Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes
Zwanzigstes Kapitel
Hogwarts löst sich auf
Jetzt, da sie sich auch mit Specter wieder vertragen hatten, fragte sich Sirius ernsthaft, wie er ihn eigentlich für den Täter hatte halten können.
Vielleicht hatte Remus ja sogar Recht und sie sollten das Ganze den Lehrern überlassen, auch wenn die mit der Sache ziemlich überfordert schienen. Anscheinend wusste niemand, wohin all die Dinge verschwanden und wer schuld daran war.
So mussten die Gryffindors weiterhin mit den Ravenclaws und einigen Hufflepuffs an einem Tisch gequetscht sitzen, weiterhin mit den Besen in ihren Schlafsaal fliegen und die Wand im Gemeinschaftsraum tauchte auch nicht wieder auf.
Als dann auch noch am Wochenende von Remus jede Spur fehlte, brach im Gryffindor-Turm wie sooft in letzter Zeit die Panik aus. »Im Krankenflügel ist er auch nicht«, schrie Pernilla Sonntagmorgen hysterisch, während der ÜV vergeblich versuchte, für Ruhe zu sorgen.
»Er ist einfach verschwunden, wie der Gryffindor– und Hufflepuff-Tisch«, rief Davey, der Remus' Abwesenheit als erster bemerkt hatte.
»Seid doch alle mal ruhig«, bedingte Lewis. »Ich werde Direktor Dumbledore davon unterrichten. Ihr könnt ruhig alle zum Frühstück in die Große Halle gehen. Aber verbreitet ja keine Panik unter den Schülern der anderen Häuser!«
Niemand mochte so recht auf den ÜV hören, aber als der aus dem Gemeinschaftsraum gehastet war, begaben sich die aufgeregten Schüler doch nach und nach hinunter in die Große Halle, wo mal wieder fast keine Plätze frei waren.
Diesmal hatten Sirius, James und Peter allerdings Glück, da Specter ihnen am Ravenclaw-Tisch noch Plätze freigehalten hatte. Andrew war in seinen Sonntagspropheten vertieft, den er mit der Eulenpost erhalten hatte und so aßen sie schweigend, bis der ÜV zu ihnen gewuselt kam.
»Ich habe Direktor Dumbledore informiert, aber der weiß bereits von Remus' Abwesenheit – der ist bei irgendeiner Familienfeier – ihr braucht euch also nicht um euren Klassenkammeraden zu sorgen! Die Aufregung war völlig unbegründet! – Ach ja, wenn ihr das bitte weitersagt?« Damit eilte Lewis weiter zu den Nächsten, um ihnen die Neuigkeit zu überbringen.
Kopfschüttelnd sah Sirius ihm nach, dann wandte er sich an Specter: »Was gibt's Neues aus der Welt? Mal wieder was über Voldemort?«
Specter schreckte so heftig auf, dass er sich an seinem Kürbissaft verschluckte.
»Mensch!«, hauchte er warnend, nachdem er sich wieder gefangen hatte, und sah sich sichernd um, als wolle er überprüfen, ob irgendwer zugehört hatte. »Hast du das noch nicht mitbekommen? Kurz nach Weihnachten hat Mr Wanderon, der Zaubereiminister persönlich, verlauten lassen, dass es ratsam ist, seinen Namen nicht zu nennen. Man kann ihm zwar noch immer nichts nachweisen – einige behaupten sogar, es gebe Lord… na ja, du weißt schon, wen ich meine… gar nicht, völliger Schachsinn! Aber wer immer seinen Namen nennt, schwebt in großer Gefahr, sein nächstes Opfer zu werden. Habt ihr von Mr Grandrich gehört?«
Alle drei schüttelten wahrheitsgetreu die Köpfe.
»Der hatte vor Weihnachten 'nen Artikel über Lord… ihr wisst schon wer… verfasst und kurz darauf wurde er tot in seinem Haus vorgefunden. Wahrscheinlich der Avada-Kedavra-Fluch! – Ehrlich mal, ihr solltet mehr Zeitung lesen!«
Die Gerüchte von Voldemort und ob man ihn nun beim Namen nennen durfte, oder nicht, kümmerten Sirius, wie er verwundert feststellte, nicht so sehr, wie seine natürliche Neugierde, warum Remus mal wieder mysteriöser Weise verschwunden war…
»He, Sirius, sieh mal«, raunte in dem Moment James, womit er Sirius aus seinen Gedanken schreckte, und deutete auf den Eingang der Großen Halle. Piler wollte anscheinend gerade die Halle verlassen, da wurde er von Jones zurückgerufen, der ihm nacheilte, bis er ihn eingeholt hatte. Man sah ihm schon wieder das schlechte Gewissen auf der Stirn stehen.
»Sollten wir nicht…?«, begann James nur, doch da war Sirius auch schon aufgestanden und lief mit James und Peter – den er seufzend an seinem Rockzipfel bemerkte – hinter den Lehrern her in die Eingangshalle.
Sie hörten gerade noch, wie Jones meinte: »…Am besten in deinem Büro…«, dann stiegen sie schon die Treppe hinauf.
In gebührendem Abstand, um nicht auffällig zu wirken, verfolgten die Jungs sie. »Endlich kommt's raus! Wenn Remus wieder da ist, können wir ihm vielleicht doch mitteilen, dass Jones der Schuldige…«, murmelte Sirius verbissen.
James klopfte ihm mitleidig auf die Schulter. »Wenn du nicht jemanden verdächtigen kannst, dann bist du krank, oder?«, grinste er amüsiert.
Sirius tat den Kommentar nur mit einem »Ph!« ab.
Endlich erreichten sie Pilers Büro, dessen Tür sich eben hinter ihm und Jones schloss. Die Jungs spähten durch den Gang, um sich zu versichern, dass die Luft rein war, dann drückten sie die Ohren nach einem geflüsterten »Animadversiomentis roboro« gegen die Tür.
Drinnen hörten sie Piler an einer Tasse Tee schlürfen, woraufhin er fragte: »Also was ist denn nun, Mat?«
Sein Kollege und Freund druckste einen Moment lang herum, bis er endlich schüchtern begann: »Und du bringst mich wirklich nicht um? Versprich es mir, Fred!«
»Ich versprech's«, seufzte Piler fast schon ein wenig amüsiert.
»Okay…« Jones atmete tief ein. »…Du erinnerst dich an das Gerücht, du wärest Sirius Blacks Vater, oder?«
»In der Tat.« Pilers Stimme wurde ernster und klang auch etwas verärgert. »Es war lästig. Jeder zweite Schüler hat mich darauf angesprochen. Ich frag mich wirklich, wer sich so einen Müll ausdenkt!«
»Ich«, kam es kleinlaut von Jones.
»Mat!«, hakten Piler und James etwas leiser vor der Tür zugleich bestürzt nach. Sirius sog scharf die Luft ein, lauschte aber gespannt weiter.
»Es tut mir echt leid! Aber hör dir erst die ganze Geschichte an, ja? Das war so: Du weißt doch, dass ich mich einmal im Monat mit Hagrid in den Drei Besen zum Pokern treffe, nicht wahr? Okay, das haben wir aus Versehen mal an ein Hogsmeade-Wochenende verlegt… Es wurde schon Abend und langsam waren keine Hogwarts-Schüler mehr da, wie wir glaubten. Also haben wir uns das übliche bestellt… ich meine, was ist Poker ohne ein ordentliches Bier… oder auch zwei… Nun, irgendwann waren wir dann… schon ein bisschen lustiger und haben uns so über dies und das unterhalten… Und Hagrid machte einen blöden Witz über Hieronymus und Galilea – keine Ahnung, ich hab's schon wieder vergessen – und ich hab noch einen draufgesetzt und wir haben uns gegenseitig immer wieder überboten, völlig ohne Ernst, wirklich… und irgendwann kam ich dann dazu laut zu sagen: Klar und Frederic ist eigentlich Sirius' Vater… Ich sag dir, wir haben uns so totgelacht… aber anscheinend hat das der letzte Schüler, der noch in den Drei Besen war, irgendwie falsch aufgefasst… Fred, es tut mir echt leid! Das war keine Absicht!«
Einen Augenblick lang herrschte im Büro gespanntes Schweigen – ehe Piler in lautes Lachen ausbrach. Draußen stürzte James plötzlich auch von der Tür weg und den Gang entlang. Sirius, der das Gehörte noch immer nicht glauben konnte, eilte ihm mit Peter nach. An der nächsten Ecke hielt James an und lachte ebenfalls los.
