Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Achtundzwanzigstes Kapitel

Der Fluch Slytherins


Am nächsten Tag sah allerdings nichts anders aus. Die Lage schien sogar noch ernster zu werden, als Dumbledore beim Frühstück annoncierte, dass die Prüfungen von Ende auf Anfang Juni verschoben werden müssten.

Es war etwas ganz anderes, den Zaubereiminister und Dumbledore zu belauschen, wie sie über die Schließung der Schule debattierten, als es Dumbledore vor allen Schülern in ernstem Tonfall verkünden zu hören.

Natürlich folgte den Worten des Schulleiters, kaum hatte der sich wieder am Lehrertisch niedergelassen, ein heilloses Durcheinander.

Einige wollten sofort in die Eulerei rennen, um ihren Eltern von der schrecklichen Neuigkeit zu schreiben – bis ihnen einfiel, dass es gar keine Eulerei mehr gab und sie somit erst einmal ihre Eulen draußen suchen mussten.

Andere liefen sofort in die Bibliothek, um für die Prüfungen, die mit einem Schlag einen knappen Monat eher stattfinden sollten, zu lernen; wieder andere verfielen in hysterisches Kreischen und Sirius sah sogar zwei Sechstklässlerinnen vor Wut in Tränen ausbrechen, da sie doch sowieso nur noch ein Jahr vor sich gehabt hätten.

Allein Sirius, James, Remus und Peter saßen in dem ganzen Chaos am Ravenclaw-Tisch und starrten trübsinnig in das Getümmel von Schülern, die, hektisch wie in einem Bienenstock, durcheinander liefen, jeder in eine andere Richtung.

Sirius vermutete, dass den meisten noch nicht einmal klar war, wohin sie wollten – viele Möglichkeiten gab es ohnehin nicht mehr in diesem Schloss!

Erst, als sich die Große Halle halbwegs geleert hatte, setzte Remus an, irgendetwas zu sagen – wahrscheinlich wollte er vorschlagen, ebenfalls zu lernen –, doch Sirius kam ihm zuvor, da er absolut keine Energie mehr aufbrachte, gegen Remus' Vorschlag zu protestieren: »Okay, hast ja Recht, so langsam könnten wir vielleicht wirklich mal einen Blick in den Stoff riskieren, den wir für die Prüfungen wiederholen sollen! – Haben ja sonst nichts weiter vor.«

Remus sah ihn verwirrt an. »Was? – Nein!«, widersprach er, was wiederum sehr zu Sirius' und James' Verwunderung beitrug. »Ich wollte sagen, dass wir langsam mal was gegen diesen Fluch unternehmen sollten.«

Das war ja klar: Wenn Remus sie einmal mit der Stoffwiederholung in Ruhe ließ, fing er in letzter Zeit ständig von diesem dämlichen Fluch an. Und das Ärgerlichste daran war, dass Sirius so allmählich selbst daran glaubte.

»Wenn die Schule wirklich geschlossen werden soll, dann sollten wir allmählich etwas dagegen tun, findet ihr nicht?«

»Tolle Idee«, murrte Sirius. »Und was! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Nicht mal Dumbledore und der Zaubereiminister persönlich haben eine Ahnung, was das Ganze soll. Wenn Dumbledore nicht gerade mich verdächtigt…«

»Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Slytherin ist das einzige Haus, das bisher verschont geblieben ist und der Fluch will dich dazu bringen, nach Slytherin zu gehen…«

»Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Es ist mir schnuppe, was irgendso 'ne Stimme von mir will, weil die Schule sowieso in einem guten Monat dicht macht!«

»Und falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Der Unterricht wird in wenigen Minuten beginnen!«

McGonagall war von hinten an den Ravenclaw-Tisch getreten, der momentan nur noch von den vier Jungs besetzt wurde, strafte sie mit einem strengen Blick und entfernte sich anschließend aus der Großen Halle.

Remus schnaubte verächtlich, entgegnete aber nichts auf Sirius' Einwand, der sowieso schlicht und einfach gelogen war. Natürlich interessierte es ihn, was Salazar Slytherin von ihm wollte, ob und was das mit dem Verschwinden Hogwarts' zu tun hatte…

»Und was liest du da eigentlich schon wieder dieses dämliche Vampirbuch!«, schnauzte Remus stattdessen James an, der sich aus ihren Streitereien bisher dezent herausgehalten hatte, weil er zu sehr in sein vermeintliches Vampirbuch vertieft war.

»Och, ist echt interessant«, entgegnete James grinsend, klappte aber dennoch sein Buch vorsichtshalber wieder zu. »Nachdem manche hier im Schloss noch immer davon überzeugt sind, dass Sirius ein Vampir ist…«, log James ohne rot zu werden. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er dazusetzte: »Man muss doch über seine Freunde Bescheid wissen!«

Remus erwähnte seinen Vorschlag, Nachforschungen was den ›Fluch‹ betraf anzustellen erst einmal nicht mehr, was aber auch daran liegen konnte, dass sie eine weitere unangenehme Überraschung am späteren Schultag erwartete: Nach Verteidigung wollten sie gerade zum Zauberkunst-Klassenzimmer gehen, da mussten sie feststellen, dass ein Teil des dritten Korridors weg war.

»Bald kann man nur noch mit Besen durch das Schloss fliegen«, kommentierte Sirius die Lage, als er gerade abwog, ob er es wagen sollte, über das riesige Loch, das sich quer durch den Korridor zog zu springen.

»Na, schön wär's!«, grummelte James. »Die Besen sind ja schon mit dem Gryffindor-Turm untergegangen!«

»Und was jetzt?«, hakte Peter unsicher nach.

»Tja – da komm ich nicht drüber«, stellte Sirius eben trocken fest, als auch Davey und Timothy angeschlendert kamen.

