Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Ereignisse bei Vollmond
Sirius wehrte sich nicht, als Remus ihm am nächsten Morgen, nachdem er ihnen von letzter Nacht erzählt hatte (die Sache mit Fang hatte er aus Solidarität zu Hagrid bei seinen Ausführungen ausgelassen), eindringlich riet, gleich nach der Verteidigungsstunde am Nachmittag zu Piler zu gehen.
Der dunkelblonde Junge sah sowieso so aus, als ob er bei der kleinsten Diskussion zusammenbrechen würde, sodass es Sirius lieber nicht auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen wollte.
Als die Schreckschraube sie in der ersten Stunde in Partnerarbeit einen Verwandlungszauber üben ließ, machte Sirius James auf Remus' kränkliches Aussehen aufmerksam.
Der zuckte jedoch nur die Schultern. »Vielleicht ist er ja auch von den Geistern besessen«, flüsterte er zurück, während er einen raschen Blick über seine Schulter zu Remus und Peter warf.
Sirius blinzelte seinen besten Freund verwirrt an. »Warum? – Schau ich etwa auch so schlimm aus?«
»Mensch, Sirius, wach auf! Man könnte fast meinen, du gehst immer schlafwandlerisch durchs Leben! Ist dir das noch nicht aufgefallen! Das letzte Mal, als du schlafgewandelt bist, war Remus auch krank. Das kann doch kein Zufall sein. Wahrscheinlich wirkt auf ihn dieselbe seltsame Kraft, die dich immer bewegt!«
Sirius musste über das Gesagte erst einmal nachdenken. Jetzt, wo James es erwähnt hatte, musste er sich eingestehen, dass da wirklich möglicherweise ein Zusammenhang bestehen könnte. Er erinnerte sich, als er nachts mit dem kränklichen Remus am Fenster gestanden hatte…
Mitten in seinen Gedanken ertönte plötzlich der Schulgong, der die erste der zwei Stunden Verwandlung beendete.
Jedenfalls dachte Sirius zuerst, dass es der Schulgong wäre, bis ihm einfiel, dass es gar keinen Gong mehr gab. Irritiert sah er – wie der Großteil der Klasse – zu McGonagall, von wo das Geräusch gekommen war.
Auf deren Pult stand eine Art Kuckucksuhr, aus der ein kleiner Kobold herausgestiefelt kam und unter großer Anstrengung einen für ihn monströsen Gong betätigte.
Auf die fragenden Blicke der Schüler meinte die Lehrerin: »Eine Maßnahme vom Ministerium. Die stehen ab heute in jedem Klassenzimmer!«
Bis zum Ende der letzten Stunde – Verteidigung gegen die dunklen Künste – hatte Sirius noch viel zu viel Zeit, über James' Worte nachzugrübeln.
Konnte es wirklich sein, dass Remus von den gleichen Geistern verfolgt wurde, wie er selbst? Aber er war nie krank – und hatte Remus nicht zuvor auch schon oft gefehlt!
Warum sollte Remus, der Sirius immer und immer wieder dazu anhielt, wegen seiner Probleme sofort zu Piler zu gehen, ihnen allen seine eigenen Probleme verheimlichen und somit gerade das Gegenteil von seinen Ratschlägen tun, die er anderen gab! Das machte alles keinen Sinn!
Sirius bekam von den Unterrichtsstunden an jenem Tag nicht allzu viel mit, bis der kleine Kobold sich erneut mit einem kräftigen Gongschlaf meldete und das Ende der Verteidigungsstunde verkündete.
Piler schien keineswegs überrascht, als Sirius ihm schließlich beichtete, dass er nachts wieder unfreiwillig aufgewesen war. Sirius vermutete, dass Hagrid ihm bereits davon erzählt hatte und so machten sie gleich für den Abend eine Hypnosestunde aus.
Auf dem Weg zum Abendessen sah Sirius eine Gruppe Hufflepuff-Erstklässler, unter ihnen auch Scott, ohne ersichtlichen Grund stolpern, um direkt vor die Füße einiger älterer Slytherins zu fallen, die sie höhnisch auslachten.
Es schien, als hätte Hagrid Fang wieder ganz unsichtbar bekommen…
Eben wollte er den anderen folgen, die allem Anschein nach von alledem nichts mitbekommen hatten, da traf ihn der Blick einer der Slytherins – Bellatrix!
Übermütig schob sie sich an ihren Mitschülern vorbei auf Sirius zu, wobei sie die Hufflepuffs, die sich eben wieder aufrappelten in ihrer selbstherrlichen Weise aus dem Weg schubste.
»Hey, Cousin!«, begann sie hochnäsig, sodass Sirius sie nicht länger ignorieren konnte. »In Slytherin sagen sie, dass du deine Abnormalität noch nicht im Griff hast! Gehst du wieder zu Piler, damit der dich heilt!«
Diese Worte lösten bei den übrigen Slytherins, die sich hinter Bellatrix angesammelt hatten und Sirius abwertende Blicke zuwarfen, wie üblich eine Lachsalve aus.
»Geht dich nichts an, Bella!«, knirschte Sirius mit zusammengebissenen Zähnen. »Ob ich in meiner Freizeit Slytherins Flüche anhänge, oder was ich sonst noch so tue, ist allein meine Sache, klar?«
»Sollte das etwa eine Drohung sein, Kleiner? Falls ja, solltest du nämlich besser noch mal üben«, höhnte Bellatrix, ihre schwarz nachgeschminkten Brauen verächtlich und dennoch in unheilvoller Weise gehoben.
»Nein, das sollte keine Drohung sein… Das ist eine Drohung!« Sirius hatte seinen Zauberstab gezückt und direkt auf Bellatrix gerichtet, deren Grinsen nicht aus ihrem Gesicht wich, sondern nur noch breiter wurde.
»Oh, Baby Black! Es gibt keinen Fluch, den du schon kannst, der stark genug wäre, um mir Angst machen zu können!«
Sirius wollte schon zurückfeuern, da legte sich warnend eine Hand auf seine Schulter. Er hatte ganz vergessen, dass James, Remus und Peter auch noch da waren.
»Entschuldigt, aber wir haben es leider etwas eilig!« Sirius erkannte Remus' Stimme, bevor der Druck auf seiner Schulter verstärkt wurde und er sich widerwillig in die Große Halle an den Ravenclaw-Tisch schieben ließ.
»Die hat doch immer nur dieselben Sprüche drauf«, äußerte sich auch James vorsichtig, während er einen bösen Blick zum Slytherin-Tisch warf, wo sich Bella eben neben Rodolphus niederließ und mit einem fiesen Grinsen zu Sirius nickte, wobei sie ihre langen dunklen Haare in ihrer arroganten Art nach hinten schüttelte.
»Brauchst du mir nicht zu sagen«, grummelte Sirius verstimmt.
Der Appetit war ihm aber trotzdem vergangen.
Neben ihm atmete Remus hörbar auf. »Gut, dass du dir von der nichts einreden lässt! Das Schlechteste wäre jetzt, in irgendeiner Hinsicht falsch zu reagieren…«
»Hast Recht… Mir reicht's! Ich geh ab sofort nicht mehr zu Piler.«
Im nächsten Moment bereute er es schon wieder fast, seine Freunde in sein Vorhaben eingeweiht zu haben. Er hätte doch besser einfach so nicht zur vereinbarten Hypnosestunde gehen sollen…
Denn Remus redete den ganzen Abend auf ihn ein, wie unvernünftig es doch wäre, nur wegen Bellatrix die Hypnosestunden bei Piler abzusagen, die ihm dabei halfen, nicht mehr schlafzuwandeln.
Irgendwann – sie saßen gerade in dem völlig überfüllten Gemeinschaftsraum der Ravenclaws – schaltete Sirius einfach ab, ohne weiter auf Remus zu achten.
»Langsam glaub ich, es geht dir gar nicht so sehr um Bellatrix«, beschuldigte Remus ihn eben.
»Hmmm…«, machte Sirius nur, der gar nicht richtig zuhörte.
Er würde einfach die Nacht über aufbleiben, dann lief er immerhin nicht Gefahr, im Schlaf wieder aufzustehen…
»Sirius!«
»Hmmm…«
Andererseits war da diese verlockende Phiole mit dem Trank der Lebenden Toten, die Brewpot ihm erst vor ein paar Tagen neu zusammengebraut hatte und die ihm zumindest einen traumlosen Schlaf und sofortiges Einschlafen garantierte, auch wenn sie nichts gegen seinen Somnambulismus ausrichten konnte…
Ein tiefer Seufzer drang in Sirius' Bewusstsein und ließ seinen Blick, der bis eben ins Leere vor ihm gestarrt hatte, fragend zu Remus gleiten, dem der Seufzer entrungen war.
»Ich finde, er hat schon irgendwo Recht«, mischte sich nun James vorsichtig mit ein.
Auf Sirius' anschuldigenden Blick fügte er verteidigend hinzu: »Na ja – immer noch besser, als irgendwann bei den Slytherins im Gemeinschaftsraum zu stehen! Und wenn wirklich ein Fluch dahinter steht…«
Mit einem Aufstöhnen ließ sich Sirius letztlich doch zu einer Diskussion herab, wenn sogar schon James sich auf Remus' Seite schlug.
»Und morgen redet wieder die ganze Schule von meinen ›psychischen Problemen‹, oder was!«
Er hatte sich um einen ruhigen Ton bemüht, konnte es aber dennoch nicht verhindern, dass sich eine unerklärliche Wut seiner bemächtigte.
»Dann lass die doch reden«, erwiderte Remus mit besänftigender Stimme.
»Macht dir doch sonst auch nichts aus«, pflichtete selbst James ihm schulterzuckend bei.
Sirius funkelte die beiden böse an. »Ich hab genug. Scheint so, als würde Pilers Hypnosemethode auch nichts mehr helfen, oder? Jedenfalls geht das jetzt schon eine ganze Weile so und trotz aller Hypnosestunden schlafwandle ich immer noch. Also brauch ich da gar nicht mehr hinzugehen!«
Obwohl Sirius in einem Tonfall gesprochen hatte, der das Thema eigentlich abschließen sollte, hakte Remus weiter nach: »Dir war das mit der Hypnose von Anfang an nicht ganz geheuer. Willst du deswegen nicht mehr hin? Hast du vielleicht Angst? – Angst, dass Piler dadurch einen zu tiefen Einblick in deine Seele bekommt?«
Er hatte leise gesprochen, fast vorsichtig, vermutlich, damit seine Worte Sirius nicht aufregten und er wieder total abblockte, wie es meistens so seine Art war, wenn es an Themen ging, die ihm nicht behagten.
»So ein Quatsch! – Ihr habt euch ja die letzten Male gut gedrückt. Ich musste da ja auch alleine durch!«, startete Sirius den Gegenangriff.
