Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Somnambulismus
Zaubertränke war im Grunde genommen ein reichlich ungünstiges Fach zum Reden, schon allein deshalb, weil Brewpot für gewöhnlich keine Gelegenheit ausließ, ihnen Strafarbeiten aufzugeben. Außerdem war es in dem Fach normalerweise so still, dass sogar ein Flüstern im Kerker gut zu hören war.
Aber Sirius hatte keine Lust, es bis zum Mittagessen aufzuschieben, James von letzter Nacht zu berichten und so wartete er ab, bis Brewpot mit seiner Runde am anderen Ende des Klassenzimmers angekommen war, dann schilderte er James den seltsamen Traum. Natürlich hörten auch Remus und Peter, die sehr teilnahmsvoll schienen, aufmerksam zu.
Als Sirius geendet hatte, herrschte erst einmal Stille. Dann warf Remus nüchtern ein: »Aber dieser Trank sollte es eigentlich besser machen!«
»Na ja, wer weiß, vielleicht hat Brewpot da ja extra irgendwas rein gemischt, das Alpträume beschert«, zuckte Sirius die Schultern, senkte aber trotzdem vorsichtshalber die Stimme und sah sich zum Lehrer um, der noch immer über Pernillas Trank spottete.
Peter schien geschockt ob dieser neuen Vermutung. »Das solltest du McGonagall sagen«, stieß er sofort hervor.
Remus, der als Einziger der vier noch an seinem Kessel arbeitete, schnaubte hörbar auf. »Er hätte gar keinen Grund dafür gehabt«, wehrte er ab.
»Ach nein!« Auch James hob die Brauen und sah sich achtungheischend in der Runde um. »Ich hab mich schon oft gefragt, ob nicht er hinter allem steckt! – Er ist immer ziemlich fies zu Gryffindor!«
Erneut ließ Remus nur ein Schnauben vernehmen.
»Hey… weißt du, das kann sein«, stimmte Sirius ihm auch schon zu, als ihm wieder etwas einfiel. »Er war an der Auswahlzeremonie nicht da… Da könnte er theoretisch einen Fluch auf Hogwarts gelegt haben… und wisst ihr noch? Gleich in den ersten Tagen sind doch schon kleinere Dinge verschwunden! Daveys Eulenkäfig zum Beispiel! Oder Peters Hausschuhe…«
Alle drei wandten sich unauffällig zu dem Zaubertränkemeister um, der jetzt zwei Reihen hinter ihnen durch die Bänke strich, um mal hier, mal da Schüler zurechtzuweisen, die eine falsche Zutat in ihren Kessel gaben, aber Remus schüttelte ungläubig den Kopf.
»Er hat bei dieser einen Lehrerkonferenz dich verdächtigt…«, rief er ihnen ins Gedächtnis zurück, wobei er Sirius ansah.
»Pah! Alles Ablenkungstouren«, hielt Sirius trotzig dagegen.
»…Und außerdem war er bei der Auswahlzeremonie nur bei Professor Sprout, die Peitschende Weide besorgen.« Remus wandte sich wieder seinem Kessel zu, um vorzugeben, an seinem Trank weiterzubrauen.
»Woher weißt du das!«, fragten Sirius und James misstrauisch im Chor.
»Na ja, ich mach halt die Augen auf, was um mich herum vorgeht! Und die Peitschende Weide ist doch an unserem ersten Tag hier angekommen. Professor Sprout hat mal erzählt, dass sie die zusammen mit Professor Brewpot geholt hat…«
»Und in der zweiten Nacht ist sie gepflanzt worden«, bestätigte James nickend.
»Da fällt mir ein, jetzt, wo wieder Frühling ist, sind uns Davey und Timothy noch eine Revanche schuldig«, griente Sirius.
»Revanche? Wofür das denn?«, erkundigte sich Peter gedankenlos.
James grinste fast ebenso breit, wie Sirius: »Na, die haben's noch nicht geschafft, bis zum Stamm der Peitschenden Weide ranzukommen, oder!«
»Wieso brauen Sie hier keine Zaubertränke!« Brewpot sah miesepetrig wie gewohnt in Sirius' und James' Kessel, die noch leer über dem Feuer vor Hitze glühten. »Zehn Punkte Abzug für Gryffindor!«
Sirius sah James an und beide verdrehten hinter Brewpots Rücken die Augen.
Davey und Timothy ließen sich nicht zweimal darum bitten, ihre Wette vom vergangenen Jahr wieder aufzugreifen und so gingen sie nach dem Abendessen raus auf die Ländereien, um sich auszutoben.