»Oh, hi! Fällt Zauberkunst aus?«, fragte Davey sogleich hoffnungsvoll, der die Schlucht erblickt hatte, die sie von den Zauberkunst-Klassenzimmern trennte.

»Du redest wieder mit denen!«, fragte Pernilla Davey erstaunt, die zusammen mit den anderen Erstklassmädchen von Gryffindor dazustieß. »Nachdem sie dir das mit dem Auge angetan haben!«

Sirius schüttelte, ungläubig über so viel Dummheit, den Kopf und wandte sich wieder essentielleren Dingen zu, während Davey, dessen Auge natürlich längst wieder in Ordnung war, Pernilla erklärte, dass sie ihm nicht mit Absicht wehgetan hatten.

»Sollen wir über den zweiten Korridor auf die andere Seite, oder tun wir so, als ob wir nicht auf die Idee gekommen wären?«, wollte James gerade wissen.

»Wir gehen über den zweiten Stock«, meinten Lily und Remus zugleich, wogegen Sirius und James für letztere Lösung stimmten.

Schließlich mussten sie widerwillig nachgeben, sodass sich die Klasse geschlossen auf den Weg zum zweiten Stock machte, von wo aus eine Treppe nach oben in den dritten Stock führte. Jedenfalls hätte dort eigentlich eine Treppe sein sollen, die in den dritten Stock führt – wenn diese sich nicht in Luft aufgelöst hätte.

»Okay, damit wäre der Fall dann wohl geklärt, oder?«, freute sich James, dem eine Freistunde wohl ebenso willkommen war wie Sirius.

»Stimmt«, pflichtete Lily ihm bei. »Wir müssen Professor McGonagall informieren.«

Zum Glück hatte die Hauslehrerin von Gryffindor auch nicht sofort eine Lösung parat, sodass die ohnehin schon recht fortgeschrittene Zauberkunststunde tatsächlich ausfiel.

Das gab jedoch nur wieder Remus den Anlass, auf seiner Idee zu beharren, mehr über den Fluch herauszufinden, was allerdings nicht so einfach zu realisieren war, da Sirius und James es schon wieder geschafft hatten, Bibliothekverbot zu bekommen.

Letztlich einigten sie sich darauf, dass Remus die Bücher besorgte und sie diese anschließend im Ravenclaw-Turm studierten.

Remus kehrte mit einem Riesenstapel Bücher zurück, die er alle kaum noch tragen konnte, stellte ihn auf den Tisch ab, an dem Sirius, James und Peter schon saßen, und ließ sich erschöpft in einen Sessel neben James fallen.

»Uff! – Das gibt ganz schön was zu tun«, meinte er, womit er auf die Bücher wies. »Das sind selbstverständlich nur die Wichtigsten, in denen für den Fluch Relevantes drinstehen könnte.«

Sirius las Titel, wie ›Lunatismus – Krankheit oder Sucht?‹, ›Erbflüche und ihre Auswirkungen‹, oder ›Berühmte Flüche des 19. Jahrhunderts‹

»Und was soll das hier?« Sirius griff nach einem ziemlich zerfledderten Buch und las stirnrunzelnd dessen Titel vor: »Salazar Slytherin – Mythen und Legenden rund um einen der größten Schwarzmagier aller Zeiten

»Ach, Sirius, du hörst auch wirklich nie zu«, beschwerte sich Remus ungeduldig. »Wessen Stimme hörst du immer, wenn du schlafwandelst? – Salazar Slytherins! Und was stand in dem Buch über Somnambulismus?«

»Keine Ahnung! – Was meinst du!«, entgegnete Sirius leicht genervt.

Remus seufzte entkräftet. »Dass bei einem Erbfluch der Geist des Fluchsprechers den Betroffenen zwingt, sich im Schlaf zu erheben! – Also wer hat dann folglich den Fluch auf Hogwarts gelegt?«

»Salazar Slytherin?«, machte Peter einen vorsichtigen Versuch, dessen Augen sich in Staunen weiteten.

»Nein, der Osterhase«, konterte Sirius sarkastisch, wobei er alles geben musste, um nicht mit einem »Freak« seine Freunde sitzen zu lassen und sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, wo er in aller Ruhe und vor allem allein nachdenken konnte.

»Salazar Slytherin lebte vor über tausend Jahren! – Wieso sollte sein Geist da gerade jetzt gerade mich heimsuchen?«, wandte er stattdessen stirnrunzelnd ein.

»Genau das gilt es herauszufinden«, seufzte Remus, woraufhin er sich eines der Bücher schnappte und aufschlug.

Alles, was sie in der Pause noch herausfanden, war, dass es tausend Arten von Flüchen gab, die man auf ein Gebäude legen konnte (neben dem Erbfluch, der am ehesten in Frage kam, war da noch der Rachefluch, der Generationenfluch, der Fluch der hundert Jahre…), welche wiederum auf tausende von Arten heraufbeschworen werden konnten (Dämonenbeschwörungen, Beschwörungen neutraler Wesen oder schlichtweg Beschwörungen von Formeln, die zu dem Untergang des betroffenen Gebäudes führten) und die sich auf tausende von Arten auswirken konnten…

Sie wollten eigentlich am nächsten Tag gemeinsam weitersuchen, doch Zauberkunst fand wieder regulär statt (die Lehrer hatten eine Brücke über den Abgrund gehext) und Remus bestand nun doch darauf, für die Prüfungen zu lernen, sodass Sirius und James am Abend alleine die Bücher durchwälzten, während Remus, der Peter überredet hatte, für Zaubertränke – Remus' schwächstes Fach – zu üben, diesen Zutaten abfragte.

