendurstig zu den Herden, die an der Wand standen.

»Welfem Fauberfpruff folln fia nehm?«, kaute James, den Mund voller Kekse, als er ihr folgte.

McGonagall seufzte und erklärte: »Wir nehmen den Spruch: ›Uro perpetuus‹!«


»Mann, davon können wir noch drei Wochen zehren«, mampfte James, genau wie Sirius die Arme voll beladen mit Kuchen, Süßigkeiten und sonstigen Leckerbissen, welche die Hauselfen ihnen mitgegeben hatten, als sie durch Phineas Nigellus' Porträtloch den Gemeinschaftsraum betraten.

Sie stapelten die Fressalien auf einem Tisch und ließen sich breit auf eine Couch vor dem Kaminfeuer fallen.

»Bin ich vielleicht voll! So viel habe ich seit der Auswahlzeremonie nicht mehr gegessen«, stöhnte Sirius, der sich den Bauch hielt und schläfrig in die Flammen stierte.

»Und ab jetzt können wir uns immer wieder mehr holen«, grinste James und biss in einen Schokomuffin, während er den Zettel der Geheimgänge verstaute.

»Nach dem Essen sollst du ruh'n, oder tausend Schritte tun«, seufzte Sirius.

»Gilt auch, wenn man tausend Meter fliegt?«, hakte James nach.

Sofort blinzelte Sirius ihn aufgeregt an. »Weißt du noch, was Hagrid uns mal als Ausflugsziel vorgeschlagen hat?«, grinste er schelmisch.

»Der Verbotene Wald«, hauchten beide verschwörerisch.

»Also los, schnapp den Besen und wir gehen«, meinte James, der sich die Taschen mit Süßigkeiten als Proviant voll lud.

»Vergiss es, ich hab Aveimperatore vorhin schon an der Ecke lauern sehen. An dem kommen wir nicht vorbei«, schüttelte Sirius den Kopf.

Auch er steckte sich Wegzehrung in die Taschen, während er seinen Blick auf der Suche nach einem Fluchtweg durch den Gemeinschaftsraum schweifen ließ. Er blieb am Fenster hängen.

James, der seinen Blick verfolgt hatte, meinte nur grinsend: »Okay«, ehe er sich seinen Besen vom Boden schnappte, wo eigentlich die Treppe zu den Jungeschlafsälen hochführen sollte, und ans Fenster trat.

Während Sirius es aufschob, machte sich James flugbereit. Sie kletterten aufs Fensterbrett und bestiegen den Nimbus, Sirius dicht hinter James.

»Fertig?«, fragte James und stieß sie, ohne noch auf eine Antwort zu warten, in die kalte Winterluft ab. Sie sausten in den späten Nachmittag hinaus, wobei ihnen der Wind scharf um die Ohren pfiff.

Es schneite ausnahmsweise nicht, so dass sie freie Sicht auf die Schlossgründe hatten. Die Ländereien waren verwaist, weshalb sie ungesehen im Wald verschwinden konnten.

Nachdem sie schon eine Weile durch den Verbotenen Wald geflogen waren, wo die Bäume eng beieinander standen und das Tageslicht aussperrten, ließ Sirius erst einmal seinen Zauberstab leuchten.

So konnte James endlich, als es kaum noch möglich für ihn war, zwischen den nahe nebeneinander wachsenden Bäumen hindurch zu steuern, sicher auf einer kleinen Lichtung landen.

Durch die widerspenstigen Zweige einigermaßen zerfetzt, legte James sich seinen Besen über die Schultern, als sie in knöcheltiefem Schnee standen, und zückte ebenfalls seinen Zauberstab, um daraufhin im Kreis zu leuchten.

»Sieht ja nicht sehr spannend hier aus«, motzte Sirius. »Von wegen Werwölfe!«

»Hier gibt's sicher irgendwo was Aufregendes«, beruhigte James ihn und marschierte zwischen zwei riesigen, unheimlich kahlen Eichen hindurch tiefer in den Verbotenen Wald.

Sirius folgte ihm, wobei er scharf auf alle Geräusche um sie herum achtete, die sich im Moment leider noch auf Vogelgezwitscher und das Knarren der Bäume beschränkten.

Sie mussten schon über eine halbe Stunde gelaufen sein (inzwischen mussten sie bereits über riesige, umgestürzte Bäume und durch's Unterholz klettern), da knackte irgendwo laut ein Ast, so dass Sirius stocksteif stehen blieb.

»Hast du das gehört!«, fragte er James aufgeregt, der sich überrascht umdrehte.

»Stupor!«, feuerte Sirius aufs Geratewohl in die Dunkelheit zwischen die Bäume. Nichts rührte sich mehr – vielleicht hatte er es (was immer es auch gewesen sein mag) ja getroffen?

»Ach komm, vielleicht hast du dich geirrt«, zuckte James die Schultern und wollte schon wieder in der Finsternis unter den Ästen verschwinden, da drang eine tiefe Stimme aus unbestimmter Richtung zu ihnen: »Es ist nicht Sitte hier im Verbotenen Wald, als Gast mit Waffengewalt dessen Herren anzugreifen.«

Die Jungs zuckten erschrocken zusammen und drängten sich Rücken an Rücken zusammen, um in der totalen Finsternis umherzuspähen, die Zauberstäbe im Anschlag. Sie hörten schwere und zu viele Schritte – wie von Hufen.

Aber der Reiter verbarg sich weiterhin im Dunkeln, als er fortfuhr: »Doch rachsüchtig sind der Herren nur wenige nicht. Sonst müsstet ihr nun büßen. Obgleich ich euch aufgesucht habe, um euch zu warnen. Mancher Leute Anwesenheit am falschen Ort ruft böse Dinge hervor. In Hogwarts gibt es mehr als nur das Offensichtlichste.«

Sirius spürte mehr als er es sah, dass der Reiter sie stetig umkreiste. Er und James drehten sich, noch immer mit den Rücken zueinander, um die eigene Achse, um vielleicht doch noch zu erspähen, von wem die Stimme kam.

»Zauberei wirkt oft im Verborgenen. Erhebt also eure Häupter zu Drakon. Er leuchtet besonders hell in den letzten Monaten…«, und plötzlich krächzte der Reiter heiser und gefährlich, so dass Sirius die Nackenhaare zu Berge standen: »Also hütet euch!«

Damit galoppierte er weiter in den Wald hinein und der von Schnee bedeckte Waldboden verschluckte sogleich die Geräusche der Pferdehufe.

»Los, auf den Besen«, befahl James panisch, der genauso viel Angst zu haben schien, wie Sirius. Noch während dieser aufsprang, flog James los, brach durch Äste und Zweige, die ihre Umhänge noch weiter zerfetzten, und stieß durch das Baumdach ins Freie. Inzwischen war es draußen auch schon dunkel und vereinzelte Sterne funkelten am Himmel.

Während des Fluges zurück zum Schloss musste Sirius unentwegt an die dunkle Stimme denken und an die Bedeutung der Worte, die er nicht wirklich verstanden hatte.

So legten sie ein gutes Stück des Weges, der viel weiter war, als Sirius ihn in Erinnerung hatte, schweigend zurück.

Gerade als Sirius James seine Gedanken, die sich hauptsächlich um die Warnung des Reiters drehten, mitteilen wollte, hörten sie durch den Flugwind, der ihnen um ihre glühenden Gesichter peitschte, ein seltsames Geräusch von unten. So als ob etwas sehr Großes sich einen Weg durch das Unterholz bahnen würde.

James schien es ebenfalls bemerkt zu haben, denn er verlangsamte das Flugtempo ein bisschen und drehte sich halb zu Sirius um (so dass sie fast gegen einen besonders hohen Baumwipfel gekracht wären).

»Auf Tauchstation?«, fragte James, doch seine Stimme zitterte ein klein wenig, da ihm offenbar der Schock auch noch immer in den Knochen steckte.