Sirius war am Ende so fertig (natürlich hatte es niemand geschafft, den Baumstamm zu erreichen, aber schließlich hatten sie es mit viel Überredungskunst erreicht, auch Remus und Peter zum Mitspielen zu animieren), dass er glaubte, auch ohne Brewpots anrüchigen Trank anstandslos einschlafen zu können, doch Remus drängte ihn, lieber vorsichtshalber einen Schluck zu nehmen, bis Sirius schließlich doch – und das sehr widerwillig – nachgab.
Allerdings half das, wie sich herausstellte, auch nicht weiter. Abermals suchten ihn die Stimmen der vier Gründer Hogwarts' heim und sie kamen Sirius so realistisch vor, dass er überrascht war, als ihn diesmal Remus davon abhielt, sich einen Besen zu schnappen und zu den Slytherin-Verliesen aufzubrechen. Brewpots Schlaftrank schien seine Schlafprobleme tatsächlich nicht zu bessern, sondern noch zu verschlimmern.
Als er auch in der darauf folgenden Nacht von Alpträumen geplagt wurde und diesmal in seinem Schlafwandeln schon den Gemeinschaftsraum erreicht hatte (wenngleich Sirius nicht sagen konnte, wie er dort hingekommen war), war auch Remus der Ansicht, dass der Trank wohl bei ihm nicht wirkte.
»Du musst irgendwie ein besonders schlimmer Fall sein, oder so. Vielleicht solltest du noch mal mit Brewpot reden«, schlug er Sirius daher vor, als sie sich am Donnerstag nach der Mittagspause zu Kräuterkunde begaben, das zum Bedauern der Schüler wieder stattfand.
Wenigstens durften sie jetzt doch mal ins Gewächshaus fünf mit der Teufelsschlinge, was das Fach allerdings nicht unbedingt interessanter machte, da Professor Sprout einige Frühe Schwertlilien vor dem Verschwinden hatte retten können.
Doch bevor Sirius gegen diesen Vorschlag noch protestieren konnte, trat Professor Sprout zu ihnen. »Mir kam zu Ohren, Sie leiden unter Schlafstörungen, Mr Black!«
Sirius verdrehte die Augen. Es wäre ja zu schön gewesen, einmal nicht das Schulgespräch zu sein.
»…Da haben Sie aber ein Glück, dass ich vom vergangenen Sommer ein paar Blätter meiner Verbena officinalis übrig habe. Sie sind zwar nicht mehr so frisch, aber helfen sicherlich noch wunderbar in ihrer heilsamen Wirkung gegen Schlaflosigkeit.«
»Verbena offi… – was?«, hakte James irritiert nach.
»Officinalis, Mr Potter. Auch Isenkraut genannt. Wirkt garantiert!« Die Lehrerin, die kurz James missbilligend fixiert hatte – wahrscheinlich, weil der nicht wusste, was ihre hochheiligen Verbena officinalis waren – wandte sich erneut Sirius zu: »Außerdem empfehle ich Ihnen Crocus-Sativus-Essenz. Ich kann Ihnen von meinen Vorräten etwas anbieten, wenn Sie wollen…«
»Crocus Sati…«, begann James mit sichtlich verwirrter Miene, doch Remus unterbrach ihn flüsternd: »Safran – Schwertliliengewächs!«
Nachdem die Professorin ihm eine Menge Kräuter und Blätter ihrer stolzen Sammlung aufgedrängt hatte und endlich wieder abgezogen war, grummelte Sirius: »Bei allen euphorischen Eumeniden, man sollte doch meinen, dass ich ganz gut alleine klar komme…«
»Anscheinend nicht«, mischte sich Remus mit ein, während er an seiner Schwertlilie arbeitete. »Wenn bei dir noch nicht mal der Trank der Lebenden Toten eine Wirkung zeigt…«
»Der Trank der Lebenden Toten!«, wiederholten Sirius und James zugleich fassungslos.
»Ja, natürlich, was glaubt ihr denn, was Brewpot dir sonst für einen Schlaftrank gegeben haben sollte, wenn er dich eigentlich die ganze Nacht durchschlafen lassen sollte und wenn du unter keinen Umständen mehr als einen Schluck davon nehmen darfst!« Remus schüttelte ungeduldig den Kopf.
Sirius und James sahen sich baff an. »Na toll, da hätte mich aber auch mal wer warnen können! Was wäre denn gewesen, wenn ich aus versehen zwei Schlucke genommen hätte? Dann wäre ich wohl gleich ins Koma gefallen, oder was!«, empörte sich Sirius, wobei er so aufgebracht war, dass er seine Frühe Schwertlilie köpfte, anstatt sie nur etwas zu stutzen.