»Ich finde das nicht lustig!«, knurrte Sirius nur. »Wegen diesem Lehrer-Freak muss ich mir so einen Mist von allen anhören!«
»Ich schmeiß mich gleich weg, Sirius! Jones säuft und dichtet so seinem besten Freund ein Kind an! Ich krieg mich nicht mehr!«, japste James nur noch, dem schon die Lachtränen über die Wangen rollten. Neben ihm kicherte Peter auch unterdrückt. Na, was soll's, dachte Sirius nur – und lachte einfach mit.
Als Sirius am Abend im Gemeinschaftsraum saß und ständig irgendjemand panisch durch die Gegend lief, war er irgendwann so genervt, dass er sogar sein Verwandlungsbuch aufschlug, um nur einen winzigen Augenblick lang seine Ruhe zu haben.
»Sirius? Bist du's?«, hakte James plötzlich von hinten nach, der im Schlafsaal Remus' Notizen von Geschichte der Zauberei gesucht, aber offensichtlich nicht gefunden hatte. »Seit wann lernst du denn!«, forschte er verständnislos weiter.
»Sag mal, regen die dich auch alle so auf! Dauernd laufen die da rum und schreien und… ich glaub, ich mach hier gleich einen saalweiten ›Petrificus Totalus‹!«, knurrte Sirius genervt.
Grinsend ließ sich James neben ihm nieder, doch Sirius nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie sich seine Miene in Erstaunen wandelte. James flüsterte: »Sieh mal an, wer da kommt.«
Endlich blickte auch Sirius auf, so dass er Remus erkannte, der sich durch die panische Menge drängte.
»Na, dass es dich auch noch gibt… Familienfeier, was?«, blaffte Sirius immer noch genervt, jetzt allerdings noch dazu schlecht drauf.
Remus lief rot an, woraufhin er stammelte: »Hochzeit… von meiner Cousine … Benita und einem… einem Muggelarzt…«
»Klar…«, begann Sirius, schon drauf und dran seinen Freund anzuschnauzen, dass sie ihm diese Ausreden langsam nicht mehr abkauften, da fuhr James dazwischen: »Was ist das für ein Buch?«
Erst jetzt fiel auch Sirius das große Lederbuch unter Remus' Arm auf, das ihm vage bekannt vorkam. Kurzentschlossen riss er ihm das Buch aus der Hand und schlug es auf. »Hey, das Ding heißt ›Legenden um Hogwarts‹! Kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor, James?«, erkannte Sirius das Buch wieder.
»Ja…«, rekapitulierte James, »das ist doch dasselbe, das wir in der Heulenden Hütte gefunden haben!«
Sirius konnte sich zwar kaum vorstellen, dass der schüchterne Remus alleine auf die Idee gekommen sein sollte, sich noch einmal in die Heulende Hütte hineinzuschleichen – und zudem einen Weg gefunden hatte, Dumbledores Einbrechzauber zu umgehen – ganz abgesehen davon, dass Remus wohl der Letzte war, der sich den Regeln des Schulleiters widersetzen würde –, doch für den Moment wischte Sirius diese Gedanken weg, da er viel zu gespannt war, was Remus zu seiner Verteidigung zu sagen hatte.
Sirius und James richteten ihre drohenden Blicke auf Remus, der sich bereits abwehrbereit rechtfertigte: »Jungs, es wird wohl mehr als ein Exemplar geben, das ausgerechnet ihr in der Heulenden Hütte findet. Das hab ich von meiner Cousine geschenkt bekommen und ich dachte, es könnte euch gefallen. Da stehen ein paar interessante Geheimgänge drin, die wir noch nicht benutzt haben!«
Sirius und James waren sofort Feuer und Flamme, sodass sie bis zu dem Kapitel vorblätterten, das die Geheimgänge beschrieb. »Sieh dir mal den an, der geht direkt vom Verwandlungs-Klassenzimmer zum Astronomieturm. Den können wir am Mittwoch gleich ausprobieren, da haben wir die Fächer gleich hintereinander«, freute sich James gerade, als Peter durch das Porträtloch hereingestolpert kam und plötzlich mit einem Aufschrei im Boden versank.
Erschrocken sprangen alle drei auf, wobei Sirius das Buch auf einen Sessel warf, um mit den anderen beiden zu der Stelle zu laufen, wo Peter verschwunden war. Im Boden des Gemeinschaftsraums gähnte ein Loch, an dessen Rand sich Peter verzweifelt und um Hilfe rufend festklammerte. Ohne groß nachzudenken, packte Sirius Peters einen Arm, während James dasselbe mit dem anderen machte.
Sobald Peter wieder festen Boden unter den Füßen hatte, trat Sirius neugierig an das Loch heran und spähte in ein schwarzes Nichts. Inzwischen drängten sich auch die anderen Gryffindors um das Loch, sodass Sirius beinahe hineingestoßen wurde, sich aber gerade noch an James festkrallen konnte.
»Was glaubt ihr, was passiert, wenn man da rein fällt?«, wollte Sirius interessiert wissen, der vorsichtshalber doch einen Schritt zurücktrat.
»Das probieren wir besser nicht aus«, mahnte Remus, der sich im Gemeinschaftsraum suchend umsah. Zwischen den schreienden, lärmenden und panisch umherwuselnden Schülern machte er endlich den ÜV aus, den er sogleich heranwinkte.
»Lasst mich durch… tretet doch mal bitte einen Schritt zur Seite, ich bin Vertrauensschüler… Hyperaktive Hydra, was ist denn hier los! – Bitte haltet einen Sicherheitsabstand ein, bis ich Professor McGonagall geholt habe!« Damit verschwand der ÜV so schnell, als ob er disappariert wäre.
Sirius drängte sich wieder zu seinem Sessel durch und ließ sich gelangweilt darauf sinken. »Immer dasselbe hier. Langsam wird's unlustig«, brummte er zu James.
Während sie zusammen mit Remus und Peter in Remus' Buch nach weiteren Geheimgängen stöberten (und Remus von dem belauschten Gespräche zwischen Piler und Jones erzählten, woraufhin dieser nur ungläubig über so viel Verantwortungslosigkeit von Seiten Jones' den Kopf schüttelte), beobachteten sie aus der Ferne, wie McGonagall schon völlig gestresst eine magische Absperrung um das Loch im Boden heraufbeschwor und anschließend etwas davon murmelte, dass sie zusammen mit Jones, dem Hauslehrer der Ravenclaws, im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum eine Lösung für das verschwundene Dach finden musste.
Als sie ein paar Tage später zum Frühstück in die Große Halle gingen, wunderte sich Sirius schon wieder, wo Remus abgeblieben war, worauf er James sofort hinwies.
»Ach, keine Panik, der ist nur in der Bibliothek, wollte was für Zaubertränke nachschauen«, zuckte dieser nur die Schultern. Dennoch konnte Sirius es nicht lassen, über Remus' Verschwinden nachzudenken. Der Junge mied private Themen fast ebenso gründlich, wie Sirius und außerdem wusste er einfach, dass Remus etwas vor ihnen verbarg. Aber was? Und warum? Dass er selbst nicht immer offen zu seinen Freunden war, verdrängte Sirius im Moment einfach.
»Ich finde…«, Sirius senkte geheimnisvoll die Stimme, »…dass wir ihm mal nachschleichen sollten, wenn er wieder so plötzlich verschwindet!«
»Glaubst du nicht, dass das zu sehr in sein Privatleben eingreift…«, überlegte James kritisch.
»Vielleicht sehen wir ihn dann eh nur in den Hogwarts-Express einsteigen. Er hat mir nämlich mal erzählt, wie lieb er seine Mutter hat! Und wenn sie krank ist oder so, will er immer bei ihr sein…«, schaltete sich Peter schüchtern mit ein.
»Sag mal, bist du so blöd oder tust du nur so?«, blaffte Sirius ihn gereizt an, so dass Peter schon wieder ängstlich die Augen aufriss. »Ist doch klar, dass da mehr dahinter steckt, als irgendwelche blöden Familienfeiern oder Krankheiten! Er verbirgt etwas vor uns und ich finde, wir haben ein Recht darauf, es zu erfahren, schließlich sind wir seine Freunde«, schnauzte Sirius richtig genervt.
»Ich finde –«, mischte sich auch James vorsichtig mit ein, »–wir sollten ihn selber entscheiden lassen, ob und wann er uns alles erzählt! Und du wirst ihm gefälligst auch alleine nicht nachspionieren! Verstanden!«, brauste James viel zu aggressiv auf.