Auch diesmal hatten sie nicht viel mehr Glück (außer, dass sie Remus' Verdacht bestärkten, indem sie herausbekamen, dass ein Erbfluch sich durchaus über Jahrtausende hinziehen konnte).

»Jetzt haben wir hier bald alles durch und immer noch nichts gefunden«, murrte Sirius, der gerade ›Komplizierte Zauberformeln – von kleinen Verhexungen zu großen Flüchen‹ mit solcher Wucht auf den Tisch zurückwarf, dass es beinahe über die Tischkante fiel.

»Ich muss erst dreimal mit dem Uhrzeigersinn umrühren, dann viermal dagegen… Was hast du gerade gesagt?« Remus war offenbar ganz in sein Zaubertränkebuch vertieft, sah aber dennoch, den Finger auf den Absatz gelegt, wo er anscheinend gerade war, kurz fragend auf.

»Dass uns das hier nicht weiterbringt«, entgegnete Sirius mürrisch, wobei er sich in seinem Sessel zurücklehnte und zu den Büchern vor sich nickte, die mittlerweile einen recht unordentlichen Haufen bildeten. »Ist das alles, was die Bibliothek hergibt!«

Auch James legte sein Buch, das er eben noch halbherzig durchgeblättert hatte, beiseite und gähnte ausgiebig.

Remus sah fast ein wenig beleidigt aus, als er antwortete: »Natürlich haben die Lehrer bessere Bücher. Professor Binns hat zum Beispiel eine ganze Sammlung von alten Geschichtsbüchern, da steht sicher auch viel über Salazar Slytherin drin, aber die wird er uns wohl kaum geben… So weit ich weiß sind das Bücher, die man in der Bibliothek sonst nur in der Verbotenen Abteilung kriegt.«

»Es ist doch völlig sinnlos, weiter nachzuforschen, wenn wir noch nicht mal wissen, was den Fluch ausgelöst hat. Oder meint ihr etwa, der hat sich so zum Spaß hingestellt und gesagt ›In über tausend Jahren soll die Schule untergehen… mal abgesehen von meinem eigenen Haus‹!«, mischte sich James mit ein, der wütende Blicke auf die vielen Bücher warf, wahrscheinlich weil sie bereits ihren zweiten Abend mit sinnlosem Durchblättern uninteressanter Bücher verbrachten.

»James hat Recht. Was können wir da schon tun, wenn noch nicht mal Dumbledore weiterweiß!«, unterstützte Sirius seinen besten Freund, mehr um Remus zu widersprechen.

»Du willst ja nicht zu Dumbledore gehen und ihm von deinem Schlafwandeln und so erzählen, also müssen wir das eben selbst in die Hand nehmen«, erklärte Remus logisch, nicht ohne den Vorwurf ganz aus seiner Stimme verbannen zu können.

»Die wissen das doch alles!«, erwiderte Sirius genervt. »Piler hat ja selbst gesagt, dass Dumbledore an schwarze Magie denkt – und was würde da näher liegen, als dass ein Black daran Schuld ist!«

»So hat er's nun auch wieder nicht gesagt«, warf James leise ein.

Sirius schnaubte auf. »Aber gemeint«, beharrte er.

»Nein, hat er nicht«, warf Remus neutral dazwischen, der schon wieder in seinem Zaubertränkebuch las.

»Du warst doch gar nicht dabei, als er das gesagt hat!« James blinzelte verwirrt.

»Stimmt. Woher willst du das eigentlich wissen, was Piler gesagt hat und was nicht!«, stimmte Sirius James zu.

»Weil es ganz klar ist, dass sie dich nicht verdächtigen, sonst hätten sie dich schon mal unauffällig ausgefragt –«, Remus seufzte tief. »– Aber wie's aussieht kann ich hier heute nicht mehr lernen.«

Er schlug resignierend sein Buch zu. »Ich bin dafür, ins Bett zu gehen.«

Zu müde, um gegen diesen verlockenden Vorschlag zu protestieren, erhoben sich auch die anderen, um Remus nach oben in den Schlafsaal zu folgen; schließlich hatten sie stundenlang Bücher durchgesehen, wobei Sirius' Augenlider schwer geworden waren und mehr als einmal beinahe zugefallen wären.

Zu viel war innerhalb kürzester Zeit geschehen: Erst der verschwundene Gryffindor-Turm, der Zaubereiminister in Hogwarts, dann die Verlegung der Prüfungen und die bevorstehende Schließung Hogwarts'; und nicht zuletzt glaubten alle, dass sein Schlafwandeln etwas mit dem Ganzen zu tun habe. Ein Fluch, der einst auf Hogwarts gelegt worden war und der sich nach über tausend Jahren erfüllt haben sollte? Weswegen? Und wodurch?

Obgleich sehr müde, fiel es Sirius an diesem Abend schwer, einzuschlafen.


Auf dem Weg zum Frühstück begegneten sie einem niesenden Hagrid, der missmutig die Eingangshalle – ebenfalls Richtung Große Halle – durchquerte.

»Hey, Hagrid!«, rief James, sodass der riesige Mann stehen blieb, sich mit einem gleichermaßen riesigen, rot-weiß-karierten Taschentuch schnäuzte, um dann auf die vier Jungs zuzustapfen. »Alles klar?«

»Nichts is klar«, grummelte Hagrid schlecht gelaunt. »Wenn die Schule zumacht, hab ich keinen Job mehr. Das heißt, ich bin in 'nem Monat nich nur haus- sondern auch arbeitslos, Dumbledore hat das von Fang irgendwie rausbekomm'n und zu allem Überfluss rennen hier auch noch Katzenviecher rum.«

Hagrid deutete auf eine Katze, die unbegreiflicherweise in der Eingangshalle auf Mäusejagd ging, bevor er abermals sein Taschentuch hervorholte und kräftig hineinnieste.

