Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Fünfundzwanzigstes Kapitel

Die Bibliothek und ihre Folgen


Der März neigte sich bald seinem Ende zu, da die Zeit in den Ferien immer wie verhext doppelt so schnell an ihnen geradezu vorbeiflog, und mit James' Geburtstag feierten sie in den April hinein, der alsbald das schöne Wetter vertrieb, indem er sich einen Spaß daraus machte, von regenpeitschenden Winden über Hagelschauer bis zu nebelbehangenen Vormittagen, an denen die Umgebung von Hogwarts mit Raureif bedeckt war – und doch wieder zurück zum warmen Sonnenschein – einfach alles bereit zu halten.

Sirius hatte seit seiner letzten Hypnosestunde bei Piler immer ruhig durchgeschlafen und auch Remus war längst wieder munter, wenngleich er die ersten Tage nach seiner ›Krankheit‹ ziemlich erschöpft und mitgenommen ausgesehen hatte. Diesmal hatte er einige breite Kratzer über der Stirn, von denen er anscheinend selbst nicht wusste, woher sie kamen.

Da sie nur noch die Hälfte der Ferien vor sich hatten, entschloss sich Sirius, seine letzte Ruhe, die in den vergangenen Tagen allenfalls von den Slytherins gestört worden war, welche sich über sein Phantom lustig machten, in vollen Zügen bei Schlosserkundungen mit James zu genießen, während fleißige Schüler, wie etwa Remus oder Lily sich bereits Gedanken über die Stoffwiederholung machten, schließlich würden die Prüfungen, wenn erst einmal das letzte Semester begann, laut ihnen zügig näher rücken.

Sirius und James störte das wenig. Tagsüber waren sie trotz Wind und Wetter meist mit Remus, Peter und Davey draußen unterwegs, wobei sie die Peitschende Weide immer wieder anlockte (bei dem Wetter waren sie immerhin oft alleine auf den Ländereien, was für ihr Peitschenden-Weide-Spiel recht günstig kam, da sie irgendwo den starken Verdacht hegten, dass die Lehrer nicht allzu angetan davon gewesen wären).

Des Nachts machten sich Sirius und James manchmal auf Phantomsuche, sofern Sirius nicht den Trank der Lebenden Toten nahm, um einmal ungestört durchzuschlafen. So bekam es Sirius gar nicht richtig mit, als plötzlich das letzte Wochenende der Ferien – widererwarten warm und sonnig – hereinbrach.

»Mann, war das knapp!«, schimpfte Sirius, als er sich unter einem Ast wegduckte, während sie den milden Sonntag dazu nutzten, auf den Schlossgründen ihre ›Wette‹ weiterzuverfolgen.

Auch James warf sich gerade zu Boden, um einem fiesen Zweig in Halshöhe auszuweichen. So tobten sie sich aus, bis sie schon ganz rot in den Gesichtern wurden.

Sirius und James waren bereits so geübt, dass sie die meisten Äste rechtzeitig sahen und umgehen konnten.

Doch Davey, der eben in einem wagemutigen Versuch, endlich den Stamm der Peitschenden Weide zu erreichen an ihnen vorbeistürmte sah den mit kleinen, wütenden Zweigen gespickten Ast zu spät, der auf ihn genau in Augenhöhe so kräftig einpeitschte, dass er vor Schmerzen laut aufkreischte und rückwärts zu Boden geschleudert wurde, wo er reglos und blutverschmiert liegen blieb.

Außerhalb der Gefahrenzone kreischte auch Peter panisch auf, weshalb Sirius herumfuhr und so am Rande seiner Aufmerksamkeit mitbekam, wie Remus einen langen Ast aufhob und damit nach irgendetwas angelte (wahrscheinlich wollte er Davey damit heranziehen, was angesichts dessen Gewichtes und den Interventionen der Peitschenden Weide völlig lächerlich war).

Doch nun, da sein Blick zu dem hilf- und leblos daliegenden Davey zurückkehrte, überfiel selbst ihn eine gewisse Angst, nicht zuletzt, weil James ihm entschlossen zurief: »Sirius, wir müssen ihn da rausholen!«

Bevor die zwei ihren Plan jedoch in die Tat umsetzen konnten, überfiel die Peitschende Weide wieder diese seltsame Starre, wie schon einmal, was die beiden sofort nutzten, um zu Davey zu hechten und diesen über die Wiese in Sicherheit zu ziehen.

Als der Baum wieder zu schlagen anfing, erwachte Davey fast ruckartig aus seiner Ohnmacht. Die vier Jungs beugten sich sorgenvoll über ihn, während er seine Hand vor sein linkes Auge hielt und jammerte, dass ihm dieses unsägliche Schmerzen bereite.

»Das sieht echt nicht gut aus«, stellte Remus ernst fest, wobei er sanft Daveys Hand von seinem Auge nahm, um sich die Wunde näher anzusehen.

»Das sollten wir gleich Madam Pomfrey zeigen!«

Damit legten Sirius und James sich Daveys Arme über die Schultern, um den Jungen zwischen sich her ins Schloss zu schleifen.

Es war schwierig, ihren heulenden Mitschüler die Treppen hinaufzutragen, doch endlich hatten sie ihn nach großer Qual für alle Beteiligten in den Krankenflügel geschafft, wo Madam Pomfrey fast außer sich geriet.

Wütend schickte sie die vier Gryffindors zurück in ihren Gemeinschaftsraum, während sie Davey zu einem Bett geleitete und den Vorhang zuzog. Zu schwach von den körperlichen und seelischen Strapazen, um noch Widerstand leisten zu können, gehorchten sie ihrem Befehl ohne Anstalten und fläzten sich schweigsame Minuten später in ihre Sessel.

»Blöd gelaufen«, knirschte Sirius, der irgendwo ein schlechtes Gewissen hatte, obwohl er gar nichts mit Daveys dämlicher Aktion zu tun hatte.