»Soweit ich weiß, hat dich Brewpot doch gewarnt, oder?«, wehrte Remus unbekümmert ab, der bereits bei der Pflege seiner vierten Blume angekommen war.
»Seit wann hört denn bitte Sirius auf Brewpot!«, warf James ein.
»Jetzt hat er doch die Mittel von Professor Sprout, dann ist das ja eh egal, oder?«, beendete Peter das Wortgefecht der drei, während er ungeschickt eine Schwertlilie packte und schief einpflanzte.
Sirius blieb jegliche Stellungnahme dazu erspart, da Professor Sprout in dem Moment die Stunde mit einem prüfenden Blick auf ihre Uhr beendete, sodass sie rechtzeitig zu Zauberkunst kommen würden.
»Schmeckt das Zeug eklig!« Sirius verzog beim bitteren Geschmack der Verbena officinalis-Blätter das Gesicht.
James klopfte ihm auf die Schulter, bevor er in ihr gemeinsames Himmelbett stieg. »Tja, da musst du wohl durch, Kumpel«, grinste er fast schon ein wenig schadenfroh.
»Dieser beißende Geruch ist ja nicht zu ertragen! Selbst wenn das Zeug Black hilft, endlich mal durchzuschlafen, was er wohl noch nicht gelernt hat, dann haben wir demnächst schlaflose Nächte wegen dem Gestank«, giftete Timothy, der eben seinen Pyjama über den Kopf zog.
Auch Davey nickte zustimmend, wobei er seinen Zauberstab auf den Nachttisch legte, um sich dann ebenfalls fürs Bett umzuziehen. »Können wir nicht wenigstens ein Fenster über Nacht offen lassen? – Ist doch eh warm genug«, pflichtete er Timothy bei.
Da Peter sich noch die Zähne putzte, was ohne Waschbecken einen ziemlichen Aufwand darstellte, und alle anderen inzwischen in ihren Betten lagen, erbarmte sich Remus, als kein Einwand erhoben wurde, das Südfenster zu öffnen.
Sirius unterdessen wurde schon wieder schläfrig und er bekam nur noch mit, wie Timothy höhnte: »Vielleicht springt Black ja im Schlafwandeln raus, dann sind wir den endlich los!« und James oder Davey – er kriegte nicht mehr mit, wer – ihn verteidigte, dann hatte ihn die Dunkelheit einmal mehr übermannt. Ein kühler Luftzug streifte ihn vom Fenster her.
Die Zentauren standen um das Feuer im Gemeinschaftsraum. Die roten Funken, die das Feuer ausstieß, gaben ein fahles Licht ab, das surrealistische Bilder an die Mauern warf.
»Sehet dort!« Ronan, dessen silhouettenhafte Gestalt wie ein Schatten wirkte, der durch das Feuer geworfen wurde, wies mit einer Hand in die Flammen, die sich zu unheimlichen Bildern formten, von welchen Sirius nicht genau sagen konnte, was sie darstellen sollten. »Der kleine Black wird den Pfad des Bösen wählen!«
Sirius sah tiefer in die Flammen, um das erkennen zu können, was die Zentauren sahen, doch alles, was das bewirkte, war ein Brennen in seinen Augen.
Eine weitere kühle Brise streifte Sirius' Gesicht. Er meinte, eine Stimme in ihr nachklingen zu hören. Eine Stimme, die ihm langsam schon bekannt – beinahe vertraut war. Er hatte in seinem Unterbewusstsein fast schon auf diese Stimme gewartet…
»Nur derjenige, dessen Treue der Reinblütigkeit gilt, wird Hogwarts' würdig sein. Nur jener wird zur Herrschaft fähig sein. Fähig zur vollkommenen Macht!«
»Salazar, es geht doch hier gar nicht um Macht…« Godric Gryffindor hatte gesprochen, doch jetzt fuhr Rowena Ravenclaw fort: »…Genau, sondern um Weisheit, Schlauheit und Wissen!«
»Wie ihr es nennen mögt bleibt sich gleich. Fähig dazu sind allein die Reinblüter.«
Irgendwo in Sirius' Hinterkopf nistete sich eine zweite hartnäckige Stimme ein, die ihn aufforderte, zu kommen und die ihn schließlich dazu brachte, sich in Bewegung zu setzen.
»Autsch!«
»Nicht schon wieder!«
»Kann man hier nicht einmal einfach nur schlafen, so wie jeder andere auch, der nicht gerade das Pech hat, sich mit Black einen Schlafsaal teilen zu müssen!«
Die uralten Stimmen waren genauso plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren und andere Stimmen redeten jetzt durcheinander – die Stimmen seiner Mitschüler.
