Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Neunzehntes Kapitel

Schuldig oder Unschuldig


Sirius schmeckte das Frühstück zum ersten Mal seit drei Tagen wieder, als er neben James saß und sich über die Hufflepuff, mit der er hatte zusammenarbeiten müssen, lustig machte.

Unerwartet stürmte Specter zu ihnen, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »Hi! Habt ihr schon mitbekommen? Sparks' Koffer ist verschwunden. Mitsamt Inhalt. Der hat im Gemeinschaftsraum allen die Hölle heiß gemacht. Du magst den doch sowieso nicht, oder?«, erzählte er fröhlich.

»Ach, und deshalb glaubst du, er hat das verdient!« James hob prüfend eine Augenbraue.

»Ist doch lustig, der ist jetzt völlig aufgeschmissen! Ich hab jemanden sagen hören, dass er gerade in die Eulerei ist, um seine Eltern zu bitten, ihm ein paar Umhänge und so ein Zeug zu schicken!« Als niemand darauf etwas erwiderte, fügte er etwas irritiert hinzu: »Sagt mal, was ist denn mit euch los? Ist doch echt der Witz des Tages, oder?«

Die Jungs blickten sich nur vielsagend an, woraufhin Specter schulterzuckend abzog, um die Neuigkeit ein paar Siebtklässlern zu überbringen.

Remus schlug ›Die Unendliche Geschichte‹, in der er las zu, steckte den Kopf näher zu seinen Freunden und flüsterte drängend: »Langsam wird es ja wohl sehr auffällig! Wir sollten es wirklich bald einem Lehrer erzählen!«

»Und wem, bitte schön! Dumbledore vielleicht, der uns eh nicht traut, sondern Lehrer auf uns ansetzt!«, erwiderte Sirius daher zynisch.

»Die Schreckschraube können wir ja sowieso vergessen! Wenn wir einen ihrer Schüler verdächtigen, ist der Ofen aus«, stimmte auch James neutral zu.

»Klar, wir gehen einfach zu Brewpot! Das ist doch die Lösung! Der schmeißt uns mit Genugtuung raus«, blaffte Sirius.

»Kein Lehrer – und ich meine, wirklich keiner – wird uns wegen einer harmlosen Verdächtigung rauswerfen«, belehrte Remus sie einleuchtend, womit er mal wieder Recht behielt.

»Wie wär's denn mit Professor Sprout?«, schlug Peter schüchtern vor. Das war Sirius noch nicht mal eine Entgegnung wert.

»Ich dachte eigentlich an Professor Piler«, erklärte Remus überzeugt, womit er sein Buch wieder aufschlug, um sich dahinter zu verkriechen.

Er erwartete anscheinend schon die Reaktion von Sirius, die auch sogleich kam. »Vergiss es!«, schnauzten Sirius und James nämlich zusammen.

»Aber denkt doch mal logisch nach: Er ist ziemlich locker drauf und wird wegen einer Beschuldigung – eines konkreten Gedankens – nicht gleich an die Decke gehen. Und gesetzt den Fall, dass er nicht unserer Meinung ist, wird er nicht sofort alles ausplaudern«, erläuterte Remus seine Wahl, ohne von der ›Unendlichen Geschichte‹ aufzusehen.

Sirius blickte James mit dem Gedanken an, dass er es hasste, wenn Remus so unbestritten Recht hatte! Auch James nickte ihm mit zusammengekniffenen Lippen zu, was Remus ebenfalls mitbekam, da er doch endlich aufsah, wahrscheinlich, um die Reaktion der beiden besser beobachten zu können.

»Jetzt gleich?«, knurrte Sirius.

»Nein, wir haben in den letzten beiden Verteidigung. Das reicht auch noch«, erwiderte Remus gut gelaunt, wobei er sein Buch endgültig zuschlug, um sich gänzlich seinem Essen widmen zu können.


Missmutig schaute Sirius in der vierten Stunde auf seine Uhr, die ihm zu seinem Bedauern mitteilte, dass bald Pause war, was bedeutete, dass sie gleich zu Piler vorgehen mussten. Er nahm Blickkontakt mit James auf, der ergeben nickte.

Die letzten Minuten schienen überhaupt nicht zu vergehen, doch schließlich gongte es und die vier Jungs warteten, bis ihre Klassenkammeraden alle in die Pause verschwunden waren. Langsam trödelten Sirius und James, Peter im Schlepptau, zum Pult vor. Piler, der an seinem Schreibtisch die eingesammelten Aufsätze sortierte, blickte ihnen überrascht entgegen und seine Miene hellte sich auf.

Als sie endlich vor dem Pult angelangt waren, entschloss sich Sirius, das Ganze Remus zu überlassen, denn es war ja sowieso alles seine Idee gewesen!

Doch Remus starrte ihn nur erwartend an, bis Piler als erster das Wort ergriff: »Na, Jungs, was wollt ihr denn von mir?«

»Wir wollten Ihnen beim Aufklären des Falles bezüglich der verschwindenden Sachen in Gryffindor helfen, da Sie das ja als Verteidigungslehrer alleine nicht hinbekommen«, fuhr Sirius ihn an, wofür er einen Stoß in die Rippen von Remus erntete.

»Na, dann lasst mal hören, ihr Hobbyauroren!«

Diesmal war es James, der um einen neutralen Ton bemüht erklärte: »Wir vermuten, dass es Specter ist.«

Piler sah die vier fragend an, worauf Sirius James' Ausführung etwas präzisierte: »Der ist letztes Jahr nämlich durchgerasselt und hat deswegen einen Fluch auf Hogwarts gelegt. Außerdem freut er sich jedes Mal diebisch, wenn irgendwas verschwindet!«

»Hmmm…«, Piler schien nachdenklich zu werden, »Ich kann das ja mal bei Gelegenheit bei Dumbledore ansprechen.«

Noch bevor Remus ihn diesmal zurückhalten konnte, platzte Sirius heraus: »Ja, Ihrem alten Freund Dumbledore, mit dem du dich… äh, Sie sich gegen uns verbündet haben!« Musste er sich ausgerechnet jetzt in der Anrede versprechen, wenn er Piler eigentlich beschuldigen wollte!

Piler schien das ebenfalls bemerkt zu haben, denn er grinste sie an: »Ich habe euch bereits gesagt, dass das nur zu eurem Besten war…«

»Hören Sie endlich auf, uns zu duzen, Frederic«, blaffte Sirius ungehalten, um sich daraufhin wieder gegen die Stirn zu schlagen. Sein gemurmeltes »Professor« ging in dem Gelächter der anderen unter.

»'tschuldigen Sie, Sirius, wird nicht wieder vorkommen«, lachte der Lehrer.

»Achtung, eine Durchsage! Jetzt sofort wird im Lehrerzimmer eine – also, alle Lehrer treffen sich im Lehrerzimmer, will ich damit sagen! Ende der Durchsage«, schallte Flitwicks Stimme plötzlich magisch verstärkt durch das ganze Schloss.

Die Jungs und Piler hielten in ihren Lachanfällen inne und der Lehrer meinte gehetzt: »Leute, ich fürchte, wir müssen unsere Versöhnung verschieben… Bis nachher!«

Als er schon mit wehendem Umhang nach draußen verschwunden war, brachte Sirius endlich heraus: »Welche Versöhnung!«

»Hab dich nicht so! Los, wir gehen lauschen«, meinte James gleich tatendurstig.

»Das ist doch aber sicher verboten!«, mischte sich Peter kleinlaut mit ein.

»Schlaukopf! – Deswegen heißt es ja auch ›lauschen‹«, war Sirius' einzige Antwort, ehe sie sich Richtung Lehrerzimmer in Bewegung setzten.

Als sie dort ankamen, hatten sich bereits alle Lehrer eingefunden. Das Lehrerzimmer wurde von zwei steinernen Wasserspeiern flankiert, welche die unrechtmäßigen Eindringlinge gönnerhaft begutachteten, sich jedoch jedes Kommentars enthielten, bis die vier die Ohren schamlos gegen die Tür drückten.

»Na, ihr habt hier aber nichts in der Lehrerbesprechung verloren, oder?«, griente der eine dann schließlich, doch Sirius hinderte das nicht daran, den Sinnesverstärker, »Animadversiomentis roboro«, anzuwenden, sodass sie klar und deutlich verstehen konnten, was innerhalb des Raums gesprochen wurde.

»Der ganze Gryffindor-Tisch war von einem Moment auf den anderen einfach verschwunden! Augenzeugen haben mich umgehend konsultiert. Ihren Berichten nach saßen sie plötzlich am Boden, da jegliche Sitzgelegenheiten sich ebenfalls aufgelöst hatten«, hörten sie Dumbledores Stimme.

»Langsam wird die Lage ernst. Wenn es so weitergeht, stehen am Ende des Schuljahres nur noch die Grundmauern von Hogwarts«, meinte Flitwick besorgt und Piler fügte resignierend hinzu: »Wenn überhaupt noch!«

»Man muss etwas dagegen unternehmen«, fuhr Flitwick unbeirrt fort.

»Haben Sie denn einen Verdacht, Albus?«, wollte nun McGonagall wissen.