»Ja, klar! Los, runter«, meinte Sirius, wobei er seiner Stimme einen extra festen Klang verlieh, um James die Angst zu nehmen, die er eigentlich selbst empfand.

Sie stießen auf die Stelle hinab, von der das Geräusch gekommen war, und tauchten zwischen den Zweigen hindurch, bis sie einmal mehr im Dunkeln auf dem Waldboden landeten.

Die Schritte stampften auf sie zu, so dass sich die Jungs hinter einen großen Baumstamm, der quer über dem Pfad lag, hechteten (über den sie in der Finsternis auf ihrem Rückzug stolperten).

»Lauf nicht so weit innen Wald rein, Fang, sonst schreckst du noch die Thestrale auf«, hörten sie erleichtert Hagrids Stimme. »War schwer genug, die zu zäh'm!«

Sirius freute sich schon viel zu sehr auf das Abendessen, das sie im Schloss bereits sehnsüchtig erwartete, um noch weiter über diese Begegnung nachzudenken, da wahrlich nichts Geheimnisvolles an ihr war, im Gegensatz zu ihrer ersten an diesem Abend.

Er stupste James kurz an und sie bestiegen den Besen, um endgültig zum Schloss zurückzufliegen.

Mit zerrissenen und am Saum durchweichten Umhängen, dreckigen Schuhen und zerzausten Haaren betraten sie die Große Halle, in der schon alle Lehrer am Tisch saßen. Diese blickten sie natürlich verwundert an, als Sirius und James sich neben Dumbledore niederließen.

»Wo kommen Sie denn jetzt her… und wie sehen Sie überhaupt aus?«, rümpfte McGonagall die Nase, während ihr Blick über eine Schramme auf James' Wange glitt.

In der Zwischenzeit pflückte Dumbledore einen kleinen Zweig aus Sirius' Haaren, den er eingehend musterte. »Ah, ein Ulmus procera – Ich fürchte, dieser faszinierende Baum wächst nur im Verbotenen Wald!« Mit einem strengen Blick maß er die Jungs.

»Och nee, nicht schon wieder 'ne Strafarbeit«, stöhnte Sirius flehend, der innerlich schon resignierte und dem ohnehin auf die Schnelle keine Notlüge mehr einfiel, warum er und James aussahen, als hätten sie gerade einen Kampf mit dem Riesenkraken hinter sich.

Am anderen Ende des Tisches brach Piler in einen Lachanfall aus: »Strafarbeit in den Ferien! – Dafür müsstet ihr einen Pokal im Pokalzimmer bekommen!«

Bevor die Jungs noch irgendwie darauf eingehen konnten, mischte sich auch schon Highking ein: »Ich hätte da schon eine Idee, was die beiden erledigen könnten, Professor Dumbledore: Sie könnten mir helfen, die Teleobjekte zu putzen, damit sie wieder ganz klar sind, wenn die Schule beginnt.«

»Moment mal! Wir haben doch heute Vormittag Miner-…«, begann Sirius und erntete schon von überallher strenge Blicke, doch er winkte nur kapitulierend ab: »Jedenfalls haben wir Professor McGonagall dabei geholfen, in der Küche Feuer zu machen und in der Bibliothek haben wir auch mal mit ihr herumgehext und mit Frederic haben wir Irrwichte vertrieben und Professor Flitwick haben wir beim Baumschmücken geholfen und Professor Sprout haben wir an Weihnachten mit ihren Pflanzen geholfen, für Professor Upperstick haben wir Kristallkugeln hergestellt… ich finde schon, dass das genug Arbeit für die Ferien war, oder, Direktor?«

Dumbledore lächelte Sirius nur an, bis er schließlich meinte: »Grundsätzlich hätte ich euch die Strafarbeit ja erlassen, Jungs, aber da sich euer Erlebnis schnell unter euren Mitschülern rumsprechen wird, muss ich leider auf einer Strafarbeit beharren. Ihr werdet euch morgen bei Professor Highking einfinden, meine Herren.«


Sirius war heilfroh, als er endlich gesund und sauber in seinem Bett lag. Durch seine offenen Bettvorhänge beobachtete er James, der gerade in seinen Schlafanzug schlüpfte.

Sobald auch sein Freund in seinem Himmelbett lag, fragte Sirius: »Weißt du, was das da heute mit dem Reiter sollte? Wer könnte sich denn so einen schlechten Scherz mit uns erlauben?«

»Das müsste ja wohl wer gewesen sein, der uns kennt«, überlegte James angestrengt.

Sirius verdrehte im Halbdunkeln die Augen. »Ja, aber wer, der uns kennt?«

»Hmmm… vielleicht Hagrid?«, schlug James vor. »Schließlich haben wir den ja auch kurz danach in der Nähe durch das Gestrüpp streifen sehen!«

»Überleg dir mal, was der für ein riesiges Pferd brauchen würde«, kicherte Sirius. »…Vielleicht war's ja auch Dumbledore?«

»Wie kommst du denn darauf? Der hätte doch gar kein Motiv«, runzelte James die Stirn, aber

Sirius ließ sich nicht beirren: »Kein Motiv für was? Uns zu warnen oder uns genug Angst zu machen, dass wir nicht mehr in den Verbotenen Wald gehen! – Außerdem hatte er plötzlich einen Zweig in der Hand gehabt, von dem du anscheinend nichts mitbekommen hast, sonst hättest du ihn mir ja wohl aus den Haaren entfernt, bevor wir in die Große Halle gegangen sind!«

Auch James schien jetzt halbwegs überzeugt, denn er schob ein: »Stimmt, und er hätte auch ohne Schwierigkeiten einen Lokillusionszauber anwenden können. Hast du gemerkt, wie dunkel es auf einmal wurde?«

Nun war es Sirius, der noch einen Zweifel hegte: »Aber wo hatte er das Pferd her?«

»Na ja, wenn der schon die Umwelt verändern kann, dann kann der sicher auch Geräusche magisch erzeugen!«

Eine Weile sagte niemand mehr etwas. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach und fragten sich, ob es tatsächlich sein konnte, dass der Schulleiter hinter allem steckte.

»Fragen wir doch einfach Remus, der weiß so was sicher, mit welchen Mitteln man alles Illusionen machen kann! – Können ihm ja morgen gleich einen Brief schreiben«, meinte Sirius schließlich.

»Und das mit dem Drakon, was immer das auch sein mag, können wir ihn auch gleich fragen. Mir ist so, als hätte ich davon schon mal was gehört«, überlegte James. Er drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke, um besser nachdenken zu können.

Sirius dagegen erinnerte sich an noch etwas, das er James noch nicht erzählt hatte: »Du, letztens musste Peter mal aufs Klo…«

»Wow«, gab James zurück, der immer noch die Decke anstarrte.

»Nein, nein, ich meine, er wollte nachts aufs Klo und ich sollte mitgehen. Und da hab ich den Blutigen Baron und den dämlichen Hufflepuff-Mönch über mich reden hören. Ich hab's nicht so ganz verstanden, worum's ging, aber irgendwann fiel der Ausdruck ›kleiner Black‹ und die werden ja wohl kaum meinen kleinen Bruder gemeint haben…«, begann Sirius schüchtern.

»Das nächste Mal, wenn du mit Peter aufs Klo gehst, weckst du mich aber! Worum ging's denn da genau?«

»Irgendwas zwischen Gryffindor und Slytherin. Und ich sollte nach Slytherin – keine Ahnung – von irgend so 'nem Wächter war auch die Rede…« Sirius bereute es schon fast, damit angefangen zu haben, trotzdem blickte er unsicher zu James hinüber.

»Vielleicht regt es ihn, genauso wie Brewpot, nur auf, dass du nicht in Slytherin bist. Weißt ja, wie sich alle darüber aufregen«, zuckte dieser die Schultern.