Er hätte sich lieber mit der Riesenkrake im See unter Wasser duelliert, als es vor seinen Freunden zuzugeben, aber irgendwo wusste er, dass Remus gar nicht so Unrecht hatte mit dem, was er sagte.
»Weiß nicht, ob's an deiner Familie liegt oder so…«, meinte James nun, »aber ich glaub, dir fehlt irgendwie ein wenig das Vertrauen in Menschen.«
»Ihr habt doch beide einen Schlag. Hat irgendwer eure Gedächtnisse verändert oder so? Der Amnesia-Fluch vielleicht? – Blöd genug dafür labert ihr auf jeden Fall daher!«
Sirius verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, um bequem aus dem Fenster sehen zu können und so jeglichen Blickkontakt brutal abzubrechen.
Remus schien zu verstehen, denn er stand auf und wandte sich dann an James und Peter: »Ihr kümmert euch darum, dass er heute noch zur Hypnosestunde geht, ja? – Ich glaub, ich geh lieber mal zu Madam Pomfrey… mir ist schon den ganzen Tag so schlecht!«
Damit war Remus auch schon zum Porträtloch geschwankt und hatte den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum verlassen. Dass es ihm schlecht ging, war zweifellos keine Lüge. Elend genug sah er jedenfalls aus…
»Hätten wir ihm anbieten sollen, ihn zu begleiten? – Er war ganz schön schwach auf den Beinen«, stellte Peter fest, der das Porträtloch ansah, das sich eben wieder hinter Remus schloss.
»Nee, der hätte sich sowieso wie immer nicht begleiten lassen«, winkte James nur ab.
Sirius, froh, dass das Thema auf jemand anderen gelenkt worden war, meinte trocken: »Na, dann würden wir vielleicht mal mitkriegen, warum der andauernd fehlt!«
»Also…«, begann James unbehaglich, dem der Auftrag, den er von Remus bekommen hatte, sichtlich missfiel, »…dann solltest du Piler wenigstens Bescheid sagen, dass du nicht kommst. Der wartet bestimmt schon auf dich!«
»Wir könnten schauen, wie's Remus so geht«, schlug Sirius vor, womit er James ebenso überging, wie der ihn zuvor.
»Aber der ist doch gerade erst zum Krankenflügel gegangen«, merkte Peter irritiert an. »Vielleicht kommt er ja auch gleich wieder, wenn Madam Pomfrey ihm einen Stärkungstrank oder so was gibt…«
»Der kommt vor übermorgen ganz bestimmt nicht wieder«, fuhr ihn Sirius säuerlich an.
Wie konnte man nur immer noch nicht mitbekommen haben, dass mit Remus irgendetwas nicht stimmte!
»Aber Peter hat schon Recht, Sirius. Madam Pomfrey lässt uns wahrscheinlich sowieso wieder nicht zu ihm«, pflichtete James dem kleinen Jungen bei. »Also komm schon! Wenn du willst, dann geh ich auch mit!«
»Na gut«, gab sich Sirius schließlich geschlagen, »aber wir sagen nur die Stunde ab – und Peter bleibt hier und wenn jemand fragt – sag ihm, wir sind in der Bibliothek – oder, nee, das glauben sie uns nicht… sag einfach, wir machen Strafarbeit!«
Auf dem Weg zu Pilers Büro redeten Sirius und James nicht miteinander.
Sirius war immer noch etwas eingeschnappt, weil er sich von James dazu hatte überreden lassen, zu Piler zu gehen, auch wenn er insgeheim sehr froh darüber war, dass sein Freund ihn begleitete, denn wenn James dabei war würde Piler ihn nicht so leicht überreden können, sich doch hypnotisieren zu lassen.
Schon bevor James klopfte hörte Sirius Pilers Stimme, die ihm die Hoffnung raubte, er könne Piler allein antreffen.
Sicher war wieder mal Jones bei ihm… Aber da irrte sich Sirius. Remus stand bei dem Lehrer und sah Sirius etwas verlegen an, als der eintrat.
»Du!«, brachte Sirius nur hervor, der schon wieder Schlimmes ahnte. »Ich denke, du bist im Krankenflügel!«
»Wir konnten ja nicht ahnen, dass du dich so schnell umentscheiden würdest«, grinste Piler und wies ihm einen Stuhl an.
Doch Sirius blieb reglos stehen, wo er war – neben James – und entgegnete stur: »Ich bin nur hier, um die Stunde heute abzusagen, weil ich keine Zeit hab!«
Pilers Gesichtsausdruck verriet seinen Unglauben und so verbesserte sich Sirius mit einem bösen Blick zu Remus: »…Weil ich keine Lust hab! – Aber ich nehme an, das hat Remus schon erzählt!«
»So ähnlich«, gestand Piler lächelnd. »Aber ich denke, Remus sollte jetzt wirklich besser zu Madam Pomfrey gehen – könntest du ihn vielleicht da hinbringen, James?«
»Netter Versuch, aber wenn James geht, dann geh ich auch«, bedingte Sirius sofort.
Piler seufzte. Eine kleine Falte bildete sich auf seiner Stirn und er wurde ungewohnt ernst.
»Sirius, es wäre wirklich besser, wenn du diese Stimme loswirst!«
Dann wandte er sich unerwartet an Remus: »Schaffst du es allein in den Krankenflügel?« Seine Stimme hatte einen besorgten Unterton angenommen.
Remus nickte leicht gequält und wankte ohne ein weiteres Wort hinaus.
Piler sah ihm einen Moment lang mit verschlossener Miene nach.
»Darauf hätte ich eigentlich schon eher kommen können…«, murmelte er abwesend, dann schien er wieder in die Realität zurückzukehren.
»Okay, heute machen wir mal eine etwas andere Hypnosestunde«, verkündete er und kramte auch schon wieder nach dem Pendel in seinem Umhang.
Sirius verdrehte innerlich die Augen. Er hätte sich denken können, dass Piler seine Entschuldigung nicht so einfach hinnehmen würde.
Dennoch erwiderte er genervt: »Wir machen heute gar keine Hypnosestunde!«
Doch Piler schien ihn gar nicht gehört zu haben, denn er fuhr fort: »Selbstverständlich ist eine der Grundvoraussetzungen für Hypnose, wie ich dir schon einmal erklärt habe, das bedingungslose Vertrauen, das natürlich auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Da du dich bisher immer nur in meine Gewalt begeben hast, ist es schon verständlich, dass du – ähm – Angst hast, ich könnte dich in irgendeiner Hinsicht hintergehen, meine Position ausnutzen oder ähnliches…«
Sirius wollte widersprechen, doch Piler atmete einmal lang aus, bevor er, ohne Sirius die Chance zu geben, ihn zu unterbrechen, weiterredete: »Also wirst du mich heute zunächst einmal hypnotisieren!«
Sirius wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, weswegen er einen unsicheren Blick zu James warf, der allerdings nur ziemlich unbeteiligt daneben stand und anscheinend seinerseits nicht wusste, was das sollte.
»Nun, was sagst du?«, hakte Piler erwartungsvoll nach. »Du kannst mich irgendwas fragen oder auch einfach so mit mir reden, wenn ich in dem Trancezustand bin und hierbei vertraue ich dir voll und ganz, dass du nicht zu intime Sachen wissen willst«, grinste Piler.
Sirius nickte langsam, wobei er sich fragte, wo der Haken blieb, der sogleich folgte: »Sehr schön! – Und danach werden wir dich hypnotisieren, um dein Schlafwandelproblem wieder unter Kontrolle zu kriegen.«
Allerdings musste Sirius zugeben, dass das ein fairer Kompromiss war. Und außerdem war ja James dabei – also was konnte schon groß passieren!
Piler hatte sich unterdessen auf dem Stuhl niedergelassen, den er Sirius zuvor angeboten hatte und hängte nun sein Pendel vor sich selbst in die Luft.
»Es ist im Grunde genommen sehr einfach«, erklärte der Lehrer. »Das meiste macht sowieso mein magisches Pendel, du brauchst nur noch ab und zu etwas zu mir zu sagen, damit ich mich ganz auf dich als Bezugsperson konzentrieren kann.«
Mit einem Schwenker seines Zauberstabs dämmte Piler das Licht der Kerzen, dann steckte er ihn weg und machte es sich bequem, indem er sich gemütlich in dem Stuhl zurücklehnte.
Zunächst war Sirius etwas verunsichert ob der neuen Lage, selbst Hypnotiseur – und nicht wie bisher Hypnotisierter zu sein, doch er hatte sich schnell daran gewöhnt und schon bald war Piler allem Anschein nach weggetreten.
»Ist er jetzt hypnotisiert?«, raunte Sirius James zweifelnd zu.
Er selbst hatte ja noch nie jemanden gesehen, der in diesem Zustand war.
»Frag ihn doch einfach mal was, dann wirst du's schon sehen«, entgegnete James – ebenso im Flüsterton – schulterzuckend.
»Was denn!«, fragte Sirius leicht gereizt zurück, wobei er Piler unsicher ansah, der einen seltsamen Gesichtsausdruck angenommen hatte.
»Wie heißt du?«, übernahm James das jetzt sehr geistreich.
Tatsächlich antwortete der Lehrer in leicht verändertem Tonfall ohne zu zögern: »Frederic Corvin Piler.«
Sirius verdrehte die Augen angesichts dieser völlig überflüssigen und dazu noch total sinnlosen Frage.
»Was hat es mit meinem Schlafwandeln auf sich?«, verlangte Sirius zu wissen, was seiner Meinung nach eine viel interessantere Frage war, auf die er ohnehin schon lange eine Antwort haben wollte – spätestens seit sie in der Bibliothek einen möglichen Grund herausgefunden hatten.
James sah ihn entgeistert von der Seite an und flüsterte: »Mensch, Sirius! Geht's dir noch ganz gut! Piler hat gesagt, er vertraut dir und du…«
Doch weiter kam er nicht, denn Piler antwortete bereits ohne zu stutzen, als ob es eine ganz normale Frage wäre mit derselben schleppenden Stimme: »Dumbledore vermutet, dass schwarze Magie im Spiel ist. Wir können einen Zusammenhang zwischen dir und dem Auflösen von ganz Hogwarts nicht ausschließen. Deshalb soll ich dir auch Hypnosestunden geben, weil es ohne Zweifel besser wäre, wenn das aufhört.«
Sirius war einen Moment wie gelähmt – geschockt von der neuen Information, dass selbst die Schulleitung der Auffassung war, dass sein Schlafwandeln etwas mit den Vorkommnissen in Hogwarts zu tun haben sollte.
Ein paar Sekunden lang herrschte Stille, dann…
»Was soll das heißen ›schwarze Magie‹? Meint Dumbledore damit…«
Meint Dumbledore damit, dass ich an allem Schuld bin, oder was!, hatte Sirius eigentlich weiter nachhaken wollen, doch er vermochte es nicht. Seine Lippen formten zwar die Worte, aber kein Laut kam mehr darüber.