»Mindestens so viele, wie wir Schüler haben«, seufzte Dumbledore nur hoffnungslos.

Vorsichtig schaltete sich Piler wieder ein: »Vielleicht ist es ein älterer Schüler, der Rachegelüste an der Schule hegt…«

»Zum Beispiel?«, fragte die Schreckschraube zweifelnd nach.

»Es wurde an Andrew Specter gedacht«, beendete Piler seinen Bericht.

»Trauen Sie das wirklich einem Gryffindor zu?«, entrüstete sich McGonagall.

»Tja, Frederic ist eben so fair, nicht immer alles nur den Slytherins in die Schuhe zu schieben. Gryffindors sind schließlich auch keine Unschuldlämmer!«, mischte sich eine unbekannte Stimme mit ein – vermutlich die Slughorns, immerhin war er Hauslehrer der Slytherins.

»Ich persönlich würde die Schan… – ich meine natürlich, Sirius Black vorschlagen«, meldete sich Brewpot nun zu Wort.

Vor der Tür war Sirius schon wieder drauf und dran hineinzustürmen, wurde allerdings von drei Armpaaren zurückgehalten.

Auch innen war eine hitzige Diskussion entbrannt, bis schließlich Dumbledore aufräumte: »Ruhe, bitte! Wir wollen hier nicht Schuldige-Raten spielen. Wenn es danach ginge, kämen wohl viele in Frage! Wir sollten uns stattdessen ernsthafte Gedanken machen, wie wir weitere Verluste in Gryffindor unterbinden können! – Jaspar, ist Ihr Verdacht gegenüber Sirius Black begründet?«

»Nein«, warf Piler ein. »Sirius und seine Freunde waren bei mir im Klassenzimmer, als die Durchsage kam! Er hat nichts damit zu tun!«

»Gut, dann denken wir alle noch mal vernünftig darüber nach, was zu tun ist. Und teilen Sie den Klassen mit, dass sie sich zum Essen auf die anderen Tische verteilen sollen«, beschloss Dumbledore die Sitzung.

Sirius konnte gerade noch den Sinnesverstärker wieder aufheben und im nächsten Moment wurde auch schon die Lehrerzimmertür aufgerissen. Ausgerechnet Brewpot starrte die vier Jungs, die sich nicht schnell genug in Sicherheit hatten bringen können, böse an.

»AHA! Da haben wir auch schon die Übeltäter«, rief er triumphierend, doch Piler drängte sich schnell zu ihm durch.

»Nein, nein, Jaspar, ich habe ihnen gesagt, dass sie hier auf mich warten sollen!«

»Hä? Ich denke, ihr seid zerstritten! Jedenfalls hast du mir die ganze vergangene Woche die Ohren deshalb vollgeheult, Fred«, mischte sich nun Professor Jones, der Runenlehrer, mit ein, der mit seiner blitzenden Aktentasche an der Tür erschien.

»Danke, Mat, dass du mich vor meinen Schülern bloßstellst«, knirschte Piler gespielt beleidigt.

»Bitte, gerne, Kumpel«, grinste Jones mit einem Zwinkern zu den Jungs und verschwand Richtung Runen-Korridor.

Langsam drückten sich alle Lehrer an ihnen vorbei (Dumbledore schien ein klein wenig überrascht, die vier Jungs vor dem Lehrerzimmer anzutreffen), so dass Piler sie aus dem Weg zog. »Also, Jungs…«, begann Piler, doch Sirius unterbrach ihn: »Danke, Frederic, ich hatte echt keine Lust auf Strafarbeit!«

Piler lächelte glücklich über Sirius' Vergebung und meinte: »Ihr habt ja sicherlich gehört, dass eure These nicht sehr auf Anklang gestoßen ist… Ihr müsst mir erst Beweise liefern, bevor ich irgendwas tun kann!«

»Danke, dass wir deine Probleme lösen dürfen«, maulte Sirius freundschaftlich.

In diesem Augenblick gongte es zum Ende der Pause und die fünf machten sich zusammen zum Verteidigungszimmer auf.


Sirius ließ seinen Blick abschätzend über die drei völlig überfüllten Haustische schweifen, wobei ihm auffiel, dass der Tisch der Slytherins noch ziemlich leer war. Allerdings hatte er absolut keine Lust, sich zu Bellatrix oder Narzissa zu setzen! »Setzen wir uns doch einfach am Lehrertisch zu Piler dazu«, schlug er vor.

Remus verdrehte die Augen. »Nein, am Ravenclaw- und Hufflepuff-Tisch sind eindeutig noch Plätze frei, da können wir uns nicht einfach so an den Lehrertisch setzen!« Damit schritt er den anderen voran auf den Ravenclaw-Tisch zu, die ihm ergeben folgten. (Solange er nicht an den Hufflepuff-Tisch ging, dachte sich Sirius schulterzuckend.)

»He, hallo, Sirius«, begrüßte ihn eine vage bekannte Stimme. Sirius blickte sich um und erkannte Nelson. Klasse. »Na, wie geht's so? Soll ich euch immer Plätze freihalten, bis ihr wieder selbst einen Tisch habt?«, fragte der sehr zuvorkommend nach.

»Das kann dauern, wir haben noch nicht mal wieder eine Treppe«, murrte Sirius, während Remus lächelte: »Das wäre sehr nett! Ich bin übrigens Remus!«

»Ich bin Nelson!«

Sirius verdrehte nur die Augen bei dem Smalltalk, der nun zwischen Nelson und Remus folgte. James stieß ihn plötzlich an und deutete hinüber zum Slytherin-Tisch, wo Snape gerade zusammen mit Wilkes ein großes Pergament am Tisch befestigte, auf dem stand: »Gryffindors verboten!«

Doch dieses Plakat hing nicht lange, denn sobald die Schreckschraube es erblickte, eilte sie wutentbrannt zu ihnen, um es zu zerreißen.

»…Strafarbeit!«, hörten sie sie bis zum Ravenclaw-Tisch brüllen. Sirius grinste nur hämisch.


»Endlich«, stöhnte Remus, als sie am nächsten Morgen schon zeitig die Große Halle betraten. Professor Dumbledore und die Schreckschraube standen auf dem leeren Platz, an dem sich sonst der Gryffindor-Tisch befand, und der Schulleiter schwang den Zauberstab: »Mensam appeto!« Nichts geschah, weder tauchte ein Tisch auf, noch irgendetwas anderes.

»Tabulam adiuro«, versuchte es nun McGonagall, sehr zu Dumbledores Genugtuung, da es auch bei ihr nicht funktionierte.

»Soll ich es auch einmal versuchen, Direktor?«, quäkte Flitwick vom Lehrertisch quer durch die Halle, was für unglaubliche Belustigung unter den Schülern sorgte.

Schließlich war die Wahrscheinlichkeit doch sehr gering, dass Professor Flitwick es schaffte, wenn selbst Dumbledore persönlich nicht weiter wusste.

»Ich fürchte, dass unsere Bemühungen wie mit der Treppe in Gryffindor nichts fruchten«, seufzte Dumbledore, der sich offensichtlich bemühte, schnell wieder an seinen Tisch zu kommen.

»Klasse. Also los zum nervenden Nelson«, stöhnte auch Sirius enttäuscht.

»Leute…«, fragte James, als er einen Toast verschlang, »…Voll'n vir unf wiklif diefef Fpiel anfauen?«

»Steck noch 'nen Toast rein, dann verstehen wir dich besser«, spottete Sirius.

»Ich mein…«, James schluckte mühevoll den großen Bissen herunter. »…Wollen wir uns dieses saumäßige Spiel echt anschauen? Kein Quidditch ist peinlicher, als eines, das nur von Frauen verloren wird!«

»Also ehrlich, ehe ich mir das anschaue, lerne ich lieber Zaubertränke«, erklärte Sirius ernst.

»Das wäre eigentlich mal keine schlechte Idee«, meinte Remus tadelnd.

»Wir könnten währenddessen Hagrid besuchen, oder?«, schlug Sirius vor, ohne Remus zu beachten.

»Okay. Lasst uns gehen!« James sprang auf und war schon auf halbem Weg in die Eingangshalle, während Sirius nur noch wehmütig seinen halb gegessenen Toast anblickte, ihn dann aber liegen ließ, um seinen Freunden zu folgen.

Doch weiter als bis zum Tor kamen sie nicht, denn dort erschien plötzlich spukend und frohlockend – »Peeves«, stöhnte James nur.

»Black lässt schon wieder was verschwinden«, gackerte Peeves, während er vor Schadenfreude mit seinem hellorangenen Hut jonglierte.

»Wenn du hier nur Privatdetektiv spielen willst, dann tu das mit jemand anderem und lass uns durch«, blaffte James genervt.

»Hehehe, der kleine Potter wird frech, glaubt es einem weisen Geist wie mir nicht. Soll doch mal selber schauen gehen, vielleicht merkt er dann, was der kleine Black mit dem Gemeinschaftsraum angestellt hat!« Mit einem schrillen Aufkreischen verschwand Peeves durch die Decke.