Daveys Gesicht hatte schlimm ausgesehen. Er hoffte, dass er keine ernsthaften Verletzungen davontragen würde… Sirius' Gedanken wurden von einer stinksauren McGonagall unterbrochen, die eben das Porträt zur Seite schmetterte.

»Was ist mit Mr Gudgeon passiert und was, bei Merlins Bart, haben Sie damit zu tun!«

Sirius hatte schon den Mund geöffnet, um der Lehrerin eine Lüge aufzutischen (welche, wusste er selber noch nicht so genau), da fuhr die Schreckschraube fort, als hätte sie seine Gedanken gelesen: »Und ich will keine Lügengeschichten hören!«

Sirius schloss anstandshalber wieder ertappt seinen Mund und die vier Jungs blickten sich noch einmal schuldbewusst an, bevor Remus leise, mit zittriger Stimme zu erzählen begann.

Als er geendet hatte, stand McGonagall wütend aber gleichzeitig auch ungläubig vor ihnen.

»Wie konnten Sie nur so dumm sein! Gerade von Ihnen hätte ich das nicht gedacht, Mr Lupin. Ich rate Ihnen allen, sich ja nie mehr in die Nähe der Peitschenden Weide zu wagen! Und außerdem werden Sie morgen eine Strafarbeit absitzen! Sofort nach dem Unterricht begeben Sie sich in die Bibliothek. Sie können froh sein, dass Mr Gudgeon sein Auge nicht verloren hat! Es sah nicht gut für ihn aus, aber Madam Pomfrey konnte sein Auge heilen!«

Damit drehte sie sich um und stampfte, nicht ohne einen letzten strafenden Blick, schnaubend hinaus. Nachdem sie den Gemeinschaftsraum verlassen hatte, herrschte ungewohnte Ruhe. Alle starrten die vier an, die in ihrem kleinen Kreis trübsinnig beisammen saßen.

»Na ja, sind ja eigentlich noch ganz gut davongekommen, obwohl wir's ja nicht verdient hätten«, meinte Remus schließlich bedrückt, als die Gryffindors um sie herum langsam zu ihren Unterhaltungen zurückfanden.


Sirius hatte in der Nacht nicht mehr bemerkt, wie Davey zurückgekommen war, so dass er am Morgen, als er aus seinem Schlaf der Lebenden Toten erwachte, überrascht feststellte, dass sein Schlafsaalkamerad gerade versuchte, aus seinem Schlafanzug zu steigen. Da er ein Auge noch verbunden hatte, musste er sich nun einäugig zurechtfinden, weshalb er eine etwas unbeholfene Figur machte, wahrscheinlich weil ihm das dreidimensionale Sehen fehlte.

»Morgen. Kann man dir irgendwie behilflich sein?«, knurrte Sirius, der zwar nicht die geringste Lust hatte, Davey zu helfen, allerdings nicht stumm zusehen wollte, schließlich hatte er ja eine Teilschuld an seiner Misere, wie Remus ihnen gestern Abend noch in einer langen und nervtötenden Rede klar gemacht hatte.

»Nee, geht schon. Danke«, grinste Davey schief und stolperte zur Seite, als er den Nachttisch verfehlte, an dem er sich eigentlich hatte festhalten wollen.

Sirius lächelte widerwillig amüsiert und stand seinerseits auf. James war anscheinend schon wach, denn seine Seite des Bettes war ordentlich gemacht. Schweigend zog Sirius sich an, wobei er bemerkte, dass auch Remus und Peter schon beim Frühstück sein mussten, denn auch ihre Betten waren verwaist. Toll, konnten die denn nicht einmal auf ihn warten! Überrascht über die eigene Gereiztheit zuckte Sirius die Schultern.

»Was ist denn?«, fragte Davey, der wohl der letzte im Schlafsaal war und das Schulterzucken natürlich gesehen hatte.

»Nichts«, blaffte Sirius unfreundlich, da Davey sich nicht in seine Angelegenheiten zu mischen hatte.

»Du, Sirius…«, begann Davey abermals, als Sirius sich gerade auf einen Besen schwang, um ihm zu entgehen.

»Was!«, donnerte Sirius, allmählich ehrlich verärgert. Der konnte ja noch viel mehr nerven als Peter!

»Ich seh noch nicht so gut mit einem Auge… könntest du mich vielleicht auf deinem Besen mit runter nehmen? Madam Pomfrey sagt zwar, dass ich heute Abend den Verband abnehmen kann, aber zur Schonung…«, stotterte Davey sehr verunsichert ob Sirius' Aggressivität.

»Wenn ich dich damit loswerde…«, brummte Sirius und nickte ergeben. Also stieg Davey einen Augenblick später hinter ihm auf den Besen und Sirius stieß sich vom Türrahmen ab, um in den Gemeinschaftsraum zu fliegen, wo er den Besen abstellte, um schnell in die Korridore zu verschwinden, – doch Davey klebte wieder an ihm.

»Weißt du, es war gar nicht so schlimm, als Madam Pomfrey mich behandelt hat. Ich meine, es hat schon wehgetan, aber ich mach euch gar keinen Vorwurf…«, laberte er ihn den ganzen Weg in die Große Halle zu, ohne anscheinend auch nur einmal Luft holen zu müssen.

Völlig entnervt trat Sirius schließlich zum Ravenclaw-Tisch und quetschte sich zwischen James und eine Hufflepuff auf die Bank, die sofort aufstand und mit ängstlichem Blick zum anderen Tisch verschwand. Wenigstens hatte er es somit endlich geschafft, Davey loszuwerden, der eben Timothy begrüßte, der wieder aus den Ferien zurück war.

»Morgen!«, meinte James mufflig.

»Hm«, antwortete Sirius nur genauso schlecht drauf. Allerdings fragte er sich, welchen Grund James dazu hatte, da er von Davey verschont geblieben war. »Was'n los?«, wollte er deshalb mäßig neugierig wissen.