James hatte geistesgegenwärtig den Silencio-Spruch auf Sirius angewandt.
Bist du von irgendwem besessen!, wollte Sirius jetzt James anbrüllen, jedoch bewegten sich wiederum nur seine Lippen.
»Tut mit Leid, Kumpel, aber ich glaube, du musst erst mal wieder runterkommen. Du willst doch auch nicht, dass Piler dich so ausfragt, oder!«
Damit hob James den Spruch wieder auf, sodass Sirius wutentbrannt erwidern konnte: »Aber wenn wir jetzt schon mal die Chance haben, alles zu erfahren! Sag mit nicht, dass du nicht neugierig bist!«
»Doch, schon… Aber das geht einfach zu weit. Du willst genau das tun, wovor du Angst hast, dass Piler es mit dir macht. Irgendwo ist einfach eine Grenze, die wir nicht übertreten sollten!«
James hatte leise gesprochen, als wollte er nicht, dass Piler ihn hörte, auch wenn der sich sowieso an nichts erinnern würde, wenn er aufwachte, wie Sirius aus eigener Erfahrung wusste.
»Aber das hier geht mich ja direkt was an, oder!«, empörte sich Sirius daher in gleich bleibender Lautstärke.
»Ach komm, Sirius, sei kein Troll. Wir wissen jetzt schon mehr, als Piler gewollt hätte!«
James sah ihn bittend an, ehe er fortfuhr: »Holen wir Piler einfach wieder in die Wirklichkeit zurück und wenn er fragt, dann haben wir nur wissen wollen, wie er heißt und so was. Dann lässt du dich von ihm hypnotisieren und wir können gehen, okay?«
Sirius ärgerte sich fast über sich selbst, als er mit einem verbitterten, aber zustimmenden Nicken nachgab. Irgendwo musste er sich eingestehen, dass er sich so eine gute Gelegenheit auch nur für James entgehen ließ.
»Na, dann lass uns mal beten, dass er sich wirklich an nichts erinnern kann«, meinte James erleichtert, wobei er das Pendel mit einer leichten Handbewegung aus der Luft griff.
Beinahe augenblicklich kehrte Piler wieder in die normale Welt zurück, sah sich zunächst noch etwas orientierungslos um und fragte dann gut gelaunt: »Und? Alles glatt gelaufen?«
Sirius und James nickten ein klein wenig übereilt, doch Piler bekam davon anscheinend nichts mit, da er das Pendel, das James ihm zurückgegeben hatte eben vor Sirius hängte.
»Dann ist ja gut… Also, jetzt bist du dran, Sirius!«
Wieder einmal wurde es spät, bis Sirius endlich zusammen mit James Pilers Büro verlassen konnte.
Diesmal hatte er sich noch nicht mal entspannen – geschweige denn konzentrieren können. War er nun von bösen Geistern besessen? Ein Fluch, der auf Hogwarts gelegt war! Was sollten seine Schlafprobleme mit dem Verschwinden Hogwarts' zu tun haben? Verdächtigte Dumbledore am Ende wirklich ihn? Hatte der Schulleiter auf Brewpots Worte gehört? Ich persönlich würde Sirius Black vorschlagen… Oder hatte Sirius tatsächlich einfach nur ›psychische Probleme‹, wie Bellatrix es zu nennen pflegte?
Piler hatte natürlich bemerkt, dass die Hypnose gar nicht so recht funktionieren wollte, doch er hatte sich nicht beschwert. Sirius vermutete, dass Remus mit ihm über Sirius' Problem gesprochen hatte, sich freiwillig in die Gewalt von jemandem zu begeben, der mehr über ihn und seine Vergangenheit erfahren könnte, und dass Piler deswegen so viel Verständnis aufgebracht hatte und es immer wieder probiert hatte, bis sie schließlich einen kleinen Erfolg erzielten.
So wortkarg, wie Sirius und James zuvor zu Pilers Büro gekommen waren, so machten sie sich auch wieder auf den Weg zurück zum Ravenclaw-Turm.
Erst, als sie schon mehrere Korridore durchquert hatten ohne ein Wort miteinander zu sprechen, da jeder die Neuigkeiten, die sie erfahren hatten für sich selbst erfassen musste, blieb Sirius plötzlich stehen.
Da war es wieder! Der kühle Luftzug, der eine Stimme mit sich zu tragen schien: »Macht«… »Auf ewig…«
»Was ist denn los?«, übertönte James das geheimnisvolle Flüstern des Windes.
»Fühlst du das auch?« hauchte Sirius zurück, der die leisesten Geräusche um ihn her zu erfassen suchte.
»Was denn?« James' Stimme klang leicht besorgt, aber Sirius kümmerte das nicht. Statt einer Antwort holte er vorsichtshalber seinen Zauberstab hervor.
»Sirius, könntest du mir vielleicht mal bei Gelegenheit sagen…«, hörte er James im Hintergrund sprechen, doch der Luftzug, der die Stimme Slytherins mit sich trug war stärker: »…in Slytherin…«
Slytherin… Slytherin…
»Sag mir, dass du das auch hörst!«, befahl Sirius verzweifelt.
Seine eigene Stimme überschlug sich fast, klang nahezu schrill, da er den Wind zu übertönen suchte, der sich wie ein Orkan zusammenbraute, um ganz Hogwarts hinwegzufegen.
»Was soll ich denn hören?« James sprach nun langsamer, während er zögernd auf Sirius zuging, so als ob er befürchtete, Sirius habe seinen Verstand verloren.
Auch das kümmerte Sirius nicht.
Während er mit seinem Zauberstab willkürlich mal hierhin, mal dorthin zielte, erwiderte er, diesmal etwas ruhiger: »Da ist ein Phantom im Schloss. Das will irgendwas von mir!«
»Oh!«, James verstand scheinbar. »Das, über das du mal gestolpert bist?«
»Nein, das war Fang! Das, das mich schon seit Anfang des Schuljahres verfolgt!«
Sirius horchte in die Dunkelheit, die lediglich durch den Mond erhellt wurde, welcher durch ein nahes Fenster sein machtvolles Licht in die finsteren Schlossmauern schickte, nur um im nächsten Moment von Wolken verdeckt zu werden, die sich – vom Wind dazu genötigt – vor ihn schoben.
So plötzlich, wie der ›Sturm‹ gekommen war, so plötzlich war er auch wieder verschwunden.
Keine Stimme. Kein Windhauch. Nichts.
Nur die Stille, die James schließlich unsicher brach: »Fang? Was hat denn Fang damit zu tun!«
Als sie endlich das Porträt des verrückten alten Zauberers erreichten (Sirius hatte sich auch den restlichen Weg über auf seltsame Weise beobachtet gefühlt, auch wenn er keine Stimme mehr gehört hatte), hatte Sirius James alles über Hagrid und Fang, der momentan als Geisterhund in der Eingangshalle umging, erzählt, sodass der Vorfall fast wieder vergessen war.
»Schwabbelspeck!«, nannte Sirius das erste Wort, das ihm für ein Passwort würdig erschien.
»Selber!«, entgegnete der Zauberer leicht pikiert und wandte sich ab, bis James ihm lachend erklärte, dass ›Schwabbelspeck‹ das Passwort war, woraufhin sich der Zauberer mehrfach entschuldigte und sie einließ.
Diese Nacht wurde sehr unruhig. Mehrmals stand Sirius auf, doch nie kam er weiter, als bis zur Tür, da, wie sich herausstellte, Nelson eine Art Melder an diese gezaubert hatte, der jedes Mal in einem schrillen Kreischen losging, sobald jemand die Türklinke berührte.
Beim ersten Mal hatte Sirius geglaubt, dem Phantom zu begegnen, doch nach dem vierten Mal hatte er sich allmählich daran gewöhnt.
Das hatte natürlich die unliebsame Nebenwirkung, dass nicht nur Sirius, sondern auch der ganze restliche Schlafsaal wach wurde.
Als dann letztlich der Alarm sogar losging, als Finn aufs Klo musste, reichte es Tai und er warf den Melder verärgert aus dem Fenster.
Zum Glück war das schon früh morgens, sodass Sirius ohnehin nicht noch einmal schlafwandelte.
Remus fehlte den ganzen nächsten Tag im Unterricht, aber zumindest gestattete Madam Pomfrey Sirius, James und Peter, ihm in der Mittagspause einen Besuch abzustatten.
Noch immer wirkte Remus sehr mitgenommen – fast sah er noch schlechter aus, als am Vortag, doch er war sehr zuversichtlich, dass er am Wochenende wieder fit wäre.
Auch nachmittags gingen dir drei Freunde gleich nach Schulschluss zum Krankenflügel – diesmal allerdings scheuchte Madam Pomfrey sie bald wieder hinaus. Remus war – wenn das überhaupt noch möglich war – noch blasser geworden und setzte sich noch nicht mal dafür ein, dass sie noch länger bleiben durften, sodass sie bald darauf wieder vor verschlossenen Türen standen.
»Na toll, das heißt dann wohl, dass wir ihn vor morgen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen«, stellte James muffig fest und schlug auch schon wieder den Weg zum Ravenclaw-Turm ein.
Doch Sirius war eben eine Idee gekommen. »Geht schon mal vor… ich – muss noch zu Piler wegen Hypnosestunde. Bin ja heute Nacht schon wieder schlafgewandelt.«
»Soll ich wieder sagen, du hast Strafarbeit?«, erkundigte sich Peter zuvorkommend.
»Ja, mach mal… Bis später dann«, meinte Sirius schnell, bevor James noch anbieten konnte, mitzukommen und ging den Korridor in die Gegenrichtung weiter, die zu Pilers Büro führte.
Kaum hatte er jedoch die nächste Ecke erreicht, blieb er stehen und blickte zurück. Der Gang lag verlassen; James und Peter waren längst verschwunden. Das hieß, dass Sirius' Rolle als Spion nichts mehr im Wege stand.
Lässig lehnte er sich gegen die kühle Mauer und behielt den Krankenflügel-Korridor im Blick. Jetzt hieß es warten!
Eine geschlagene halbe Stunde stand Sirius fast gänzlich unbewegt in seinem Versteck, ohne dass sich etwas rührte, sodass sich Sirius' Gliedmaßen bald steif und leblos anfühlten. Nur ein Mal kam ein Mädchen vorbei – Sirius glaubte, sie als Bertha Jorkins, die Schwester von Catherine Jorkins in Erinnerung zu haben –, das ihn sogleich neugierig ausfragte, was er denn hier tue.
Sirius konnte sie zum Glück recht schnell abwimmeln, sodass er wieder in aller Ruhe die Tür zum Krankenzimmer beobachten konnte. Allein seine Neugierde hielt Sirius dort in den Schatten der Schlossmauern, die immer länger wurden, je tiefer die Sonne sank.