Danach wirkte er zwar etwas benommen und über sich selbst verwundert, so böse geworden zu sein, doch das interessierte Sirius nicht, der schon wieder tief beleidigt war, sich umdrehte und den Gang zum Gemeinschaftsraum hinunterstampfte.
Unglaublich! Was erlaubte sich James eigentlich mit ihm! Und wieso konnte er nicht nachvollziehen, dass Sirius unbedingt wissen wollte, wohin Remus alle paar Wochen verschwand? Aber – war das denn so wichtig, dass es einen Streit mit seinem besten Freund rechtfertigte?
Sirius' Schritte wurden immer langsamer, als er darüber nachdachte, dass er gar nicht vorgehabt hatte, so übertrieben zu reagieren, bis er vor dem Porträtloch ankam und Nigellus ganz unbewusst wie immer ›Toujours pur‹ entgegenschmetterte. Doch bevor er in den Gemeinschaftsraum steigen konnte, wurden hinter ihm schnelle Schritte laut und jemand legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Hey Sirius«, keuchte James, der gerannt sein musste, um ihn einzuholen. »Weißt du noch, was Frederic und Highking uns über ›Drakon‹ erzählt haben?«
Sirius, der noch immer nicht wusste, was eben in ihn gefahren war und ihn so in Rage gebracht hatte, war im Grunde recht froh, dass James das Thema Remus nicht erneut anschnitt, weshalb er etwas übereilt antwortete, ohne erst groß über irgendeinen Sinn der Frage nachzudenken: »Klar, nachdem wir die Sage zum dritten Mal gehört haben, weiß ich so langsam, dass ›Drakon‹ für Freundschaft steht!«
James sah Sirius eindringlich an, ehe er fortfuhr: »Erinnerst du dich auch noch an den Reiter im Wald? – Ich glaube, der hatte uns gemeint… und ich finde, da sollten wir uns nicht wegen so was streiten!«
Sirius nickte zustimmend und auch eine kleine Spur nachdenklich, als er innerlich ihr Erlebnis im Verbotenen Wald noch einmal Revue passieren ließ. Doch da riss ihn Nigellus' ärgerliche Stimme aus den Gedanken: »Sagt mal, wollt ihr hier Wurzeln schlagen, oder was? Ich hab vielleicht auch was anderes zu tun, als den ganzen Tag offen vor dem Gryffindor-Turm rumzuhängen!«
Schulterzuckend kletterten die Jungs durch das Porträtloch in den leeren Gemeinschaftsraum. Sirius wollte sich schon in seinen Stammsessel fläzen, da meinte James stirnrunzelnd: »Sag mal, warum ist hier eigentlich niemand? – Es hat doch noch gar nicht zum Unterrichtsbeginn gegongt, oder!«
Sirius schüttelte den Kopf – jedenfalls hatte er nichts läuten hören –, doch sein Blick irrte unwillkürlich zur Wanduhr… die ihnen frech verkündete: »Schwänzer!« Sirius fuhr so plötzlich auf, dass die Uhr vor Schreck auf ein etwas eingeschnapptes »Ihr kommt doch eh schon zu spät!« umsprang.
»Mist! – Und wir haben die McGonagall in der Ersten. Das gibt Ärger!« Während er zusammen mit James aus dem Porträtloch kletterte (»Na, das hat sich ja jetzt richtig gelohnt, mich extra zu bemühen!«), meinte James leicht verzweifelt: »Die McGonagall glaubt uns nie, dass wir die Schulglocke nicht gehört haben. Das gibt eine saftige Strafarbeit!«
Eilig hasteten sie die Korridore hinab, bis sie endlich völlig außer Atem vor dem Verwandlungsklassenzimmer ankamen. Wie erwartet, trafen sie dort die restliche Klasse bereits eifrig über ihren Schulbüchern brütend an, wie sie irgendwelche Sprüche studierten.
Als Sirius und James eintraten, sahen ein paar flüchtig auf, doch wie in McGonagalls Unterricht üblich, kommentierte niemand die Situation mit einem blöden Spruch, wie es vielleicht in Professor Flitwicks oder Highkings Unterricht geschehen wäre, sodass Sirius gleich lossprudeln konnte: »Professor, wir haben…«
»…Ganz ehrlich…«
»…Die Schulglocke…«
»…Einfach überhört!«
»Wohl kaum«, entgegnete Professor McGonagall spitz. »Der Gong funktioniert nicht mehr. Wenn Sie es schon nicht fertig bringen – wie jeder andere Schüler auch –, ohne Glocke pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, dann stören Sie diesen nicht länger und setzen Sie sich!«
Doch Sirius starrte die Schreckschraube nur baff an. »Was soll das heißen, ›funktioniert nicht mehr‹?«, hakte er mit offenem Mund nach. Insgeheim musste er demjenigen anerkennend gratulieren, der es geschafft hatte, die Schulglocke zu sabotieren und zugleich ärgerte er sich, dass er selbst nicht auf die Idee gekommen ist.
»Dass er verschwunden ist, Mr Black. – Und nun setzen Sie sich endlich!«
Auch die nächsten Schultage verliefen recht seltsam ohne den gewohnten Gong und nicht nur Sirius und James schafften es, den Anfang von mehreren Fächern zu verpassen.
Professor Binns zog seinen Unterricht wie immer so langweilig durch, dass Sirius die Stunde fast wie eine Doppelstunde vorkam, bis sich Lily meldete und erklärte, dass sie bereits eine halbe Stunde überzogen hatten.
Verwirrt starrte Binns in die Klasse, die allerdings aus ihrem Tiefschlaf erwacht war und sofort aus dem Klassenraum stürmte, um die letzten paar Minuten von ihrer kostbaren Pause noch mitzubekommen.
In den darauf folgenden Tagen besserte sich das nicht. Wann immer die Schüler auf den Gängen ohne Uhr, welche die Unterrichtszeiten genauestens anzeigte, unterwegs waren und sich dabei auch noch von Lehrern erwischen ließen, bekamen sie Strafarbeiten auf.
Die Lehrer wollten wohl nicht tolerieren, dass ihre Stunden unter dem Verlust des Schulgongs leiden mussten. Allerdings konnte es ihnen niemand nachweisen, wenn sie behaupteten, sie haben ihre Uhr mitgenommen, diese sei aber gerade eben spurlos verschwunden.
Darunter musste der arme Peter in der zweiten Woche nach dem Verschwinden der Schulglocke leiden. McGonagall hatte Sirius und James, die zum dritten mal die Hälfte von Verwandlung verpasst hatten, angedroht, sie werde ihnen, sollten sie noch einmal behaupten, ihre Uhren seien verschwunden, eine gewaltige Strafarbeit verpassen.
Natürlich glaubte sie dem schlotternden Peter, der am darauf folgenden Tag einige Minuten Verspätung hatte, nicht, als er zitternd versicherte, er habe seine Uhr ehrlich verlegt. In einem Wutanfall zog die Schreckschraube Gryffindor dafür eine Stange Punkte ab und natürlich bekam Peter die angedrohte Strafarbeit, obwohl der vor Sirius, James und Remus später beteuerte, dass seine Uhr sich tatsächlich in Luft aufgelöst hatte.
»Was musst du denn machen?«, fragte Remus ihn mitfühlend, als sie auf dem Weg zu Verteidigung waren. James, Sirius und er hatten vor dem Klassenzimmer auf ihn gewartet.
»Ich muss Sätze schreiben. Heute Abend«, murmelte Peter etwas verlegen.
»Na klasse«, knurrte Sirius, »uns lässt sie nie mit Sätze Schreiben davon kommen!«
»Du solltest lieber froh sein, dass du heute Abend nicht zu Professor McGonagall musst«, wandte sich Remus mit leicht tadelndem Blick an Sirius. »Schließlich hat Peter die Strafarbeit genau genommen euch zu verdanken!«
»Was können wir denn dafür, wenn der zu schusselig ist, auf seine Uhr aufzupassen?«, mischte sich nun James mit ein.
Sirius warf Remus nur einen flüchtigen Seitenblick zu. Trotz des Gesprächs mit James und Peter hatte er sich vorgenommen, Remus etwas genauer zu beobachten. Sirius war noch immer fest davon überzeugt, dass der Junge nicht ganz ehrlich zu ihnen war und er würde schon herausfinden, was es mit ihm auf sich hatte, auch wenn er momentan ganz andere Sorgen hatte. Denn gerade waren sie vor dem Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste angekommen, wo sich eine Schüleransammlung angestaut hatte.