»Glauben die etwa alle, ich hätte Lust, mit meiner ganzen Familie im Slytherin-Kerker abzuhängen!«

»Die denken vielleicht, dass du genauso viel Lust hast, andere zu verhexen«, meinte James abermals nur achselzuckend.

»Ja, so wie du am Anfang, als du mich beinahe aus dem Abteil geschmissen hättest!«

»Moment mal, du bist ja selber gegangen, nachdem du uns alle beleidigt hast«, rechtfertigte sich James.

»Tja, ich wollte dir nur die Peinlichkeit ersparen, dass du mich nicht aus dem Abteil schmeißen kannst!« Sirius musste sich ein Grinsen verkneifen, als James sich empört auf die Ellenbogen aufstützte.

»Du hast es einem aber auch nicht einfach gemacht, an dich ranzukommen! Du hast niemanden neben dir sitzen lassen, hast nicht mal Peter aus der Trickstufe gezogen und beachtet hast du uns schon gleich gar nicht. Das Duell geht sowieso auf deine Kosten…«

»Welches Duell meinst du jetzt genau?«, hakte Sirius amüsiert nach.

»Na, das, wo wir von Dumbledore erwischt wurden natürlich! – Versteh eh nicht, wieso dich das so mitgenommen hat, als ich meinte, du hast keine Freunde!«

»Wie hast du dich denn gefühlt, als mein Irrwicht das zu dir gesagt hat?«, wehrte sich Sirius scherzhaft

»Ich nehm mal an, genauso wie du, als mein Irrwicht das zu dir gesagt hat.«

»Dann hab ich ja noch einmal gut, zu dir zu sagen, dass du nicht mein Freund bist«, stellte Sirius fest.

»Na ja, du hast ja am Anfang rund hundert Mal klargestellt, dass du nichts mit uns zu tun haben willst! – Außerdem sind wir ja jetzt ganz offiziell beste Freunde!«

Das gab Sirius den Rest und er brach in einen Lachanfall aus, genau wie James, der es in dem Moment ebenfalls nicht mehr aushielt.

»Warum hast du mir eigentlich am Anfang nie gesagt, dass du nicht so bist, wie der Rest deiner Familie?«, fragte James, plötzlich wieder ernst. Er kniff die Augen im Schein des Mondes leicht zusammen, um Sirius besser beobachten zu können.

Der drehte sich auf den Rücken, um die Decke zu fixieren. Auch ihm war das Lachen vergangen. Eine Zeit lang hörte man nur die Schneeflocken, die vom Wind sanft zum Schlafsaalfenster getragen wurden, wo sie von den einzelnen Sternen beschienen zu eisigen Kristallen gefroren.

»Ich bin müde, James, gute Nacht!« Sirius drehte sich auf die Seite, zog die Decke bis an sein Kinn und schloss die Augen, doch James' Stimme drang erneut an sein Ohr: »Oh nein! Du kannst mir nicht bis in alle Ewigkeit ausweichen, weißt du!«

Sirius antwortete nicht. Er hielt die Augen weiterhin fest geschlossen, was zur Folge hatte, dass er die Sterne, die draußen vereinzelt funkelten trotz geschlossener Augen deutlich vor sich sehen konnte.

»Also gut«, hörte er James schließlich sagen, »dann spielen wir jetzt ein Spiel. Wir fragen uns abwechselnd irgendwas und der andere muss vollkommen aufrichtig antworten, okay?«

Sirius zögerte, noch immer reglos daliegend. »Okay, aber jegliche Fragen, die irgendwas mit der Familie zu tun haben, sind verboten«, bedingte er, wobei er sich unbehaglich auf den Bauch zurückrollte, um James letztlich doch wieder ansehen zu können. Dessen haselnussbraune Augen wirkten bei dem schwachen Licht dunkler als üblich, fast schwarz und ein entschiedener Ausdruck lag in ihnen.

»Bei dem Spiel gibt es keine Tabu-Fragen«, erwiderte er und ehe Sirius protestieren konnte, fuhr er fort: »Also, ich fang an: Warum hast du mir nicht gesagt, dass du in Wirklichkeit kein reinblutvernatiger Schwarzmagier bist?«

»Na ja, hättest du mit doch eh nicht geglaubt, oder?«, wehrte Sirius etwas zu energisch ab.

»Vermutlich«, gestand James, »aber du hättest dich ja lieber von den Slytherins verprügeln lassen, als es vor mir zuzugeben.«

Sirius rollte im Halbdunkeln mit den Augen. »Hättest du dich auch mit mir angefreundet, wenn ich nach Slytherin gekommen wäre?«, fragte er so unvermittelt, dass James ihn erst einmal verwirrt anblinzelte.

»Ich – was!«

»Ich fragte, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn der Sprechende Hut mich nicht nach Gryffindor geschickt hätte«, wiederholte Sirius seine Frage, obwohl er wusste, dass James diese akustisch sehr gut verstanden hatte.

Der entgegnete noch immer leicht irritiert: »Was hat das denn jetzt damit zu tun!«

»Gar nichts!« Sirius zuckte die Schultern. »Aber ich bin dran, mit Fragestellen!«

Nun war es an James, die Augen zu verdrehen.

»Also?«, drängte Sirius ungeduldig.

»Keine Ahnung… – Denk schon. Solange du nicht mit Snape abgehangen wärst…«

»So erfährt man mal, was du mir nicht alles zutraust!«, empörte sich Sirius gespielt beleidigt, womit er sich von James wegdrehte, um die Schneeflocken zu beobachten, die wie kleine Fünkchen aus einem Zauberstab vor dem Fenster vorbeirieselten.

Irgendwo da draußen, wusste Sirius, musste der seltsame Reiter herumstreifen. Bei dieser Kälte, allein, vielleicht ohne Freunde.

Unterbewusst zog Sirius die Decke enger um sich bei dem Gedanken, in dieser klirrenden Kälte nachts durch den Verbotenen Wald streunen zu müssen. Da hatten sie es hier, innerhalb der dicken Schlossmauern um einiges wärmer und gemütlicher…

»Und warum willst du eigentlich nie über deine Familie reden?«, riss ihn da James abrupt aus seinen Gedanken.

»Weil es da nichts drüber zu reden gibt, darum!«, erwiderte Sirius schroff. Noch immer folgten seine Augen den dicken Schneeflocken, die langsam und leise herab nieselten. James sagte nichts. Sirius war sich noch nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt anschaute, doch als Sirius das überprüfen wollte, begegnete er James' leicht enttäuschtem Blick.

»Du wärst sicher auch nicht stolz auf so eine Familie«, setzte er deshalb leise dazu.

James nickte nachdenklich, während Sirius' Blick zurück zum Fenster schweifte, vor dem mittlerweile der Schnee ein wildes Treiben begonnen hatte.

Der Mond war nun nicht mehr zu sehen, da er von dicken Wolken verdeckt wurde, die jegliches Licht zu löschen suchten, auf dass in und um Hogwarts Dunkelheit herrschen sollte…

Als sie ihr Gespräch spät in der Nacht beendeten, musste Sirius aber noch daran denken, dass es eigentlich doch ganz schön war, einen besten Freund zu haben…


»Du hast doch gar keine Freunde, du bist ein Black«, keifte Bellatrix ihn an. Sie standen im Kerker, wo sie für gewöhnlich Zaubertrankunterricht hatten und Sirius wollte schon trotzig erwidern, dass James ihn sehr wohl als Freund ansah, da tauchte auch Brewpot auf und fuhr ihn an: »Du bist eine Schande, Black!«

Bevor Sirius noch irgendetwas sagen oder tun konnte, stieß der Blutige Baron zu ihnen, der durch die massive Kerkerwand hereingeschwebt kam: »Du gehörst nach Slytherin, Junge!«

»In das Haus deiner Väter und Großväter«, meinte das Porträt von Phineas Nigellus, das an der Tür zum Kerker hing und hämisch auf ihn hinabglänzte.