Endlich – nach einer halben Ewigkeit – tat sich etwas.
Madam Pomfrey verließ den Krankenflügel und hinter ihr her lief, leicht gekrümmt – Remus!
Sirius folgte den beiden mit gebührendem Abstand bis in die Eingangshalle und hinaus auf die Schlossgründe.
Sirius fragte sich schon, wie lange ihre Reise noch gehen würde, als die zwei unerwartet stehen blieben – zu Sirius' Verwunderung bei der Peitschenden Weide!
Schnell drückte er sich seinerseits hinter einen großen Baum in der Nähe und spitzte vorsichtig zur Peitschenden Weide, wo Madam Pomfrey eben einen Stecken aufhob und damit unten am Stamm etwas berührte, sodass der Baum augenblicklich aufhörte, nach ihnen zu schlagen.
Das erklärte zumindest, warum die Peitschende Weide bei ihrem Spiel immer dann, wenn es gefährlich wurde, erstarrt war. Offenbar wusste Remus, wie man sie zum Stillstand brachte – und es erklärte weiterhin, was Remus mit dem Stock getan hatte, als Davey beinahe sein Auge verloren hatte…
Was Sirius dann sah, ließ ihn verwundert aufkeuchen: Remus verschwand in einem Loch in etwas, das aussah, wie ein Gang, der unter den Baum führte, während Madam Pomfrey noch einen Moment stehen blieb und sich anschließend auf den Rückweg zum Schloss begab.
Noch immer aufs Höchste erstaunt über das eben Gesehene verließ Sirius, sobald die Krankenschwester außer Sichtweite war, sein Versteck und trat, wie zuvor Madam Pomfrey mit Remus, zu dem Baum, der wie eh und je nach ihm ausschlug.
Geschwind wich Sirius aus, um nicht noch einen Ast abzubekommen. Alles, was er zu tun brauchte, war die Peitschende Weide mit einem Stock zu stoppen… und so nahm Sirius den Zweig, den Madam Pomfrey neben dem Baum liegen gelassen hatte und tastete damit am Stamm herum – doch diesmal tat sich nichts. Anscheinend musste man genau wissen, welche Stelle man berühren musste.
Wie dem auch sei, irgendetwas stimmte hier nicht und Sirius wusste, dass er nur dahinter kommen würde, wenn er Remus durch diesen seltsamen Tunnel unter der Peitschenden Weide folgte… Deshalb gab er nicht so schnell auf, sondern versuchte es noch eine ganze Weile, bis…
»Mr Black!«
Sirius wirbelte aufgeschreckt herum, wobei er sein Ästchen fallen ließ und dafür beinahe einen Schlag von der Peitschenden Weide einkassiert hätte.
Die Schreckschraube kam – außer sich vor Wut – auf ihn zugehastet. Sie muss ihn wohl von ihrem Bürofenster aus gesehen haben.
»Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, als ich sagte, dass Sie sich von der Peitschenden Weide fernhalten sollen!«
Sirius machte den Mund auf, doch McGonagall ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, was nicht weiter schlimm war, weil Sirius sowieso nicht genau gewusst hatte, was er sagen sollte.
Auf der einen Seite konnte er unmöglich zugeben, dass er Madam Pomfrey und Remus heimlich gefolgt war, bis Remus unter der Peitschenden Weide verschwunden war – aber auf der anderen Seite war McGonagalls Ansicht der Dinge auch nicht viel besser für ihn, die eindeutig dachte, dass Sirius sein Spiel wieder aufgenommen hatte.
»Das gibt eine Strafarbeit für Sie, Mr Black! Samstag- und Sonntagabend! Eine ungehörige Frechheit…«
Den ganzen Weg zurück ins Schloss regte sie sich noch auf, doch Sirius schaltete, wie so oft, wenn er sich eine Standpauke anhören musste, auf Durchzug, bis er im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum ankam, wo er auf James traf, der allein in einer Ecke saß und mit sich selbst Zaubererschach spielte.
Sirius setzte sich sofort dazu, um ihm von Remus zu erzählen, doch James war schneller: »Und? Wie war Hypnose?«, fragte er, sichtlich erfreut über die Gesellschaft.
Sirius sprang sofort wieder auf. »Oh, Mist! Hab ich total vergessen«, stöhnte er auf und ließ den verblüfften James allein im Gemeinschaftsraum zurück.
Piler schien ihn schon erwartet zu haben. Jedenfalls brannten die Kerzen und das Pendel hing schon startklar vor dem Stuhl, während der Lehrer selbst hinter seinem Schreibtisch saß und in ein Buch vertieft war.
Sirius räusperte sich kurz, da Piler sein Eintreten offensichtlich nicht wahrgenommen hatte.
»Oh, Sirius! – Setz dich doch schon mal, ich les nur noch schnell den Absatz zu Ende, ja?«
Sirius tat, wie ihm geheißen – etwas unsicher, da James diesmal wieder nicht dabei war und besonders weil, nach allem, was sie das letzte Mal herausgefunden hatten, Piler Sirius mit dem Verschwinden Hogwarts' in Verbindung zu bringen schien.
»Was ist das eigentlich für ein Buch?«, wollte Sirius wissen, als Piler sich schließlich erhob und das Buch beiseite legte, um die Hypnosestunde zu beginnen.
»Ich wollte nur noch einmal meinen Verdacht nachprüfen. Der Gedankensblitz ist mir auch erst gestern gekommen. Ich glaube, ich weiß, warum du manchmal ein paar Tage lang schlafwandelst und dann wieder ein paar Wochen – um genau zu sein einen Monat – nicht.«
Piler legte eine spannungsvolle Pause ein, in der ihn Sirius nur mit gerunzelter Stirn ansah. Er hasste es, wenn er auf die Folter gespannt wurde!
»Nicht umsonst ist ein anderes Wort für Somnambulismus auch Lunatismus – Mondsüchtigkeit. So wie auch viele Muggel beeinflusst dich die Kraft des Mondlichts. Mit Hypnose können wir daher zwar die Stimme vorübergehend aus deinem Kopf vertreiben, aber, immer dann, wenn der Einfluss des Mondes auf uns Erdbewohner am größten ist – in der Zeit des Vollmondes – kann sie wieder Einfluss auf dich nehmen.«
Sirius sah instinktiv aus dem Fenster, in die Nacht hinaus, die tatsächlich von einem kugelrunden Mond in eine geheimnisvolle – fast schon unheimliche Atmosphäre getaucht wurde.
Vollmond… Einfluss des Mondes auf uns Erdbewohner…, hallten Pilers Worte in seinem Kopf wider. Es war Vollmond. Es war auch letzten Monat schon Ende des Monats Vollmond gewesen… Aber das konnte nicht sein! Jetzt litt er wirklich schon an Verfolgungswahn…
»Also, du kennst das ja alles. Entspannen und so weiter…«
Sobald Piler ihn entlassen hatte, hastete Sirius durch die Korridore, um möglichst schnell zu James zu gelangen. Kaum achtete er auf seinen Weg und er maß noch nicht mal seinem Gefühl, beobachtet zu werden, viel Beachtung bei, so eilig hatte er es, in den Ravenclaw-Turm zu kommen.
Die Tatsache, dass Remus – zumindest dieses und das letzte Mal – gerade zu Vollmond verschwunden war, bedurfte einer schnellen Lagebesprechung mit James und Peter.
Remus war ohnehin vorläufig irgendwo unter der Peitschenden Weide und würde demnach wahrscheinlich nicht allzu bald zurückkehren… vor allem nicht, wenn Sirius' Vermutung sich als wahr erwies.
Auf halbem Weg zum Ravenclaw-Turm ereignete sich allerdings etwas, das Sirius Remus vorerst völlig vergessen ließ.
In seiner Eile konnte er, als er um eine Ecke bog, gerade noch abbremsen, um nicht noch einmal die Erfahrung zu machen, mitten durch einen Geist hindurchzulaufen.
Vor ihm schwebte der Fast Kopflose Nick, der in eine Unterhaltung mit der Grauen Dame, dem Hausgeist von Ravenclaw, vertieft war.
»Oh, aufpassen, der junge Herr«, lächelte die Graue Dame, die sich wohl ebenso erschrocken hatte, wie Sirius selbst.
»'tschuldigung«, murmelte Sirius abwesend und wollte seinen Weg schon fortsetzen, doch die Graue Dame fragte ihn interessiert musternd: »Du bist jetzt auch in mein Haus umgezogen, nicht? Der Blutige Baron war ganz schön sauer…«
»Ähm – ja!«, entgegnete Sirius, der nicht so genau wusste, was er darauf sagen sollte und der sowieso nur noch endlich mit James reden wollte.
»Der wird bestimmt nicht zu unserer Feier am Sonntag kommen. Dazu war er viel zu wütend auf uns, als wir ihm erklärten, dass wir Geister mit der Schulleitung nicht über die Häuserverteilung diskutieren konnten«, mischte sich Nick vergnügt mit ein.
»Was für eine Feier?«, fragte Sirius aus Höflichkeit nach, während er verzweifelt nach einem Plan suchte, schnell aus diesem Geistersmalltalk herauszukommen.
»Na, die Walpurgisnachtsfeier«, erwiderte die Graue Dame, als könne sie es nicht fassen, dass Sirius keine Ahnung davon hatte, was der kommende Sonntag für ein besonderer Tag war.
»Zu unserer Lebzeit wurde die Nacht auf den ersten Mai von allen Hexen und Zauberern ganz besonders zelebriert und mit dieser Tradition haben wir nach unserem Tod nicht gebrochen.«
»Walpurgisnacht?«, vergewisserte sich Sirius, bei dem sich in seinem Gedächtnis irgendetwas regte. »Übermorgen!«
Eine kleine Gruppe Zentauren und ein heruntergebranntes Feuer… In der Walpurgisnacht wird es passieren…
»Ja. – Wir unterhielten uns gerade darüber, als du ankamst…«
Sirius hörte Nicks Antwort gar nicht mehr, sondern raste die letzten Gänge entlang und hielt erst wieder an, als er im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws angelangt war, wo James als einer der Letzten noch immer alleine herumsaß – diesmal ein Schulbuch vor sich, woran er allerdings keinen Blick verschwendete.
»Wo ist Peter? Ich muss mit euch reden«, platzte Sirius gleich heraus, ehe James ihn auch nur grüßen konnte.