Sirius und James sahen sich kopfschüttelnd an, worauf sie sich wieder in Bewegung setzen wollten, um endlich Hagrid besuchen zu gehen, doch Remus hielt sie zurück: »He Leute, sollten wir nicht doch mal lieber gucken gehen?«

»Der hat doch eh nur wieder gesponnen«, winkte Sirius ab, aber James widersprach: »Aber er war verdächtig gut drauf!«

Schicksalsergeben folgte Sirius letztendlich den anderen die Treppe hinauf.

»Toujours pur«, sagte Remus das Passwort (Sirius ballte im Stillen die Fäuste) und Nigellus meinte: »Gut gemacht, kleiner Black!« Sirius schüttelte erneut nur den Kopf, bevor das Porträt zur Seite schwang und ihnen eine Schneewehe entgegenbrauste.

»Was ist denn hier los!«, schrie Remus über den pfeifenden Wind, als sie sich durch die Eiseskälte in den Gemeinschaftsraum vorkämpften. Überall lag Schnee: Auf den Sesseln, auf dem Boden und auf den Büchern, das Kaminfeuer war schon erloschen – und die gesamte linke Wand fehlte.

»Würgende Wasserspeier, ich glaub's nicht«, stieß Sirius nur baff hervor.

Doch noch bevor ein anderer etwas erwidern konnte, öffnete sich das Porträt erneut und der ÜV stürmte herein.

Er setzte dazu an, etwas zu sagen, doch dann riss ihn der Sturm fast von den Beinen, so dass er nur noch fluchte: »Grinsender Gargoyl, was ist das denn hier! Ich muss sofort Professor McGonagall informieren! Rührt euch nicht vom Fleck!«

Damit stürmte er auch schon wieder hinaus. Irritiert blickten sich die Jungs an, bis James einige Schritte an den Rand des Turmes herantrat, um nach unten zu sehen.

»Mann, ist das tief«, staunte er – und strauchelte plötzlich. Sirius hechtete nach vorn und packte im allerletzten Augenblick seinen Mantel, ehe er noch aus dem Turm stürzen konnte.

»Hey, hier bleiben«, rief er erschrocken, als er James wieder ins Gleichgewicht brachte. Dieser fiel gleich mit wackeligen Beinen nach hinten und begrub Sirius halb unter sich. Ihre Blicke trafen sich – und beide lachten los.

»Was ist denn… ach du meine Güte«, die Schreckschraube hatte den Gemeinschaftsraum betreten. »Mr Potter, Mr Black – die Wand… ich rufe den Schulleiter!« Damit eilte sie wieder nach draußen, nicht ohne sich noch einmal zu den vier Erstklässlern umzuwenden: »Und dass Sie mir ja nichts anstellen, solange ich weg bin!«

Von draußen hörten sie Nigellus' neugierige Frage: »Ist schon einer tot? Ist schon jemand abgestürzt? Ich hoffe doch sehr, es war mein Ururenkel!«

»Danke, Nigellus! Aber den Gefallen tu ich dir nicht«, schrie Sirius ihn an.

»Kommt ihr mal ein bisschen weg da«, beeilte sich der ÜV zu sagen, wobei er Sirius und James durch den Schnee zu einem Sessel zerrte. »Seid ehrlich«, der Vertrauensschüler setzte sich mit wichtigtuerischer Miene ihnen gegenüber. »Wart ihr das?«

»Nein«, empörten sich Sirius und James gleich, während Remus eher gekränkt wirkte.

»Glaubt ihr wirklich, dass das seine Schuld ist?«, fragte er Sirius, James und Peter betont.

»Wessen Schuld!«, schaltete sich der ÜV sofort ein.

»Einer von uns müsste runtergehen und ihn fragen, ob er schon was davon weiß…«, schmiedete James seinen Plan, ohne auf Lewis zu achten.

»Hier geht überhaupt keiner weg, bis Direktor Dumbledore hier ist«, fiel der verschnupft ein.

Schnaubend erhob sich Sirius, um trotzdem zu gehen (oder gerade weil Lewis es ihnen verbieten wollte; seit wann ließ er sich irgendwas von einem Möchtegern-Vertrauensschüler sagen!), da wurde das Porträtloch geöffnet und Dumbledore kam herein. Sirius ließ sich vorsichtshalber auf seinen Sessel zurücksinken.

»Galoppierende Gorgonen«, staunte der Schulleiter nur, als er sich das Ausmaß des Schadens besah. Er ließ seinen Blick über die fünf mehr oder weniger verschreckten (in Peters und Lewis' Fall mehr, in Sirius und James Fall eher weniger) Schülergesichter wandern, dann konzentrierte er sich wieder auf die nicht vorhandene Wand.

»Es wird wohl kaum einen Sinn haben, eine Mauer heraufzubeschwören, nach dem das bei der Treppe und dem Tisch auch nicht funktioniert hat, was denken Sie, Minerva?«

Er wechselte einen Blick mit der Schreckschraube, ehe er fortfuhr: »Errichten wir einfach eine Schutzfeld!«

Damit schwang er kunstvoll seinen Zauberstab, so dass sich eine Art Regenbogen vom Boden bis zur Decke zog und Wind und Schnee aussperrte, woraufhin die Farben wieder verblassten und das Schutzfeld wieder unsichtbar wurde. Mit einem weiteren Schlenker des Zauberstabs zauberte er auch die dicke Schneeschicht weg und entflammte den Kamin.

»Warum seid ihr eigentlich hier oben? Wollt ihr das Quidditchspiel denn nicht sehen?«, wandte sich Dumbledore jetzt freundlich an die Schüler.

Sirius wunderte sich, dass Dumbledore sie nicht gleich offen beschuldigte, etwas damit zu tun zu haben.

»Ich wollte nur noch meinen Gryffindor-Schal holen, Sir«, rechtfertigte sich der ÜV sofort.

»Wir auch«, log Sirius schnell.

»Aber Peeves hat doch…«, meinte Peter, aber trotz der hastigen Gegenmaßnahme von Remus – nämlich einem Knuff in die Seite – fixierte Dumbledore Peter mit seinen blauen Augen.

»Ja, Peter?«

Ehe Sirius irgendetwas einfiel, was er für Peter erwidern konnte, mischte sich die Schreckschraube ein: »Also, dann holen Sie Ihre Schals!«

Der ÜV erhob sich sogleich, um sich einen Besen zu schnappen und nach oben zu verschwinden, während Sirius es auf den Punkt brachte: »Wir haben eigentlich gar keine Gryffindor-Schals!«

Irritiert blickten die Lehrer sie an. McGonagall setzte schon an, ihnen eine Standpauke zu halten, da wies Dumbledore lächelnd zum Ausgang: »Nach euch!«

»Eigentlich wollten wir auch gar nicht zum Quidditchspiel«, gestand Sirius, der die Situation sowieso schon für verloren hielt.

Diesmal konnte sich die Schreckschraube nicht mehr zurückhalten: »Jetzt reicht's aber wirklich! Sie können uns hier nicht einfach einen Haufen Lügen auftischen, wie es Ihnen passt! Sie sollten uns, als Ihre Lehrer, ein wenig mehr Respekt entgegenbringen, sonst müssen wir strengere Maßnahmen ergreifen, da Sie sich ja aus Strafarbeiten anscheinend auch nichts mehr machen! – Mr Lupin, Mr Pettigrew, damit meine ich nicht Sie.«

(Remus' Gesicht entspannte sich allmählich wieder.)

»Was haben Sie eigentlich hier gemacht, wo Sie angeblich kein Interesse am Quidditchspiel haben?«, fauchte McGonagall haltlos.

»Na, entschuldigen Sie mal, wie soll man denn an diesem Weiber-Quidditch Interesse zeigen! Die können doch keinen Schnatz von einem Quaffel unterscheiden! Wie Sie im letzten Spiel wohl gesehen haben… 400 zu 10! Ich bitte Sie!«, regte sich Sirius auf, woraufhin Dumbledore sich einschaltete: »Ich wundere mich, dass du das überhaupt weißt, da du dich zu dem Zeitpunkt in der Eingangshalle mit James duelliert hast.«

»Danke, das Ergebnis haben wir von Brewpot oft genug gehört!«

»Also, das ist ja wohl der Gipfel der Frechheit!«, entrüstete sich McGonagall, die rot anlief, doch Dumbledore hob beschwichtigend die Hand. »Ich glaube, eine Strafarbeit bei Mr Pringle wäre mal wieder angebracht«, stellte der Schulleiter fest.

In dem Moment landete der ÜV völlig aufgelöst neben den anderen Besen. »Mein Schal ist weg!«

»Sie können meinen haben, mir ist die Lust vergangen«, knirschte die Schreckschraube sauer, womit sie hinaus stampfte.

»Vielleicht hältst du dich in nächster Zeit etwas zurück«, riet Dumbledore Sirius freundschaftlich, woraufhin er ihr summend hinausfolgte.

Der ÜV fragte verzweifelt: »Also, kommt ihr jetzt, oder was?« Als er ignoriert wurde, stürmte auch er aus dem Gemeinschaftsraum, so dass die vier Jungs schließlich alleine zurückblieben.