Sirius sah verwirrt auf und blinzelte, um den Weg vom Traum in die Wirklichkeit zurückzufinden. Der abnehmende, etwas abgemagert wirkende Halbmond, der inzwischen über der kühlen, dämmrigen Abendluft erschienen war, schickte inzwischen sein milchiges Licht wie einen fahlen Schleier durch das offene Fenster in den Schlafsaal. In diesem wabernden Zwielicht musste Sirius feststellen, dass er wohl bei dem Versuch aus dem Bett zu klettern, James aus diesem geschmissen hatte, der sich eben fluchend wieder aufrappelte.
»Kann nicht mal wer Licht machen? Ich komm so schwer an meinen Zauberstab ran«, kam es verschlafen von Peters Bett.
»Wir brauchen jetzt doch kein Licht«, stöhnte James genervt, als er zu Sirius zurück ins Bett krabbelte, wobei er ihm einen etwas angesäuerten Blick zuwarf, der von der Dunkelheit verschluckt wurde.
»Ich schlage vor, wir…« Doch was genau Remus hatte vorschlagen wollen, sollten sie nie erfahren, denn in dem Augenblick fluchte Davey laut in dem dunklen Schlafsaal.
»Was'n los, Mann?«, knurrte Timothy gereizt.
»Mein Zauberstab! – Ich wollte gerade für Licht sorgen und… er ist weg!«
»Was? Red keinen Stuss! – Vielleicht sollte wirklich mal jemand Licht machen!«, meinte James, woraufhin mehrere Stimmen »Lumos« flüsterten und fünf Zauberstäbe den Raum erhellten.
»Tatsächlich«, stellte Timothy baff fest, »das gibt's doch nicht!«
»Sicher, dass du den da hingelegt hast? Ich meine, vielleicht ist er ja nur…« Remus ersparte sich den Rest des Satzes, da Davey ohnehin schon aus dem Bett gesprungen war und nun unter und neben dem Nachttisch verzweifelt suchte.
»Tja,… das sieht dann wohl so aus, als wäre mal wieder was verschwunden«, fasste James die Lage schließlich in Worte.
»Was soll ich denn jetzt machen? – Ohne Zauberstab kann ich meine Prüfungen ja gleich sausen lassen!«
»Jetzt mach dich mal nicht so fertig«, versuchte Timothy ihn zu beschwichtigen. »Du kriegst sicher einen Neuen von deinen Alten!«
Aber trotz allen Versuchen, konnten sie Davey nicht beruhigen. Sirius, bei dem wohl noch die Schlafkräuter von Professor Sprout wirkten, war das allerdings herzlich egal, da er viel zu müde war, um auch nur etwas sagen zu können. So bekam er von den Bemühungen der anderen, Davey gut zuzureden nicht viel mit.
Erst, als das Fenster mit einem geräuschvollen Knall zuflog und Peter mit einem gellenden Schrei aufkreischte, fuhr auch Sirius aus seinem Halbschlaf wieder hoch.
»Der Wächter kommt«, schrie Peter panisch, während Sirius zum Fenster blickte, welches mit solcher Wucht zugeschlagen war, dass es wieder halb aufgegangen war und nun sich knarrend auf und zu bewegte.
»Quatsch!«, raunzte Timothy quer durch den Schlafsaal Peter an. »Das ist nur Peeves! Dieser Poltergeist hat auch nichts als Unsinn im Kopf!«
»Ach ja? Aber Peeves kann sich nicht unsichtbar machen, oder!«, mischte sich James angriffslustig mit ein.
Remus war mittlerweile aufgestanden und schloss jetzt das Fenster mit einem suchenden Blick nach draußen ganz. »Da ist nichts«, verkündete er, während er ins Bett zurückstieg.
»War wohl nur ein Luftzug«, zuckte Sirius gähnend die Schultern.
»Aber wenn es der Wächter gewesen wäre, dann hätte ich keinen Zauberstab gehabt, um mich verteidigen zu können…« … »Welcher Wächter überhaupt!«, drangen Daveys und Timothys Worte noch zu ihm durch, bevor er sich endgültig dem wohltuenden Schlaf hingab.
Sirius konnte sich nicht mehr erinnern, was er in dieser Nacht noch geträumt hatte, aber er war sich fast sicher, dass die Stimmen ihn die restliche Nacht in Ruhe gelassen hatten. Dennoch nervte Remus ihn am nächsten Tag beim Frühstück damit, zu einem Lehrer zu gehen und diesen davon in Kenntnis zu setzen, dass seine Alpträume und Schlafwandlerei einfach nicht aufhörten.