»Was ist denn los? Warum gehen wir nicht rein? Ist Piler noch nicht da?«, rief James nach vorne.
»Wahrscheinlich hat Frederic die Zeit verpasst«, kicherte Sirius verhalten.
»Nein, – das Klassenzimmer ist weg«, rief jemand von vorne.
In dem Moment kam McGonagall energischen Schrittes auf sie zu. »Los, los, was stehen Sie denn hier alle so rum! Der Unterricht für Verteidigung gegen die dunklen Künste ist in den sechsten Stock verlegt worden!«
Als sich der Haufen langsam löste, konnte Sirius einen Blick auf das Klassenzimmer – oder besser auf den Ort, wo das Klassenzimmer für Verteidigung immer gewesen war – erhaschen: Es war, als hätte man einfach ein Stück aus dem Schloss herausgeschnitten! Man konnte direkt in die Winterlandschaft hinaussehen. Allerdings hatten die Lehrer anscheinend schon wieder einen unsichtbaren Schutzschild kreiert, denn die Kälte drang nicht durch die etwa sieben Meter breite Öffnung.
Als sie sich nach Verteidigung gegen die dunklen Künste in die Mittagspause retten konnten, trafen sie in der – wie üblich, seit der Gryffindor- und der Hufflepuff-Tisch verschwunden waren – völlig überfüllten Großen Halle auf Specter, der mal wieder aufmerksam den Tagespropheten studierte. Sobald Specter die vier Jungs erblickt hatte, winkte er sie zu sich. »Habt ihr heute schon Zeitung gelesen?«, erkundigte er sich.
James verdrehte die Augen. »Wir sind Erstklässler«, antwortete er, als ob das alles erklären würde, wofür Specter nur ein Grinsen übrig hatte.
»Hätte ich doch beinahe vergessen«, schmunzelte der Siebtklässler.
»Wieso fragst du denn?«, forschte Remus jetzt wissbegierig nach.
»Ist ein ganz großer Artikel über uns drin: ›Hogwarts löst sich auf – eine sorgenvolle Mutter berichtet…‹ – Wenn ich mich nicht irre, dann ist das diese gestörte Mutter von dem kleinen Hufflepuff, die hier mal mit dem Besen vorbeikam…«
Er zeigte den Vieren das Schwarz-Weiß-Foto, das tatsächlich die hysterische Frau darstellte. Sie fuchtelte wild mit den Armen und machte große Augen, wobei sie mit ihrem Besenstiel vor Entrüstung neben sich auf den Boden schlug.
»…Wahrscheinlich hat ihr Sohn ihr davon erzählt und jetzt ist die gleich zum Tagespropheten gerannt und hat alles ausgeplaudert! – Spätestens morgen beim Frühstück kommen die Eulen der panischen Eltern, ich sag's euch, schreibt lieber heute noch an eure Familien, dass sie dieser Hufflepuff nicht glauben sollen, wenn sie sagt: ›… Man muss sich vermutlich nur fragen, wie lange es noch dauert, bis unsere lieben Kinderlein auch verschwinden‹, oder ›… Langsam kann ich die ganzen fehlenden Sachen von Scott nicht mehr ersetzen, wir sind nämlich nicht so reich…‹ – oder hier: ›Selbst das Zaubereiministerium ist mit seinen Alten Runen am Ende‹… ›Zaubereiminister Fergus Wanderon warnt vor dem Wächter von Hogwarts…‹!«
James, Remus und Peter nickten verständig, wohl in der Absicht, ihren Eltern gleich nach dem Abendessen eine Eule zu schicken, während Sirius sich nur stumm einen Bissen in den Mund schob, um selbst nichts sagen zu müssen.
Specter hatte, wie sich am Samstagmorgen herausstellte, Recht gehabt, denn mit der Eulenpost kamen in der Früh mehr Briefe – und damit mehr Heuler –, als je zuvor. In der ganzen Großen Halle gingen die Heuler los, deren unterschiedlichsten Stimmen (von Vätern über Mütter zu sonstigen Verwandten) losschimpften, warum ihre Kinder ihnen nichts von den Vorkommnissen in Hogwarts erzählt hatten.
Diejenigen, die so schlau gewesen waren, ihren Familien davon zu berichten – oder es, wie James, Remus und Peter auf den letzten Drücker am Vorabend noch erledigt hatten –, blieben zum Glück vor Heulern verschont, was allerdings die Eltern nicht daran hinderte, ihnen trotzdem zu schreiben, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Oder aber, sie ersetzten nur, wie üblich, verschwundene Sachen.
Auch James bekam ein Päckchen, das endlich sein neues Kräuterkunde-Buch enthielt, das er schon fast seit Anfang des Schuljahres vermisste. Sirius lehnte sich gerade zu James rüber, um über dessen Schulter den Brief von Mrs Potter mitzulesen, als Nelson, der auf Sirius' anderen Seite saß, ihn anstieß.
»He, ist das nicht deiner?« Er deutete auf einen schwarzen Vogel, der mit den Nachzüglern ankam – Oxbow!
Irritiert nahm Sirius ihn in Empfang. Während er das Pergament von seinem Bein band, machte sich Oxbow heißhungrig über seinen Toast her, ehe er mit den Eulen davon in die Eulerei flog, was Sirius nicht weiter kümmerte. Schließlich hatte er erst einmal in diesem Jahr Post bekommen und so fragte er sich, wer wohl diesmal gestorben war.
Sohn,
Wir hoffen, du siehst jetzt endlich ein, wie es dir in Gryffindor – dem Erzfeind unseres Hauses – ergeht! Bellatrix hat uns erzählt, dass in Slytherin nicht solch schrecklichen Dinge passieren.
Deine Mutter und ich sind uns sicher, dass wir mit genug Gold alles hinbiegen können, sodass du doch noch Ehre für das Hause Black bringen kannst.
Wenn du also zur Vernunft gekommen bist, dann schreib uns und wir bekommen es schon hin, dass sie dich in dein rechtmäßiges Haus – nach Slytherin – lassen! – Niemand wird erfahren, dass Schmiergeld im Spiel ist. Du weißt ja, wir haben gute Kontakte zum Ministerium…
Auch wenn wir dir nicht viel zutrauen, nehmen wir doch an, dass du diesen Brief niemandem zeigst.
Bellatrix meinte, du würdest dich mit ein paar Gryffindor-Verrätern abgeben, aber das halte ich dann doch für einen Scherz. Wenn die Gryffindors jedoch in irgendeiner Weise nützlich für dich sein sollten – wovon ich ausgehe (warum sonst solltest du dich mit Verrätern aus Gryffindor einlassen) –, dann kommst du wenigstens ein kleines bisschen nach deiner Mutter. Lass und postwendend wissen, falls du zur Gesinnung gekommen bist!
Toujours pur!
Sirius starrte einen Moment lang das Familienwappen der Blacks hasserfüllt an, das rechts unten in der Ecke prangte, dann sah er hastig zu James auf, der den Brief ebenfalls überflogen hatte und nun Sirius etwas unsicher anblickte. Sirius zerknüllte schnell das Pergament in seiner Hand und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.
»Hätte nie gedacht, dass die sich mal melden würden. Dabei hätte ich glatt deinen Besen darauf verwettet, dass die mir nicht schreiben!« Sirius lächelte schief, womit er in die Seite vom Toast biss, die Oxbow unversehrt gelassen hatte, wenngleich er gar keinen Hunger mehr hatte.
James sah ihn nur wortlos an, doch Sirius wechselte das Thema: »Was müssen wir heute eigentlich noch alles lernen?«
Auf der anderen Seite des Tisches, wo Remus eben Peters neue Uhr bestaunte, die der geschickt bekommen hatte, mischte sich Remus sofort mit ein: »Für Montag müssen wir den einen Verteidigungszauber üben, in Zaubertränke den Aufsatz über…« Er verstummte, als er James' Blick begegnete und war kurz darauf ein angeregtes Gespräch mit Peter vertieft.
Sirius betrachtete einen Augenblick lang seinen Toast, doch dann spürte er James' Blick erneut auf sich und er legte es auf seinen Teller zurück, um sich James zuzuwenden. »Wenn du glaubst, dass ich euch nur als Freunde habe, weil ›ihr mir‹ für irgendwas noch ›nützlich seid‹, dann…«
»Mensch, Sirius, darum geht's doch gar nicht«, unterbrach James ihn in ungewohnt ernstem Tonfall.