»Sirius, sei in nächster Zeit mal ein wenig netter, freundlicher und höflicher. Das bringt dir vielleicht ein paar Pluspunkte bei Professor McGonagall ein. Und die hast du nach dem Auftritt wohl mehr dringend nötig«, maßregelte Remus ihn sogleich.

»Warum hab ich nur andauernd das Gefühl, dass Dumbledore uns immer genau durchschaut?«, überlegte Sirius, ohne auf Remus einzugehen.

Doch als er auf James' Blick traf, las er nur Ernsthaftigkeit darin. »Ohne dir jetzt in den Rücken fallen zu wollen, Kumpel, aber Remus hat schon irgendwo Recht«, gab James ruhig zu.

Sirius sah ihn verständnislos an. »Dann lasst uns jetzt endlich Hagrid besuchen gehen«, lenkte er ab und erhob sich ohne ein weiteres Wort.


Als sie auf dem Weg zurück ins Schloss waren, musste Sirius noch immer über Dumbledores Ratschlag nachdenken. In gewisser Weise konnte er nicht abstreiten, dass etwas Wahres daran war, wenn sogar James ihm sagte, dass er sich gegenüber den Lehrern besser benehmen sollte.

Das würde ja Zurückhaltung bedeuten… Zurückhaltung… seit wann hielt sich ein Black denn schon zurück! Auch während sie bei Hagrid eine Tasse Tee getrunken hatten, hatte er unablässig darüber nachdenken müssen, weshalb er von dem Besuch nicht viel mitbekommen hatte.

Kurz vor dem Tor wurden sie von drei jubilierenden Ravenclaws eingeholt, die meinten: »Mann, haben wir euch platt gemacht!«

»Wieso? Wie viel stand's denn?«, hakte James unbeeindruckt nach.

»630 zu 20«, brüllte ein Ravenclaw vor Lachen.

»Wartet nur, bis wir im Gryffindorteam sind«, prahlte Sirius. »Dann machen wir euch gründlich fertig!«

Doch die Ravenclaws waren schon weitergezogen, wobei sie vor Freude ein Lied angestimmt hatten.


Den Sonntag verbrachte Sirius damit, Kessel zu putzen (wobei er letztendlich ernsthaft über mehr Zurückhaltung gegenüber Autoritätspersonen nachdachte), während Pringle ihm lauernd über die Schulter spähte.

Völlig erledigt zog er sich schließlich in den Gemeinschaftsraum zurück, wo James, Remus und Peter schon ungeduldig auf ihn warteten, da es bereits gegen neun Uhr abends ging. »Ich hasse Pringle«, seufzte Sirius nur, als er sich in einen Sessel fallen ließ.

»Komm schon, schmeiß dich in die Koje, wir müssen morgen früh raus«, riet James brüderlich.


Mitten in der Nacht stand Sirius wieder auf, da er sowieso wie üblich nicht schlafen konnte, um seine Hausaufgaben zu machen, die er bisher völlig ignoriert hatte.

Er vollendete gerade seinen Geschichtsaufsatz, als er ein leises Surren hinter sich hörte. Müde drehte er sich herum und warf seine Feder auf den Tisch, als er James seinen Nimbus gegen die Wand lehnen sah. Der ließ sich neben ihm in einen Sessel fallen.

»Jetzt kenn ich endlich das Geheimnis deines Erfolgs: Nachts lernen«, grinste er verschlafen.

»Tja, ich hab eben mal über deine, Remus' und Dumbledores Worte nachgedacht…«, gestand Sirius, wobei er den Aufsatz zusammenrollte. »…Und da dachte ich mir, dass ich besser doch mal Hausaufgaben mache, ehe die Schreckschraube mich gänzlich rauswirft.«

»Kluger Kopf«, stellte James herzlich fest. Beide rückten näher an die nicht-existente Wand heran und blickten in den Sternenhimmel.

»Mann, dieser ›Drakon‹ ist echt heller als der Polarstern«, staunte Sirius nach einer Pause der Stille.

»Na ja, Freundschaft halt…«, murmelte James.

Als Sirius zu ihm hinüberblickte, merkte er, dass sein bester Freund schlief…


Im Gegensatz zu Sirius war James am nächsten Morgen natürlich ausgeschlafen. Sirius gähnte selbst in Zaubertränke noch herzhaft, als sie einen Färbetrank zusammenmischen sollten.

Da James alles unter Kontrolle zu haben schien (und Brewpot in seinem Büro war), beschloss Sirius, ein Nickerchen auf seinem Bücherstapel einzulegen. Doch er hatte die Augen noch nicht ganz geschlossen, als ein schriller Pfiff ihn wieder hochschreckte.

Irritiert sah er sich um und registrierte, dass James eine kleine, silberne Pfeife, wie sie auch um seinen eigenen Hals hing, im Mund hatte. James nickte nur zur Tür, die in dem Moment von Brewpot aufgestoßen wurde.

»Wieso hast du mich nicht einfach angestupst?«, raunte Sirius leicht verärgert.

»Pfeifen macht mehr Spaß! Außerdem haben wir die Dinger noch nie ausprobiert«, grinste James.

»He, Black!« Snape drehte sich in der Reihe vor ihnen in dem Moment um und sah Sirius mit einem süffisanten Grinsen an.

»Was willst du, Snape!«, fragte James an Sirius' statt uninteressiert, wobei er den Slytherin böse anfunkelte.

»Ich hab gehört, du bist in Wirklichkeit Pilers Sohn! Stimmt das?«, redete Snape unbeirrt weiter, ohne James anzusehen.

»Ja klar, und McGonagall ist meine Mutter, weißt du!«, entgegnete Sirius, der sich ernsthaft fragte, ob Snape glaubte, er könne ihn mit einer solchen aus der Luft gegriffenen Aussage in irgendeiner Hinsicht ärgern…

»Das würde natürlich alles erklären!«, setzte Snape noch immer hämisch grinsend hinzu. »Aber dir ist schon klar, dass dein Daddy dich eigentlich gar nicht unterrichten darf, oder!«

Sirius wollte schon etwas erwidern, da tauchte James seinen Löffel in den köchelnden Zaubertrank, fuhr herum und spritzte die Flüssigkeit auf Snapes fettige, schwarze Haare – die sich in Sekundenbruchteilen hufflepuffgelb verfärbten.

Gerade in dem Augenblick kam Brewpot aus seinem Büro zurück. Der Lehrer erfasste die Lage mit einem Blick und stampfte mit einem grimmigen Lächeln auf Sirius und James zu. Er fixierte sogar Remus und Peter, die einfach nur unschuldig hinter ihnen saßen.

»Das, liebe Freunde, gibt eine saftige Strafarbeit! Ich werde dafür sorgen, dass Sie sich die Finger wund arbeiten, so wahr ich Jaspar Brewpot heiße«, knurrte er vergnügt.

Die vier Freunde tauschten nur erzürnte Blicke, doch keiner von ihnen traute sich, etwas zu sagen. Während Sirius noch an seinem neuen Leitsatz festhielt (Zurückhaltung, Zurückhaltung, Zurückhaltung), zauberte Brewpot Snapes Haare wieder in ihre ursprüngliche Farbe zurück und gab Slytherin als Wiedergutmachung zwanzig Punkte.

Grummelnd blickten die anderen Gryffindors die beiden besten Freunde an, welche den Slytherin schon wieder einen Vorsprung verschafft hatten. Genau genommen, stellte Sirius plötzlich glücklich fest, konnte nur James etwas dafür. Das hieß ja, dass sein neuer Leitsatz funktionierte…

Am Abend schließlich bekamen sie eine Notiz zugestellt, auf der stand, dass sie sich Donnerstagnachmittag bei Madam Pince in der Bibliothek für ihre Strafarbeit einfinden sollten. Unterzeichnet war mit M. McGonagall. Überrascht blickten sich die Jungs an, da sie eine weit härtere Strafe erwartet hatten.

»Tja, das ist wahrscheinlich die Wiedergutmachung von der Standpauke vorm Quidditchspiel«, stellte Remus überzeugt fest.

»Das war ja wohl das Mindeste«, knurrte Sirius missgelaunt.

Peter, der sich plötzlich ein Herz fasste, meinte in einem Anfall von Mut: »Das ist ganz schön unfair, wenn wir immer wegen euch Strafarbeiten kriegen!«

Sirius, sowieso schon nicht gut auf die ganze Welt zu sprechen, funkelte ihn an: »Willst du uns denn irgendetwas damit sagen, Peter Pettigrew! Wirfst du uns etwa vor, wir seien unfair!«

»Nein, nein…«, nuschelte Peter, der unter Sirius' strengem Blick den Kopf einzog.

Noch während Sirius den kleinen Jungen böse anstarrte, stieß James ihm den Ellenbogen in die Seite und stand auf.

Während sich Sirius noch erhob, um James aus der Halle hinaus zu folgen, überlegte er sich, dass James wohl der einzige war, für den er aufhören würde, Peter zu ärgern.

»Mann, was sollte das denn jetzt? Den hab ich gerade so richtig schön eingeschüchtert«, regte sich Sirius auf.