»Im Krankenflügel. – Als du vorhin das erste Mal bei Piler warst, ist uns Malfoy über den Weg gelaufen… nunja, ich hatte den Eindruck, dass er Peter nicht so ganz geglaubt hat, dass du Strafarbeit machen musst und da hat er ihn ›Rindvieh‹ genannt und hat ihm Hörner wachsen lassen. Madam Pomfrey meint, bis morgen sind die wieder weg. Bevor ich ihm allerdings dafür einen Gegenfluch aufhalsen konnte, kam Brewpot vorbei und hat mir eine Strafarbeit für morgen Abend aufgegeben.«
»Ach, da hab ich auch Strafarbeit. Bei McGonagall. Ist jetzt aber auch nicht so wichtig. Erinnerst du dich noch an die Nacht im Verbotenen Wald? – Ich hab dir doch von dem Gespräch der Zentauren erzählt! Vonwegen in der Walpurgisnacht würde es geschehen… Übermorgen ist Walpurgisnacht!«
»Und?«, fragte James nach ohne mit der Wimper zu zucken.
Sirius sah ihn entgeistert an. »Was und!«, brauste er ärgerlich auf.
Er war fest davon überzeugt gewesen, dass diese Nachricht James ebenfalls außer Fassung bringen würde, dass sie zusammen eine Lösung finden würden, aber alles, was sein bester Freund dazu zu sagen hatte war ›und?‹! Diese Tatsache verwirrte Sirius fast noch mehr als die Neuigkeit, dass sie die Walpurgisnacht am Sonntag völlig vergessen hatten und dass in dieser Nacht irgendetwas geschehen sollte.
»Das heißt, dass es am Sonntag passieren wird!«, erklärte Sirius ungeduldig.
»Was wird passieren?«
Sirius zuckte hilflos die Schultern. Das hatten die Zentauren schließlich nicht gesagt, aber tat das etwas zur Sache! Er wusste, dass es passieren würde!
»Siehst du? Genau das ist es! Wir wissen es nicht, was – laut den Zentauren – passieren soll. Vielleicht geht am Sonntag die Welt unter – vielleicht kündigt Brewpot auch nur seine Stelle als Zaubertränkelehrer… was mir nebenbeibemerkt auch nichts bringen würde – ich hab ja leider schon morgen bei ihm Strafarbeit!«
Auf Sirius' verständnislosen Blick hin meinte James: »Und selbst wenn – tun können wir eh nichts!«
Damit hatte James natürlich mal wieder Recht. Sie könnten wirklich nichts tun. Wie die Zentauren schon gesagt hatten: Es bliebe ihnen abzuwarten…
Da Sirius in dieser Nacht sowieso kaum Schlaf fand, war es nicht verwunderlich, dass er, wenn er doch einmal ein paar Minuten wegnickte, entweder komische Träume von Walpurgisrittern in langen schwarzen Roben hatte, die um ein großes, hellleuchtendes Walpurgisfeuer herumtanzten, oder von einer Stimme geleitet durch den Ravenclaw-Turm irrte, bis ihn jemand weckte und aus dem rätselhaften Reich des Schlafwandelns zurückholte.
Die Macht zehrte an ihm, saugte mit aller Kraft seinen Willen auf. Sirius spürte, wie er schwächer wurde, wollte sich dagegen wehren, sich selbst aus dem Schlaf reißen, doch die fremde Macht hielt ihn unter ihrer Gewalt, stärker noch als je zuvor. Keine Macht der Welt konnte stärker sein, als diese, die ihn förmlich durch den Schlafsaal trug, beinahe mit schwebender Leichtigkeit; keine andere Kraft könnte jene aufhalten, ihn zu den Slytherin-Verliesen zu führen, wo er hingehörte.
Die Kraft war sichtbar vorhanden, umwaberte Sirius wie eine mystische Aura, deren Ausstrahlung allein jegliche Versuche des Widerstandes ausnahmslos vernichtete. Die deutliche Präsenz dieser Macht konnte Sirius schon beinahe spüren.
»Sirius, leg dich schlafen!« Eine entnervte, müde Stimme. Sie kam Sirius vage bekannt vor – sehr vage!
Doch er brauchte nicht darüber nachzudenken. Was zählte, war seine Bestimmung; einzig sein Weg nach Slytherin…
»Sirius! Aufwachen!«
Die Stimme prallte an der unsichtbaren Barriere ab, die von jener Aura gebildet wurde. Nur der Mond hatte das Recht, ihm Befehle zu erteilen. Nur die Stimme in seinem Kopf, kein anderer!
»Wach auf!«, probierte es der Törichte trotzdem noch einmal.
»Ich gehe zu Slytherin und du wirst mich nicht aufhalten!« Sirius' Stimme hatte einen bedrohlichen Klang angenommen, der jeden in die Fluch geschlagen hätte.
Auch der hartnäckige Unbekannte schien jetzt in Alarmbereitschaft. Vorher noch in einem genervten, verschlafenen Ton, hatte er sich nun auf seinem Bett aufgerichtet, während Sirius stetig Fuß vor Fuß setzte, ob von selbst oder nicht war ihm selber nicht ganz klar.
»Colloportus!«, rief dieser Jemand und Sirius nahm durch den Nebel wahr, wie sich die Tür, die er eben verlassen wollte, von selbst verriegelte.
Ein dunkles Lachen entrang sich seiner Kehle, das ganz und gar nicht nach seinem eigenen klang.
»Alohomora!« Sirius wusste nicht, woher er seinen Zauberstab hatte, aber er hatte ihn plötzlich in der Hand und die Tür sprang auf.
»Sirius, lass das, wach auf!« Ein fast verzweifelter Ton.
»Schaffe zuerst den Störenfried aus dem Weg«
Dies war ein Befehl, der befolgt werden musste! Langsam drehte sich Sirius herum, zielte durch den Nebel von Stimmen und der seltsamen Macht auf den ›Störenfried‹ und rief: »Tetundo!«
Irgendwo außerhalb des Dunstes schrie jemand »Protego!«, worauf Sirius schmetterte: »Transcido!«
Sein Feind konnte sich eben noch rechtzeitig unter dem Lichtstrahl wegducken.
»Nein!«, hallte Salazar Slytherins Stimme wütend in seinem Kopf wider. »Töte ihn!«
»Sirius, Mann, lass das, ich will mich hier nicht mit dir duellieren!« (die seltsam vertraute Stimme vom Anfang)
»Was ist denn jetzt schon wieder los!« Auch die Stimme glaubte er, schon einmal gehört zu haben…
»Ist er wach, oder was!«
»Avada…«
»Was tut er da!« (ein panischer Tonfall)
»Weiß er überhaupt noch, was er tut!«
»Sirius, ich bin's!«
»Na los, was ist? Mach schon, töte ihn!«
»Avada…«
»Sirius, ich bin's, James, dein Freund!«
»Nun MACH ENDLICH!«
Die Stimme wurde unerklärlicherweise leiser, der Nebel lichtete sich etwas; im Schlafsaal allerdings wurde es dunkler – der Mond war hinter einer dicken Wolke verschwunden.
»Sirius, bist du wach?«
»Du gehörst mir und nur mir!«, schrie Salazar Slytherin wutentbrannt, doch Sirius begann, dagegen anzukämpfen und schließlich gelang es ihm unter höchster Willensanstrengung, die Augen zu öffnen.
Er fand sich, den Zauberstab auf James gerichtet, der auf seinem Bett saß und ihn groß ansah, wieder. Der gesamte Schlafsaal schien wach und zutiefst geschockt.
»Oh… bin wohl schlafgewandelt…« Sirius ließ langsam den Zauberstab sinken. Hatte er sich etwa mit James duelliert? Der jedenfalls hatte ebenfalls seinen Zauberstab fest umschlossen in der rechten Hand.
»Hier ist man ja nicht mehr sicher!« Dieselbe ängstliche Stimme, die Sirius nun, da er bei vollem Bewusstsein war, als Tais erkannte zitterte noch immer merklich, obwohl Sirius seinen Zauberstab ja gar nicht auf ihn gerichtet hatte.
»Hey, was machst du da?«
Sirius, der gerade eben begriff, was er getan haben musste, wollte den Schlafsaal schnellstmöglich verlassen. Was wäre wohl passiert, wenn er nicht aufgewacht war! Er hätte James womöglich schlimm verletzt! Das durfte nie wieder vorkommen! Er durfte sich nicht länger im selben Raum aufhalten, wie James.
Sirius sah verlegen auf seinen Zauberstab, den er jetzt schlaff an seiner Seite hielt. »Ich… ich geh zu Piler!«, erklärte er seinen plötzlichen Aufbruch, wenngleich er in Wirklichkeit nicht vorhatte, den Verteidigungslehrer aufzusuchen.
An der Tür drehte Sirius sich noch einmal um. »James… tut mir echt Leid, Mann!«, murmelte er, ehe er den Schlafsaal verließ.
Statt zu Piler zu gehen, wandte er seine Schritte Richtung Bibliothek. Er wusste ja, wo das Buch stand, in dem er unbedingt nachsehen musste…
Zum Glück hatte er seinen Zauberstab dabei, denn Madam Pince hatte natürlich, wie immer abgesperrt, aber mit dem ›Alohomora‹-Spruch hatte er sich im Zauberstabumdrehen Eingang verschafft.
In der Tat musste er das Buch nicht lange suchen; er wusste noch, wo Remus es hingestellt hatte, nicht zuletzt, weil er zusammen mit James, Remus und Peter jedes einzelne Buch in dieses Regal hatte einordnen müssen.
Das Schlafwandeln während des Vollmonds…
Ja, da hatte Remus das letzte Mal aufgehört, zu lesen –
… wenn die Macht am stärksten auf das Unterbewusstsein einwirkt, kann sich insofern gefährlich auf den Betroffenen und seine Umgebung auswirken, als dass jener von den Kräften des Erbfluches geleitet gänzlich die Kontrolle über sich verliert und unterbewusst den ›Schlüssel zu seiner Seele‹ (sprich seine ganze Gefühls- und Gedankenwelt, all seine Einstellungen, von denen er im wachen Zustand überzeugt ist etc.) in die Hände des Fluchsprechers gibt.
Dies kann fatale Auswirkungen auf sein Benehmen haben, da er fortan nur noch der Stimme gehorcht, die von ihm die unmöglichsten Sachen verlangen kann, welche der Betroffene im Normalzustand nie tun würde.
So soll die adelige Hexe Rike von Rübenzeck, die im 17. JH. n. Chr. nahe Malton lebte, von einem Erbfluch besessen ihre eigene Schwester ermordet haben.
Weiterhin ist es am Tag des vollen Mondes für Außenstehende besonders schwer, den Schlafwandler, der von dem Fluch heimgesucht wird, aus seinem Zustand zu befreien, da die auf ihn einwirkende Macht zu stark ist, um von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten gebändigt zu werden.
Sirius klappte das Buch zu. Er hatte James angegriffen und er wusste jetzt auch warum. Piler hatte ihm verraten, dass Vollmond war…
Was, wenn er es wieder versuchen würde? Das konnte er nicht riskieren! Die Alternative, zu Piler zu gehen, kam natürlich auch nicht in Frage – das würde er morgen erledigen!