Sirius sah seinen Kumpel direkt in die Augen, um zu entschlüsseln, was er meinte, worum es ihm dann ging, doch er sah nichts als einen prüfenden Blick, der wohl ebenfalls versuchte, tiefer in seine Gedanken einzudringen. »Wenn du auf die krummen Dinger anspielen willst, die meine Familie abzieht…«
Wieder wurde er von James unterbrochen, diesmal durch ein energisches Kopfschütteln. »Du verstehst's nicht, oder?«, hakte er ungläubig nach.
»NEIN, DU VERSTEHST'S NICHT!«, brüllte Sirius zurück. Er wusste nicht, warum er auf einmal so aggressiv war und es war ihm in dem Moment auch ziemlich egal. Er sprang auf und es kümmerte ihn genauso wenig, dass sich am Ravenclaw-Tisch einige Köpfe nach ihnen umwandten. »DEINE FAMILIE SCHREIBT DIR VIELLEICHT, WIE'S DIR GEHT, ODER OB DU NOCH ALLE SACHEN HAST, DIE DU BRAUCHST. MEINE NICHT, OKAY! MEINE SCHREIBT MIR HALT, DASS SIE MICH LIEBER IN SLYTHERIN SEHEN WÜRDE, SO WIE ALLE ANDEREN HIER DOCH AUCH!«
James hatte sich nicht gerührt, hatte ihn nur aus großen Augen angesehen, doch Sirius sah das trotzdem als Angriff gegen ihn. Er schmiss – im vollen Bewusstsein, dass der halbe Tisch ihn anstarrte – den zerknüllten Brief seiner Eltern nach James, dann brüllte er in der selben Lautstärke: »UND ES GEHT DICH AUCH GAR NICHTS AN, WAS MEINE FAMILIE MIR SCHREIBT!«, ehe er aus der Großen Halle stürmte.
Auf halbem Weg die Marmortreppe hoch wäre er beinahe mit Piler kollidiert, der wohl zum Frühstück wollte, doch Sirius raste – ohne sich zu entschuldigen oder auch nur sein verwirrtes »Hi« zu erwidern – weiter.
Als er gerade den zweiten Stock erreicht hatte, hörte er Schritte hinter sich. Halb hoffend, dass es James war, drehte er sich um – doch da war niemand! Kaum hatte Sirius angehalten, waren auch die Schritte verstummt. Ohne groß darüber nachzudenken, eilte Sirius daher weiter, da hörte er abermals Geräusche hinter sich.
Er spürte die Anwesenheit eines anderen mehr, als dass er erklären konnte, wen oder was er hörte, weshalb er sich erneut umwandte. Sobald er sich jedoch umgedreht hatte, sah und hörte er nichts Verdächtiges mehr.
Sirius beschleunigte seine Schritte, wobei er nicht mehr auf seinen Weg achtete, sondern hinter sich blickte. Diesmal hörte er das Geräusch, obwohl er doch sah, dass niemand ihm folgte.
In einem Anflug von Panik rannte er, immer wieder Blicke über die Schulter werfend den Gang entlang, bis er plötzlich das Gefühl hatte, als würde sich ein Eimer Wasser über ihn ergießen. Er wandte den Kopf ruckartig nach vorne, doch auch dort war nichts zu sehen. Nass war er auch nicht.
Sirius begann schon, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln, da hörte er hinter sich eine freundliche Stimme: »Wohin den so eilig? – Du solltest lieber etwas aufpassen, durch wen du durchrennst!«
Sirius wandte sich abermals um und erkannte zu seiner Erleichterung den Fast Kopflosen Nick, durch den er wohl eben gelaufen war. »Oh, hallo, Nick«, murmelte er etwas abwesend.
»Und – vor wem bist du denn auf der Flucht?«, hakte der Fast Kopflose Nick nach.
»Vor den ganzen Freaks hier«, entgegnete Sirius genervt.
»Verstehe«, meinte der Hausgeist von Gryffindor nickend. »Und jetzt suchst du wohl James?«
Sirius war zu überrascht, dass Nick überhaupt wusste, dass er mit James befreundet war, als dass er ihn hätte aufklären können, dass es James war, mit dem er sich gestritten hatte.
Nick hatte wohl Sirius' erstaunten Blick bemerkt, denn er antwortete kichernd: »Tja, Hausgeister kriegen manchmal mehr mit, als die Schüler denken!«
Sofort hatte Sirius seine Sprache wieder gefunden: »Hey, wenn du mehr mitkriegst, als andere hier im Schloss…«
»…Dann soll ich wohl wissen, wer die ganzen Sachen in Hogwarts verschwinden lässt, hm?«
Sirius nickte, ein klein wenig beeindruckt, dass der Geist auch diesmal gewusst hatte, was er hatte fragen wollen.
Doch Nick schüttelte traurig den Kopf, wobei dieser gefährlich auf seiner durchsichtig schimmernden Halskrause hin- und herwackelte. »Es gibt natürlich besonders unter uns Geistern die verschiedensten Gerüchte darüber… aber ich würde sagen, keines kommt der Wahrheit nahe!«
Sirius musste unwillkürlich an das Gespräch zwischen dem Blutigem Baron und dem Fetten Mönch denken, das er vor einer Ewigkeit einmal belauscht hatte. »Welche Gerüchte?«, forschte er sofort eifrig nach.
Nick sah ihn einen Moment lang mit einem seltsamen Ausdruck in den blassen Augen an, als würde er überlegen, ob er ihm das Gerücht zumuten konnte, dann schüttelte er den Kopf.
Eine Sekunde standen die zwei sich noch gegenüber, in der sich Sirius fragte, was so schlimm daran war, ihm ein einfaches Gerücht zu erzählen, dann brach Nick das Gespräch abrupt ab: »Ich sollte auch mal wieder weiter. Hausgeister-Konferenz. Es geht natürlich um Peeves, der in letzter Zeit unausstehlich ist… der Fette Mönch wird wohl wieder dafür stimmen, diesem Poltergeist noch eine Chance zu geben… – Und du solltest dich mal lieber bei James entschuldigen!«
Sirius wandte etwas verlegen den Blick von Nick ab. War es so offensichtlich gewesen, dass er mit James gestritten hatte, obwohl er es dem Geist gar nicht gesagt hatte? Er wollte eben nachfragen, doch als er die Augen wieder hob, sah er gerade noch, wie Nick durch die nächste Mauer verschwand.
Sirius sah nachdenklich auf die Stelle, durch die Nick entschwebt war, dann entschloss er sich, seinem Rat nachzukommen und sich bei James zu entschuldigen.
Der Gemeinschaftsraum war fast ganz leer, als Sirius seinem Ururgroßvater befahl, ihn einzulassen, und diesen betrat. Das lag vermutlich daran, dass die ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres sich durch die Wolken gekämpft und einen glänzenden Schimmer auf den vermutlich letzten Schnee des Jahres gelegt hatten.
Auch James, Remus und Peter, die einzigen, die bei dem Wetter nicht draußen bei der häuserübergreifenden Schneeballschlacht mitmachten, sahen durch die fehlende Wand auf die Schlossgründe hinunter, wo tanzende Sonnenstrahlen den Schnee wie glänzende und funkelnde Diamanten aussehen ließen.
Leise schloss Sirius das Porträtloch hinter sich wieder, was allerdings die drei anderen dennoch bemerkt hatten, denn sie wandten sich von der Schneeballschlacht ab und sahen ihn etwas verunsichert an.
An Remus' Blick konnte Sirius sofort sehen, dass James ihn informiert hatte. Peter sah wie immer verlegen in der Gegend rum, sorgsam darauf bedacht, nicht Sirius' Blick zu begegnen.
Doch im nächsten Moment wurde ihm klar, dass James die anderen gar nicht hatte informieren müssen, schließlich hatte er am Frühstückstisch laut genug herumgeschrieen.
Sirius wusste immer noch nicht, weshalb er einmal mehr die Fassung verloren hatte und er wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, da ergriff Remus als erster das Wort: »Piler hat nach dir gefragt. Ob alles in Ordnung ist…«
Sirius nickte. Über seine Gefühle zu reden war nicht gerade eine seiner Stärken. Um genau zu sein, war nichts, das mit Gefühlen zu tun hatte, eine seiner Stärken.