»Charles!«, rief Peter erfreut aus.

Er hatte angenommen, der Kater wäre im Gryffindor-Turm gewesen, als dieser sich aufgelöst hatte, weshalb er die letzten Tage sehr niedergeschlagen gewesen war, doch anscheinend war das ein Irrtum gewesen. Freudig lief der kleine Junge auf seine Katze zu, doch Charles schien gänzlich uninteressiert an ihm und sprang mal wieder munter auf Remus' Arm.

»Bleib mir bloß weg, mit dem«, raunzte Hagrid. »Von Katzen muss ich niesen. – Seit ich hier im Schloss wohn, hab ich dauernd Schnupfen, weil diese Viecher überall sin.«

Remus ließ Charles nachsichtig wieder auf den Boden, ehe sie zu fünft die Große Halle betraten, gerade rechtzeitig zur Eulenpost.

James, Remus und Peter, die ihren Eltern natürlich von der Schließung Hogwarts' geschrieben hatten (die Eulerei war notdürftig in den Wahrsageturm verlegt worden und die Wahrsagestunden wiederum fanden momentan ebenfalls im Astronomieturm statt), bekamen jeweils einen Brief von ihren Eltern.

Obwohl nichts Nützliches darin stand – außer aufbauenden Worten so gut wie gar nichts –, fühlte sich Sirius etwas ausgegrenzt, dessen Eltern nie auf die Idee kommen würden, ihm in einem solchen Fall einen aufmunternden Brief zu schicken (abgesehen davon, dass Sirius ihnen gar nichts von den Ereignissen in Hogwarts geschrieben hatte – aber sicherlich waren sie von den Lehrern unterrichtet worden).

»Oh – meine Eltern denken darüber nach, mir Privatlehrer zu organisieren, wenn Hogwarts erst mal zu macht«, las James gerade.

»Meine werden sich wohl keine leisten können«, entgegnete Remus leicht bedrückt.

»Ihr tut ja alle so, als wäre die Schule schon so gut wie geschlossen«, muffelte Sirius, der über die Möglichkeit, seine Eltern könnten ihm Privatlehrer beschaffen, noch gar nicht nachgedacht hatte.

Das wäre fast noch schlimmer, als Durmstrang. – Den ganzen Tag im Grimmauldplatz zu sitzen und von handverlesenen Schwarzmagiern dunkle Flüche zu lernen…

»Ist sie ja auch. Der einzige Grund, warum wir noch nicht alle im Hogwarts-Express nach hause sitzen sind doch die Prüfungen«, gab Remus zurück, wobei er seinen Brief wieder zusammenrollte. »Und genau deswegen sollten wir ganz besonders für die Prüfungen lernen!«

Sirius und James stöhnten parallel auf, ließen sich aber dazu breit schlagen, vor Unterrichtsbeginn ein Mal kurz in die Schulbücher zu schauen (auch wenn Sirius und James im Endeffekt mehr mit Zaubererschnippschnapp beschäftigt waren).

Einzig Peter schien das viele Extralernen, das Remus anordnete, nichts zu bringen. In Verteidigung gegen die dunklen Künste verzweifelte er fast – und da blieb er nicht der Letzte: Auch Pernilla und Stephanie verloren am Ende der Doppelstunde fast die Nerven, sodass Sirius mehr als froh über den Gongschlag des kleinen Kobolds war, der ihm erlaubte, von all diesen Freaks wenigstens bis nach der Pause loszukommen und etwas Ruhe zu finden.

Doch diesmal machte ihm Piler einen Strich durch die Rechnung: »Sirius, hast du mal kurz Zeit?«

Das war's dann wohl mit seiner Ruhe! Missmutig stapfte er zum Lehrerpult, während er aus den Augenwinkeln mitbekam, dass Remus James als letzten aus dem Klassenzimmer schob, der Sirius offenbar nicht gerne allein ließ, ihm allerdings Handzeichen gab, dass sie irgendwo (aus der Richtung, in die James händeringend wies, schloss Sirius, dass sein Freund vermutlich den Ravenclaw-Turm meinte) auf ihn warten würden.

»Vielleicht kannst du Peter ja ein wenig unter die Arme greifen«, begann Piler. »Besonders mit dem Schutzzauber hat er noch große Probleme.«

Sirius nickte leicht verunsichert, auch wenn er sich insgeheim dachte, dass Remus diese Aufgabe sicherlich gerne für ihn übernehmen würde.

Irgendwo hatte er das Gefühl, dass das nicht alles war. Piler würde ihn nicht zu sich rufen, nur um ihn zu bitten, Peter durch die Prüfungen zu helfen!

»Gut«, meinte der Lehrer erfreut. »– Und sonst, alles klar?… Bist du noch mal schlafgewandelt in letzter Zeit?«

»Nein!« Sirius schüttelte energisch den Kopf.

Unwillkürlich musste er an Remus' Worte denken: Weil es ganz klar ist, dass sie dich nicht verdächtigen, sonst hätten sie dich schon mal unauffällig ausgefragt…

Sollte das jetzt die ›Ausfrage‹ sein, von der Remus gesprochen hatte? Dachten Dumbledore und Piler, dass es zu riskant wird, wenn der Zaubereiminister die Schule schließen will, und dass sie Sirius so langsam mal ausquetschen mussten!

»Ich dachte nur, da ja die letzte Zeit wirklich sehr stressig war – das ist manchmal auch ein Auslöser für Schlafwandler…«

Vielleicht liegt ja wirklich ein Fluch auf Hogwarts, der ihn dazu zwingt, aufzustehen und nach Slytherin zu gehen.