»Alle fürchten sich vor uns«, gab Remus kühl zurück, der ihm gegenüber saß.

»Hä?«, hakte Sirius nach, unfähig, mehrere Worte aneinander zureihen.

»Ja, sie denken alle, wir hätten Davey das mit Absicht angetan. Kennst ja diese Gerüchte. Verbreiten sich schneller als ein Lauffeuer!« Missbilligend schüttelte Remus den Kopf, um sich daraufhin wieder seinem Kräuterkundebuch zuzuwenden, das er aufgeschlagen neben seinem Teller liegen hatte.

»Wenn ich jemandem mit Absicht wehtue, dann geschieht das wesentlich gekonnter«, brummelte Sirius genervt. Jetzt hatten diese dämlichen Hogwarts-Schüler schon wieder neue Komplexe! Sobald er mal was tat, wurde es gleich an die große Glocke gehängt, aber wenn Malfoy oder seine dumme Cousine…

»Entdeckst langsam deine wirkliche Bestimmung, was, Baby Black?«, höhnte da eine hämische Stimme hinter ihm.

Seufzend drehte er sich zu Bellatrix um, die, flankiert von Malfoy und Rodolphus, mit verschränkten Armen hinter ihm stand.

»Sind die Gerüchte wahr, Black? Das gäbe sicherlich lobende Worte von deiner Mutter«, grinste Malfoy dunkel.

»Geht euch nichts an«, raunzte James an Sirius' Stelle.

Bella warf ihm einen funkelnden Blick zu und Sirius sah schon die Bewegung, wie sie an ihrem Zauberstab herumfingerte, doch sie griff seinen besten Kumpel nicht an. Stattdessen wandte sie sich wieder an Sirius: »Wenn du nicht so unterbelichtet wärest, kleiner Black, dann würde ich ja sagen, dass du Gryffindor von innen heraus zerstörst. Aber da das nicht der Fall ist… hast du dich denn schon schön artig bei diesem kleinen Invaliden bedankt?« Ihre Stimme troff vor Hohn.

»Er ist nicht invalide! Er muss sein Auge nur schonen!« Remus war aufgefahren und glänzte die Slytherins böse an.

»Oh, das tut mir jetzt aber Leid! Habe ich den Freund des kleinen Strebers beleidigt?« Bella setzte ihre Babystimme auf.

»Verschwinde endlich, du blöde schwarzmagische Kuh«, brüllte Sirius sie an, dem es endgültig zuviel war, dass sie jetzt sogar schon Remus beleidigte.

»Was hast du da gesagt, du Wurm?« Plötzlich wirkte seine ältere Cousine sehr gefährlich. Aber Sirius konnte darauf spekulieren, dass sie vor der gesamten Halle kein Duell anfangen würde. Also konnte er sie ruhig noch etwas provozieren.

»Mehr bist du doch nicht, oder? Hast nur deine dämlichen dunklen Zauber im Schädel, die du ja eigentlich nicht einmal richtig anwenden kannst…«

»Jetzt reicht's, Black!«, mischte sich Malfoy mit seiner schnarrenden Stimme ein. »Falls es dir entfallen sein sollte: Ich bin Schulsprecher. Ich darf euch sehr wohl verknacken. Und wer so mit einer respektierten Reinblüterin spricht…«

»Mr Malfoy, darf ich Ihr Augenmerk einen Augenblick auf den Slytherin-Tisch lenken?«, sagte in dem Moment eine halb amüsierte, halb ernste Frauenstimme hinter ihnen.

Die Slytherins fuhren erschrocken herum, als Professor Upperstick durch die Menge auf sie zutrat. Die Nadeln ihrer Hochsteckfrisur waren heute wieder überdimensional groß, allerdings schien es sie noch gebieterischer zu machen.

»Da drüben verwickeln sich gerade zwei Schüler in eine Schlägerei… Vielleicht sollten Sie – als ambitionierter Schulsprecher – einschreiten«, schlug sie freundlich vor.

»Nichts lieber als das«, knurrte Malfoy lediglich und rauschte zu der nichtigen Schlägerei hinüber. Mit ihm warf auch Bellatrix Sirius nur noch einen letzten bösen Blick zu und verschwand mit Rodolphus in der Menge.

»Ich hoffe, ich habe Ihre Unterhaltung nicht gestört«, lächelte Professor Upperstick die Gryffindors zwinkernd an.

»Nein, nein, gar nicht. Aber… vielen Dank, Professor«, bedankte sich Remus gleich höflich, dem man die Erleichterung anmerkte.

Die Lehrerin lächelte allen Vieren noch einmal zu und stöckelte dann zurück zum Lehrertisch.

»Unheimlich!«, hauchte Peter, der sich wieder über seinen Teller duckte. »Als hätte sie es gewusst!«

»Sie ist Wahrsagelehrerin, Peter, sie hat es gewusst«, seufzte James bloß.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie es wirklich gewusst hat! Sie hat es einfach vom Lehrertisch aus gesehen«, widersprach Sirius seinem Kumpel.

»Wieso denn? Kann doch echt sein, dass sie es vorausgesagt hat«, erwiderte James erneut.

Sie führten ihre Diskussion noch in Kräuterkunde fort, was eine wesentlich angenehmere Beschäftigung war, als irgendwelche Elefantentrompetenblumen zu füttern (man musste ihnen das Wasser Schluck für Schluck in den Rüssel der Blüten gießen, was sehr zeitraubend war).

Doch schließlich hatten sie den langweiligen Schultag überstanden, denn selbst Piler hatte diesmal nur Theorie für die Prüfungen gemacht. Er sagte zwar, das sei völlig unnütz für die Bekämpfung der dunklen Mächte, doch er musste es in den Prüfungen abfragen können.