»Ach was«, winkte Sirius ab, der zwischen Remus und Nelson saß. »Die können doch auch nichts tun! Brewpots Schlaftrank und Sprouts Kräuter haben ja schließlich auch nicht wirklich geholfen, oder!«
Nelson, der sich eben noch mit einem anderen Ravenclaw unterhalten hatte, lehnte sich zu den vier Freunden herüber. »Was? Du hast Schlafstörungen?«
»Nee, weißt du, ich tu' nur so«, knurrte Sirius, der missmutig sein Frühstücksbrötchen betrachtete.
»Mach dir nichts draus, das geht vorbei. Das liegt sicher nur an der Aufregung vor den Prüfungen«, versuchte Nelson ihn aufzubauen.
»Prüfungen?« Sirius wechselte einen überraschten Blick mit James, der nur die Schultern zuckte, wobei er so aussah, als müsse er jeden Moment loslachen. »Die sind doch erst in gut drei Monaten!«
»Na ja, ich dachte halt…« Nelson wandte sich schulterzuckend wieder ab, was Remus nur erneut die Gelegenheit gab, auf Sirius einzureden, einen Lehrer zu informieren.
»Warten wir doch erst mal ab. Vielleicht – keine Ahnung – musste sich Sirius ja erst an diese Blätter gewöhnen und heute Nacht geht's besser…«, übernahm James Sirius' Verteidigung.
Remus sah zwar so aus, als glaubte er nicht daran, hielt sich aber den restlichen Tag über zurück und sagte nichts mehr.
Auf Grund der für März erstaunlichen Temperaturen brauchten die Lehrer den See nur noch geringfügig zu erwärmen.
Da Highking jenen Abend mal wieder Aufsicht hatte, beschlossen Sirius und James, zur Abwechslung ausnahmsweise einmal vorbildlich in Ufernähe bei Remus und Peter zu bleiben, was zumindest den Vorteil hatte, dass sie von dort aus zum Quidditch-Stadion sehen konnten, wo ihre Hausmannschaft gerade ein letztes Training vor dem Quidditchspiel am nächsten Tag abhielt.
»Die haben keine Chance. Ich glaub, selbst Hufflepuff wird die morgen in die Tasche stecken«, sinnierte James, die Augen in die Ferne zum Quidditch-Stadion gerichtet.
»Na, wenigstens hat Ravenclaw Hufflepuff besiegt – und uns ja sowieso. Das heißt, dass wahrscheinlich Ravenclaw den Quidditch-Pokal gewinnt und nicht Slytherin«, rechnete Sirius nach.
»Schauen wir uns die Niederlage morgen an?«, fragte James gelangweilt.
»Natürlich«, kam es sofort von Remus. James und Sirius sahen den dunkelblonden Jungen verständnislos an, weshalb er fortfuhr: »Nachdem wir das letzte Mal so einen Ärger mit Professor McGonagall hatten, wäre es wohl klüger, uns da diesmal blicken zu lassen!«
Sirius stöhnte auf bei dem Gedanken an die Zeitverschwendung seines kostbaren Samstags. Gelangweilt ließ er seinen Blick über die Schüler schweifen, die sich im See tummelten und sich dabei gegenseitig mit Wasser bespritzten.
Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit von Hagrid angezogen, der am See vorbei über die Wiese zum Schloss ging, ohne auch nur einmal in ihre Richtung zu schauen.
Schuldbewusst musste sich Sirius eingestehen, dass sie Hagrid auch schon einige Zeit lang nicht mehr besucht hatten – obwohl Sirius eigentlich ohnehin von Anfang an nichts mit irgendwem zu tun hatte haben wollen. Dennoch setzte er dazu an, die anderen darauf aufmerksam zu machen, doch James wechselte als erster das Thema: »Hey, Jones übernimmt die Aufsicht!« Und damit schwamm er hinaus in den See.
»Komm mit…«
Sirius stieg von der unsichtbaren Kraft geführt die Marmortreppe hinab. Er musste sich beeilen! In seinem Hinterkopf zischte die Stimme dieselben verlockenden Worte, die sich Sirius nur zu gut eingeprägt hatten.
Er musste den Slytherin-Kerker erreichen. Niemand würde ihn aufhalten können! Er sprang die letzten Stufen hinunter, durchquerte rennend die Eingangshalle… als er jählings gegen etwas Großes, geradezu Monströses lief.