»Sicher?«, hakte auch James nach. »Du wirkst irgendwie recht blass in letzter Zeit!«
Erneut nickte Sirius bloß. Er fühlte sich irgendwie zu schwach, um etwas zu sagen, selbst zu schwach, um sich länger auf den Beinen zu halten, weshalb er zum nächsten Sessel schlurfte und sich darauf erschöpft niederließ. Irgendein Teil von ihm wollte am liebsten sonst wo sein, nur nicht hier im Gryffindor-Gemeinschaftsraum bei James, Remus und Peter.
»Wenn was ist… du weißt ja… schließlich sind wir ja deine Freunde«, wandte Remus mit besorgtem Blick ein.
»Wo wir gerade von Freundschaft sprechen –«, Sirius spürte seine Kraft für einen Gegenangriff zurückkehren, »– Willst du uns nicht langsam mal verraten, was du wirklich machst, wenn du auf einer deiner ominösen Familienfeiern bist!«
James warf Sirius einen flüchtigen Blick zu, doch es war Peter, der den leicht rosa anlaufenden Remus verteidigte: »Das hat doch jetzt nicht wirklich was damit zu tun… oder?«
»Pettigrew, dich hat niemand gefragt!« Sirius hörte sich das alles selbst sagen, ohne richtig vorgehabt zu haben, überhaupt irgendetwas zu sagen.
»Wisst ihr…«, setzte Sirius an, in einem verzweifelten Versuch, diesmal nicht auszurasten, »…Ich find's auch nicht toll, dass meine Familie so schwarzmagisch ist und mich am liebsten in Slytherin hätte…«
»Ja, wissen wir«, erwiderte James aufrichtig, wobei er ihn aufmunternd anlächelte.
»Hast du schon gehört? In Ravenclaw ist der Mädchenschlafsaal von den Zweitklässlern verschwunden. Die Erstklässler müssen sich jetzt einen Schlafsaal mit den Zweitklässlern teilen«, lenkte Remus das Gespräch in andere Bahnen.
»Oh Mann! Wird langsam echt Zeit, dass die was unternehmen! Bald müssen wir alle im Verbotenen Wald schlafen, weil der Rest vom Schloss weg ist«, grinste Sirius, der froh war, über belanglosere Dinge sprechen zu können.
»Die machen doch schon was«, piepste Peter leise, der wohl Angst hatte, wirklich im Verbotenen Wald übernachten zu müssen, woraufhin sich aller Blicke erstaunt ihm zuwandten. Etwas kleinlaut fuhr er fort: »Na ja, als ich gestern in Professor McGonagalls Büro Sätze schreiben musste, kam irgend so ein Zauberer vom Ministerium rein, der meinte, er wolle sich die ganze Sache mal ansehen…« Hilflos zuckte Peter die Schultern.
Sirius sah den kleinen Jungen nur baff an, während James sich entrüstete: »Und das sagst du uns jetzt erst! Du hättest uns sofort Bescheid sagen sollen! Vielleicht hätten wir dann wenigstens noch was Nützliches mitbekommen!«
Peter wurde in seinem Sessel noch ein wenig kleiner, doch er verteidigte sich tapfer: »Ich glaub, der hatte sich sowieso verirrt. War auf der Suche nach einem Auror oder so… Mehr hab ich auch nicht mitbekommen, weil Professor McGonagall dann mit ihm raus ist und ich musste ja Sätze schreiben…«
Sirius verdrehte die Augen. Wenn er doch nur die Strafarbeit bekommen hätte, die er ja sowieso verdient gehabt hätte! Natürlich hätte er nicht tatenlos Sätze geschrieben, während er draußen vielleicht wichtige Informationen bekommen hätte. Bevor sie ihr Gespräch jedoch noch fortsetzen konnten, klatschte ein verirrter Schneeball an die unsichtbare Wand zum Gemeinschaftsraum.
James sah grinsend in die Runde. »Denkt ihr nicht auch, wir sollten denen da unten mal kräftig einheizen!«
Als sie völlig durchweicht ins Schloss zurückkehrten, stellte Sirius befriedigt fest: »So viel Spaß hatten wir seit den Ferien nicht mehr!«
»Ich finde, ihr hättet Snape nicht einseifen dürfen«, mischte sich Remus mit ein, als sie hoch zum Gryffindor-Turm stiefelten.
»Das war eine Schneeballschlacht, Remus«, belehrte James ihn.
»Ja, aber sein Blick hat mir gar nicht gefallen«, bekräftigte auch Peter. »Das gibt sicher Rache.«
»Ach was«, winkte Sirius ab. »Hauptsache, wir hatten Spaß!«
»Schade nur, dass die Älteren schon gehen mussten«, wechselte James das Thema, während die vier die Marmortreppe emporstiegen. »Frag mich sowieso, warum es Hogsmeade-Tage überhaupt gibt. Kann doch jeder nach Hogsmeade gehen, wann er will!«
»Ja, wenn er den Weg durch den Spiegel kennt, versteht sich«, grinste Sirius.
In dem Moment stieß James ihn an und nickte zum oberen Ende der Treppe. »Sieh mal, wer da ist!«
Scott, der Hufflepuff, dessen Mutter im Tagespropheten ausgepackt hatte, saß dort zusammengekauert auf dem Podest.
»Trifft sich ja ausgezeichnet«, freute sich Sirius. »Mit dem hab ich sowieso noch 'ne Rechnung offen. Petzt einfach alles seiner Mami, sodass meine Eltern glauben, sie müssten mich nach Slytherin schicken…«
»Leute, nein!«, meinte Remus strikt. »Der wird den ganzen Tag schon von jedem geschnitten, weil so viele wegen seiner Mutter Heuler bekommen haben! – Gerade du solltest ja wissen, wie das ist, wenn man etwas seltsame Eltern hat, Sirius!«
Das sah Sirius irgendwo sogar ein und so hielt er sich zurück, als sie an dem Hufflepuff vorbeigingen. Remus schien etwas zu ihm sagen zu wollen, doch als er Sirius' vielsagendem Blick begegnete, überlegte er es sich anscheinend anders und auch er schritt schweigend – wenngleich mit einem etwas mitleidigem Blick – an Scott vorbei.
»Leute, wisst ihr, wie spät es ist?«, fragte Remus, als sie eben Phineas Nigellus' Porträtloch erreichten.
»Wie denn, seit diese doofe Glocke weg ist?«, knirschte Sirius, nachdem er Nigellus das Passwort genannt hatte.
»Du kannst es uns aber gerne sagen«, schlug James grinsend vor.
»Wir haben das Mittagessen verpasst«, meinte Remus trocken.
Zum Glück kannten Sirius und James den Weg zur Küche, wo die Hauselfen sie freudig empfingen. Allerdings konnten sie den Jungs nur kalte Platten anbieten, da der Ofen verschwunden war, was den kleinen Wesen mehr als peinlich war.
Darüber regte sich Sirius sogar noch am Abend auf, als sie zum Essen wieder am Ravenclaw-Tisch zusammengequetscht waren, da die älteren Schüler aus Hogsmeade zurückgekehrt waren.
»Flieg jetzt bitte nicht gleich wieder vom Besen, wie vorhin –«, drang eine Mädchenstimme zu ihm durch. Als er sich umwandte, erkannte er Anne, die ihn schelmisch angrinste. »– aber Prof. Piler möchte dich sprechen!«
Sirius seufzte tief. »Was geht es eigentlich dich an, wenn ich ›vom Besen fliege‹!«, blaffte er noch immer missgelaunt, weil er ab sofort nur noch kaltes Essen serviert bekommen würde.
»Na ja, weißt du, das ist hier ja irgendwie mein Haustisch – und da will man doch ganz gern in Ruhe essen können… nicht, dass man in Zeiten wie diesen viel auf Eigentumsrecht gibt – ist ja eigentlich besser, man hat gar nicht so viel, was man verlieren kann!«
»Ich sag's dir, wenn das nur ein Trick ist, um an meinen Platz zu kommen…«, grummelte Sirius, erhob sich aber dennoch schwerfällig, um sich zum Lehrertisch zu begeben. Sobald Piler ihn auf sich zukommen sah, verließ er seinen Platz neben Jones und kam ihm entgegen.
»Alles klar, Sirius?«, fragte er mit nicht minder besorgtem Blick, mit dem ihn Remus zuvor bedacht hatte. (Einige neugierige und schnatternde Schüler drehten sich zu ihnen um. Sirius musste nicht lange überlegen, um sich an das Gerücht zu erinnern, Piler sei sein Vater und er fragte sich, wie nur einerseits jeder von dem Brief seiner Eltern wissen konnte und andererseits alle dem Gerücht Glauben schenken konnten.)