»Na komm, der ist schließlich unser Freund… Da musst du deine Wut nicht ausgerechnet an Peter auslassen!«

Sie hatten fast die Marmortreppe erreicht, als Sirius' Blick zurück zur Halle schweifte, wo eben Snape zusammen mit Rosier, Avery und Wilkes den Weg zu den Kerkern einschlug. »Hey, da ist Snape, nehmen wir den! Mit dem haben wir eh noch eine Rechnung offen!« Sirius stieß James an, wobei er zu den Slytherins nickte.

»He Snapy, turtelst du schon wieder mit Avery?«, rief James quer durch die Halle ihrem Feind zu.

Der fuhr, genau wie die anderen drei, herum und fixierte die Gryffindors voller Zorn. »Potter und Black!«, stieß er verachtend aus und wandte sich dann an James. »Hast du mal wieder mit deinem Daddy gesprochen, oder wird Piler jetzt gefeuert, weil er dem Direktor diese Tatsache vorenthalten hat!«, schnarrte er, wobei sich seine Lippen vor Hohn kräuselten.

»Willst du etwa meinen Freund blöd anmachen?«, schaltete sich James sofort drohend mit ein.

»Ja, ich denke das will ich!«, kam die prompte Antwort.

In Sekundenbruchteilen hatte James seinen Zauberstab in der Hand und den Fluch ausgesprochen, der Snapes Nase in eine Warze verwandelt hätte, wenn der sich nicht rechtzeitig geduckt hätte. Zum Glück war die Eingangshalle so leer, dass den verirrten Fluch auch sonst niemand abbekam.

Bevor sich Snape noch rächen konnte (natürlich hatten auch die Slytherins ihre Zauberstäbe gezückt), wies Rosier mit einem erstickten Laut zur Großen Halle zurück. Alle blickten sich um, ohne die Kampfhandlungen weiter zu verfolgen, und sahen alle restlichen Gryffindor Erstklässlerjungen auf sich zukommen – ebenfalls mit den Zauberstäben im Anschlag, die vom Abendessen zu kommen schienen.

»Das wird ein Nachspiel haben, Potter«, fauchte Snape nur mit glühenden Augen. »Los, wir gehen.« Damit zogen er und seine Clique ab zu den Kerkern.

Indessen gelangten die anderen vier Jungen bei Sirius und James an, woraufhin Remus gleich, ohne sie zu Wort kommen zu lassen, erklärte: »Ich hab euch schon wieder mitten in einem Duell stecken sehen und da mir vorläufig erst mal eine Strafarbeit reicht, hab ich gleich mal konventionelle Hilfe geholt!«

»Ach, wir sollten sie zu sechst fertig machen?«, hakte Sirius erstaunt nach, der nicht glauben konnte, dass Remus einen solchen Vorschlag machte.

»Nein, Sirius, ich dachte mir schon, dass sie abziehen, wenn wir in der Überzahl sind. Ohne Duell«, erwiderte Remus augenrollend.

Grummelnd ging Sirius neben James die Treppe hoch und murmelte: »Mann, die sind ja langweilig!«


»Mr Black, könnten Sie bitte zu Professor Brewpot gehen, um ihn nach der Sage zum ›Kreuz des Nordens‹ zu fragen!« Aveimperatores Worte schreckten Sirius aus seinen schläfrigen Gedanken hoch. Neben ihm schlief Peter gänzlichst auf seinen aufgeschlagenen Büchern.

Sirius wollte sich gerade schicksalsergeben erheben, um zu Brewpot in die Kerker zu gehen, da meldete sich eine frech aussehende Ravenclaw und meinte, ohne aufgerufen zu sein: »Äh, Prof. Highking, wir haben halb ein Uhr nachts. Soll Sirius Prof. Brewpot wirklich aufwecken?«

»Oh… äh… das war mir einen Moment lang entfallen, Miss Minor. Vielen Dank«, antwortete Highking leicht verlegen.

Sirius, dankbar für das abgewendete Unheil, nickte der Ravenclaw zu und setzte sich wieder schlaftrunken auf seinen Platz neben James.

»Dann gehen jetzt mal alle zur Gruppenarbeit zusammen… die Wachen zu den Müden, bitte. Miss Minor, gesellen Sie sich doch zu Mr Potter und Mr Black, die sehen heute ziemlich verschlafen aus…«, befahl Aveimperatore nun.

Das Mädchen von eben kam lächelnd zu ihnen, während der Lehrer noch die anderen Gruppen einteilte. »Hi, ich bin Anne. Okay, fangen wir mit dem Polarstern an, oder?«, fragte sie viel zu wach.

»Mann, was hat dich denn gebissen, dass du so munter bist?«, knurrte Sirius, der wache Menschen in seiner Umgebung nicht ertrug, wenn er selbst am Einschlafen war.

»Ach, mein Schlaftee ist verschwunden… Meiner Freundin Sybille fehlt ihr bestes Kleid und ich weiß von den Siebtklässlern, dass da einer seinen Besen vermisst. Bei uns fängt's schon genauso an wie bei euch«, erzählte das Mädchen munter.

Erschrocken blickte James Sirius an: »Glaubst du, meinem Nimbus geht's gut?«

»Du hast einen Nimbus! Wow, wie fliegt der denn so?«, hakte Anne sofort begeistert nach.

»Super!«, übernahm Sirius die Antwort. »Zum Glück hat Piler James erlaubt, den zu behalten, sonst hätten wir ein echtes Problem gehabt!«

»Ah, stimmt! Da konntest du bestimmt deine Verbindungen spielen lassen, oder?«, sprudelte Anne gleich wieder los. »Ist ja superkrass, dass Piler dein Vater ist. Ich mein, wenn ich einen Lehrer als Vater hätte…«

»Halt mal!«, unterbrach James das Mädchen stirnrunzelnd. »Wenn du das von Snape hast, dann…«

»Snape? Nein, das weiß doch schon die ganze Schule! Ich hab's von so ein paar Hufflepuff-Drittklässlern aufgeschnappt. Wundert mich nur, dass Dumbledore das erlaubt. Nicht, dass es mich stören würde, aber andere könnten meinen, dass du von ihm bevorzugt wirst…«

»Na, wie geht es hier voran?«, fragte Highking plötzlich von hinten.

Schnell beugten sich alle wieder über die Sternenkarte. Sirius hielt es, als Highking seine Runde weiter fortsetzte, nicht für nötig, Anne aufzuklären, dass er nicht Pilers Sohn war.

Dieses Gerücht war einfach dermaßen lächerlich… Noch am Anfang des Schuljahres war jedem – aber auch absolut jedem – klar gewesen, dass er ein Black war – und jetzt plötzlich lief ein dermaßen dummes Gerücht um, nach dem er gar kein Black sondern ein Piler war und dennoch glaubten alle sofort daran.

Kopfschüttelnd dachte Sirius über die Dummheit der ganzen Schüler nach und fragte sich, wie solche Gerüchte wohl entstanden. Dann beschloss er aber, dass dieses Gerücht keinen weiteren Gedanken mehr wert war.


»Es gibt ja wohl nichts Langweiligeres, als Strafarbeit in der Bibliothek, oder!« Missmutig wischte Sirius über ein besonders dreckiges Regal, aus dem sich wohl schon seit Jahren niemand mehr ein Buch ausgeliehen hatte. Kein Wunder, dachte sich Sirius, wer interessierte sich schließlich schon für Zauberkunst!

»Ich bin sicher, Madam Pince hätte nichts dagegen, wenn du dir ab und zu eine kleine Auszeit nimmst und auch mal in ein Buch reinschaust«, grinste Remus, der eine Abteilung vor ihm arbeitete.

»Glaubst du wirklich, Madam Pince würde es erlauben, dass Sirius auch nur eine Seite ihrer heiligen Bücher mit seinen dreckigen Fingern umblättert!«, zweifelte James amüsiert.

»Hier hat sich doch tatsächlich irgendein Freak ein Buch ausgeliehen«, stellte Sirius verdutzt fest, als er eine dicke Lücke in der Bücherreihe entdeckte.

Er wollte eben mit dem Lappen beiläufig in den Freiraum reinfahren, da stieß er plötzlich auf unsichtbaren Widerstand. Überrascht und irritiert warf Sirius seinen Lappen auf den Boden und ertastete vorsichtig ein unsichtbares Buch. »Hey Leute, seht euch das hier mal an!« Er zog es aus dem Regal und schlug es auf, woraufhin es sichtbar wurde.

›Das verschwundene Buch der Verschwindezauber‹, verkündete der Titel, der in goldenen Lettern auf der ersten Seite stand.

Inzwischen waren auch die anderen drei neugierig herbeigeeilt. »Ich hatte eben ein sehr interessantes Buch über Lokillusionszauber gefunden, wenn das jetzt nicht wichtig ist…«, begann Remus, brach aber ab, als er den Titel las.

»Cool!«, meinte auch James von Sirius' anderer Seite. In dem Moment trat Madam Pince von hinten heran und scheuchte die vier wieder an die Arbeit.

Doch Remus schnappte Sirius das Buch aus der Hand und reichte es der Bibliothekarin mit den Worten: »Könnte ich mir das bitte ausleihen?«

Als sie endlich wieder ungestört im Gemeinschaftsraum saßen, packte Remus das geheimnisvolle Buch wieder aus, um es vor sie auf den Tisch zu legen. Seinem feinen Spürsinn für Bücher hatten sie es zu verdanken, dass sie schon bald ein paar Sprüche herausgefunden hatten, die dafür verantwortlich sein konnten, dass in den verschiedenen Häusern all die Dinge verschwanden.