Er prallte zurück und fiel hart nach hinten auf den Steinboden. Urplötzlich war er hellwach und erkannte im fahlen Fackelschein, das die Eingangshalle zu fast jeder Tageszeit erhellte…
»Hagrid! – Was machst du denn hier!«
»Na, dasselbe könnt ich dich wohl auch frag'n, oder!« Hagrid klopfte sich den dicken Fellmantel, den er nie abzulegen schien und hielt anschließend Sirius seine große Pranke hin, um ihm aufzuhelfen. Hagrids Blick wanderte langsam zu den Slytherin-Verliesen, zu denen Sirius ganz klar auf dem Weg gewesen war.
»Glaub nicht, dass ich freiwillig hier bin«, lenkte Sirius hastig ein.
Hagrid runzelte verwirrt die Stirn, als seine schwarzen Augen, in denen sich das Licht der Fackeln reflektierte, zu Sirius zurückschweiften.
»Bin schlafgewandelt. Und du?«, fragte Sirius noch einmal nach, da er sich keinen Grund vorstellen konnte, was Hagrid nachts im Schloss zu suchen hatte.
»Ach, mein Haus is' verschwund'n. Fang un' ich wohnen jetz' auch hier im Schloss… Ihr wart mich ja übrigens auch schon lang nich mehr besuch'n!«, stellte Hagrid in gespielt vorwurfsvollem Ton fest.
»Ähm… ja, weißt du, wir haben momentan viel für die Schule zu tun…«, flunkerte Sirius schnell, der in Wirklichkeit in letzter Zeit einfach nur zu viel um die Ohren gehabt hatte und über dem ganzen Regelnbrechen mit James Hagrid ganz vergessen hatte. »Jetzt, wo du auch hier wohnst, sehen wir uns bestimmt öfter«, fügte Sirius noch etwas reumütig hinzu.
»Jep, denk ich auch – hat bestimmt auch Vorteile, hätte aber trotzdem mein Haus gern wieder. Frag mich, wo uns das alles noch hinführen soll…« Hagrid starrte einen Moment lang in die Ferne, dann wandte er sich wieder Sirius zu: »Sicher, dass mit dir alles okay is'?«
»Ähm… ja… ich geh dann auch mal besser wieder zurück in meinen Schlafsaal…« Sirius, froh über die Gelegenheit, drehte sich auf dem Absatz um und eilte ohne einen Blick zurück zu Hagrid die Marmortreppe wieder nach oben, die er zuvor im Schlaf hinabgestiegen war.
Auf dem Weg zurück zum Gryffindor-Turm beschlich ihn wieder dieses seltsame Gefühl – dieses leichte Prickeln im Nacken, das ihm immer verriet, dass irgendjemand – oder –etwas – ihn beobachtete. Aber zugleich fragte er sich, ob er sich das nicht nur einredete und so langsam an Verfolgungswahn litt.
Dennoch war er froh, als er endlich zu James in sein warmes Bett stieg und sich dem Schlaf hingeben konnte, wenngleich er fast ein wenig befürchtete, die Träume würden mit dem Schlaf zurückkehren.
»Heute ist das Quidditchspiel!«, rief jemand so laut, dass selbst Sirius am frühen Morgen geweckt wurde, obwohl es Wochenende war, er die halbe Nacht über im Schloss und bei Hagrid verbracht hatte und er sich noch von all den Schlafmitteln ganz müde und erschlagen fühlte.
»…Wir wissen's! Musst du einen deswegen extra wecken!«, murmelte Sirius verärgert darüber, dass er aus dem ausnahmsweise einmal traumlosen Schlaf gerissen worden war.
»Ja!«, entgegnete Davey grinsend. »Schließlich wollt ihr doch nicht das letzte Quidditchspiel verpassen, das Gryffindor dieses Jahr spielt, oder!« Davey, der halb angezogen auf seinem Bett saß, grinste breit.
»Und verliert«, setzte Peter noch halblaut murmelnd dazu.
»Doch, genau das war eigentlich unser Plan gewesen, weißt du«, grummelte Timothy, der wohl ebenfalls durch Daveys Ruf geweckt worden war und als noch schlimmerer Morgenmuffel als Sirius unter den Jungs schon bekannt war.
»Ich finde auch, dass ihr langsam mal aufstehen könntet«, meinte Remus lächelnd, der anscheinend schon länger wach war und mit einem Buch in der Hand auf seinem Bett saß. »Sonst verschlaft ihr noch den ganzen schönen Sonnentag!«
Peter lugte verschlafen hinter seinen Bettvorhängen hervor. »Was lernst du da?«, hakte er nun neugierig nach.
Remus hielt das Buch hoch, sodass der Titel Die Unendliche Geschichte für Peter gut sichtbar war.