»Ja«, antwortete Sirius ohne zu zögern tonlos.
»Mat hat mir von heute morgen erzählt…«
»Na toll, dass die gesamte Lehrerschaft auch schon Bescheid weiß, dass meine lieben Eltern mir geschrieben haben«, grummelte Sirius sarkastisch. »Ich kann wohl froh sein, wenn noch nicht die ganze Schule den Inhalt meiner persönlichen Post weiß!«
»Also, falls du irgendwelche Probleme hast… mit deiner Familie und so…« Piler gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, zwinkerte ihm kurz mit einem verstehenden Ausdruck zu und schritt ohne eine Antwort abzuwarten zum Lehrertisch davon.
Da Sirius sowieso nicht vorgehabt hatte, zu antworten, wollte er sich zu seinem Platz am Ravenclaw-Tisch begeben, doch der wurde schon frech von Anne besetzt, sodass er es vorzog, in den Gryffindor-Turm zurückzukehren. Der Appetit war ihm zum zweiten Mal an diesem Tag vergangen.
Noch als er nachts als letzter im Schlafsaal wach lag, musste er an all die Gespräche denken, denen er eigentlich immer mit Vorliebe entging: Mit James, Remus und Peter und sogar mit Piler… an seine Familie, die sich bestimmt bald die nächste Schandtat ausdenken würde, vielleicht sogar noch einen Brief schickte – etwas, das er ja doch wieder nicht vor seinen Freunden geheim halten konnte.
Und er fragte sich ehrlich, ob er sich überhaupt mit jemandem angefreundet hätte, der aus einer so schwarzmagischen Familie kam, wie er.
Er konnte James' Reaktion am Anfang des Jahres nur zu gut verstehen. Sirius wälzte sich auf die andere Seite. Von seinem Bett aus konnte er ein Stück des Sternhimmels draußen sehen. Die Mondsichel warf ihr mildes Licht, das in jener Nacht fast so silbern schimmerte, wie die Geister von Hogwarts durch das Fenster herein und der helle Stern dort in der Ferne konnte nur zum Sternbild Drakon gehören…
Die Stimme des Reiters hallte in Sirius' Gedächtnis wider: »Zauberei wirkt oft im Verborgenen. Erhebt also eure Häupter zu Drakon. Er leuchtet besonders hell in den der letzten Monaten!« – »In Hogwarts gibt es mehr als nur das Offensichtlichste.« In Hogwarts war wirklich seither viel geschehen! All die Sachen, die spurlos verschwanden…
Specter kam ihm wieder in den Sinn, die Zitate aus dem Zeitungsartikel… »Selbst das Zaubereiministerium ist mit seinen ›Alten Runen‹ am Ende« – »Zaubereiminister Fergus Wanderon warnt vor dem ›Wächter von Hogwarts‹«
– Wächter von Hogwarts… Etwas regte sich in Sirius' Gehirn. Eine zitternde Stimme: »Dann ist es also wahr? Der Wächter ist erwacht?« und der Blutige Baron…
Mit einem Sprung war Sirius auf den Beinen. Das war es! Das musste es sein! Instinktiv griff er nach seinem Zauberstab, der immer neben seinem Kopf auf dem Nachttisch lag. Er musste zu Specter. Jetzt! Er musste einfach herausfinden, was es mit diesem mysteriösen ›Wächter‹ auf sich hatte. Warum fiel ihm das erst jetzt auf! – Er hätte Specter gleich fragen können! Vielleicht würde er der Wahrheit mithilfe des Tagespropheten näher kommen…
Sirius war eben an der Tür zum Schlafsaal angekommen, neben der die Besen lehnten, als eine verschlafene Stimme hinter ihm hauchte: »Gehst du wieder heimlich lernen? James hat mal gesagt, deswegen bist du so gut in der Schule!«
Sirius drehte sich genervt zu Peter um, der die samtenen Vorhänge seines Himmelbetts zurückgeschoben hatte und ihn fragend ansah.
»Ich hab nämlich Verteidigung gegen die dunklen Künste auch noch nicht geübt…«
Peter dabei zu haben würde er nur überleben, wenn auch James mitkam! – Und so waren nicht viel später Sirius, James, Remus und Peter in ihren Schlafanzügen mit jeweils einem Besen in der Hand startbereit.
»Was machen wir überhaupt?« Remus runzelte im fahlen Licht des Mondes leicht die Stirn. »Ich hoffe doch nicht Regelnbrechen!«
Sirius hatte sie noch nicht aufgeklärt, aber dafür hatte er es auch viel zu eilig. Sie würden Zeit haben, wenn sie erst einmal den Siebtklässler-Schlafsaal gefunden und Specter wachgekriegt hatten.
Statt einer Antwort stieß er endlich die Tür auf und flog als erster hinaus. Hinter sich hörte er Peter erwidern: »Wir lernen für Verteidigung gegen die dunklen Künste!«, ehe die drei anderen ihm folgten. Da es fast stockdunkel war, kamen sie trotz Sirius' Zauberstab, der ihnen den Weg leuchtete, nur sehr langsam voran. Hinter sich nahm Sirius von Zeit zu Zeit ein »Au« wahr, wenn jemand – Peter, wie er vermutete – in der Finsternis die Wand schrammte.
Nachdem Sirius bei dem dritten Schlafsaal angehalten hatte, um das Schild zu lesen, fragte James nach: »Nach welchem suchen wir denn?«
»Nach dem für die Siebtklässler!«
»Der ist noch ein Stück weiter unten«, mischte sich Remus mit ein und übernahm damit die Führung.
»Vielleicht könnten wir dann irgendwann mal erfahren, was wir eigentlich genau vorhaben?«, forderte James, als sie endlich vor der Tür mit der Aufschrift ›Siebtklässler‹ anhielten.
»Wir fragen Specter nach dem Zeitungsartikel von heute morgen«, verkündete Sirius, bevor er die Tür zum Schlafsaal öffnete und hineinflog. Innen war es fast so dunkel, wie auf dem Weg hierher, da der Mond nicht bis zu diesem Schlafraum durchdrang, dessen Fenster nach Norden zeigte.
Sirius stolperte fast über einen Besen, der achtlos vor die Tür geworfen worden – oder einfach nur umgefallen war. Schnell ließ er seinen Blick über die Betten gleiten, doch er musste feststellen, dass es zu dunkel war, um Specter auszumachen und außerdem waren die goldenen Samtvorhänge der Himmelbetten zugezogen.
Sirius wandte sich zu James um, der zusammen mit Remus und Peter hinter ihm eingetreten war und verständigte sich mit ihm durch einen Blick. Anschließend näherte er sich dem ersten Bett, während James das gegenüberliegende übernahm. In diesem Schlafsaal befanden sich insgesamt nur vier Betten, weshalb es nicht lange dauerte, bis James bei seinem zweiten Bett Erfolg hatte.
Verpennt setzte sich Andrew, der einen genauso tiefen Schlaf zu haben schien, wie die übrigen Siebtklässler in diesem Raum, in seinem Bett auf.
»Sagt mal, euch geht's schon gut, oder?«, gähnte er, wobei er sich die Augen rieb.
»WAS? Party!«, fuhr der Siebtklässler auf, dessen Vorhänge Sirius eben geöffnet hatte. Als er die vier Erstklässler erkannte, verfinsterte sich seine Miene jedoch. Allerdings hatte sein Ruf die restlichen zwei schließlich doch noch geweckt, die verwirrt nach ihren Zauberstäben griffen und für etwas mehr Licht sorgten.
»Alles in Ordnung, ihr könnt wieder schlafen gehen! – Die knöpf ich mir persönlich vor. Mit denen werd ich schon allein fertig!« Specter funkelte die vier gespielt böse an, doch seine Schlafsaalgenossen dachten nicht daran, einfach weiter zu schlafen, jetzt, wo sie schon mal wach waren. Sie alle sahen die Eindringlinge neugierig und abschätzend an.
»Ich hoffe für euch, ihr habt einen sehr guten Grund, warum ihr uns mitten in der Nacht aus den Betten holt«, drohte Andrew jetzt, wobei er Sirius fragend ansah.
»Wo hast du den Tagespropheten von heute morgen?«, fragte Sirius bestimmt.