Aber damit war der Horrortag noch lange nicht zu Ende! Nachdem sie ihre Sachen in den Gryffindor-Turm geschafft hatten, mussten die vier Jungs gleich in die Bibliothek eilen, um ihre (zu Recht verdiente, wie Remus immer wieder betonte) Strafarbeit abzusitzen. Kaum betraten sie den großen, mit Büchern voll gestopften Saal, hastete auch schon Madam Pince auf sie zu.

»Na endlich! Sie sind spät! – Also, Sie werden sich jetzt diesen Stapel Bücher vornehmen…« Die Bibliothekarin wies auf einen, wie es Sirius vorkam, deckenhohen Stapel Bücher »…Und jedes einzelne an seinen richtigen Platz in den Regalen stellen. Das machen Sie, Mr Lupin und Sie, Mr Black.«

Das war ja nur zu klar gewesen! Sirius stapfte lustlos und augenverdrehend zu dem Bücherhaufen, um sich zwei dicke, und somit auch schwere Wälzer zu nehmen.

»So brauchen wir ewig«, seufzte Remus, der stirnrunzelnd vor dem Berg Arbeit stand.

»Ist vielleicht auch ihre Absicht«, schnaubte Sirius, der sich mit seinen zwei Büchern schon auf den Weg zum hintersten Regal machen wollte, doch Remus rief ihn noch einmal zurück: »Warte mal! Wir machen es so: Einer sortiert die Bücher nach Inhalt, also Wahrsagen, Zaubertränke und so weiter und der andere ordnet sie dann ein, okay?«

»Meinetwegen«, seufzte Sirius, der dankbar für jeden Vorschlag war, diese Arbeit zu verkürzen. Also sortierte Remus die Bücher und Sirius trug dann immer gleich einen größeren Stapel zu dem Regal, in das sie gehörten. Bei Kräuterkunde traf er auf James, der ziemlich verzweifelt mit dem Zeigefinger über die Buchrücken einzelner Spalten fuhr.

»Was machst du denn da? Hast du nichts Besseres zu tun!«, rümpfte Sirius die Nase, der sich in gewisser Weise hintergangen fühlte, schließlich musste er Bücher schleppen und James nur die Buchrücken lesen.

»Ich muss die Bücher, die in der falschen Reihenfolge dastehen, neu nach dem Alphabet ordnen. Ich bin schon halb blind«, jammerte sein bester Freund.

»Wir können ja später mal tauschen«, schlug Sirius vor, der sich James' Arbeit noch immer entspannender vorstellte, als seine eigene.

»Aus dem Weg, Potter«, schnarrte hinter ihnen nun eine wohlbekannte Stimme.

»Vergiss es, Snape!« James machte sich extra breit, als er bemerkte, dass Snape an eines der Bücher wollte, das James gerade einordnen sollte.

»Madam Pince wird nicht erfreut sein, wenn ihr die studierenden Schüler bei der Arbeit behindert«, knurrte Snape drohend.

»Slytherin wird nicht erfreut sein, wenn es erfährt, dass seine Insassen Petzen sind«, gab Sirius überlegen zurück und schob ein Buch in eine Lücke auf dem Regal.

Im selben Augenblick, als Snape schon nach seinem Zauberstab griff, rauschte Madam Pince um die Ecke und fauchte: »Geht das auch etwas schneller? Sie sind zum Arbeiten und nicht zum Reden hier! Und belästigen Sie die anderen Schüler nicht!«

»Ja, Ma'am«, knirschte James und trat zurück, damit Snape sich sein Buch heraussuchen konnte, der sich, um seinen Triumph so richtig auszukosten, natürlich viel Zeit ließ. Sirius knurrte und ordnete sein letztes Buch ein, dann trottete er lustlos und wütend zugleich zu Remus zurück, um sich den nächsten Stapel abzuholen.

Die Zeit verstrich quälend langsam, besonders als Peter schließlich die Bücher in die verschiedenen Fächer unterteilte und Remus mit James die Stapel einordnete, so dass Sirius nun Buchrücken lesen musste. Seine Augen fielen ihm im Sekundentakt zu, so anstrengend und gleichzeitig langweilig war das Unterfangen.

»Mr Black, wenn Sie schlafen wollen, dann hätten Sie es sich eher überlegen müssen! Jetzt machen Sie endlich weiter«, schnauzte Madam Pince schon wieder.

Sirius schreckte aus seinen lethargischen Gedanken hoch und nickte schnell. Er tat sehr eifrig, als er das Regal weiter abging, während die Bibliothekarin seine bisher abgegangenen Reihen begutachtete. Ausnahmsweise hätte Sirius mal nichts dagegen gehabt, wenn er schlafwandeln würde und somit dieses sinnlose Bücherordnen im Traum erledigen könnte.

»Was sehe ich denn da!«, kreischte Madam Pince plötzlich halb hysterisch. »Hier steht ein Zaubertränkebuch bei Wahrsagen! Und Sie haben es nicht aussortiert! Seien Sie doch nicht so unzuverlässig und passen Sie etwas besser auf«, schalt sie ihn, woraufhin sie ihm unwirsch das verirrte Buch in die Hand drückte und ihn zur Zaubertränkeabteilung schickte, um es richtig einzuordnen.

Lustlos trampelte Sirius an unzähligen, schadenfroh kichernden Schülern vorbei zu dem richtigen Regal und stellte das Buch in eine beliebige Lücke, um daraufhin zurückzuschleichen.

Kaum hatte er seine nervenaufreibende Arbeit wieder aufgenommen, kreischte Madam Pince einmal mehr nach ihm: »Mr Black! Sie haben das Buch wieder falsch eingeordnet!«

»Dann stell es doch selber richtig hin«, knurrte Sirius bei sich, ohne zu reagieren. Im nächsten Augenblick stand sie auch schon wieder in seiner Abteilung.