Also blieb ihm nur die Möglichkeit, zu hoffen, dass er nach Vollmond wieder normal wurde und dass er bis zum nächsten Monat seine Ruhe hätte.
Diese Nacht lag Sirius wach. Als er zurückgekommen war, hatten die anderen bereits wieder selig geschlafen, doch Sirius traute sich nicht, sich noch einmal dem Schlaf hinzugeben. Der Schlaf, wenn er am leichtesten zu beeinflussen war; seinen ›Schlüssel zu seiner Seele‹ wollte er nur ungern abermals in die Hand Salazar Slytherins geben…
Auch am Samstag hatte Sirius die Walpurgisnacht noch nicht vergessen, selbst wenn er im Nachhinein James zustimmen musste, dass die Zentauren wahrscheinlich nur Illusionen nachjagten, wenn sie in Feuern nach Zeichen suchten.
Dennoch schärfte James ihm, als sie Peter im Krankenflügel besuchen wollten (Sirius fühlte sich nicht ganz unschuldig, da Peter ja wegen ihm überhaupt erst in diese Lage gekommen war), ein, vor Peter nichts davon zu erwähnen, weil sich der sicherlich wieder viel zu viele Sorgen machen würde. Doch sie brauchten gar nicht zum Krankenflügel zu gehen.
Peter kam ihnen schon froh, munter – und hörnerlos – entgegen.
»Madam Pomfrey hat gesagt, mir geht's schon wieder bestens«, erklärte er ihnen strahlend, als er auf sie zulief. »Ich soll mich das nächste Mal nur nicht mehr mit einem Siebtklässler anlegen…«
Etwas erleichtert, dass mit Peter alles in Ordnung war, fragte Sirius: »Und – was machen wir heute bis zu unseren Strafarbeiten?«
»Ihr habt Strafarbeit?«, hakte Peter ungläubig nach, während sich alle drei zum Ravenclaw-Turm aufmachten.
»Jep«, erwiderte Sirius leichthin, »Aber erzähl's lieber nicht Remus.«
»Wo wir schon von Remus sprechen… wie geht's dem denn eigentlich?«, wandte sich James nun stirnrunzelnd an Peter.
»Keine Ahnung. Ich dachte, der wäre bei euch – Im Krankenflügel war er jedenfalls nicht«, antwortete Peter, wobei er ratlos mit den Schultern zuckte.
Bei diesen Worten fiel es Sirius wieder siedendheiß ein. Über die ganze Aufregung am Vorabend und mit all den wirren Träumen, die ihn die Nacht über verfolgt hatten, hatte er nicht mehr genau gewusst, was nun Traum und was Wirklichkeit gewesen war – geschweige denn, dass er nachdem er erfahren hatte, dass am Sonntag Walpurgisnacht war, sich daran noch erinnert hätte.
Doch jetzt, da sie darüber sprachen, kam ihm wieder ins Gedächtnis, was er den Zweien schon am Vortag hatte mitteilen wollen.
»Der ist irgendwo unter der Peitschenden Weide verschwunden«, erklärte Sirius daher, sehr zur Verblüffung seiner beiden Freunde, die ihn natürlich sofort ausfragten und nicht lockerließen, bis Sirius ihnen alles haargenau erzählt hatte.
Anschließend – sie hatten sich mittlerweile in den gemütlichen Schlafsaal der Ravenclaw-Erstklässler zurückgezogen, da im Gemeinschaftsraum mal wieder viel zu viel los war – herrschte erst einmal Stille.
Nach einer Weile traute sich Peter nachzufragen: »Das heißt, dass Remus immer bei Vollmond verschwindet?«
»Quatsch!«, fuhr James auf. »Das ist eine rein hypothetische Vermutung, die auf ein – höchstens zwei Malen beruht, als Remus bei Vollmond krank war. Fast so bescheuert, wie der Aberglaube von dieser Walpurgisnacht!«
Sirius blinzelte verständnislos, als James' erboster Blick ihn traf.
»Welche Walpurgisnacht?«, hakte Peter eine Spur beunruhigt nach, doch weder Sirius noch James beachteten ihn in irgendeiner Weise – James, weil er zu sehr damit beschäftigt war, Sirius mit empörten Blicken zu durchbohren und Sirius, weil er versuchte, James' plötzliche Aggressivität zu ergründen.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, da James aufgebracht fortfuhr, diesmal direkt an Sirius gewandt: »Sag mal, was fällt dir eigentlich ein, Remus hinterherzuspionieren, obwohl wir es dir ausdrücklich verboten haben, mich zu allem Überfluss noch nicht mal einzuweihen und uns alle anzulügen, dass du bei Piler Hypnosestunde hättest! – Und wir erfahren von alledem so nebenbei Tage später!«
Es war nicht so sehr die Tatsache, dass er maßlos übertrieb, die Sirius dazu brachte, sich zu entschuldigen, es war eher der Blick, den James bei seiner Anschuldigung aufgesetzt hatte – etwas zwischen beleidigt-verletzt, zutiefst enttäuscht und gleichzeitig verbittert… Alles das nur, weil Sirius nichts von seinem Vorhaben erzählt hatte!
»Okay, es tut mir Leid«, hatte Sirius auch schon gesagt, bevor er darüber nachdenken konnte, dass sich ein Black nie zu entschuldigen hatte – für nichts.
Dieser Umstand, dass es einmal Sirius war, der sich entschuldigte, schien auch James ein wenig zu beschwichtigen.
»Aber sonst wüssten wir jetzt immer noch nicht mehr, oder!«, verteidigte sich Sirius trotzig, der nicht ganz verstand, warum sich James überhaupt so aufregte. »Wenn ich euch anlüge, weil ich einmal nicht ganz die Wahrheit gesagt habe, dann will ich mal wissen, wie du das bei Remus nennst. Weiß ja nicht, wie's bei euch aussieht – mir hat er jedenfalls noch nicht mal verraten, dass es unter der Peitschenden Weide überhaupt einen Geheimgang gibt!«
»Mir auch nicht«, warf Peter sacht dazwischen, bevor James noch einmal laut werden konnte.
»Ich für meinen Teil will wissen, was mit meinem Freund abgeht«, schloss Sirius, womit er sich seine Büchertasche schnappte und unter den irritierten Blicken von James und Peter begann, darin herumzuwühlen.
Endlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte: Seine Mondtabellen aus Astronomie. Schnell suchte er mit den Augen nach dem Monat April und stellte fest, dass Piler die Wahrheit gesagt hatte: Gestern war Vollmond gewesen.
Auch James und Peter hatten sich schließlich doch neugierig, fast schon erwartungsvoll zu ihm herübergebeugt, um die Mondtabellen – wenn auch verkehrt herum – lesen zu können.
»Seht ihr? Er war kurz vor deinem Geburtstag krank gewesen«, erinnerte Sirius James triumphierend. »Und hier – am 29. März war Vollmond. Das passt genau! Ende Februar war er auch nicht da – und ich würde mein Denkarium drauf verwetten, wenn ich das noch hätte, dass das am 29. war, da war nämlich auch Vollmond!«
»Aber warum sollte er immer gerade bei Vollmond fehlen?« Peter sah verständnislos von Sirius zu James, die ihrerseits den Blickkontakt zueinander suchten.
James hatte die Augen in Verständnis weit aufgerissen, während Sirius mit Blicken bejahte. Wie so oft waren zwischen ihnen keine Worte nötig, um einander zu verstehen.
Nur um Peters willen sprach Sirius noch trocken aus, wessen sich beide sicher waren, ohne jedoch die Augen von James zu wenden: »Remus ist ein Werwolf!«
Sobald die Worte ausgesprochen waren, scharf und schneidend, wie die Klinge seines magischen Messers, erfüllten sie den Schlafsaal, der unter ihnen vor Spannung fast zu platzen drohte. Allein Peter sog scharf die Luft ein – James, die Augen noch immer weit geöffnet, sagte gar nichts, rührte sich nicht einmal; saß nur da und blickte unverwandt Sirius an, als hätte der etwas gesagt, das er erst noch in seinen Verstand aufnehmen, sich bewusst machen musste.
Einen Augenblick lang herrschte absolute Stille ob der Absurdität der irrsinnigen Worte, die allen allmählich klar wurde, obgleich es gleichsam auch als das Natürlichste überhaupt erschien, was alles erklärte: Warum Remus immer, wenn es um Wölfe und Werwölfe ging zusammengezuckt war; warum er um Vollmond herum immer so müde und krank wirkte; und nicht zuletzt, warum er überhaupt jeden Monat ein Mal fehlte.
Dennoch: Ihr Freund – ein Werwolf!
Noch immer waren James' und Sirius' Blicke ineinander verfangen, als wollten sie sich gegenseitig festhalten, stützen, im jeweils anderen Halt finden und ihm zugleich Halt bieten.
Denn allein mit diesen paar aberwitzigen Worten hätten sie es einfach nicht aushalten können. Remus ist ein Werwolf!…
Diese paradoxen Worte hallten fast greifbar im Raum – in jedem Kopf nach. Remus – ausgerechnet der ausgeglichene, strebsame, friedfertige Remus eine wilde Bestie!
Sirius und James brauchten nicht einmal in den Augen des anderen etwas Bestimmtes zu suchen; sie hatten es längst gefunden! Instinktiv wussten beide, was im anderen vorging.
Dann brach Peter abrupt das unsichtbare Band, das Sirius und James für diesen einen langen Augenblick verbunden zu haben schien, indem er als erster unsicher das Wort ergriff, vermutlich, weil er die Spannung nicht mehr länger aushielt: »Das kann nicht sein… Sie hätten nie einen Werwolf hier aufgenommen!«
Sirius wandte schließlich den Blick von James ab und auf den kleinen mausgrauen Jungen, der ihn aus seinen wässrigen Augen mit einer unerklärlichen Furcht ansah und unruhig auf seinem Stuhl hin- und herrutschte, gerade so, als ob Sirius' Antwort, die er offenbar erwartete, über sein Leben entscheiden würde.
Sirius allerdings bemühte sich nicht um eine Antwort. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er darauf hätte antworten sollen. Eines war jedoch sicher: Dumbledore wäre bestimmt verrückt genug gewesen, es einem Werwolf zu erlauben, nach Hogwarts zu gehen.
Doch was Sirius am meisten irritierte war, dass er – nachdem der erste Schock überwunden war – die Information, dass einer seiner Freunde ein Werwolf war keineswegs abstoßend oder furchterregend fand. Im Gegenteil, diese Tatsache empfand er vielmehr als interessant.
Was ihn ärgerte war lediglich, dass sie sich ein dreiviertel Jahr lang mit Remus einen Schlafsaal geteilt hatten, angeblich seine Freunde waren und erst jetzt, da Sirius zufälligerweise selbst vom Vollmond beeinflusst wurde, dahinter kamen, dass er ein Werwolf war. Dazu kam natürlich noch, dass Remus es ihnen nie selbst gesagt hatte.