Dumbledore vermutet, dass schwarze Magie im Spiel ist… Zusammenhang zwischen dir und dem Auflösen von ganz Hogwarts… Deshalb soll ich dir auch Hypnosestunden geben…

»Ja, schon klar!«, platzte es aus Sirius heraus, ehe er noch darüber nachdenken konnte, was er sagte. »Ich bin an allem schuld, das ist es doch, was du sagen willst!«

Die Selbstbeherrschung war zerborsten, die Kontrolle über sich verflogen, seine ruhige Fassade zersplitterte wie ein Spiegel in tausend Teile und als Piler ihn verständnislos und leicht ungläubig anstarrte, wurde er nur noch zorniger.

»Du hast es gesagt, als ich dich hypnotisiert habe«, stellte Sirius klar, sodass Piler nicht mehr so zu tun brauchte, als wüsste er nicht, wovon Sirius redete.

»Dumbledore glaubt, dass der Fluch – äh, ich meine, das Verschwinden Hogwarts' was mit schwarzer Magie und mit mir zu tun hat. Dann ist ja alles klar! Muss ein Black dahinter stecken!«

Sirius schrie schon fast. Piler könnte es wenigstens zugeben, anstatt vor ihm zu stehen und gar nichts zu sagen. Sirius funkelte den Lehrer ärgerlich an. Sein Hals fühlte sich etwas rau an vom Schreien, sodass er sich damit begnügte, Piler mit bösen Blicken zu bedenken.

Endlich rang sich Piler dazu durch, etwas zu sagen: »Das hättest du eigentlich nicht wissen sollen…«

»Offensichtlich!«, unterbrach ihn Sirius, immer noch in Rage. »Man müsste meinen, wenigstens die Lehrer wären vorurteilslos!«

Piler beachtete Sirius' Einwand gar nicht. Völlig unbegreiflich stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. »…Aber ich hätte wissen können, dass du mich bei der Hypnose irgendso etwas fragen würdest.«

»Und völlig zu Recht! Ansonsten wüsste ich jetzt wahrscheinlich immer noch nicht, woran ich bin!«

Piler tat in einer jähen Bewegung einen Schritt vor, doch Sirius wich zurück.

»Beruhige dich erst mal«, riet Piler mit gefasster Stimme. »Niemand verdächtigt dich! – Du musst da etwas falsch mitbekommen haben…«

Abermals fuhr Sirius ihm dazwischen: »Ja, natürlich! War ja klar, dass so was jetzt kommt!«

Piler seufzte etwas hilflos auf, als Sirius jedoch nicht weiterschrie, setzte er erneut an: »Du hast Recht damit, dass Dumbledore glaubt, dein Schlafwandeln könnte etwas mit der Situation zu tun haben, aber das heißt noch lange nicht, dass wir denken, du wärst an allem schuld, das ist ein Unterschied!«

Sirius sah den Lehrer misstrauisch an, doch schließlich siegte seine Neugierde. In ruhigerem Ton fragte er nach: »Und wer ist dann Dumbledores Meinung nach der Täter?«

Wiederum seufzte Piler. »Wenn wir das wüssten, dann bräuchten wir nicht über die Schließung der Schule zu diskutieren.«

Einen kurzen Moment lang dachte Sirius darüber nach, Piler von dem Erbfluch zu erzählen, der eventuell auf Hogwarts lag, doch dieser Moment war rasch verflogen. Er war zu froh, dass Piler nicht ihn für die Geschehnisse verantwortlich machte, als dass er ihm gleich wieder Anlass dazu geben wollte, sodass er vorläufig lieber darüber schwieg.


Der Tag zog so schnell an Sirius vorbei, sodass er schon fast glaubte, der vermeintliche Fluch hätte die Zeit dazu bewegt, verrückt zu spielen – wobei das durchaus auch an ihrem freien Nachmittag liegen konnte, oder einfach nur an der Tatsache, dass das Ende Hogwarts' mit jedem Tag einen Tag näher rückte.

Natürlich erinnerte sie Remus hartnäckig daran, dass die Prüfungen ebenso mit jedem Tag näher kamen, was Sirius dagegen nicht allzu sehr interessierte. – Die meisten Sprüche, die sie bisher gelernt hatten, waren sowieso in seinen Augen recht anspruchslos…

Am Abend schließlich hatte Sirius Remus als Nachhilfe für Peter organisiert, während er zusammen mit James einmal mehr mit der sinnlosen Aufgabe beschäftigt war, Bücher zu wälzen, von denen sie ohnehin nichts Neues erfahren würden.

»Ich geh mal in die Bibliothek, die hier zurückbringen«, verkündete Sirius, nachdem er wieder ein Buch durch hatte (in dem der Erbfluch noch nicht mal erwähnt worden war), womit er sich die bereits durchgesehenen Bücher auflud.

Zuerst dirigierte er seine Füße auch tatsächlich zur Bibliothek (das Verbot war an diesem Tag aufgehoben worden, vermutlich weil Madam Pince nicht die Schuld dafür tragen wollte, wenn Sirius und James durchfielen), doch auf dem Rückweg ging er nicht gleich direkt zum Ravenclaw-Turm zurück zu seinen Freunden.

Stattdessen wanderte er etwas ziellos durch das Schloss, darauf bedacht, niemandem über den Weg zu laufen; an Stellen, wo es nicht weiterging, weil sich ein Krater in den Boden gefressen hatte und die Lehrer es entweder noch nicht bemerkt hatten, oder nichts dagegen unternehmen konnten, machte er einfach kehrt und schlug die Gegenrichtung ein.

Er brauchte diese Ruhe für sich einfach einmal, ohne die anderen, die nur die ganze Zeit von den Prüfungen redeten und davon, dass Hogwarts in einem Monat zumachen würde.