»Der Hut hat ja nur ausgezählt!«

»Der hat sich vertan!«

»Proditor sanguinis integri! – Verräter des reinen Blutes!«

»Schande!«

»Black!«

Sirius schreckte jäh hoch. Sein Atem ging stoßweise und er spürte, dass er Schweiß auf der Stirn hatte. Hastig sah er sich zu James um, als ob er sich überprüfen wollte, ob der das Stimmengewirr von Bellatrix, Brewpot, Nigellus und vom Blutigen Baron in seinem Kopf ebenfalls gehört hatte, doch James schlief noch immer selig.

Es war nur ein Traum, sagte sich Sirius ein paar Mal selber, aber irgendwo wusste er, dass sie vielleicht sogar alle Recht hatten. Langsam, ohne dass er es wirklich selbst wahrnahm, setzte er sich auf und stieg aus seinem Bett.

Er konnte jetzt unmöglich einfach wieder einschlafen! Mit einem letzten Blick zurück auf James trat er aus dem Jungenschlafsaal, fest entschlossen, sich bei einem nächtlichen Schlossspaziergang über seine reichlich wirren Gedanken klar zu werden.

Er merkte fast nicht, wie er in den Gemeinschaftsraum hinunter flog und den echten Phineas Nigellus zurückklappte (»Das werde ich Dumbledore erzählen, Bürschchen! Missratener Ururenkel…«), aber schließlich trugen ihn seine Füße quer durch ganz Hogwarts.

Er achtete nicht mehr darauf, wo er hinging oder ob er von einem Lehrer erwischt wurde. Noch immer hallten die Worte der Slytherins durch seinen Kopf: »Schande, Verräter…« und die Möglichkeit, dass sie Recht haben könnten, zehrte an ihm, als hätte jemand diese Gedanken in ihn hineingepflanzt.

Der Hut hatte gelost. Er hatte keine Ahnung gehabt… »Und etwas Macht würde dir auch nicht schlecht stehen«, erinnerte sich Sirius an die Worte des Sprechenden Huts bei der Auswahlzeremonie.

Dumpf drang ein Gesumme durch seine Gedanken, doch es störte ihn nicht.

Er hatte sich mittlerweile ein ganzes Stück vom Gryffindor-Turm entfernt und erkannte erstaunt, dass er nicht mehr allzu fern von Dumbledores Büro war.

Dieser Gedanke riss ihn für einen Moment aus seinen ursprünglichen Grübeleien und so drückte er sich vorsichtshalber doch in eine Nische, als das bekannte »Sur le pont d'Avignon«-Gesumme näher kam.

Unweit von ihm beobachtete Sirius, wie Dumbledore um eine Ecke bog, wahrscheinlich auf dem Weg zur Küche, um sich einen Kakao zu holen.

Normalerweise hätte sich Sirius sofort angeschlossen (natürlich mit ausreichend Abstand), aber ihm war eben eine tollkühne Idee gekommen. Der Schulleiter würde für unbestimmte Zeit nicht in sein Büro kommen. Und der Weg zur Küche war von hier aus lang…

Kurzentschlossen verließ Sirius sein Versteck (nachdem das Gesumme in der Ferne verklungen war) und machte sich auf den Weg zum Wasserspeier.

»Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung«, hauchte Sirius und sofort sprang der Wasserspeier zur Seite. Sirius war die selbstlaufende Treppe noch nie so langsam vorgekommen. Er musste sich beeilen, das war sicher.

Selbst wenn Dumbledore nur gemächlich zur Küche schlenderte, einen Rauswurf konnte er diesmal nicht riskieren!

Endlich hatte er die Tür erreicht und stürzte in das wohlbekannte Büro. Ein paar Porträts wisperten bei seinem plötzlichen Erscheinen, doch Sirius kümmerte es nicht. Er hielt Ausschau nach etwas Anderem.

»Ähm, hallo?«, fragte Sirius, als er den Sprechenden Hut auf einem Regal entdeckte.

Der Hut blieb unbeweglich. Er schien fast ein ganz normaler Zaubererhut zu sein. Sirius wusste nicht, was er tun sollte; er hatte erwartet, dass der Hut redete, genauso, wie am Tag der Auswahlzeremonie.

Da der Sprechende Hut auf einem Regal ganz oben lag und Sirius in seinem Pyjama nicht an seinen Zauberstab auf seinem Nachtkästchen gedacht hatte, hatte er nun einige Schwierigkeiten, an ihn heranzukommen.

Schließlich schaffte er es aber doch noch und er sah den Hut, den er auf Dumbledores Schreibtisch gelegt hatte, erwartungsvoll an.

Als nichts geschah, meinte er vorsichtig: »Ähm… du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an mich –«, es kam Sirius zwar reichlich dumm vor, mit einem Hut zu reden, als hätte der ein Gedächtnis, aber jetzt war keine Zeit, um über so etwas nachzudenken, »– aber bei mir hast du damals gelost und…«

»Weiß Dumbledore, dass du hier bist?«, unterbrach ihn der Hut, dessen Krempe sich plötzlich doch geöffnet hatte, schroff.

Sirius spürte Zorn in sich hochsteigen. Jetzt begann dieser alte Fetzen endlich das Reden, aber anstatt ihm seine Frage zu beantworten, wollte er wissen, ob Sirius gerade am Regelbrechen war, was im übrigen zweifellos der Fall war. Aber was tat das zur Sache! Und warum, dachte dieser dämliche Hut, wäre Sirius sonst hier, gerade wenn der Schulleiter das Büro verlassen hatte!

»Nein«, meinte Sirius daher genervt und wollte schon wieder zur Sache kommen, da hörte er jemanden hinter sich empört aufschreien. Blitzschnell wandte er sich um, doch es waren nur die Porträts gewesen, die jetzt aufgeregt miteinander tuschelten.

»Ich erinnere mich an fast alle Schüler, die ich je auf die Häuser verteilt habe«, meinte der Sprechende Hut unvermittelt.

»Oh…« Sirius fuhr abermals herum – jetzt wieder zu dem Sprechenden Hut. »Ja… ähm… dann weißt du ja vielleicht noch, dass du… ähm… bei mir ausgezählt hast…« Sirius fand nur schwer den Faden wieder, da ihn das laute Gerede hinter ihm etwas ablenkte. (»Was soll das?« – »Einbruch!« – »Das ist der kleine Black!« – »Was tust du denn hier, Sirius?« – »Ich verlange sofort zu wissen…«)

»Ja«, antwortete der Hut schlicht, was im Geschrei der Porträts unterging (»Holt doch einen Auror!« – »Könnte ich vielleicht erfahren, was Sie hier zu suchen haben?« – »Einbrecher!«)

»Und… ähm… sicher, dass du dich nicht verwählt hast? Ich meine…«

(»Missachtet uns einfach, nicht zu fassen!« – »Ich finde, er sollte uns Schulleitern mehr Respekt entgegenbringen!« – »Dumbledore gegenüber verhält er sich auch nicht viel besser!«…)

»…wenn du mehr Zeit gehabt hättest… und ich keine Zahl gesagt hätte…« Sirius musste schon fast schreien, um die ehemaligen Schulleiter Hogwarts' zu übertönen.

Der Hut allerdings schien es dennoch nicht verstanden zu haben, denn er schwieg so lange, dass Sirius erneut ansetzte (»Ich frage ein letztes Mal: Wieso bist du hier gewaltsam eingebrochen!« – »Du willst uns doch wohl nicht weismachen, dass du nur wegen dem Hut hier bist?« – »Holt doch endlich jemand Hilfe! Auror!«): »Es ist ja wohl deine Aufgabe, uns Schüler richtig zu verteilen, also, sag mir jetzt sofort…«

(»Was machst du denn hier, Sirius?«)

Sirius reichte es. Bei diesem Lärm konnte man sich ja nicht konzentrieren! »Könntet ihr jetzt endlich mal alle eure Klappen…« Sirius fuhr wütend herum, um die Porträts zum Schweigen zu bringen, doch die waren schon längst verstummt.