»Seit wann lesen denn Erstklässler bitte Zeitung?«, wollte der Junge, den Sirius versehentlich geweckt hatte und der sich eben eine überdimensional große Brille aufsetzte, wissen.
»Und dann auch noch mitten in der Nacht!«, setzte ein anderer noch eins drauf, der fast doppelt so groß war, wie die vier Erstklässler.
Specter hatte jedoch unterdessen von seinem Nachttisch den mittlerweile leicht zerknitterten Tagespropheten herbeigeholt. »Und was genau wollt ihr wissen?«, erkundigte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Der Artikel über Hogwarts«, antwortete James hastig. Allem Anschein nach war er ebenso neugierig, wie Sirius, Näheres zu erfahren, auch wenn – oder gerade weil – ihm wohl nicht wirklich klar war, warum sie dazu mitten in der Nacht in den Schlafsaal der Siebtklässler eingedrungen waren.
Specter räusperte sich wichtigtuerisch, während er die gewünschte Seite aufschlug und sich von dem Jungen mit der Brille mit dem Zauberstab leuchten ließ. »›Hogwarts löst sich auf – eine sorgenvolle Mutter…‹«
»Nein, nein, es reicht die Stelle mit dem Wächter«, unterbrach Sirius ihn ungeduldig.
Specter sah leicht beleidigt aus, tat ihm aber dennoch den Gefallen.
»›Zaubereiminister Wanderon warnt vor dem Wächter von Hogwarts, der nach jüngsten Annahmen des Ministeriums in der weltbekannten Schule für Hexerei und Zauberei umgeht. Trotz jahrhundertealter Überlieferungen, die besagen, dass eine schreckliche Apokalypse Hogwarts eines Tages heimsuchen wird, glauben einige Realisten nicht an einen solchen Wächter, dessen Hervorrufung ebenso unbekannt bleibt, wie dessen Absichten. Experten tappen im Dunkeln, was die Auflösung der Schule betrifft, die Anfang dieses Schuljahres eingesetzt hat und sich seitdem unaufhaltsam und beständig fortsetzt…‹«
Specter faltete den Tagespropheten wieder zusammen, sodass er noch ein paar Falten mehr dazu bekam und sah abermals fragend in die Runde.
Auch Remus und Peter schienen nicht zu verstehen, was die ganze Aufregung eigentlich sollte. »Dafür sind wir jetzt extra aufgestanden? Ich dachte, wir wollten Verteidigung gegen die dunklen Künste üben…«, murrte Peter, wofür er einen bösen Blick von Sirius erntete, der ihn verstummen ließ.
»Weißt du irgendwas über diesen Wächter?«, wandte Sirius sich anschließend an Specter.
»Den gibt's doch gar nicht«, antwortete der große Siebtklässler, bevor Specter überhaupt den Mund aufgemacht hatte.
»Natürlich gibt's den, wenn sogar Wanderon daran glaubt«, widersprach ein pickeliger Junge.
»Wanderon glaubt doch jeden Müll! Der hat ja selbst keine Ahnung, was abgeht«, widersprach Specter.
»Aber du hast es dem Minister abgenommen, als er davor warnte, Voldemorts Namen nicht auszusprechen«, wandte Sirius grinsend ein.
Die Siebtklässler wurden blass und starrten ihn mit offenen Mündern an, als würde er jeden Moment tot umfallen. Der gesamte Schlafsaal schien den Atem anzuhalten. »Hast du 'se nicht mehr alle!«, entrüstete sich der Brillenjunge schließlich. »Damit macht man keine Scherze!«
»Also glaubt ihr alle an diesen ›Dunklen-Lord-Mist‹, ja? – Aber an den Wächter nicht?«, wertete Sirius die Reaktionen der Siebtklässler aus.
»Ich glaub auch an den Wächter«, meinte der Pickelige prompt.
»Erstklässler«, meinte der Große abwertend, den es am meisten geschockt zu haben schien, Voldemorts Namen ausgesprochen zu hören. »Die sind noch zu klein, um mitzukriegen, was da alles auf dem Spiel steht. Ich hoffe, ›Ihr-wisst-schon-wer‹ hat Verständnis dafür…«
»Wisst ihr jetzt irgendwas über den Wächter, oder nicht?«, warf James leicht genervt ein.
»Außer, dass der in Hogwarts umgehen und freche kleine Erstklässler verschwinden lassen soll, meinst du?«, grinste Specter.
Peter hinter ihnen zog aufkeuchend die Luft ein. »Das – das meinst du nicht ernst…«, stammelte er. Während Remus ihm versicherte, dass Andrew nur einen Scherz gemacht hatte, wurde dieser wieder ernst.
»Irgendwer müsste ja den Wächter erweckt haben…«, überlegte er.
»Mir ist das schnurz, solange ich noch meine UTZe machen kann, dann bin ich eh weg hier und die Schule sieht mich nie mehr«, verkündete der Junge mit den Pickeln stolz.
»Na klasse – das ist aber erst unser erstes Jahr! Im zweiten wird nichts mehr von der Schule übrig sein«, knurrte James und fasste damit das in Worte, was Sirius befürchtete.
Wenn Hogwarts ganz verschwinden sollte – woran er gar nicht denken wollte –, wüsste er nicht, was er tun sollte. Er hatte sich so an seine neuen Freiheiten weit weg vom Grimmauldplatz gewöhnt – und er war sich fast sicher, dass seine Eltern es nie erlauben würden, dass James zu ihnen zu Besuch kam… Schließlich zählte er in ihren Augen zu einem dieser ›Verräter-aus-dem-Hause-Gryffindor‹!
»Tja, das ist dann euer Pech«, hörte Sirius da Specter sagen.
Das ließ James sich nicht gefallen. Er entriss dem Großen sein Kissen und feuerte es auf Specter, der sich duckte, sodass es an die Wand klatschte. Dafür flog aber im nächsten Moment ein anderes Kissen zurück – ursprünglich in James' Richtung – doch es traf stattdessen Sirius, der noch immer etwas in Gedanken gewesen war.
Im nächsten Augenblick war unter lautem Gelächter eine Kissenschlacht in Gange, an der sich nur Peter nicht beteiligte, der in Deckung ging, um kein Kissen abzubekommen.
Gerade, als Sirius sich den doppelt so großen Siebtklässler vornehmen wollte, ging die Tür auf und der ÜV trat mit entrüsteter Miene ein, einen Sauberwisch in der rechten Hand. Unglücklicherweise hatte er, noch bevor er etwas sagen konnte, ein Kissen, das der Brillenjunge nach Remus geworfen hatte, im Gesicht.
»Was geht hier eigentlich vor! – Euren Lärm hört man bis runter in den Gemeinschaftsraum!« Jetzt erst schien er zu bemerken, dass sich in dem Schlafsaal der Siebtklässler auch Erstklässler befanden, denn er musterte Sirius, James, Remus und Peter ungläubig, ehe er mit seiner Standpauke fortfuhr: »Das gibt fünf Punkte Abzug für Gryffindor. Erstklässler sollten um diese Uhrzeit nicht mal mehr wach sein! – Und dann auch noch so ein Lärm und das halbe Schloss aufwecken! – Kusch jetzt, zurück in euren eigenen Schlafsaal!« Damit scheuchte Lewis die vier Freunde hinaus und begleitete sie noch bis zu ihrem Schlafsaal, bevor er sie endlich alleine ließ.
»Und – glaubt ihr, an diesem Wächter ist was dran?«, fragte Sirius, kaum dass die Tür hinter ihm zu war.
»Na ja, dieser Wanderon kommt mir schon ein wenig komisch vor. Aber wer weiß? Ich hoffe nur, dass das Ganze bald ein Ende hat«, meinte James, während er zu seinem Bett schlurfte. Auch Peter ließ sich sofort todmüde in die Kissen fallen.
»Mir ist so, als hätte ich schon mal irgendwo von der Legende um den ›Wächter von Hogwarts‹ gelesen…«, überlegte Remus noch, bevor auch er sich in sein Himmelbett zurückzog.
»Bestimmt in dieser komischen ›Geschichte um Hogwarts‹«, kam ein Murmeln hinter James' Vorhängen hervor.
»›Eine Geschichte von Hogwarts‹«, verbesserte Remus gähnend. Darauf kam keine Antwort. James war schon eingeschlafen und bald darauf hörte Sirius auch das gewohnte Schnarchen von Peters Bett und ein gleichmäßiges Atmen aus Remus' Richtung.
Allein Sirius konnte in dieser Nacht noch lange nicht einschlafen…
tbc...