»Wenn Sie nicht langsam genauer arbeiten, dann werden sie ab jetzt jeden Montagabend hier her kommen und diese Tätigkeit machen, haben Sie mich verstanden!«, blaffte sie ihn an.

Sirius nickte abwesend, obwohl er sich innerlich freute, dass sie sich über nichts und wieder nichts so sehr aufregte. Er trieb sie heute schon noch zur Weißglut…

»Madam Pince, welcher Buchstabe kommt nach T?«, rief James in dem Moment von der Heilmagie-Abteilung herüber.

Die Bibliothekarin schnaubte abfällig durch die Nase und stöckelte zu James hinüber, um ihn zurechtzuweisen, wobei sie irgendetwas Böses von »…jedes Jahr mehr Analphabeten in meiner Bibliothek…« murmelte. Sirius war seinem Kumpel insgeheim sehr dankbar dafür, dass er sie ihm ein paar Sekunden lang vom Hals hielt, sodass er sich kurz an einen der Tische setzen und ausruhen konnte.

»Na, Black, schwänzt du die Arbeit?«, schnarrte da Rosier, der eben um die Ecke blinzelte. In seinem Gefolge befand sich natürlich Wilkes, die kleine Kakerlake.

»Na, Rosier, mal wieder das Hirn ausgeschaltet!«, gab Sirius zurück und machte sich gezwungenermaßen wieder an die Arbeit. Toll, jetzt wurde er nicht mehr nur von der Pince terrorisiert, sondern auch noch von Slytherins bespitzelt.

»He, lass mich mal hier her!« Im nächsten Augenblick wurde Sirius von Anne zur Seite geschoben.

»Du bist aber auch immer überall, wo man dich nicht braucht, oder?«, blaffte er sie mürrisch an.

»Dann häng mir doch 'nen Avada Kedavra auf! Glaubst du, ich hab Lust, für die dummen Prüfungen zu lernen!« Damit krallte sie sich ein Buch und verschwand wieder zu ihrem Tisch.

Sirius schüttelte den Kopf – und fragte sich dann, was Anne in Wahrsagen lernen musste, schließlich hatte man das Fach erst ab der Dritten. Verstört blickte er ihr nach, doch da erschallte schon wieder ein Ruf von James: »Madam Pince, könnten Sie mir sagen, wie ich in die Abteilung zu den verbotenen Büchern komme? Ich glaube, ich hab hier ein Buch, das Feuerspeien kann…«

»Waaaaasss!«, kreischte die Bibliothekarin gleich und Sirius hörte amüsiert ihre hastigen Schritte, doch dann meinte James: »Oh nein, hab mich getäuscht. Es kann gar kein Feuer speien.«

Grummelnd entfernten sich die Schritte der Frau wieder, bis James noch eins draufsetzte: »Es durchweicht lediglich die Bücher neben sich mit Tinte…« Wieder fing Madam Pince an, zu ihm zu rennen, dann schrie sie plötzlich angeekelt auf. Das wollte sich Sirius dann doch nicht mehr länger entgehen lassen weshalb er in James' Abteilung spurtete. Dort stand Madam Pince mit schwarzer Tinte überschüttet.

»Iiiihhh, dieses Buch macht mich noch wahnsinnig! Und Sie auch! Während ich weg bin, machen Sie ja keine Dummheiten, ich warne Sie! Ich merke alles!« Damit rannte sie davon, das Buch, das sie voll gespritzt hatte, in der Hand, um sich sauber zu waschen.

»Jaja, sie merkt alles«, stellte James sinnend fest, als beide Jungs der Bibliothekarin nachblickten. »Aber sie hat nicht gemerkt, dass es nicht das Buch war.« Grinsend deutete er nach oben. Sirius folgte seiner Geste mit dem Blick und erkannte, dass sein Freund ein Tintenfässchen nach oben gehext und, wie es aussah, hatte umkippen lassen, sobald Madam Pince darunter gestanden hatte.

»Mann, hättest du mich dazu nicht rufen können?«, regte sich Sirius auf, der es sehr schade fand, dass er diesen Anblick nicht hatte miterleben und auskosten können.

»Tja, das wäre aufgefallen. Aber jetzt sind wir sie zumindest für ein paar Minuten los…«, zuckte James ein wenig erleichtert die Schultern.

Sirius wollte gerade etwas erwidern, da polterte es in der Verteidigung gegen die Dunklen Küste-Abteilung und sie hörten Peter stöhnen und Remus verzweifelt rufen: »Musste das jetzt sein, Peter? Jetzt können wir hier von vorne anfangen!«

Sirius und James wechselten einen kurzen Blick, bevor sie losrannten. Als sie in der Abteilung ihrer beiden Freunde ankamen, sahen sie gerade noch, wie Peter sich unter einem Haufen Bücher vorarbeitete, unter dem er begraben worden war.

»Er hat das Gleichgewicht auf der Leiter verloren und wollte sich an dem Regal festhalten, hat es aber mit sich herunter gerissen«, fasste Remus nur kurz die Geschichte zusammen.

»Wir helfen euch schnell«, schlug James vor und zückte schon seinen Zauberstab, um die Bücher wieder nach oben zu hexen, doch Remus schüttelte den Kopf: »Wir müssen sie in die richtige Reihenfolge bringen.«

»Das sind mindestens hundert Bücher«, maulte Sirius ungläubig.

»Zu viert geht das schon. Also los«, befahl James strikt. Er kletterte auf die Leiter, während Sirius, Remus und Peter die Bücher aufhoben und nach dem Alphabet sortierten, damit er sie letztendlich hinaufstellen konnte.

»Seht mal, Jungs!«, staunte Remus, nachdem sie schon einen guten Teil wieder aufgeräumt hatten. Ein Buch lag offen auf dem Boden, das er aufhob und anschließend sanft dessen Seiten glatt strich.