»Und jetzt?«, erbarmte sich James endlich die Stille zu brechen.
Peter neben ihm wurde noch nervöser, als er mit zitternder Stimme meinte: »Es muss etwas anderes sein, dass er vor uns verheimlicht. Ein Werwolf – du hast selbst gesagt, dass das absurd ist!«
Seine noch wässriger wirkenden Augen, in denen nur zu deutlich dessen innere Aufgewühltheit zu erkennen war, waren diesmal starr auf James gerichtet. Offenbar erwartete er wenigstens von dem Zustimmung. Doch auch die blieb aus.
»Ich finde, wir sollten ihn darauf ansprechen, wenn er heute Abend wiederkommt«, äußerte Sirius seine Gedanken.
»Was?«, kreischte Peter auf, wobei er einen halben Meter in die Luft sprang. »Der frisst uns alle auf!«
»Ich denke auch nicht, dass wir ihn sofort darauf ansprechen sollten«, wandte James ernst ein, ohne sich jedoch auf Peters Kommentar zu beziehen. »Er ist jetzt bestimmt noch völlig fertig und vielleicht sagt er es uns ja doch noch von selbst.«
»Frag mich nur, warum er das nicht schon längst mal getan hat«, grummelte Sirius, der sich über seine eigene Kurzsichtigkeit aufregen konnte.
Er hatte einen Werwolf zum Freund und hatte das bis gerade eben noch nicht mal gewusst!
»Das ist doch sonnenklar! Aus demselben Grund, aus dem du uns nie viel über dein Zuhause erzählst! – Er schämt sich dafür und hat Angst, dass wir nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, wenn wir es erfahren«, ergründete James Remus' Psyche.
»Moment mal, ich hab nie gesagt, dass ich mich für meine Familie in irgendeiner Weise schäme!«, brauste Sirius auf. »Die sind halt einfach nur alle totale Freaks, das ist alles!«
James setzte schon an, zu widersprechen, doch dann besann er sich anscheinend eines Besseren, denn er seufzte tief und resignierend auf, winkte ab und schlug in einem ruhigeren Ton vor: »Lasst uns lieber mal schauen, ob Remus schon wieder im Normalzustand ist. Vielleicht kann man ihm irgendwie helfen!«
Peter schien alles andere als begeistert von dieser Idee, aber mit vereinten Kräften schafften sie es, ihn zu überzeugen, dass Remus – Werwolf hin oder her – immer noch ihr Remus war und so machten sie sich erneut auf zum Krankenflügel, diesmal um zu sehen, ob Remus bereits zurückgekehrt war.
Sie hatten Glück: Madam Pomfrey ließ sie ohne Anstand zu ihm. Remus wirkte fast noch mitgenommener als sonst, was eventuell auch an ihrer Phantasie liegen konnte, weil sie sich ausmalten, wie viel er letzte Nacht hatte durchmachen müssen.
Sie wussten alle nicht gerade viel über Werwölfe, aber dass die Verwandlung von einem Menschen in ein Ungeheuer und wieder zurück nicht gerade angenehm sein musste, konnten sie sich gut vorstellen.
James versuchte, eine halbwegs normale Konversation zu Stande zu bringen, während Sirius dem dunkelblonden Jungen immer wieder leicht pikierte Blicke zuwarf.
Am liebsten hätte er ihn an den Schultern gepackt und geschüttelt, bis er ihnen die Wahrheit sagen würde, doch er hielt sich eisern von diesem Vorhaben zurück. Remus seinerseits verhielt sich wie immer: Als er hörte, dass Sirius und James es geschafft hatten, bei verschiedenen Lehrern Strafarbeiten zu kriegen, bedauerte er sie, weil für sie schon wieder ein Abend draufging, an dem sie nicht für die Prüfungen lernen konnten (als ob Sirius und James das vorgehabt hätten) und als James ihm erzählte, dass Sirius trotz Hypnosestunden wieder schlafgewandelt war, bestand er wie immer darauf, dass Sirius zu Piler gehen sollte.
Mit Strafarbeit bei McGonagall und Hypnosestunde bei Piler verging der Tag im Nu und viel zu schnell fand sich Sirius mitten in tiefster, stockfinsterer Nacht im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum wieder.
James, dem Sirius' Fehlen im Schlafsaal aufgefallen war, hatte ihn eben geweckt.
Außer ihnen war der Gemeinschaftsraum völlig verwaist. Allein das Feuer, das im Kamin schwächlich glimmte und aus dem ab und zu knisternde Flammen hochzüngelten, schaffte die Illusion von einem Hauch Geborgenheit – ließ den Gemeinschaftsraum nicht gänzlich ausgestorben erscheinen.
Sirius, der keine Lust hatte, sofort wieder zurück in den Schlafsaal zu gehen, schlurfte müde zu einem Sessel nahe dem Kamin (aber dennoch weit genug davon entfernt, um von dem spärlichen Lichtschein nicht getroffen zu werden), um sich hineinsinken zu lassen.
James zögerte einen Moment, dann setzte er sich ebenfalls in einen der Sessel. Der rotorange Lichtstrahl, der vom Feuer ausging beleuchtete sein Gesicht nur dürftig, zeichnete sein Relief scharf gegen das Dunkel der Nacht ab.
»Sorry, dass ich dich vorhin so angefahren hab«, begann James schließlich, nachdem sie sich ein paar Sekunden lang angeschwiegen hatten. »Ich weiß selber nicht so genau, was da los war. Irgendwo hatte ich plötzlich Angst, dass du mir nicht vertraust, wenn du mir so etwas nicht sagst…« Sirius konnte im Schein des Feuers sehen, dass James' Gesicht einen leicht zögerlichen, aber auch aufrichtigen Ausdruck angenommen hatte.
»Ach Quatsch«, meinte Sirius leicht verlegen, der das Gefühl hatte, es wäre an ihm, etwas zu sagen. »Wenn ich jemandem vertraue, dann dir«, fügte er ehrlich hinzu.
»Weiß ich doch, dass ist es ja gerade – und trotzdem bin ich so ausgetickt. Ich sag's dir, das liegt an diesem Schloss! Irgendwas stimmt hier nicht!«
Sirius verzerrte sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Was du nicht sagst. Warum sonst löst sich wohl Hogwarts gerade nach und nach selbst auf!« Als sie sich ansahen, mussten beide loslachen, auch wenn Sirius darüber nachdachte, was James gesagt hatte. Er hatte Recht: Irgendetwas ging hier vor sich und Sirius hatte den seltsamen Verdacht, dass sich die Situation zuzuspitzen begann.
Der nächste Tag ging im Großen und Ganzen ereignislos vonstatten. Das Thema Werwolf wurde nicht noch einmal angesprochen; insgeheim dachte sich wohl jeder, dass sie einen günstigen Zeitpunkt abwarten sollten, aber James besorgte sich heimlich ein Buch über Werwölfe, das er magisch als Vampirbuch tarnte, um es so auch in der Gegenwart von Remus gefahrlos und ohne peinliche Nachfragen lesen zu können.
Noch nicht mal beim Abendessen legte er es beiseite, so sehr schien es ihn zu fesseln.
»Ah – das Rindvieh ist wieder auf den Beinen«, schnarrte unvermittelt eine Stimme hinter ihnen.
Peter wurde sofort kleiner hinter Sirius und James, die sich gleichzeitig zu Malfoy, Crabbe und Goyle umdrehten. »Na, diesmal keine Strafarbeit?«
»Doch, bei McGonagall, wenn du's genau wissen willst«, hielt Sirius dagegen. »Aber was verschafft mir die – ähm – Ehre?«
»Die guten Sitten noch nicht verlernt in Gryffindor, was? – Oder sollte ich besser sagen in Ravenclaw! Einen kleinen Fortschritt hast du ja immerhin gemacht bei der Häuserwahl…«
Lucius lehnte sich bedrohlich auf Sirius' Stuhllehne.
»…Aber verrat mir doch mal eines: Warum bist du nicht nach Slytherin – ich dachte, man hätte dich dorthin eingeteilt!«
Sirius funkelte Lucius böse an, die Augen zu Schlitzen verengt.
»Und verrat du mir doch mal eins, Malfoy: Was geht es dich an?«, übernahm James wagemutig die Antwort.
Doch es waren zu viele Lehrer in der Nähe, als dass Malfoy oder einer seiner Kumpane sich mehr getraut hätten, als große Worte zu spucken, sodass Malfoy schließlich mit einem öligen »Den Verrat an deinem Blut überlebst du nicht, Black!« abzog.
»Du solltest jetzt vielleicht wirklich so langsam zu der Strafarbeit bei Professor McGonagall gehen«, schlug Remus sichtlich erleichtert über den Abgang der Slytherins vor.
»Was hast du eigentlich schon wieder angestellt, dass du gleich zwei Tage hintereinander hast?«
Da Sirius auf die Schnelle keine passende Ausrede einfiel, erhob er sich mit einem Ruck, rief hektisch: »Was? Schon so spät! – Malfoy hat Recht, das überleb ich echt nicht, wenn die Schreckschraube mich in die Finger kriegt!« und hastete davon.
Kaum hatte er die Große Halle verlassen, verlangsamte er sein Tempo jedoch wieder.
Er war zwar tatsächlich ein klein wenig spät dran, aber das hieß ja nicht gleich, dass er sich dermaßen beeilen musste. Er würde sowieso nur wieder irgendeinen Aufsatz über Verwandlung verfassen müssen.
Bei den ersten Strafarbeiten, die er jemals bei der Schreckschraube hatte absitzen müssen, war sie ja noch recht erfinderisch gewesen, was die Arbeiten für ihn betraf, aber mittlerweile fiel ihr anscheinend selbst nichts mehr ein.
Zu seinem Bedauern hatte Sirius Recht: Eine geschlagene Stunde ließ McGonagall ihn an seinem Aufsatz schreiben, während sie selbst Arbeiten von Schülern korrigierte und Sirius hatte gerade mal die Hälfte von der erforderten Rollenzahl zu Pergament gebracht.
Das mochte daran liegen, dass Sirius' Gedanken immer wieder abschweiften oder einfach nur daran, dass er sich nicht auf so etwas Unwichtiges wie ein Aufsatz über Animagi konzentrieren konnte.
Endlich entließ die Schreckschraube ihn – inzwischen war es so spät, dass Hogwarts und Umgebung in Dämmrigkeit getaucht worden waren – mit einer letzten Warnung, der Peitschenden Weide ja nicht noch einmal zu Nahe zu kommen, sonst würde es für ihn nicht mehr so glimpflich ausgehen! (Als ob zwei todlangweilige Abende, die sein ganzes Wochenende ruinierten ›glimpflich‹ gewesen wären…)
Erst als Sirius die Eingangshalle erreicht hatte, stellte er fest, dass er irrtümlicherweise zum Gryffindor-Turm hatte gehen wollen, stattdessen unterbewusst den Weg zu den Slytherin-Kerkern eingeschlagen hatte – und dabei doch eigentlich zum Ravenclaw-Turm sollte.