Bei dieser Wanderung kam er auch zwei Mal am Spiegel im vierten Stock vorbei, widerstand jedoch der Versuchung, ihn zu benutzen und sich alleine aus dem Schloss zu schleichen.

Als er zum dritten Mal denselben Korridor hinunterging, planlos und gedankenversunken, stöhnte er auf: Piler und Dumbledore standen mal wieder bei einem Pläuschchen beisammen – diesmal wenigstens nicht direkt vor dem Spiegel.

Irgendwas hielt Sirius davon ab, weiterzugehen (und es war nicht die Tatsache, dass es schon wieder verdächtig auf acht Uhr zuging). Schnell ging er einen Schritt zurück um die Ecke, um die er eben gebogen war, drückte sich an die Mauer und überlegte sich noch, welchen Weg er sonst zurück wählen sollte, ohne auf halb verschwundene Gänge zu treffen, da hörte er Dumbledores Stimme.

»Ich fürchte, der Zaubereiminister wird Fakten haben wollen und keine Spekulationen. Selbst wenn ein Fluch auf Hogwarts liegen sollte, wird Mr Wanderon die Schule zum Juni schließen, sobald die Prüfungen absolviert sind.«

»Sie werden die Schule doch nicht einfach so aufgeben!«, hielt Piler dagegen, doch in seiner Stimme schwang leichter Zweifel nach.

»Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, es sei denn Sie wissen, wie man den Fluch, wenn es denn einer sei, aufheben kann…«

Dumbledores Tonfall verriet nur zu gut, dass es nicht mehr in seiner Macht stand, Hogwarts zu retten.

Es war, als würde eine eisige Hand nach Sirius greifen, ihn würgen, ersticken wollen. Er hatte nie wirklich damit gerechnet, dass Dumbledore selbst nichts mehr tun könnte. Irgendwie war der Grundgedanke im Hinterkopf fest verschlossen gewesen – Sirius hatte ihn nahezu dahin verbannt –, dass es durchaus im Bereich des Möglichen – ja, sogar des Wahrscheinlichen war, dass Hogwarts nicht mehr lange existieren würde.

Stattdessen war eine Illusion dagewesen, dass Dumbledore, oder der Zaubereiminister, oder die Lehrer, oder irgendwer sonst in letzter Minute durch ein Wunder alles aufklären würde. Schließlich war Hogwarts immer noch Hogwarts – eine der berühmtesten Schule für Zauberer und Hexen…

Sirius war, ohne es zu merken, einen Schritt nach hinten getaumelt, sodass er von dem weiteren Verlauf des Gesprächs nichts mehr mitbekam. Ebenso automatisch, ohne darüber nachzudenken, lenkte er seine Schritte in die Gegenrichtung, zurück zum Ravenclaw-Turm.

Er wusste selber nicht so genau, warum es ihn so hart traf, aber es war fast so ein großer Schock wie im Moment da er zum ersten Mal von der Schließung Hogwarts' gehört hatte – nun war die letzte Hoffnung verloren!

Wenn selbst Dumbledore aufgegeben hatte, dann bedeutete es ganz klar nur eines: Sirius musste zusammen mit seinen Freunden dafür sorgen, dass das Rätsel um das Verschwinden der Schule möglichst schnell gelöst wurde – wenn es ging noch innerhalb von ein paar Wochen.

Sirius' Gehirn, das sich für einen Augenblick in der Sekunde des Schocks ausgeschaltet hatte, arbeitete nun auf Hochtouren.

Als erstes müsste die Frage geklärt werden, welche Legenden um Slytherin einfach nur Legenden waren und bei welchen wahrscheinlich mehr dahinter steckte. Aber die langweiligen Bücher aus der Bibliothek konnte man dafür vergessen! Was interessierte, waren geschichtliche Fakten…

»Du hast doch mal was von Binns privater Büchersammlung erzählt, Remus!«

Sirius hatte James' Frage, wo er denn so lange abgeblieben war, einfach ignoriert und musterte stattdessen den dunkelblonden Jungen interessiert, welcher eben stirnrunzelnd sein Lehrbuch für Zaubersprüche beiseite legte.

»Jaah…«, antwortete Remus langsam, während seine bernsteinfarbenen Augen sich in die Sirius' bohrten, als suche er nach einem Grund für diese unerwartete Frage.

»Bist du dir sicher, dass Binns uns die nicht ausleihen würde? Nicht mal dir?«, hakte Sirius nach, ohne auf den fragenden Blick zu achten.

Wieder bejahte Remus.

Sirius unterdessen ging im Gemeinschaftsraum auf und ab, wobei er angestrengt nachdachte.

Schließlich (den ÜV machte es nervös, dass Sirius immer um ihn herumwuselte, wenn er doch mit Lernen beschäftigt war) setzte er sich wieder zu seinen Freunden und dämpfte die Stimme: »Okay, dann müssen wir sie uns eben so besorgen!«

James sah ihn nicht minder entsetzt an als Remus.

»Besorgen, nicht borgen«, betonte Sirius daher, was zwar James' Falte auf dessen Stirn glättete, allerdings für noch mehr Verwirrung bei Remus und Peter sorgte.

»Was… klauen!«, entrüstete sich Remus, um einen leisen Ton bemüht, während Peter Sirius nur ungläubig angaffte.

»Nee, nur ausleihen«, korrigierte James sofort, der Sirius' Vorschlag begeistert zuzustimmen schien.

»Und wie wollen wir das machen, wenn Professor Binns sie uns nicht geben will!« Remus wirkte, obwohl er mit ruhiger Stimme gesprochen hatte, leicht ungeduldig.