»Ist doch jetzt egal!« James war bereits fertig angezogen und wirkte leicht aufgeregt. »Wie Davey schon sagte: Heute ist das Quidditchspiel. Da ist doch alles andere egal! – Wenn doch nur ich auf meinem Nimbus 1001 für Gryffindor mitfliegen dürfte!«
»Wir schaffen den Quidditch-Pokal doch eh nicht mehr«, zuckte Sirius gleichgültig die Schultern. Auch er begann träge, sich anzuziehen.
»Was ihr macht, ist mir wurscht, ich geh jetzt runter!« Davey, der vor Aufregung zwei verschiedene Socken angezogen hatte, spurtete freudig zur Schlafsaaltür, schnappte sich einen Besen und verschwand nach draußen.
Auch Timothy beeilte sich, Davey zu folgen, da er allem Anschein nach nicht allzu gerne mit den vier Freunden allein in einem Raum sein wollte, auch wenn er noch immer recht verschlafen wirkte und seinen Umhang verkehrt herum anhatte.
»Na, siehst du, Remus, heute Nacht hatte Sirius ja keine Probleme! Ich wusste doch, dass sich das legt«, meinte James, kaum war die Tür hinter Timothy ins Schloss gefallen.
Remus nickte ergeben, doch Sirius setzte schon an: »Ähm… so ganz würde ich das nicht sehen…« Die drei anderen Jungs sahen ihn fragend und leicht irritiert an. »…Ihr seid nur nicht richtig wach geworden!«
Sofort als er geendet hatte, meinte Remus in einem ernsten Tonfall: »Du solltest ehrlich zu einem Lehrer gehen. Am besten heute noch.«
Sirius antwortete nichts darauf, war sich aber unterbewusst selbst darüber im Klaren, dass Remus Recht hatte und er nicht daran vorbei kommen würde, früher oder später einen Lehrer aufzusuchen. Er sagte aber dennoch auf dem Weg zum Quidditch-Stadion (das Frühstück ließen sie gleich ganz ausfallen, da die Hälfte der Schule schon zu den Tribünen unterwegs waren) hinunter gar nichts, obgleich Remus weiterhin auf ihn einredete.
»Jetzt lass ihn doch erst mal in aller Ruhe das Quidditchspiel…« James brach mitten im Satz ab.
Sie hatten die Schlossgründe erreicht, auf denen aufgeregt Schüler hin- und herwuselten. Aber es war nicht die übliche knisternde Spannung, die vor jedem Quidditchspiel in der Luft lag; es war vielmehr ein teils wütendes, teils aufgebrachtes und teils sogar panisches Gemurmel unter den Schülern, die alle entweder – wie Sirius, James, Remus und Peter – auf dem Weg zum Quidditch-Stadion waren oder gerade von dort kamen.
Selbst Madam Hooch, die Schiedsrichterin, drängte sich beunruhigt durch die Schülermassen auf das Schloss zu, direkt an den Vieren vorbei, die sie, wie alle Schüler, keines Blickes würdigte.
Ein älterer Hufflepuff-Junge, der bereits seine Quidditch-Aufmachung anhatte, die bei den Hufflepuffs kanariengelb war, wollte die Lehrerin ansprechen, doch auch ihn schob sie beiseite, um in das Schloss zu eilen.
»Was ist denn mit denen allen los?«, fragte James schließlich, der ganz vergessen hatte, dass er eben noch Remus' nerviges Gerede hatte abwürgen wollen.
»Da vorne ist Anne. Die weiß das bestimmt«, erkannte Sirius und war auch schon auf dem Weg zu Anne, die mit ein paar anderen Ravenclaw-Erstklässlern ratlos in der Gegend herumstand.
»Wisst ihr, was hier abgeht?«, erkundigte sich James sogleich. »Wieso gehen wir nicht einfach in das Stadion und besetzen schon mal Plätze?«
»Weil das Stadion verschwunden ist. Muss heute irgendwann im Verlauf des Morgens passiert sein, weil Angus, der Kapitän der Hufflepuffs, behauptet, dass sie am frühen Morgen noch ein Training hatten. Da war's wohl noch da«, gab Anne sofort detailliert und sogar ein bisschen amüsiert Auskunft.
Sirius ließ seinen Blick über die Köpfe der anderen in die Richtung schweifen, in der das Quidditch-Stadion hätte sein sollen – doch da war tatsächlich nichts.
»Das darf nicht sein…«, stammelte James, der die Augen ebenfalls suchend über die Menge schweifen ließ.
Peter jedoch schien fast etwas erleichtert. »Dann müssen wir das Spiel ja vielleicht doch nicht sehen«, hoffte er sehnsüchtig.