Seufzend wandte er sich um, um sich diesmal in die richtige Richtung aufzumachen, da hörte er Stimmen in der Großen Halle. Wer hielt sich denn jetzt noch in der Großen Halle auf? Das Abendessen war vor Stunden beendet worden!
Neugierig geworden blieb Sirius stehen, trat vorsichtig näher an die Tür heran, die nur halb angelehnt war und lauschte angespannt. Er glaubte durch den Türspalt Dumbledores Stimme zu erkennen.
Eine andere, ihm nicht ganz fremde entgegnete: »Ja, ja, Dumbledore, aber Sie müssen bedenken, dass sich die Lage seither nicht gerade verbessert hat!«
Was wollte denn der Zaubereiminister schon wieder in Hogwarts!
Erneut ertönte Dumbledores ruhige Stimme: »Fergus, wir können Hogwarts nicht einfach kurz vor den Prüfungen schließen. Was soll dann aus den Siebtklässlern werden, die so knapp vor den UTZen stehen!«
»Wissen Sie, Dumbledore, was zu weit geht, geht zu weit. Was steht denn von Hogwarts überhaupt noch außer den Mauern? Wo jetzt auch noch die Eulerei weg ist, fliegen diese Viecher einfach so um das Schloss herum – zugegeben, die Eulen sind selber recht verwirrt, aber denken Sie doch nur mal an den Dreck, den sie hinterlassen…«
Der Zaubereiminister klang, als würde er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlen, doch die Argumente schienen durchaus einleuchtend.
»Ja, ja – wenn man einmal eine Eule verschicken will… Ich war selbst ganz überrascht, als ich heute Abend die Tür zur Eulerei geöffnet habe und nichts vorfand. Ich dachte natürlich zuerst, ich habe mich in der Tür geirrt, aber dann…«
»Wie dem auch sei. Ihr Büro und die Hälfte des siebten Stockes sind auch weg, sagen Sie? – Tut mir Leid, aber die Eulen der Eltern stehen im Ministerium Schlange, die Briefe stapeln sich… Aber okay, ich will nicht so sein! Verlegen Sie die Prüfungen vor, bis dahin will ich den Siebtklässlern noch die Chance geben, aber wenn gar nichts mehr von dieser Schule übrig ist, dann werden Sie einsehen, dass wir Hogwarts schließen müssen!«
»Selbstverständlich, Fergus. Vielen Dank – ich werde Sie hinausbegleiten!«
Sirius trat hastig einen Schritt von der Tür weg.
Leise schlich er sich zur Marmortreppe, rannte das letzte Stück – und flog einmal mehr ohne ersichtlichen Grund, aber dafür mit einem lauten Knall auf den harten Steinboden, noch ehe er die Stufen erreicht hatte.
Ein leises Heulen folgte…
Innerlich fluchte Sirius, dass Fang auch immer am Fuß der Treppe liegen musste, doch er hatte gar keine Zeit, sich groß aufzuregen, denn in dem Moment gingen die Flügel der Großen Halle auf und Dumbledore trat in Begleitung von Fergus Wanderon heraus, der sich sogleich suchend nach dem Verursacher des Lärms umsah und Sirius am Treppenabsatz entdeckte.
Dieser rappelte sich geschwind auf und klopfte sich den Staub von dem Umhang.
»Abend, Minister! – Direktor!«
Höflichkeit war nicht gerade seine Stärke – gerade weil im Hause Black viel auf äußerliche, oberflächliche Umgangsformen gegeben wurde –, aber im Notfall konnte man sich schon mal darauf berufen.
»Mein Name ist Sirius. Sirius Black!«
Die beste Taktik war noch immer, den Gegner zuzuquatschen, damit der erst gar nicht zu Wort kam – und außerdem war es ein geschickter Schachzug, seinen Namen möglichst bald auszuspielen.
Wenn sie erst einmal wussten, dass sie dem Stammhalter der Blacks gegenüberstanden, waren die meisten gleich eingeschüchtert.
Bei dem Zaubereiminister schien jedoch nicht die erzielte Wirkung einzutreten.
Er sah Sirius abschätzend an und wandte sich dann an Dumbledore, der seinen Blick seinerseits nicht auf Sirius, sondern auf den Treppenabsatz gerichtet hatte: »Laufen Ihre Schüler immer nachts im Schloss herum und machen dabei einen schlimmeren Lärm, als drei Poltergeister zusammen?«
Dumbledores blaue Augen wanderten schließlich zu Wanderon. »Nein. Nur, wenn ich sie zu mir bestelle«, lächelte er.
Der Zaubereiminister schien etwas verwirrt, aber nicht halb so verwirrt wie Sirius. Er war doch gar nicht zu Dumbledore bestellt worden!
»Ah ja – verstehe! Also dann, ich finde den Weg selber.« Mit einem kurzen Nicken zum Abschied durchquerte Wanderon die Eingangshalle und verschwand durch das große Tor nach draußen in die Finsternis.
Dumbledore sah ihm einen Moment lang versonnen nach, in dem sich Sirius schon fragte, ob es dem Schulleiter auffallen würde, wenn er sich einfach verziehen würde; dann wandte sich Dumbledore ihm unerwartet zu: »Und – wie laufen die Hypnosestunden?«
»Gut!«, log Sirius schnell, dem Pilers Worte wieder einfielen: Dumbledore vermutet, dass schwarze Magie im Spiel ist. Wir können einen Zusammenhang zwischen dir und dem Auflösen von ganz Hogwarts nicht ausschließen…
Da er das Gefühl hatte, sich irgendwie rechtfertigen zu müssen, fuhr er fort: »Ich komme gerade von einer Strafarbeit bei Professor McGonagall und – hab mich auf dem Rückweg verlaufen.«
Immerhin war es nur halb gelogen, wenn auch der Teil, der Lüge war, eine ziemlich schlechte darstellte, aber Dumbledore ging nicht darauf ein, sondern nickte nur leicht in Gedanken.
»Ähm… ja… ich geh dann jetzt mal – oder?«, hakte Sirius leicht unbehaglich nach, da der Schulleiter nichts weiter sagte.
Er sah Dumbledore fragend an, dessen blaue Augen erneut zum Fuß der Treppe gewandert waren, wo Sirius noch kurz zuvor gelegen war.
»Ich hätte mir eigentlich eher denken können, dass Hagrid sich nicht mit einer Hundehütte zufrieden geben würde…«, murmelte er mehr zu sich selbst, dann sah er Sirius an. »Eine ruhige Nacht wünsche ich dir«, meinte er, womit er sich umdrehte und summend davonschritt, bis Sirius seine Umrisse nicht mehr von der Dunkelheit unterscheiden konnte.
Was sollte er nur tun, wenn Hogwarts tatsächlich geschlossen wurde! Seine Eltern würden ihn mit hundertprozentiger Sicherheit für die restlichen sechs Jahre nach Durmstrang schicken, aber James und die anderen würden bestimmt nicht dorthin müssen…
»Wie war die Strafarbeit? – McGonagall schien ja nicht gerade gnädig gewesen zu sein, so lang, wie du weg warst!« James, Remus und Peter hatten anscheinend extra auf ihn gewartet. James lümmelte lustlos in einem Sessel, drehte zwischen den Fingern einen Knut, den jemand achtlos auf einem der Tische hatte liegen lassen und sah Sirius – genau wie Remus – fragend an, der sich eben zu ihnen setzte.
Peter dagegen war, in seinen Sessel gekuschelt, der Kopf auf die Brust gefallen und er atmete tief und gleichmäßig und schien sich nicht daran zu stören, dass die anderen um ihn herum redeten.
»Die machen den Laden hier dicht«, verkündete Sirius trocken, unfähig zu mehreren Worten.
James und Remus runzelten gleichzeitig die Stirn. »Das ist doch noch lange nicht gesagt! Mr Wanderon hat lediglich gesagt, falls das nicht aufhört…«
»Nein, die schließen Hogwarts. Diesmal ganz sicher. Ich hab's grad gehört!«
Und Sirius erzählte von seiner Begegnung mit Dumbledore und dem Zaubereiminister, davon, dass die Prüfungen vorverlegt würden und dass danach nichts mehr zu machen wäre.
»…Jetzt wissen wir ja wenigstens, was die Zentauren gemeint haben, was in der Walpurgisnacht passieren würde«, schloss Sirius etwas deprimiert.
»Was?«, hakte Remus zweifelnd nach. »Dass die Eulerei, ein Teil des siebten Stocks und Dumbledores Büro verschwinden würden!«
»Natürlich nicht!« Sirius verdrehte die Augen. Ansonsten glaubten die an alles, was mit Wahrsagerei im entferntesten Sinne zu tun hatte, aber wenn er sich ein Mal einer Sache sicher war, dann stellten sie es in Frage! »Dass die Schule geschlossen wird!«
»Aber sie wird ja nicht heute geschlossen. Es wurde nur der Entschluss dazu getroffen!«
»Leute! – Ist doch jetzt egal. Wir haben wirklich wichtigere Probleme«, unterbrach James die beiden gereizt in ihrer Diskussion. »Ob das jetzt vorherbestimmt gewesen war oder nicht – vielleicht sollten wir mal zu Dumbledore gehen und ihm von dem Schlafwandelzeug erzählen, was wir rausgefunden haben! Das mit dem Fluch…«
»Spinnst du! Die denken doch sowieso schon, dass ich an allem Schuld bin«, protestierte Sirius sofort. »Außerdem hab ich Dumbledore gerade noch gesagt, dass es ganz prima mit der Hypnose und so läuft!«
James seufzte resignierend und fuhr sich in einer Geste des Nachdenkens mit der Hand durch das ohnehin schon sehr stark zerstrubbelte Haar.
»Ich finde, wir sollten erst mal drüber schlafen«, schlug Remus müde vor. »Morgen können wir ja weitersehen!«
Sirius widersprach nicht, doch als sie Peter weckten und anschließend in den Schlafsaal schlichen, konnte er sich nicht dagegen wehren, dass ihn ein gewisses Gefühl der Unsicherheit befiel. Hatte er nicht selbst gespürt, wie ihn diese unsichtbare, fremde Macht verfolgte – dazu brachte gegen seinen Willen in tiefster Nacht aufzustehen! – Warum nur war er als Einziger betroffen, wenn doch auf ganz Hogwarts ein Fluch lasten sollte!
Dennoch: Remus hatte Recht… am nächsten Morgen würde sicherlich alles wieder ganz anders aussehen…
tbc...