Jedoch erschien die unsichtbare Mauer des Gemeinschaftsraums nicht wieder, obwohl sie sämtliche Gegenflüche auf diese anwandten, die in dem Buch vorgeschlagen wurden. Entmutigt klappte Remus spät in der Nacht, nachdem sie auch das letzte Kapitel vergeblich durchsucht hatten, das Buch zu.

»Das gibt's doch gar nicht! Irgendein Zauber muss doch auf der blöden Wand liegen«, stöhnte James auf, während Peter nur herzhaft gähnte.

»Dann muss es ja wohl doch Specter sein«, stellte Sirius beunruhigt fest.

»Eine andere Möglichkeit, als dass wir es mit einem Fluch zu tun haben, fällt mir auch nicht ein…«, kapitulierte letztendlich sogar Remus, der normalerweise immer eine Alternativlösung parat hatte.


Die nächsten Tage herrschte im ganzen Schloss gedrückte Stimmung. Das Gerücht, Sirius sei Pilers Sohn, ging zwar immer noch um, doch es wurde von all den verschwindenden Sachen in Hogwarts in den Schatten gestellt.

Morgens trafen Eulen mit Päckchen von Eltern ein, die verschwundenen Sachen ihrer Kinder ersetzten, doch sie hätten es genauso gut sein lassen können, denn abends wurde die Hälfte davon meist wieder vermisst. Auch den Ravenclaws und Hufflepuffs erging es hierbei nicht viel besser.

Wie Sirius von Nelson erfuhr, war in Ravenclaw, wie ihnen Anne bereits erzählt hatte, auch die Panik ausgebrochen. Bei ihnen war zwar noch keine ganze Treppe oder Wand verschwunden, aber kleinere Sachen, wie etwa Schulbücher oder Anziehsachen, standen auch hier schon an der Tagesordnung.

Ein denkwürdiger Tag war der letzte Mittwoch im klirrend kalten Januar. Als Sirius morgens zusammen mit James, Remus und Peter wie gewohnt noch etwas verpennt zum Ravenclaw-Tisch schlurfte, fiel es ihm zuerst gar nicht auf, bis ihn Nelson auf die Hufflepuffs aufmerksam machte, die etwas unbeholfen und ratlos in der Gegend rumstanden.

»Was ist denn mit denen los?«, wunderte sich James, der sich neben Sirius auf einen Stuhl fallen ließ.

In dem Moment kreischte Lily auf der anderen Seite des Tisches auf: »Der Hufflepuff-Tisch!«

Sirius versuchte mit seinen Augen durch das Gewirr aus Schülern zu dringen, um zu sehen, was mit dem Hufflepuff-Tisch sein sollte und da sah er es – oder vielmehr er sah es nicht. Mit dem Hufflepuff-Tisch war anscheinend dasselbe passiert, wie mit dem Gryffindor-Tisch: Er hatte sich mitsamt seinen Bänken einfach in Luft aufgelöst!

»Na klasse«, murrte Sirius. »Jetzt müssen wir uns in Zukunft noch mehr zusammenquetschen! – Komisch nur, dass bei den Slytherins nie was verschwindet!«

In der Zwischenzeit hatten die Lehrer scheinbar auch mitbekommen, dass etwas nicht stimmte, denn sie waren geschlossen zu den Hufflepuffs gegangen, um sie auf die verbliebenen zwei Tische aufzuteilen, oder um an dem Platz, wo bis vor Kurzem noch der Hufflepuff-Tisch gestanden hatte vergeblich ein paar Sprüche auszuprobieren.

Sirius wollte sich eben wieder uninteressiert seinem Essen widmen, da fiel sein Blick auf Piler, der zusammen mit Jones in ihrer Nähe ein paar schüchternen Erstklass-Hufflepuffs Plätze verschaffte.

Sirius stieß James kurz an und nickte zu dem Lehrer. »Frederic weiß bestimmt Näheres«, zischte er ihm zu, während er sich erhob. James folgte ihm sogleich, nachdem er auch Remus angestoßen hatte.

In dem ganzen Durcheinander fiel es noch nicht mal Nelson auf, dass die vier sich vom Ravenclaw-Tisch entfernten und durch die Schüler auf Piler zusteuerten.

Bevor sie den allerdings erreicht hatten, war er anscheinend mit dem Verteilen der Schüler fertig, denn Jones flüsterte ihm etwas zu, woraufhin die beiden Lehrer sich Richtung Lehrertisch aufmachten.

»Fragen wir ihn doch einfach später! Wir haben ihn ja die ersten beiden Stunden sowieso«, schlug Remus von hinten vor.

Sirius dachte aber gar nicht daran, sondern boxte sich weiter seinen Weg durch die Hufflepuffs. Er hatte sich gerade aus der Schülerschar herausgekämpft und wollte schon auf die Professoren zuspurten, da sah er zu seiner Verblüffung, wie Jones und Piler (anstatt, wie vermutet, an den Lehrertisch zu setzten) sich in einen Raum dahinter begaben.

»Na toll, und jetzt?«, grummelte James, der neben ihn trat, als auch er die Lehrer hinter der Tür verschwinden sah.

»Wir warten ab, bis zum Unterricht. Ich glaub eh nicht, dass Professor Piler viel mehr weiß, als wir. Schließlich haben die Lehrer ja noch nicht wirklich eine Ahnung, was abgeht«, mischte sich Remus mit ein, doch Sirius überging seinen Einwand, da die natürliche Neugier in ihm erwacht war und über alle anderen Gedanken siegte.

Was machten Piler und Jones in einem Raum hinter dem Lehrertisch, wo doch alle anderen Lehrer in der Großen Halle versuchten, die Situation in den Griff zu bekommen!

Er schlich sich vorsichtig auf die Tür hinter dem Lehrertisch zu. Zum Glück hatten sich die Lehrer allesamt unter die Schüler mit ins Chaos gemischt und so war der Lehrertisch verwaist, sodass niemand bemerkte, wie sich die vier zur Tür hinter dem Tisch pirschten.

»Wir sollten wirklich nicht…«, stammelte Remus hinter ihm und auch Peter schlotterte wie üblich. Doch James trat forschen Schrittes auf die Tür zu und sagte: »Alohomora!«, worauf die Tür sich mit einem leisen Klacken einen winzigen Spalt breit öffnete.

»Halt uns mal den Rücken frei«, flüsterte Sirius Peter zu, da der ja sonst zu nichts gut war und es bestimmt peinliche Fragen gegeben hätte, wenn genau in dem Moment ein Lehrer vorbeikommen würde.

Von innen hörte er Pilers Stimme: »Hast du schon eine Ahnung, was es mit alledem auf sich hat?«

»Nein, aber wenn nicht mal Professor Dumbledore weiß, was es ist…«, antwortete Jones mit belegter Stimme. »Aber ich wollte eigentlich auch über was ganz anderes mit dir sprechen… Ich muss dir was gestehen, Frederic!«

Eine kurze Pause trat ein. Scheinbar suchte Jones nach den richtigen Worten. Sirius hatte zwar eigentlich über das ganze Verschwinden in Hogwarts etwas herausfinden wollen, doch das hier schien auch ganz interessant zu werden…

»Was denn, Mat, so schwer? – Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst!«

»Also,…«, setzte Jones erneut an, doch genau in dem Moment erschallte in der Großen Halle ein lauter Knall. Sirius fuhr herum und sah Dumbledore, der in der Mitte der Halle stand und mit seinem Zauberstab rote Funken ausstieß.

Doch bevor er sich noch fragen konnte, was nun schon wieder geschehen war, wurde er von hinten am Umhang unter den Tisch gezogen – von James, wie er im nächsten Moment erkannte.

Und keine Sekunde zu spät, denn im selben Augenblick traten Piler und Jones, die den Knall wohl ebenfalls gehört hatten, aus der Kammer heraus und sahen sich fragend um.

Remus, der mit Peter auch unter den Lehrertisch in Deckung gehechtet war, presste seine Hand auf Peters Mund, der entsetzt die Augen aufgerissen hatte.

»Wenn ich jetzt um Ruhe bitten dürfte!«, donnerte Dumbledore. Scheinbar hatte er lediglich die Panik, die unter den Schülern ausgebrochen war, eindämmen wollen – und deswegen hatte Sirius das interessante Gespräch der beiden Lehrer verpasst, die es jetzt natürlich abgebrochen hatten.

Jones und Piler begaben sich unterdessen wieder zu den übrigen Lehrern und auch Remus fand es an der Zeit, sich wieder unter die Schüler zu mischen, damit es nicht noch auffiel, dass sie fehlten. So verließen die vier ihr Versteck wieder, als von Piler und Jones nichts mehr zu sehen war.

Allerdings waren ihre Sitzplätze, als sie wieder zurückkamen, schon von ein paar Hufflepuff-Zweitklässlern besetzt und so mussten sie stehend Dumbledores Rede lauschen. Alle Schüler – diejenigen, die Sitze ergattert hatten ebenso, wie diejenigen, die stehen mussten – waren auf den Schock des Knalls hin verstummt.