Denn im Büro war hinter Sirius kein anderer als Albus Dumbledore aufgetaucht, der fragend von ihm zum Sprechenden Hut sah, in der Hand eine dampfende Tasse.

Einen Atemzug lang herrschte absolute Stille im Raum. Dann regte sich eines der Porträts wieder, ein dicklicher Mann mit roter Nase, der Sirius zuvor mindestens dreimal gefragt hatte, wer er war und was er hier tat, bevor Dumbledore das persönlich übernommen hatte: »Er ist einfach so hier hereinmarschiert und hat überhaupt nicht auf uns gehört. Denkt wohl, nur weil er ein Nachkomme von Phineas Nigellus ist, kann er im Schulhaus tun und lassen, was er will!«

»Das reicht, Fortescue«, sagte Dumbledore schlicht, ohne seinen Blick von Sirius abzuwenden. »Also, Sirius?«

Sirius hatte keine Ahnung, wie er da wieder rauskommen sollte. Wenn James jetzt bei ihm gewesen wäre, hätte er ihm einen Blick zugeworfen, dass er sich eine Ausrede einfallen lassen sollte, aber da er alleine war, folgte abermals eine kurze Pause, in der Dumbledore lediglich seinen Kakao auf seinem Schreibtisch neben dem Sprechenden Hut abstellte.

Endlich löste sich der Kloß in Sirius' Hals ein wenig, sodass er zumindest eine Antwort versuchen konnte: »Ich dachte… Sie haben uns doch neulich mal zum Kaffeekränzchen eingeladen…« Er versuchte verzweifelt, vom Sprechenden Hut abzulenken, der neben ihm offen sichtbar auf dem Tisch lag und so stellte er sich schützend davor, damit Dumbledore ihn nicht sehen konnte.

»Mitten in der Nacht?«, warf Dumbledore erstaunt ein und sein Blick irrte unglücklicherweise an Sirius vorbei zum Sprechenden Hut, der verstummt war. Das war wahrscheinlich auch der Grund gewesen, warum er vorhin plötzlich nichts mehr gesagt hatte, überlegte Sirius. Vielleicht durfte er unter dem Jahr gar nicht mit Schülern reden…

»Er hat ihn vom Regal geholt.« – »Wir konnten gar nichts dagegen tun!« – »Hat einfach nicht auf uns gehört!« – »Wir haben natürlich sofort nach Hilfe gerufen…«

Dumbledore hob nur die Hand und das blitzartig aufgebrandete Gemurmel erstarb augenblicklich.

»Ich mach doch morgen sowieso schon Strafarbeit«, platzte es aus Sirius heraus, der es nicht länger aushielt und auch gar nicht mehr in der Lage war, Dumbledore etwas vorzumachen.

Der wusste wahrscheinlich ohnehin schon wieder über alles genauestens Bescheid, dachte sich Sirius, ohne Dumbledore jedoch genau in die Augen sehen zu können. Der nahm den Sprechenden Hut vorsichtig von dem Tisch und legte ihn zurück auf seinen Stammplatz.

»Professor Brewpot hat mir schon erzählt, wie der Hut dich nach Gryffindor gesteckt hat«, meinte Dumbledore, ohne auf Sirius' Bemerkung einzugehen.

Statt seines üblichen amüsierten Lächelns, das Sirius vielleicht auf Grund der Tatsache, dass er ihn auf frischer Tat ertappt hatte, erwartet hätte, schaute der Schulleiter ihn durch seine halbmondförmige Brille hindurch mit einem durchdringenden Blick ernst an. Es war genau die Art von Blick, die Sirius ein seltsames Gefühl in der Magengegend bereitete, gerade so, als würde Dumbledore ihn mit seinem Blick festnageln und ihn dazu zwingen wollen, die Wahrheit zu sagen.

Sirius, der absolut keine Lust hatte, mit dem Direktor darüber zu reden, dass er eigentlich nach Slytherin hätte kommen müssen, wandte etwas verlegen ein: »Also, wie ist das jetzt mit der Strafarbeit?«

»Du solltest wissen, dass der Hut seine Aufgabe, die Schüler auf die Häuser zu verteilen mit Auszählen…«

Da Sirius auf Dumbledore sowieso noch wegen der Sache mit dem Verbotenen Wald etwas sauer war, und er darauf verzichten konnte, mit dem Schulleiter ein tiefsinnigeres Gespräch über seine Abstammung anzufangen, fuhr er schroff dazwischen: »Das ist schon während der Schulzeit Schulgespräch, ich will nicht auch noch in den Ferien darüber reden.«

Gleich darauf wurde ihm bewusst, dass das wohl etwas zu unfreundlich gewesen war angesichts der Tatsache, dass der Schulleiter ihn mitten in der Nacht in seinem Büro erwischt hatte und so fügte er ein kleinlautes »Sir« an.

Ein paar Porträts schrien empört auf (»Sehen Sie, genau das hatte ich gemeint! Rotzfrech!« – »Man sollte ihm die restlichen Ferien über Strafarbeiten aufgeben!«), doch Dumbledore missachtete die ehemaligen Schulleiter diesmal fast eben so gründlich, wie Sirius sie die ganze Zeit über ignoriert hatte, und sah ihn nur eindringlich an, wobei sich sein Blick in den Sirius' bohrte.

Bevor der Schulleiter jedoch noch etwas sagen konnte, ging die Tür zu Dumbledores Büro erneut auf. Herein trat Piler. Er trug seinen Umhang, den er, wie es schien, hastig angezogen hatte und sah sich, den Zauberstab gezückt, erstaunt um. Als er Dumbledore erblickte, senkte er seinen Zauberstab und sah ihn fragend an. »Sie haben mich gerufen?«

»Nein, nein, Frederic, falscher Alarm, Sirius hier wollte mich nur besuchen kommen«, erklärte Dumbledore.

Sirius, der nicht ganz wusste, was eigentlich gespielt wurde und warum Piler mitten in der Nacht in Dumbledore Büro auftauchte, maß die Porträts mit einem skeptischen Blick.

Wer wusste schon, wer von den Lehrern noch alles auftauchen würde. Vielleicht hatten die Porträts ja die gesamte Lehrerschaft geweckt. Sirius wusste schließlich, dass die Bewohner der Gemälde ihre Porträts verlassen und in anderen wieder zum Vorschein kommen konnten. Jedenfalls war er sehr dankbar, dass Piler gerade zur rechten Zeit aufgetaucht war, bevor Dumbledore ihn noch weiter ausfragen konnte.

Piler nickte verständig und Dumbledore meinte plötzlich völlig unvermittelt mit einem Blick auf seine Uhr zu Sirius: »Es ist schon weit nach Mitternacht. Du solltest besser in deinen Turm zurückkehren!«

Ohne einen Blick zurück zu den zwei Lehrern hastete Sirius aus dem Büro, da er heilfroh war, endlich von dort loszukommen.

Außerdem war er so doch noch dem Gespräch mit Dumbledore entronnen. Sirius konnte noch hören, wie die Porträts sich aufregten und Fortescue meinte: »So etwas sollten Sie ihm nicht durchgehen lassen!«, dann war er schon die Treppe hinunter gestürmt, erleichtert, dass Dumbledore nicht vorgeschlagen hatte, dass Piler ihn begleiten sollte.