In dem Moment kehrte Madam Hooch in Begleitung von Professor McGonagall zurück und bahnte sich ihren Weg durch die aufgeregte Schülerschar. McGonagall richtete kurz ihren Zauberstab auf ihre Kehle, sagte etwas und als sie zu reden begann, schallte ihre Stimme über die quatschenden und kreischenden Schüler hinweg, sodass jegliche Gespräche von selbst eingestellt wurden:
»Wie Sie wohl bereits alle mitbekommen haben, hat sich das Quidditch-Stadion in Luft aufgelöst. Das Spiel heute entfällt daher. Der Quidditch-Pokal kann demnach dieses Jahr nicht überreicht werden!«
Die Schreckschraube richtete abermals ihren Zauberstab auf ihren Hals, sagte »Quietus« und wandte sich wieder ab, um ins Schloss zurückzukehren.
Einige Schüler schienen entsetzt über diese Neuigkeit, dass fortan keine Quidditch-Spiele mehr stattfinden würden, andere – besonders die Gryffindors – wirkten vielmehr erleichtert, einer weiteren Blamage entgangen zu sein.
Die Hufflepuffs allerdings warfen den Gryffindors immer wieder tief beleidigte Blicke zu, da sie sich wohl sicher gewesen waren, zu gewinnen.
Beim Mittagessen zogen sie es sogar erstmals vor, sich freiwillig an den Slytherin-Tisch zu setzen, als an den Ravenclaw-Tisch, wo die Gryffindors sich wie üblich dazugesetzt hatten. Das war Sirius nur Recht, denn so hatten sie endlich mal ein wenig mehr Platz, als sonst, was allerdings keinen allzu großen Unterschied darstellte.
James regte sich noch immer über das ausgefallene Quidditchspiel auf. Seiner Meinung nach hätten die Gryffindors noch eine kleine Chance gehabt, wenigstens die Hufflepuffs zu besiegen, auch wenn Sirius vermutete, dass James sich das nur einredete, als Piler unerwartet zu ihnen an den Tisch trat.
»Hallo Jungs! – Ich komm gleich zur Sache: Hagrid hat mir erzählt, dass dein Somnambulismus nicht nachlässt und…«
»Sein was!«, mischte sich James mit ein, der das ausgefallene Quidditchspiel für einen Augenblick vergessen zu haben schien.
»Schlafwandeln – auch Lunatismus genannt«, raunte Remus, wobei er Piler unverwandt interessiert anblickte.
Sirius ahnte, dass Remus schon die ganze Zeit der Meinung war, man solle sich Rat von einem Lehrer holen. Am besten von Piler, der ihnen jede Frage beantworten würde. Er hatte keine Gegenargumente und nickte Remus ergeben zu.
»Jedenfalls hätte ich da eine Methode – es tut nicht weh und ist auch nicht im Geringsten gefährlich… Alles was du brauchst, ist Vertrauen«, fuhr Piler etwas durcheinander fort.
»Ja, er macht es«, stimmte Remus ihm schon zu, als Sirius gerade skeptisch nachfragte: »Was eigentlich?«
»Sagte ich das nicht schon? – Hypnose«, erklärte Piler.
»Dieses Muggelzeug?«, kam es nun überraschend von Sirius' anderer Seite, als Anne sich naserümpfend umdrehte. »Wo man die ganze Zeit auf ein Pendel starrt, bis man einschläft?«
»Hörst du eigentlich immer mit?«, murrte James sie schlecht gelaunt an.
»Nee, nur wenn's was Interessantes gibt«, grinste das Mädchen. »Und davon, dass Sirius nachts durch die Gegend läuft, weiß ja auch schon jeder!« Damit blickte sie Piler neugierig an, als wäre sie ganz in dem Gespräch mit einbezogen.
»Das mit dem Pendel ist nicht so einfach, Anne…«, erwiderte dieser geheimnisvoll. Doch urplötzlich änderten sich sein Ton und sein Blick und er war wieder der unbeschwerte, kumpelhafte Lehrer, als er sich an Sirius wandte: »Also, versuchen wir's! Heute Abend, in meinem Büro.«
»Okay… Aber James kommt mit«, bedingte Sirius sofort.
»Soviel zu deinem Vertrauen in mich«, grinste Piler, zwinkerte ihm dabei aber dennoch schalkhaft zu.
»Dann kommen wir am besten gleich zu viert«, mischte sich nun Remus ernst ein.
Piler nickte nur lächelnd, bevor Anne nachdenklich meinte: »Es geht zu weit, wenn ich jetzt sage, ich will auch mit, oder?«
»Ja!«, erwiderten Sirius und James sofort.
»Also, dann heute Abend um acht«, meinte Piler, womit er aus der Großen Halle verschwand.
tbc...