Während Professor McGonagall und einige andere Lehrer Stühle aus dem Nichts heraufbeschworen, setzte Dumbledore an:

»Ich weiß, ihr alle macht euch Sorgen, was als nächstes verschwinden wird. Doch ihr sollt wissen, dass das Ministerium bereits über die Geschehnisse informiert ist und es nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte, bis wir genauer wissen, um welche Art von Zauberei es sich hierbei handelt. Dennoch bitte ich jeden, der glaubt, eine Ahnung zu haben, woran es liegt, mich umgehend zu konsultieren! Wir werden in Zukunft etwas näher zusammenrücken müssen, da uns jetzt nur noch zwei Tische für vier Häuser bleiben und – wie ihr wohl schon mitbekommen habt – die verschwundenen Sachen bedauerlicherweise nicht durch Neue ersetzt werden können. Am Lehrertisch sind selbstverständlich auch noch ein paar Stühle übrig, falls es zu größeren Platzproblemen kommen sollte –«

Einige Lehrer schienen über diese Ankündigung weniger als erfreut, wie Brewpot, der streng in die Runde sah, als wolle er klarstellen, dass sich ja keine plappernde Schülermeute zu ihm an den Tisch begeben sollte.

»– Des Weiteren bitte ich darum, dass Ruhe bewahrt wird und nicht noch mal solch eine Panik entsteht, wie vorhin! Und nun lasst euch das Essen trotz allem schmecken – der Unterricht wird heute eine halbe Stunde später beginnen!« Damit schritt der Schulleiter, gefolgt von einigen anderen Lehrern zurück zum Lehrertisch, wo er sich niederließ, um ebenfalls zu frühstücken.

Sirius beobachtete noch eine Weile Jones und Piler, doch die waren auch zum Lehrertisch zurückgekehrt, wo sie sich mit den anderen berieten und Jones schien keinen Versuch mehr zu starten, Piler alleine zu sprechen.

»Na toll, sind nur noch Plätze am Slytherin-Tisch übrig – und selbst da nur noch einzelne«, maulte James und holte Sirius somit auf den Boden der Tatsachen zurück – nämlich dass sie keine Plätze mehr abbekommen hatten.

»Ach, ich hab sowieso keinen Hunger mehr! Ich bin für eine Lagebesprechung im Gemeinschaftsraum, da sind wir wenigstens ungestört«, schlug Sirius vor, worauf sie alle vier die Große Halle verließen, um in den Gryffindor-Turm zu gehen.

Es war noch immer ein recht komisches Gefühl, im Gemeinschaftsraum zu sitzen, vor dem warmen, prasselnden Kaminfeuer, während man nach draußen in das Schneegestöber blickte und die dicken Flocken direkt auf einen zukamen, um dann kurz vor der Nase an einer unsichtbaren Wand aufgehalten zu werden.

»Was haltet ihr davon?«, wollte James wissen, sobald er Nigellus wieder zugeklappt hatte. Da sich alle zum Essen in der Großen Halle aufhielten, war der Gemeinschaftsraum völlig leer und so hatten sie in der Tat ihre Ruhe.

»Hätte zu gerne gewusst, was Jones Fred sagen wollte«, überlegte Sirius.

»Wusstet ihr überhaupt, dass die so gut befreundet sind?«, fragte Peter. Sirius verdrehte nur die Augen. Erstens war ihm das schon vor Urzeiten aufgefallen und zweitens ging es darum doch gar nicht.

»Ob Jones vielleicht mit dem komischen Zeug hier zu tun hat? – Vielleicht wollte er Fred ja vorhin sagen, dass er es ist, als er mit ihm reden wollte…«, mutmaßte James, der Peter ebenso gründlich ignorierte, wie Sirius.

»Nein!«, war Remus' prompte Antwort. Sirius und James sahen ihn fragend an. »Er ist ein Lehrer«, setzte Remus dazu, als würde das alles rechtfertigen. »Außerdem hat er gesagt, er wolle mit Professor Piler über etwas ›ganz anderes‹ reden, wenn ihr euch erinnert?«

Sirius musste sich eingestehen, dass er mal wieder Recht hatte.

»Ehrlich mal, ihr verdächtigt einen nach dem anderen… erst Pringle, nur weil der das verschwundene Porträt als erster entdeckt hat – da hättet ihr beinahe sogar Hagrid und Professor Piler höchstpersönlich mit verdächtigt – dann Specter und jetzt auch noch Jones… Ich finde, wir sollten das Ganze den Lehrern überlassen! Ihr habt Dumbledore ja gehört: Sogar das Ministerium ist schon eingeweiht! – Und ich denke auch, wir sollten uns bei Andrew entschuldigen!«

»Aber wer sagt denn, dass es Specter nicht ist?«, hakte James verständnislos nach.

»Ich hab ihn in letzter Zeit beobachtet und mir kommt er nicht sehr verdächtig vor. Schaut mal, er ist doch so was wie unser Freund! Wir könnten ihn doch einfach mal fragen, warum er letztes Jahr durchgefallen ist. Das hätten wir gleich machen sollen, anstatt ihn einfach so für schuldig zu erklären!«

Sirius tauschte mit James einen Blick und beide nickten resignierend.

»Was ist aber, wenn er uns verhext?«, hakte Peter leise nach.

Remus wehrte auch diesen Einwand ab: »Er hatte schon tausend Gelegenheiten dazu und hat uns nicht ein Mal was getan!«

»Und wenn, dann soll er's mal versuchen – gegen uns vier«, fügte Sirius dazu. Mit einem Blick auf Peter verbesserte er dann doch: »Na gut, eher uns drei!«

Ob es nun daran lag, dass der Schultag eine halbe Stunde kürzer war, als sonst, oder dass sie das Gespräch mit Specter noch vor sich hatten, konnte Sirius nicht sagen, jedenfalls ging der Tag viel zu schnell vorbei und nur allzu bald waren sie wieder auf dem Weg zum Abendessen.

Obwohl sie schon extra etwas früher hinuntergegangen waren, war die Halle bereits propenvoll. Der Ravenclaw-Tisch war bis auf den letzten Stuhl voll besetzt und selbst am Slytherin-Tisch waren nur noch wenige Sitze frei.

»Sieht irgendwer Specter?«, erkundigte sich Remus unterdessen, wobei er seinen Blick durch die Halle schweifen ließ.

»Scheint so, als ob wir zu den Slytherins müssten«, murrte James, der die Lage als erster erfasste.

»Vergiss es! Dann ess' ich lieber gar nichts«, schaltete sich Sirius sofort ein, der abrupt stehen geblieben war.

»Du hast heute morgen schon nichts gegessen«, tadelte Remus ihn und wollte ihm zum Slytherin-Tisch hinüberschleifen, doch auch James war nicht begeistert von der Idee: »Dumbledore hat doch gesagt, am Lehrertisch sind auch noch Plätze frei!« Er nickte zu den Lehrern, wo sich bisher noch niemand getraut hatte hinzusetzen.

Remus schien jedoch keineswegs einverstanden mit dem Vorschlag. »Nein, er hat gesagt, falls keine anderen Sitze mehr frei sind, können wir uns zum Lehrertisch setzen!«

»Immer noch besser Slytherins als Lehrer, oder?«, beteiligte sich auch Peter an der Diskussion.

»Nee, immer noch besser Lehrer als Slytherins«, korrigierte Sirius, womit er zum Lehrertisch schlenderte. Auch hier waren zusätzliche Stühle aufgestellt worden, auf denen sich die vier Freunde sogleich neben Jones und Piler niederließen, die sie freundlich grüßten.

Zu Sirius' Ärger redeten die Professoren die ganze Zeit über Möglichkeiten, die verschwundenen Sachen wieder zu erlangen, während auf seiner anderen Seite Highking und Upperstick über Sterne sprachen.

Ab und zu blickte ein Schüler verstohlen zum Lehrertisch oder stieß einen anderen an, um dann zu ihnen hoch zu nicken. Es dauerte eine Weile, bis Sirius begriff, dass sie sich wohl über ihn und Piler ausließen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sich angeregt mit Piler zu unterhalten, der das Gerücht ebenfalls mit keiner Silbe zur Sprache brachte.

Sie hatten ihr Mahl noch nicht beendet, da entdeckte die Schreckschraube sie und kam sogleich auf sie zugeeilt. »Wenn ich Sie daran erinnern darf, dass Professor Dumbledores Wortwahl ›falls keine Plätze mehr frei sind‹ lautete! – Am Slytherin-Tisch sehe ich sehr wohl noch leere Stühle!«

»Professor, nein! Wir stören hier doch niemanden«, flehte Sirius, der absolut keine Lust hatte, zu den Slytherins zu gehen, wo Bellatrix und ihre Clique waren.