»Dafür haben wir nun wirklich keine Zeit, Remus. Ich wollte hier vor morgen Früh noch fertig werden, weißt du! Außerdem haben wir nachher noch Astronomie«, regte sich James auf, dessen Nerven schon am Zerreißen waren.

»Nein, das hier ist über Schlafwandler…«, murmelte Remus, völlig in den Text versunken, den er gerade las.

»Ja, toll, na und? Ich schlafwandle nicht mehr«, knurrte Sirius verstimmt.

»Du schlafwandelst im Moment nicht, das ist was anderes«, erwiderte James.

»Hört euch das mal an:

Der Somnambulismus oder auch Noktambulismus kann durch Mondsüchtigkeit sowie durch eine nicht überwundene Vergangenheit oder auch durch unbestimmte Flüche herbeigeführt werden, die irgendwo in dem bewohnten Gebäude gesprochen wurden.

Diese Art von Schlafwandeln befällt besonders sehr magiesensible Menschen, z.T. sogar Muggel.

Die Situation kann folgendermaßen dargestellt werden: Auf das Haus, in dem der Zauberer/die Hexe wohnt, wurde einmal ein starker Fluch gesprochen, der sich in seiner Auswirkung unmittelbar auf die Bewohner des Hauses bezieht, auch Erbflüche genannt.

Betrifft dieser Erbfluch nun den Bewohner des Hauses, kann er durch den Geist des Fluchsprechers gezwungen werden, im Schlaf, also wenn sein Verstand außer Funktion gesetzt und sein eigener Wille am schwächsten ist, aufzustehen und den Anweisungen des ›Geistes‹ zu gehorchen.

Diese Art von Somnambulismus kann nur gestoppt werden, wenn der Fluch gebrochen wird. Das Schlafwandeln während des Vollmonds… blabla. Das könnte es doch sein, oder? Sirius sagt doch immer, dass er Stimmen hört! Vielleicht liegt wirklich ein Fluch auf Hogwarts, der ihn dazu zwingt, aufzustehen und nach Slytherin zu gehen«, meinte Remus, der Feuer und Flamme für seine Theorie war.

»Dann müsstet ihr ja wohl auch alle Schlafwandeln, oder? Wieso sollte nur ich davon betroffen sein! Außerdem schlafwandle ich nicht mehr«, wehrte sich Sirius schnell.

Er wollte nichts mehr von diesem Zeug hören, verdammt! Piler hatte ihn geheilt, er würde nicht mehr schlafwandeln! Und wenn es etwas mit einem Fluch zu tun hatte, dann hätten Piler oder Dumbledore es schon längst herausbekommen!

»Was tun Sie denn schon wieder da! Sie sollen arbeiten!« Madam Pince war anscheinend zurückgekehrt, sauber und mit noch schlechterer Laune als vorher.

Rasch klappte Remus das Buch zu und reichte es James nach oben, nicht ohne einen letzten Blick auf den Titel – wahrscheinlich um sich diesen genau einzuprägen, damit er das Buch bei Bedarf abermals zu Rate ziehen konnte.

»Mr Black, begeben Sie sich wieder in Ihre eigene Abteilung! Sie haben noch viel zu tun, bevor Sie zu Ihrer nächtlichen Astronomiestunde gehen können«, schnauzte die Bibliothekarin erneut.

Lustlos stampfte Sirius zu Wahrsagen zurück, um endlich alle Bücher fertig zu sortieren.

Snape lief ihm noch ein paar Mal über den Weg, doch diesmal ignorierte er ihn, da Madam Pince sich inzwischen ständig in seiner Nähe aufhielt und er keine Lust hatte, die nächsten fünf Montage in der Bibliothek zu verbringen. Ein Gutes hatte es jedoch: Je später es wurde, desto weniger Schüler hielten sich in der Bibliothek auf, die Sirius belästigen konnten.

Kurz vor zwölf Uhr nachts erlaubte Madam Pince ihnen großzügig, die Bibliothek zu verlassen. Sie war anscheinend sehr froh, die vier Jungs endlich los zu sein, denn sie seufzte tief, als sie durch die Tür verschwanden.

»Ich bin so fertig, ich glaub, ich schwänze Astronomie«, gähnte James, als sie sich zum Gryffindor-Turm aufmachten, um ihre Schultaschen zu holen.

»Wenn Professor McGonagall das mitkriegt, dann darfst du Madam Pince noch öfters besuchen, James«, meinte Remus, der ebenso müde aussah, womit er James mitleidig auf die Schulter klopfte.

»Wir müssen Snape das Maul stopfen«, knurrte Sirius zusammenhangslos in das Gespräch hinein.

»Okay, denk dir was aus, wir sind dabei«, antwortete James, ohne zu zögern.

Sirius musste widerwillig lächeln. »Bin viel zu k.o. zum Denken. Mach ich wann anders«, gab er zurück.

Da sie noch ihre Schultaschen holen mussten, waren sie die letzten, die im Astronomieturm eintrafen. Wie es aussah, hatte Hogwarts eine neue Lieferung Teleskope bekommen, die nun wieder an ihren angestammten Plätzen vor den Fenstern standen.

»Beeilen Sie sich, meine Herren, wir haben viel vor! Wie Sie wissen, rücken die Prüfungen immer näher…«, begann Highking motiviert, doch schon hier schaltete Sirius ab.

Er war viel zu müde, als dass er noch irgendwelche dämlichen Sterne hätte aufzeichnen können. Die waren schließlich morgen Abend auch noch da.

Er gähnte herzhaft und suchte in seiner Tasche nach den restlichen Bertie Botts Bohnen, die von James' Geburtstag übrig geblieben waren und die er sich als Proviant für langweilige Stunden eingepackt hatte. Er fand sie allerdings nicht mehr. Entweder Peter hatte sie gegessen oder sie waren, wie die Teleskope, einfach verschwunden. Und da es ziemlich unwahrscheinlich war, dass Peter in seiner Tasche herumwühlte, hatten sie sich wohl in Luft aufgelöst.