»Na ja, vielleicht hätte es das Wort borgen doch besser getroffen…«, überlegte Sirius, der sich an die fünf Galleonen erinnern musste, die er sich einst in Hogsmeade von einem Drittklässler ›geborgt‹ hatte.

»Ich hab noch Stinkbomben«, warf James eifrig ein und auf Remus' hochgezogene Augenbrauen fügte er hinzu: »Na ja, für ein bisschen Durcheinander im Klassenzimmer reichen die bestimmt…«

»Vergiss es!« Remus' Stimme hatte einen festen Klang angenommen, der keinen Widerstand dulden ließ. »Professor Binns zieht seinen Unterricht trotzdem durch, egal, ob die Schüler vor ihm in Ohnmacht fallen –«

Sirius und James, die erwartet hatten, dass Remus ihnen eine Standpauke hielt, dass man unter keinen Umständen Stinkbomben in Klassenzimmern herumwerfen durfte, sahen sich stutzig an.

»– Wenn, dann lenkt ihr drei ihn nach dem Unterricht ab, während ich die Bücher besorge!«

Einen Moment lang herrschte auf diesen Einfall hin Ruhe, bis sich James endlich als erster fasste.

»Wenn das rauskommt, dann schmeißen die dich von der Schule«, machte er Remus mit trockener Kehle sachlich auf das Risiko, das mit dieser Unternehmung verbunden war, aufmerksam.

»Na und? In einem Monat existiert Hogwarts sowieso nicht mehr. Und außerdem können sie mir nichts nachweisen, wenn ich mich nicht gerade erwischen lasse! Die Bücher hätten genauso gut einfach verschwinden können – wie der Rest hier auch!«

Remus' Sinneswandel und seine neue Einstellung gefielen Sirius und James natürlich. Dass sie da nicht früher drauf gekommen waren! Er hatte eindeutig Recht! Im Prinzip konnten sie tun und lassen, was sie wollten, und wenn sie von der Schule verwiesen würden, war das für die letzten paar Wochen sowieso schon egal.

Remus allerdings versuchte, sie davon abzubringen, wenn sie Sachen planten, wie zum Beispiel Peeves dazu anstiften, in der Großen Halle (wohin Verwandlung verlegt worden war, weil alle noch vorhandenen Klassenzimmer mittlerweile besetzt waren) für Unordnung zu sorgen.

Seinen Erklärungen nach hatten sie ihn völlig falsch verstanden. Doch Sirius und James hörten erst mit dem Unsinn auf, als Remus so weit ging und drohte, ihnen doch nicht die Bücher zu beschaffen.

Endlich, am Ende der Woche, hatten sie wieder Geschichte der Zauberei. Selbst Remus schien zu aufgeregt, als dass er dem langweiligen Vortrag des alten Mannes so aufmerksam wie sonst zugehört hätte.

Wie zu erwarten war, verging die Stunde schleppend langsam. Sie zog sich so lange, dass Sirius schon glaubte, der Kobold, der den Schulgong ersetzt hatte, sei verschwunden. Aber letztlich ertönte der schrille, laute Schlag gegen die Glocke doch.

Sirius sah zu James, der ihm kurz zunickte und sich erhob, woraufhin sie gemeinsam zu Professor Binns vorgingen. Peter schloss sich ihnen an, während Remus beim Einpacken extra lange herumtrödelte.

»Professor«, begann Sirius, »Wir haben da noch eine Frage bezüglich des heutigen Stoffgebietes…«

Der greise Lehrer blickte erstaunt von seinen Aufzeichnungen auf, die er eben zusammenpackte.

»…Eine Frage – ja – natürlich, Mr Banks…«

»Black«, erlaubte sich Sirius zu korrigieren, einfach um mehr Zeit für Remus zu gewinnen, der sich hinter Binns' Rücken in dessen Büro geschlichen hatte.

Der verschlafene Blick des Lehrers musterte Sirius nahezu gelangweilt, als hätte er den Sinn seiner Worte noch nicht ganz aufgenommen.

»Nun… Ihre Frage, Mr Blank?«, wollte Binns schließlich gedehnt wissen.

»Äh… ja!«, mischte sich zum Glück James mit ein (Sirius hatte im Grunde genommen keine Ahnung, was er fragen sollte – immerhin hatte er seine Zeit besser zu verbringen gewusst, als dem Unterricht zu folgen). »Also: Wie haben Sie das heute gemeint mit diesem…«

James sah sich hilflos zu Sirius um, anscheinend ebenso planlos, worüber Binns diese Stunde geredet hatte.

»…Mit diesem ganzen Zeug?«, vollendete Sirius James' angefangene Frage, weil ihm nichts Besseres einfiel.

Binns starrte sie nur noch verwirrter aus seinen trüben Augen hervor an, sah dann auf seine Aufzeichnungen, die er in seiner Hand hielt (Sirius vermutete, dass er selber nicht mehr wusste, was er in der Stunde vorgelesen hatte) und hakte in seiner tonlosen Stimme nach: »Die Lebensdaten von Ulrich dem Komischen Kauz?«

»Genau!«, erwiderte Sirius schnell – unglücklicherweise im selben Moment, da James verneinte.

Doch bevor sie sich noch rechtfertigen mussten, nahm Sirius wahr, wie Remus aus Binns' Büro trat und sich zu Peter hinter sie stellte, wovon der Lehrer nichts mitbekam, da er sie mit Daten voll laberte, die er allesamt von seinen Aufzeichnungen ablas.

»Okay, danke, das wollten wir nur noch mal wissen«, nahm James das in die Hand und verließ allen voran zügigen Schrittes das Klassenzimmer.