Denn jetzt wollte er erst einmal mit niemandem reden…

Als Sirius im Gemeinschaftsraum ankam, traf er auf James, der in einem Ohrensessel vor dem Kamin saß und ziemlich ratlos aussah. »Wo warst du denn?«, wollte er sofort wissen, als Sirius eintrat. »Als ich aufgewacht bin, warst du plötzlich nicht mehr da! Ich hab dich schon in der Küche gesucht, aber da hätte mich beinahe Dumbledore erwischt, also bin ich lieber wieder zurück gekommen, sonst steigt die Anzahl unserer Strafarbeiten noch auf zwei und das in den ersten Tagen der Ferien«, sprudelte er sogleich los.

Sirius, der unendlich glücklich war, James zu sehen, ließ sich neben ihn in einen Sessel sinken, bevor er mit seinen Schilderungen begann…


Der erste Weg am nächsten Morgen führte sie hoch in den Westturm zur Eulerei, um den Brief für Remus abzuschicken. »Lies noch mal vor«, gähnte James, der gerade nach Akredula Ausschau hielt, weil Oxbow wieder unterwegs war.

»Also: ›Hi Remus, wie war Weihnachten? Danke für deine Geschenke!

Weißt du, was ›Drakon‹ ist? Und gibt es akustische Lokillusionszauber?

Kannst beruhigt sein, die Lehrer haben uns gar keine Möglichkeit gegeben, was anzustellen.

Hoffen, dir hat unser Geschenk gefallen.

Gehen jetzt zu unserer Strafarbeit (dahinter steck Dumbledore persönlich – falls er die Post abfängt – das hier haben wir dir nie geschrieben!).

Bis bald, Sirius und James.

PS: Der Verbotene Wald ist echt cool.

PPS: Hinter allem steckt Dumbledore (auch das hast du in speziellen Fällen nie gehört!)‹«, las Sirius vor.

In dem Moment flatterte Akredula auf James' Arm und er befestigte das zusammengerollte Pergament an ihrem Fuß. Daraufhin flog sie gehorsam aus dem Fenster in den Morgen. Seufzend blickte Sirius James an: »Dann lass uns mal in die lustige Märchenstunde gehen!«


Als sie nach scheinbar unendlichem Abstauben der Teleskope wieder im Gemeinschaftsraum saßen, blätterten sie gelangweilt einmal mehr das Fluchbuch durch.

»Peitschende Weide!«

Sirius erkannte Pilers Stimme und er warf mit einem warnenden Blick zu James das Fluchbuch in die nächste Ecke, wo es auf der Rückseite liegen blieb.

Doch Phineas Nigellus hielt den Lehrer schon für sie auf, auch wenn er ihnen den Gefallen sicher nicht mit Absicht tat: »Sie wollen doch nicht schon wieder meinen niederträchtigen Ururenkel besuchen?«

»Doch, genau das hatte ich eigentlich vor«, bestätigte Pilers Stimme schroff. »Wenn Sie mich jetzt freundlicherweise einlassen würden?«

Es war keine Bitte, es war ein Befehl und so klappte Nigellus mürrisch auf und Piler trat herein. Als das Porträtloch sich hinter ihm wieder schloss, seufzte er kopfschüttelnd: »Dieser Phineas Nigellus macht auch andauernd Probleme!«

»Hmm…«, machte Sirius, der, wie üblich, keine große Lust hatte, über seine Familie zu reden.

Piler schien diese Tatsache jedoch entgangen zu sein – oder er wollte sie absichtlich umgehen – jedenfalls fuhr er fort: »Man sollte ja meinen, er würde zu dir halten… aber nur weil er selbst in Slytherin war…«

James sah so aus, als wolle er irgendetwas sagen, um den Professor vom Weiterreden abzuhalten, da er den Mund schon öffnete, dann aber wieder schloss, weil ihm offenbar nichts Gutes einfiel und so unterbrach Sirius Piler ein zweites Mal knapp. »Mein Ururgroßvater halt«, winkte er genervt ab.

»Wo wir schon bei Familien sind…«

Endlich mischte sich auch James mit ein, der sich bisher wortlos im Hintergrund gehalten hatte: »Wir hoffen auch, dass Dumbledore die fette Dame bald durch ein andere Porträt ersetzt!«

Sirius hatte den plötzlichen Verdacht, dass Dumbledore und Piler, nachdem Sirius sie in der letzten Nacht alleine gelassen hatte, noch über ihn geredet hatten und Piler nun das Gesprächsthema absichtlich auf Sirius' Familie gelenkt hatte.

Piler überging James' Einwand einfach: »…War ja Schulgespräch, dass ihr zwei als einzige über Weihnachten in Hogwarts bleibt. Vermisst ihr denn gar nicht eure Eltern?« Piler sah Sirius unverwandt an.

»Nein«, war dessen knappe Antwort, wobei seine Stimme etwas verbitterter geklungen hatte, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

Es war ihm äußerst unangenehm, dass ihn andauernd jemand auf seine Familie ansprach. Sie hatten ja alle keine Ahnung, wie es war, in einer Zaubererfamilie leben zu müssen, die sich der schwarzen Magie verschrieben hatte. Sie wussten doch nicht, hatten vermutlich nicht ansatzweise einen Schimmer, wie es bei den Blacks daheim wirklich zuging.

»Ähm…«, machte James in dem Moment, der verzweifelt versuchte, das Gespräch aus diesen Untiefen herauszusteuern.

Doch Piler, der sich inzwischen ihnen gegenüber in einem Lehnstuhl niedergelassen hatte, bemühte sich wohl, endlich durch die unsichtbare Mauer zu stoßen, die Sirius, was seine Familie betraf, um sich herum aufgebaut hatte.

Dies war natürlich ein aussichtsloser Kampf, da Sirius selbst mit James bisher nur sehr selten darüber geredet hatte und wenn, dann in tiefster Nacht (wie Sirius feststellte, als er an ihre Unterhaltung am Vorabend dachte), wenn er so müde war, dass es ihn nicht mehr viel kümmerte, was er alles von sich verriet. »Aber wenn Dumbledore dich als meinen Seelenklempner engagiert hat…«

Piler ließ Sirius erst gar nicht ausreden: »Was speziell deine Familie betrifft –«

»Ich habe keine Familie«, unterbrach ihn Sirius ungestüm und eigentlich hatte er seiner Stimme einen Ton verleihen wollen, der das Gespräch unmissverständlich beenden sollte, was ihm jedoch misslang.

Seine Stimme hatte leiser und schmerzerfüllter geklungen, worüber er sich selbst ärgerte. Er sah flehend zu James, doch der hatte seinen Blick gesenkt und unverkennbar alle Versuche aufgegeben, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

Piler schien fast so, als habe er eine derartige Reaktion von Sirius erwartet. Er legte völlig unvermittelt seine Hand auf Sirius' Schulter und lächelte ihn verständig an, drang allerdings nicht tiefer in ihn ein, wofür Sirius insgeheim sehr dankbar war.

»Wisst ihr was?«, wollte Piler plötzlich grinsend wissen, wobei er seine Hand ruckartig von Sirius' Schulter zurückzog, »Ich würde euch zwei glatt adoptieren!«

»Au ja!«, stimmten die Jungs gleich begeistert zu.

»Dass ihr jetzt aber nicht kommt und mich das nächste mal am Tisch ›Daddy‹ nennt«, scherzte Piler und trotz des vorangegangenen ernsten Gesprächs mussten alle drei loslachen.

»Bestimmt nicht! Sonst kriegen wir von Albus – ähm Professor Dumbledore – wieder eine Strafarbeit aufgebrummt«, versicherte Sirius.

Piler räusperte sich und versuchte vergeblich, wieder eine ernste Miene aufzusetzen, als er sein ursprüngliches Anliegen darlegte: »Weshalb ich eigentlich hier bin… Professor Dumbledore – also Sirius, ich meine damit Albus –«, schob Piler grinsend ein, »hat mir die Erlaubnis erteilt, euch mit nach Hogsmeade zu nehmen. Was sagt ihr dazu?«

»Klar! Wir sind dabei«, riefen Sirius und James sofort und wie aus einem Munde.