»He! Pssst, Sirius…«, hörte er Anne unvermittelt von hinten leise rufen. Genervt drehte er sich um und sah sie an. Ihre Nachbarin, er hatte ihren Namen schon wieder vergessen, blickte ihn ängstlich an.

»Was?«, blaffte er flüsternd.

»Sag ihr, dass sie keine Angst vor dir haben muss, weil das mit Davey keine Absicht war«, bat Anne mindestens genauso entnervt von ihrer Nachbarin, wie Sirius von der ganzen Welt.

»War keine Absicht. Musst keine Angst haben, wenn du mich nicht nervst«, knurrte er schlicht, aber bedrohlich.

Das Mädchen neben Anne kauerte sich noch mehr zusammen, doch Sirius beachtete sie gar nicht, als er sich bei Anne erkundigte: »Und – schön für Wahrsagen gelernt?«

Das Ravenclaw-Mädchen sah ihn missmutig an. »Ach das! – Das musste ich für einen Siebtklässler nachschlagen. Ich glaub der kommt aus eurem Haus! Andrick oder so…«

»Ah, Andrew!« Da Sirius selbst schon Opfer Specters Vorliebe, seine Hausaufgaben an Jüngere abzugeben, geworden war, wandte er sich wieder uninteressiert nach vorne, um weiter von seinem schönen, warmen Bett zu träumen…

»Mr Black, wie ist die Antwort?«, wollte Aveimperatore in diesem Moment wissen.

»Wie ist die Frage?«, gab Sirius kalt zurück. Ein Stück neben ihm schnellten zwei Hände in die Luft. Aus den Augenwinkeln erkannte Sirius die Remus' und Lilys.

»Nein, nein, nein, Herrschaften, ich will, dass Mr Black diese Frage beantwortet. Also: Was versteht man unter einem ›Roten Riesen‹?«, fragte Aveimperatore noch einmal.

»Ein Riese, der zu lange in der Sonne war?«

Einige Schüler lachten, selbst James neben ihm schien aus seinem Halbschlaf erwacht zu sein und grinste ihn von der Seite an.

Aveimperatore jedoch seufzte tief auf, sodass sich Sirius doch noch zur richtigen Antwort, die der Lehrer hören wollte, herabließ: »Ein leuchtkräftiges Entwicklungsstadium eines Sterns. Die Sterne erscheinen rötlich, weil sich die Oberfläche abkühlt.«

Highking schien aufs Äußerste beeindruckt. »Sehr gut«, freute er sich und verlieh Gryffindor fünf Punkte, bevor er mit seinem Unterricht fortfuhr.

Verwirrt sah Sirius James an. »Was wollte der denn jetzt von mir?«

»Deine ungeteilte Aufmerksamkeit… keine Ahnung, ich hab auch nicht zugehört«, gab James zurück.

»Das ist doch ganz offensichtlich, oder!«, mischte sich wieder mal Anne von hinten ein. »Du hast nicht aufgepasst und da hat er dich eben drangenommen!« Doch sowohl Sirius als auch James ließen sie unbeachtet.

Nach der Stunde, die überhaupt nicht zu Ende gehen wollte, meinte Remus, als sie auf dem Weg zum Gryffindor-Turm waren: »Also das hätte ja jeder gewusst!«

»Hä? Was?«

»Was Rote Riesen sind! Highking meinte, das wissen angeblich nur besonders Interessierte«, antwortete Remus, der sich anscheinend ungerecht behandelt fühlte, weil Highking nicht ihn drangenommen hatte.

»Haben heute alle einen Schatten!«, fragte Sirius ungläubig. »Natürlich war das leicht…«

»Also, ich hätte das nicht gewusst«, fiel Peter kleinlaut ein.

»Du weißt ja noch nicht mal die Planeten unseres Sonnensystems«, stellte James trocken fest. Endlich konnte Sirius fortfahren: »Aber warum regst du dich darüber so auf!«

Remus verstummte für einen Augenblick und starrte auf den Boden zu seinen Füßen, als sie in den Korridor vor dem Gryffindor-Turm einbogen, dann sah er auf und meinte: »Keine Ahnung, warum mich das so aufregt. Wahrscheinlich sind wir alle etwas übermüdet. Am besten wir gehen gleich ins Bett und machen die Hausaufgaben morgen.«

»Ich bin schon gar nicht mehr müde«, meinte James und gähnte gleichzeitig, um seine These zu widerlegen, weshalb die Jungs leise lachten.

Sie betraten den Gemeinschaftsraum, flogen zusammen hinauf in den Schlafsaal und zogen sich schnell um, damit sie bald in ihre Betten schlüpfen konnten. Sirius aber nahm diesmal seinen Trank der Lebenden Toten nicht. Er hatte nicht die Absicht, zu schlafen, da er den Müdigkeitspunkt soweit überschritten hatte, dass er schon gar nicht mehr müde war. Zumindest geistig fühlte er sich sehr wach.

Um die anderen aber nicht zu beunruhigen, legte er sich zum Schein mit hin, sagte jedem artig Gute Nacht und wartete, bis ausnahmslos alle eingeschlafen waren.

Dann stand er wieder auf und flog in den Gemeinschaftsraum hinunter, ließ sich in seinen Stammsessel fallen und zog seinen Zauberstab heraus, um zwei Kerzen anzuzünden und neben sich in der Luft schweben zu lassen.

Er fühlte sich wohl in dieser Einsamkeit, die er schon so lange nicht mehr gespürt hatte. Und auch gar nicht hatte spüren wollen. Er hatte James, Remus und Peter, die ihm beistanden gegen seine dämlichen Verwandten, mit ihm lachten und ihm das Gefühl gaben, dazu zu gehören. Das erste Mal in seinem Leben musste er sich eingestehen, dass er für eine Weile wirklich glücklich war…

Wenn doch das ganze verschwindende Zeug nicht wäre, nicht diese lästige Schlafwandlerei! Ob Remus Recht hatte und das in dem Buch aus der Bibliothek stimmte? Lag irgendwo auf Hogwarts ein Fluch, der ihn heimsuchte?