»Mr Black, Ihre Abneigung gegen Slytherin in allen Ehren, aber was zu weit geht, geht zu weit! Sie werden jetzt, wie jeder andere vernünftige Schüler, an den Haustischen essen!«

Da Piler eben wieder in ein Gespräch mit Jones verstrickt war, scheuchte McGonagall die vier auf. Doch Peter, der seinen ganzen Mut zusammennahm, setzte an, zu erklären: »Ist doch kein Wunder, dass Sirius nicht zu denen will, nachdem sie ihn am Anfang des Jahres…«

Sirius war zu baff, dass Peter überhaupt davon wusste, dass die Slytherin ihn am Anfang des Schuljahres verprügelt hatten und zu sehr damit beschäftigt, Remus – von dem Peter es ohne Zweifel erfahren hatte – böse Blicke zuzuwerfen, als dass er Peter vom Weitersprechen hätte abhalten können, was James zum Glück mit einem Stoß in Peters Seite übernahm.

»Ja… ich glaube, wir hier sind sowieso alle satt«, stellte James mit einem warnenden Blick auf Remus und Sirius fest.

Doch Professor McGonagall schien misstrauisch geworden. »Mr Pettigrew, wollten Sie etwas sagen?«, wandte sie sich an Peter, der sofort knallrot anlief und etwas von wegen »Nein… wollte ja nur… nichts!« zu brabbeln begann.

»Nun gut«, noch immer zögerte die Schreckschraube ein wenig. »Dann können Sie sich ja jetzt zum Slytherin-Tisch begeben.«

Zermürbt trotteten die vier trotz heftiger Proteste Sirius' zum Haustisch ihrer Feinde. Sie fanden in der Mitte eine Lücke – ebenso weit von Bellatrix entfernt, wie von Snapes Clique –, wo sie sich schweigend niederließen.

»Nelson hätte uns ruhig Plätze freihalten können«, murrte Sirius, während er das Essen in doppelter Geschwindigkeit in sich hineinschlang, um schnell von hier wegzukommen.

»Schlecht«, meinte Remus. »Der musste auch an den Slytherin-Tisch umziehen!« Remus nickte zur anderen Seite, wo Nelson zusammen mit ein paar Ravenclaws den Hufflepuffs und Gryffindors, die ihren Tisch besetzten, böse Blicke zuwarfen.

»Sieh an, sieh an!« Bellatrix hatte ihn erspäht und war mit Anhang herübergekommen, »Baby Black hat sich doch endlich entschlossen, zu seinem rechtmäßigen Haus zu gehen!«

»Das Ganze geht doch von euch Slytherins aus, gebt's doch zu! – Bei euch ist, wie man hört, noch nichts verschwunden, oder?«, beschuldigte James die Slytherins sofort.

»Ha, nur weil ihr zu doof seid, auf eure Sachen aufzupassen«, keifte Narzissa, die neben Malfoy stand und fast so hochnäsig auf sie herabsah wie Bellatrix.

Noch bevor jemand was sagen konnte, kamen von hinten Snape, Rosier, Avery und Wilkes an. »Die Potter-Bande im Größenwahn«, höhnte Snape, der sich mit so vielen Slytherins im Rücken wohl bestärkt fühlte.

Angesichts der Überzahl an Slytherins murmelte Remus nun von hinten: »Kommt, wir wollten doch noch Specter suchen!«

Sirius zuckte die Schultern, stopfte sich seinen letzten Bissen in den Mund und stand auf.

»Genau, verzieht euch und lasst euch ja nicht mehr bei uns blicken«, raunzte Rodolphus den vier Gryffindors hinterher, als sie die Große Halle verließen.

Und der Hut hätte ihn fast zu diesen Vollidioten nach Slytherin gesteckt! Niemand traute sich, Sirius auf die Slytherins anzusprechen, sodass sie schweigend die Marmortreppe emporstiegen und zum Gryffindor-Turm trotteten. Sirius war das nur Recht, schließlich wussten die anderen, dass Bellatrix und Narzissa seine Cousinen waren, wofür Sirius sich insgeheim fast schämte, da die anderen ganz normale Verwandte hatten.

»Toujours pur«, schmetterte Sirius seinem Ururgroßvater das Passwort entgegen, der sich mit einem alten, miesepetrig aussehenden Zauberer mit spitzem Bart und altmodischem Umhang, der Sirius seltsamerweise vage bekannt vorkam, unterhielt. Bis eben hatten sie miteinander getuschelt, doch jetzt wandte sich Phineas Nigellus zu den vier Gryffindors:

»Wie du siehst, unterhalte ich mich gerade«, schnauzte er Sirius an, wollte aber schon umklappen, da meinte der alte Zauberer: »Das ist er also!«, er musterte Sirius abschätzend.

»Und wer ist das?« James nickte genervt zu dem Zauberer mit Spitzbart, wobei er allerdings Nigellus mit hochgezogenen Brauen ansah.

»Sir Fergal Leroy Geraint Cameron«, verkündete der spitzbärtige Zauberer selbstgefällig.

»Sein Porträt hängt unten bei den Slytherin-Verliesen. Und glaubt nur nicht, dass wir nicht lieber dort plaudern würden – da hätte man wenigstens seine Ruhe vor nervigen Gryffindors!« Er maß die vier mit einem beleidigten Blick.

»Aber Dumbledore musste ja darauf bestehen, dass ich meinen Posten nicht allzu oft verlasse…« Nigellus seufzte tief. »Jedenfalls solltet ihr ihm mehr Respekt entgegenbringen, das ist schließlich ein Nachfahre vom großen Salazar Slytherin!«

Sirius wusste augenblicklich, wo er dieses missmutige Gesicht schon einmal gesehen hatte: Auf der Schokofroschkarte von Salazar Slytherin. Dieses Porträt sah ihm wirklich sehr ähnlich, vom ernsten Gesichtsausdruck, über die tiefschwarzen Augen bis hin zum spitzen Kinn… »Lässt du meine Freunde und mich jetzt ein, oder was?«, forderte Sirius unbeeindruckt.

»Schon mein Urururururgroßvater Salazar Slytherin persönlich pflegte immer zu sagen, dass es so etwas wie ›Freundschaft‹ nicht gibt. Nicht, wenn…«

»Toujours pur«, versuchte Remus es noch mal etwas energischer.

»Ist ja schon gut!« Beleidigt klappte Nigellus nach vorne, sodass sie endlich in den Gemeinschaftsraum klettern konnten. Einige Schüler hatten heimlich Essen stibitzt und sich hierher zurückgezogen, sodass der Gemeinschaftsraum, den die Jungen leer gewähnt hatten, trotz allem recht voll war.

Peter war es, der Specter in dem Getümmel als erster bei ein paar Siebtklässlern, die ebenfalls an einem Tisch aßen, ausmachte.

»Hi Andrew!«, begrüßte James ihn freundlich, als sie sich unaufgefordert zu den älteren Schülern setzten, die eben im Aufbruch waren.

»Geht ruhig schon mal vor«, meinte Specter, womit er sich langsam zurück in seinen Sessel gleiten ließ. Während seine Kumpels mit den Tellern durch das Porträtloch abzogen, sah Specter die vier Freunde fragend an.

»Warum hast du uns nicht gesagt, dass du letztes Jahr durchgefallen bist?« Wie immer redete Sirius nicht lange um den heißen Brei, sondern brachte es gleich auf den Punkt.

Specter schien keineswegs überrascht. »Ach, deshalb habt ihr in letzter Zeit nicht mehr mit mir geredet?«

»Jetzt sind erst mal wir mit Fragenstellen dran«, schaltete sich James mit ein. »Also: Warum bist du überhaupt sitzen geblieben?«

Specter zuckte etwas unbeholfen mit den Schultern, erklärte sich dann aber doch bereit, es ihnen zu verraten: »Letztes Jahr ging einfach zu viel Zeit für meine Freundin drauf. Da haben mich der Abschluss hier und die UTZe nicht wirklich gekümmert. Aber das nächste Mal könnt ihr mich ja auch gleich fragen, anstatt mich einfach so zu verdächtigen!«

»Wer sagt denn, dass wir dich verdächtigt haben!«, kam es sofort von Sirius und James zugleich.

»Piler«, war die knappe Antwort. »Hat mich vorhin nach dem Unterricht abgepasst, um mit mir zu reden. Ich wollte euch sowieso noch aufsuchen!«

»Diese Petze«, grummelte Sirius unterdessen, doch Specter grinste nur: »Ich denke, dafür seid ihr mir was schuldig! In Zaubertränke muss ich auf morgen so einen fiesen Aufsatz schreiben…«

»Vergiss es! Wir schlagen nichts mehr für dich nach! – Schließlich hättest du ja auch von Anfang an ehrlich zu uns sein können«, schmetterte Sirius zurück.

»Gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsthemen, weißt du? Ich nehm mal an, da geht's mir ähnlich, wie dir, wenn ich mit dir über deine Familie reden wollte!«

Das Argument überzeugte selbst Sirius, der schnell vom Thema ablenkte: »Mit Frederic muss ich auch noch ein Wörtchen reden!«

»Ich denke, ich kann für uns alle Anwesenden sprechen, wenn ich sage, dass es jedem von uns Leid tut«, beendete Remus das Gespräch. Da niemand widersprach, war die Sache für ihn wohl geklärt, denn er wandte sich an Specter, als wäre nichts gewesen: »Und was hast du so gemacht die Tage?«

tbc...