»Dann holt euch genug Geld für den Honigtopf«, riet Piler ihnen.

»Ach, da gibt's nichts richtig Gutes, Frederic, außer den Lollies vielleicht…«, winkte Sirius ab und James fügte gleich auf Pilers komischen Blick hinzu: »Ähm, hat uns Specter erzählt! – Außerdem wollen wir ab sofort gesund leben.«

»Ihr plündert nur regelmäßig die Küche«, grinste Piler verschmitzt.

»Wer erzählt dir denn so was?«, wollte Sirius gespielt empört wissen.

Nachdem sie ihr Geld geholt hatten und lachend und scherzend nach Hogsmeade geschlendert waren, führte Piler sie zu den ›Drei Besen‹, einer gemütlichen warmen Wirtsstube, denn draußen hatte es schon wieder angefangen zu schneien.

Der Pub war nur recht spärlich besucht und so konnten sie sich einen schönen Platz mit Blick auf das Schneegestöber suchen. Sofort kam eine sehr junge Frau in Stöckelschuhen, mit einem sehr netten Gesicht, zu ihnen, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen.

»Alle kommen doch nur wegen dir und dem Butterbier hier her«, scherzte Piler.

Rosmerta schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln und fragte: »Also dann drei Butterbier?«

»Und ein Croissant für mich«, setzte Piler hinzu.

»Gut, dann wollen wir noch drei Donuts, siebzehn Muffins, sechs Buttertoasts, eine Buttercremetorte mit einem singenden Weihnachtsmann oben drauf und einen Wildschweinbraten. Das alles geht auf Frederics Rechnung«, bestellte Sirius, der schon wieder einen Heißhunger hatte, da sie das Frühstück wegen Aveimperatore hatten ausfallen lassen müssen.

Madam Rosmerta lachte herzhaft, bevor James noch einen draufsetzte: »Zu dem Schweinebraten wollen wir eine Flasche Whiskey und für die Torte braucht Frederic ein Glas Milch. Wir würden uns schon mit Kakao begnügen!«

»Aber dann brauchen wir noch selbstgebackene Kekse, James. Ohne Plätzchen geht bei mir nix mit Kakao«, erwiderte Sirius und James stellte klar: »Das geht übrigens auf Kosten des Hauses!«

»Oder schreiben Sie es gleich Dumbledore an.«

Lachend eilte Madam Rosmerta davon, um ihnen die gewünschten Sachen zu bringen. Währenddessen packte Piler beiläufig ein Kartenspiel aus, woraufhin Sirius meinte: »Au ja, spielen wir Wau Wau, wie die Muggel!«

»Sirius, Freund und Kumpel, aber manchmal bist du echt dämlich! Das heißt Mau Mau«, verbesserte James ihn augenrollend.

»Auf jeden Fall wisst ihr, was ich meine«, wischte Sirius weg.

Doch Piler flüsterte geheimnisvoll: »Das sind ganz besondere Karten. Mit denen kann man nur Zauberpoker spielen.«

»Und wie soll das gehen?«, hakte James neugierig nach.

Noch bevor Piler ihnen allerdings die Regeln erklären konnte, öffnete sich die Tür und der haarige Riese Hagrid trat ein. Er stutzte, als er die beiden Jungs erkannte, seine Miene beruhigte sich allerdings wieder, sobald er Piler sah. »Hab die Ehre, Professor, mich dazu zu setz'n?«, fragte er nur lächelnd.

»Natürlich, Hagrid, unter uns hier bin ich Frederic«, grinste Piler.

»Wir spielen knallhartes Zauberpoker, Hagrid, wenn du genug Kohle hast, kannst du mitmachen«, fiel Sirius gleich begeistert ein, auch wenn er die Regeln noch gar nicht kannte.

James allerdings stieß ihm in die Seite und raunte: »He, wir haben nicht genug Geld dafür!«

»Aber wir sind ja nett zu dir, Hagrid, deshalb nehmen wir als Einsatz Butterbiere«, wandte Sirius sich schnell wieder an den Wildhüter.

»Aber die kosten auch was«, mischte sich James wieder ein.

»Denkste! Die bezahlt doch Dumbledore«, erwiderte Sirius mit einem breiten Grinsen. Piler gab nun jedem die Karten und die Jungs sahnten, da sie zusammen spielten, ordentlich ab.

Als sie endlich fertig waren, ging es schon gegen Nachmittag und sie verabschiedeten sich von Madam Rosmerta, um ins Schloss zurückzukehren.

Piler hatte nun noch einiges zu tun (Unterricht vorbereiten, Grindelohs fangen…), so dass die Jungs alleine in ihren Gemeinschaftsraum zurückkehrten, wo Sirius, bequem auf einem Sofa liegend, glücklich daran dachte, dass sie keine Strafarbeit mehr abzuarbeiten hatten.

»Bei Zerberus, was wir nicht alles schon für Extraarbeit hatten…«, sinnte er bei dem Gedanken daran.

»Denk dir erst mal, was wir alles noch hätten haben können, wenn die uns immer erwischt hätten«, erwiderte James, der ihm gegenüber im Fluchbuch blätterte.

»In der Zeit hätten wir viel nützlichere Dinge tun können«, überlegte Sirius.

»Ja«, stimmte James ihm zu. »Zum Beispiel den Verbotenen Wald besser auskundschaften. Hätten wir das eher mal gemacht, wäre das nie jemandem aufgefallen. War echt Pech, dass die Lehrer alle mit uns an einem Tisch sitzen!«

»Ach, Dumbledore und sein scheinheiliges Getue! Pfft!«, muckierte sich Sirius. »Erst verzichtet er großzügigerweise darauf, uns rauszuschmeißen, dann erlässt er uns noch freigiebiger die Spickoskop-Strafarbeit – und gestern lockt er uns extra in den Verbotenen Wald, um uns dann zu verknacken!«

»Weißt du was? Wir stellen ihn jetzt einfach zur Rede! Schließlich haben wir noch ein Kaffeekränzchen bei ihm offen«, entschloss sich James und sprang augenblicklich auf.

Er schmiss das Buch auf den Sessel und wollte schon rauslaufen, doch Sirius war nicht wirklich interessiert an einem Treffen mit demselben Schulleiter, der ihn erst in der Vornacht in seinem Büro erwischt hatte!

Er hob das Buch wieder auf, um vorzugeben, darin zu lesen, doch als ihn James' Blick traf, blieb ihm keine andere Wahl, als nachzugeben. Er warf das Fluchbuch verdammt knapp neben den Kamin und folgte James zu Dumbledores Büro.

Kaum fünf Minuten später standen sie vor dem steinernen Wasserspeier und gerade wollte Sirius das Losungswort sagen, da sprang er ganz allein zur Seite und Piler trat pfeifend heraus. Er erstarrte, als er die Jungs sah.

»Ach…« Sirius verschränkte die Arme anklagend vor der Brust. »…›Unterricht vorbereiten‹, ja?«

»Der Schulleiter wollte nur kurz einen Bericht über den magischen Holzwurm von mir – der gestern übrigens wieder aus Hagrids Tür ausgezogen ist«, antwortete Piler ohne zu zögern. »Was wollt ihr eigentlich hier?«

»Kaffeekränzchen«, brummte Sirius, der Piler seine Geschichte nicht so ganz abkaufte, wobei er den Lehrer mit einem prüfenden Blick maß.

»Na, dann mal, viel Spaß«, meinte Piler, der Sirius' Blick nicht zu bemerken schien, zwinkerte ihnen kurz zu und verschwand den Korridor entlang.

Während Sirius ihm noch nachstarrte, ließ sich James schon von der Treppe hochtragen.

Schulterzuckend folgte Sirius ihm letztlich doch. Da es James offenbar nicht für nötig hielt, anzuklopfen, stürmte er einfach in das Büro des Schulleiters.