Ihm war so, als hätte er neben sich plötzlich einen Luftzug gespürt, weshalb er herumfuhr. Doch der Gemeinschaftsraum war völlig verwaist. Wieder eines dieser seltsamen Gefühle, die ihn nicht mehr losließen. Irgendwas schlich hinter ihm her, da war er sich ganz sicher.

Außer ihm merkte es zwar kein anderer, weder Bellatrix noch Pringle, aber etwas spukte in Hogwarts umher. Ein Geist, der unsichtbar war, der nicht weichen wollte, der das Schloss wie ein Fluch heimsuchte… Konnte es denn wirklich…?

»Sirius?«, fragte jäh James' verschlafene Stimme hinter ihm. Erschrocken fuhr Sirius herum und der Gedanke, den er eben gedacht hatte, war wie weggewischt. Er wusste, dass er der Lösung ganz nahe gewesen war, doch es fiel ihm beim besten Willen nicht mehr ein, an was er eben gedacht hatte. Verdammt!

»Alles klar mit dir? Warum schläfst du nicht?«, hakte James besorgt nach.

»Ich hab nachgedacht«, gab Sirius kühl zurück.

James hatte ihm die Lösung vertrieben! Er war dran Schuld, dass… Sirius ermahnte sich selbst, diese Gedanken zum Schweigen zu bringen. James war sein einzig wahrer Freund, den er je hatte – und sein bester. Er konnte ihm nicht böse sein. Das taten Freunde nicht.

»Nimm deinen Trank und dann geh ins Bett, ja? Die McGonagall schmeißt uns raus, wenn wir morgen im Unterricht einschlafen. Die ist eh schon wütend genug auf uns«, schlug James ernst vor.

»Mann, du hörst dich schon an wie Remus«, grinste Sirius.

»Oh!« James schien mit einem Mal wach. »Das ist nur die Müdigkeit! Lass uns gehen!«

»Wohin?«

»Durchs Schloss. Damit ich diese Remus-Art wieder weg krieg!« James grinste ebenfalls, dann ließ er sich in dem Sessel neben Sirius nieder.

»Glaubst du wirklich nicht, dass das irgendwie mit einem Fluch zusammenhängen könnte?«, fragte James nun wieder ernster.

»Aber wer sollte denn ausgerechnet mir einen Fluch aufhängen? Ich meine, was hab ich schon, was andere nicht haben?«, erwiderte Sirius nachdenklich.

James schwieg einige Sekunden, dann sagte er langsam: »Schwarzmagische Verwandte und Vorfahren.«

»Was willst du damit sagen!«, brauste Sirius auf, doch James beruhigte ihn mit einer Geste.

»Ich will gar nichts damit sagen. Ich meinte nur, dass vielleicht Erzfeinde deiner Eltern früher einen Fluch auf die und ihre Erben gelegt haben, als sie hier noch zur Schule gingen. Und das trifft dich nun, obwohl du nichts dafür kannst«, erklärte James.

»Aber das ergibt keinen Sinn! Das hätte mich doch schon viel früher treffen müssen, weil dieser Fluch ja auf meinen Eltern läge. Niemand hat mir jemals von so was erzählt. Außerdem müsste es Regulus dann auch treffen«, widerlegte Sirius die These.

»Und wenn der Fluch nur hier in Hogwarts wirkt?«

»Dann würde er in Slytherin sein, nicht in Gryffindor. Keiner hat ahnen können, dass ich nach Gryffindor kommen würde«, schüttelte Sirius wieder den Kopf. »Der Hut wusste es ja selber nicht!«

»Stimmt. Es gibt keinen Sinn, wie man es auch dreht«, zuckte James schließlich aufgebend die Schultern und lümmelte sich noch ein wenig tiefer in seinen Sessel. »Ist ja auch irgendwo egal. Fluch hin oder her, was zählt ist doch, dass wir zusammenhalten: Remus, Peter, du und ich!«

»Ich frag mich nur manchmal…«, Sirius zögerte, wobei er stur in das Schwarz der Nacht blickte, »…was passiert wäre, wenn ich nach Slytherin gekommen wäre, so wie es alle von mir erwartet hatten. Nicht, dass du mich falsch verstehst, ich wollte nicht nach Slytherin – nie. Aber nur weil alle wollten, dass ich dahin komme – es war für sie immer ganz klar gewesen, verstehst du? Ich hätte euch nie näher kennen gelernt, wir wären wahrscheinlich nie Freunde geworden…«

»Ach, wer weiß«, sagte James leichthin. »Weißt du noch, was Dumbledore am Anfang des Jahres mal zu McGonagall über uns gesagt hat? Die innigsten Freundschaften entstehen manchmal aus gegenseitiger Ablehnung oder so!«

Sirius musste unwillkürlich grinsen. »Du verlangst jetzt aber nicht von mir, dass ich mit Snape Freundschaft schließe, oder!«, feixte er.

James tat, als ob er würgen müsste. »Bloß nicht. Sonst hast du mich auch gleich ganz schnell zum Feind! – Aber jetzt mal im Ernst, ist doch egal, was gewesen wäre, wenn du nach Slytherin gekommen wärst. Bist du ja nicht und wir sind Freunde, also was soll's!«

Wenngleich Sirius ganz genau wusste, dass James Recht hatte, konnte er nicht umhin, sich vorzustellen, wie er alleine in den feuchten Slytherin-Kerkern in einer Ecke saß und vor lauter Langeweile Zaubertränkehausaufgaben machte. Er konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass er in Gryffindor so gute Freunde gefunden hatte, die stets zu ihm hielten, was auch immer passieren mochte…

tbc...