»Kaffeekränzchen«, befahl er Dumbledore rau, der so aussah, als hätte er schon auf sie gewartet, was die drei Tassen bewiesen, die auf seinem Schreibtisch bereit standen.

»Gut, dass ihr endlich kommt! Ich dachte schon, der Tee wird kalt. Setzt euch«, lächelte der Schulleiter, woraufhin sich die beiden verblüfft vor seinem Tisch niederließen. »Professor Piler hat mir eben erzählt, dass ihr euch mit Madam Rosmerta wirklich gut versteht«, begann Dumbledore belanglos.

»So viel zu Hagrids Holzwurm«, murmelte James Sirius aus dem Mundwinkel zu.

Doch Sirius hatte im Moment mit dem Schulleiter über etwas viel Wichtigeres zu reden. »Das letzte Mal, als wir in Hogsmeade waren, mussten wir eine Strafarbeit abarbeiten… so ähnlich wie heute für diese Verbotenen-Wald-Geschichte«, meinte er daher, bei dem Versuch, eine aus der Luft gegriffene Verbindung zum Thema herzustellen, auf das sie Dumbledore eigentlich hatten ansprechen wollen.

Sirius stieß James an, damit er ihm auch mal etwas half, doch schon hatte Dumbledore wieder angefangen, zu sprechen: »Ja, ja, der Verbotene Wald… Ich hatte da mal eine wirklich interessante Begegnung mit Firenze…«

Sirius war es so was von egal, wer Firenze war – er wollte jetzt endlich das Geständnis von Dumbledore hören, weshalb er ihn unterbrach: »Ja, da laufen ganz schön komische Gestalten rum, die einem vergeblich versuchen, Angst einzujagen!« Sirius blickte Dumbledore direkt in die Augen, um ihn in die Enge zu treiben.

»Wir wundern uns ja schon, wer, den wir kennen, Interesse daran hätte, uns vom Verbotenen Wald fernzuhalten«, mischte sich endlich auch James mit ein.

Sirius ließ den Direktor nicht aus den Augen, als der erwiderte: »Alle Lehrer haben natürlich das Interesse, euch am Betreten des Verbotenen Waldes zu hindern. Aber am meisten natürlich…«

Sirius war sich sicher, dass Dumbledore jetzt zugeben würde, dass er ihnen diese seltsame Voraussage gemacht hatte und wartete nun gespannt.

»…Apollyon Pringle. Schließlich habt ihr den ganzen Dreck in die Eingangshalle getragen.«

Sirius starrte Dumbledore ungläubig an, aber ganz hatte er noch nicht aufgegeben. Etwas rauer, als er eigentlich vorgehabt hatte, fuhr er dem Schulleiter abermals dazwischen: »Unsinn! Pringle war zu der Zeit im Schloss! Es sei denn, Sie wollen uns erzählen, er hätte appariert…«

»Wenn du ›Eine Geschichte von Hogwarts‹ gelesen hättest, Sirius, wüsstest du, dass man im Schloss weder apparieren noch disapparieren kann.«

»Dann sind wir uns also einig, dass es Pringle ganz sicher nicht war«, mischte sich James wieder akademisch ein.

»Wir haben da einen ganz anderen Verdacht…«, meinte Sirius lauernd.

»Es gibt schon seltsame Gestalten um Hogwarts herum, aber was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte: Dieses Jahr planen wir zum ersten Mal eine Sylvesterparty im kleinen Kreis.«

Dumbledore schmunzelte die zwei an und Sirius dachte einen Moment lang ausnahmsweise nicht an ihre Beschuldigung. Doch der ging sehr schnell vorbei. Ehe er aber etwas einwerfen konnte, fuhr der Schulleiter fort: »Wir werden in Hogsmeade riesige Raketen bestellen…«

»Ach, wollen Sie uns wohl von Hogsmeade fernhalten, so wie vom Verbotenen Wald?«, unterbrach Sirius wiederum, um dem Schulleiter einmal mehr scharf in die Augen zu sehen, dessen Blick sich in den seinen bohrte, doch nun lächelte Dumbledore.

»Du glaubst doch nicht ehrlich, dass ich euch Angst machen wollte, Sirius?«

»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Sirius beleidigt, der ihm noch immer nicht glaubte, es allerdings nicht offen zuzugeben wagte.

»Ich weiß zwar nicht, was euch im Wald widerfahren ist, aber wenn ich euch vom Wald hätte fernhalten wollen, hätte ich euch schon viel früher abfangen können. Wenn ihr allerdings mit mir über euer Erlebnis reden wollt…«

Sirius tauschte einen flüchtigen Blick mit James. »Welches Erlebnis?«

Dumbledore grinste breit und nippte an seiner Teetasse. »Um noch mal auf die Raketen zurückzukommen…«


»Aber wenn's nicht Dumbledore war…«, begann James, als sie das Büro des Schulleiters verließen und auf den spärlich von Fackeln erleuchteten zweiten Korridor hinaustraten (da es bereits später Nachmittag war, wurde es draußen schon allmählich dämmerig).

»…Wer war's dann?«, vollendete Sirius seine Frage und auch er hatte keine Ahnung mehr, was er denken oder glauben sollte.

Fast hatte er das Gefühl, er hätte in den Ferien mehr zum Nachgrübeln zu bewältigen, als während der Schulzeit.

»Aber eigentlich interessiert mich viel mehr, ob das nur ein Scherz war, oder was das sonst zu bedeuten hatte…«, überlegte er dann. Doch bevor sie noch weiter spekulieren konnten, trat Piler um die Ecke, vor sich her trug er eine große Kiste.

»Ach, hi! Unterricht schon zu Ende vorbereitet?«, fragte Sirius, der noch immer etwas eingeschnappt war.

»Nee«, grinste Piler, wobei er den scheinbar ziemlich schweren Behälter neben sich abstellte, »aber dafür bleibt ja noch genug Zeit!«

James besah sich unterdessen eingehend die Kiste. »Und was ist das?«, wollte er neugierig wissen.

»Noch ein paar Teleobjektive. Ich bin auf dem Weg zu Professor Highking, der meinte, wir haben heute eine sternklare Nacht. Kommt doch auch einfach mit!«

»Nee, danke, von Teleobjektiven haben wir heute die Nase voll«, entgegnete Sirius sofort.

»Ach, schade, dabei meinte Professor Highking, in dieser Woche soll man einige Sternbilder ganz besonders gut sehen, zum Beispiel die ›Giraffe‹ oder ›Monoceros‹, das Einhorn…«

James zuckte etwas unbeholfen mit den Schultern, während Piler seinen Kasten wieder aufhob. »Na ja, gut, dann sehen wir uns ja beim Abendessen.« Piler wirkte zwar etwas enttäuscht, setzte aber seinen Weg nach einem letzten Abschiedsgruß den Gang hinunter fort.

Sirius und James wandten ihre Blicke endlich vom Lehrer ab, dann sahen sie sich an und James schlug für den weiteren Tagesablauf vor: »Schneeballschlacht, auf den Schlossgründen?«

Draußen hatte es aufgehört zu schneien und die Sterne würden sicherlich genug Licht abgeben… zudem war in ein paar Tagen Vollmond. Sirius grinste und meinte: »Klar! Vielleicht können wir ja Frederic auch überreden, mitzumachen!«

Sie hatten außer Piler auch noch Highking und Flitwick (bei dem einige Überredungskünste von Frederic nötig gewesen waren) abgefangen und so kamen sie erst wieder durchnässt aber glücklich in ihrem Gemeinschaftsraum an, als nicht mal mehr der Schnee, die Sterne und der Mond genügend Licht spendeten.

Highking und Piler wollten sie nochmals überreden, Sterne zu gucken, aber Sirius und James dachten sich, dass sie in der Schulzeit schon genug mit diesem Sternmist zu tun hatten.

tbc...