Die halb vergilbten Bücher, die fast so alt sein mussten wie Binns selbst, schienen im Wesentlichen auch nicht viel interessanter zu sein, als die langweiligen Schinken aus der Bibliothek, wie die Jungs am Wochenende sehr bald feststellten.

Zur Vorsicht beschäftigten sie sich mit den geliehenen Lektüren ausschließlich nachts, damit niemand etwas davon mitbekam, was nur zur Folge hatte, dass Peter einschlief und Remus andauernd klarstellte, dass sie unter der Woche nicht mehr nachts arbeiten könnten, weil der Schlafmangel sich sonst zwangsläufig auf ihre schulischen Leistungen auswirken würde.

Samstagnacht versuchte sich Sirius mal wieder verzweifelt auf ein Buch (Salazar Slytherin – Aufstieg und Untergang) zu konzentrieren, dessen alte Schrift besonders schwer zu entziffern war.

Auf Grund seines ausgeprägten Gespürs, welche Nachwuchszauberer und -hexen seines Erachtens nach der Schule ›würdig‹ sind und welche nicht, glaubte Salazar Slytherin sich den anderen Gründern überlegen. Er allein wähnte sich fähig, zu unterscheiden, wer ehrenwert genug war, in sein Haus, nach Slytherin, zu kommen…

Komm mit mir nach Slytherin…

Salazar Slytherin wäre wohl eindeutig der Meinung, dass Sirius ehrenwert genug wäre, um in Slytherin zu sein…

Deshalb wird Salazar Slytherin auch heute noch verbreitet als WächterseinesHauses angesehen…

Auch heute noch verbreitet…

Was hatte er da eigentlich gerade gelesen! Von Ferne drang James' Stimme an sein Ohr: »Hört mal her: Dubiose Quellen berichten, Salazar Slytherin habe kurz bevor er die Schule verlassen hatte, einen Fluch auf Hogwarts gelegt, auf dass sein eigenes Haus ewig bestehe und nie ein Unwürdiger nach Slytherin kommen möge…«

›… als Wächter seines Hauses angesehen; vielfach wird er auch als ›Wächter des reinen Blutes‹ bezeichnet, da seiner Meinung nach nur Reinblüter das Zaubern lernen sollten…

Wer sollte nur das Zaubern lernen?

»…Dieser Fluch soll den Untergang ganz Hogwarts' bewirken – ein Fluch, so mächtig, dass er nicht gebrochen werden kann…«

Sirius rieb sich die Schläfen und las den ganzen Absatz noch zwei Mal durch, ehe er halbwegs verstanden hatte, worum es ging.

Anstelle von Freundschaft tritt Loyalität, anstelle von allem anderen Macht, die Salazar Slytherin so sehr zu erreichen strebte und schließlich auf Grund seiner außergewöhnlichen Begabung auch erreicht hat…

Anstelle von Freundschaft tritt Loyalität… Genau das war die Ansicht seiner Eltern. Wahre Freundschaft existierte nicht – interessierte sie daher auch erst gar nicht!

Hierbei wäre besonders die Lokillusion zu erwähnen, auf deren Gebiet sich Salazar Slytherin besonders verstand und natürlich die schwarzen Künste, durch die er seine Macht noch vergrößern wollte…

»Nicht gebrochen werden kann!« Remus' Stimme. »Das kann nicht sein! Jeder Fluch kann irgendwie gebrochen werden!«

Der Tag mag kommen, da ihr alle einsehen werdet, dass es so etwas wie Freundschaft nicht gibt…

»Dieser Fluch anscheinend nicht! Hier steht jedenfalls ganz klar, dass man es nicht kann!«

Sollte je ein Zauberer oder eine Hexe…

»Da steht ja auch was von ›dubiosen Quellen‹!«

»Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, es sei denn Sie wissen, wie man den Fluch, wenn es denn einer sei, aufheben kann…«

Obwohl er oder sie den Normen meines Hauses entspricht…

Als Wächter seines Hauses –

»Du hast doch gesagt, dass es bestimmt ein Fluch ist!«

Das Stimmengewirr um ihn herum wurde zunehmend aggressiver.

Weil es so etwas wie Freundschaft nicht gibt. Jeder – selbst die besten Freunde werden sich nur noch streiten, gegenseitig anbrüllen… Jeglicher Zusammenhalt wird verloren gehen…denn jeder verrät den anderen um der Macht willen…

»Ja, aber einer, der gebrochen werden kann! Du solltest ehrlich mal mehr lesen –«

»Was tu ich denn gerade!«

»– Ein Erbfluch ist grundsätzlich…«

Sirius wusste nicht mehr, welche Stimmen in seinem Kopf waren und welche real; was Gedanken und was wirkliche Gesprächsfetzen waren.

Es lebe…

»…Slytherin. Schließlich muss Salazar den Fluch…«

Sirius schloss die Augen (oder hatte er sie schon geschlossen?) und versuchte die Gedanken zu ordnen, einen klaren Kopf zu kriegen, doch allein, einsam und verlassen in der grenzenlosen Dunkelheit – nur noch gedämpfte Stimmen von außen – wurden die Stimmen in seinem Kopf zunehmend lauter und als Salazar Slytherin erneut sprach, da hörte Sirius ihn nicht nur, er glaubte einen Augenblick sogar, ihn leibhaftig vor sich zu sehen.

Es war zweifellos Slytherin, auch wenn er mit dem Salazar Slytherin auf der Schokofroschkarte nur wenig gemeinsam hatte (wahrscheinlich hatten die Hersteller der Schokofroschkarten auch nur Vermutungen angestellt, wie er ausgesehen haben könnte).

Sirius wusste einfach, dass er es war! Dieses spitze Gesicht, das von den dunklen Haaren umrandet wurde; der dazu passende rabenschwarze Spitzhut; die bedrohlich funkelnden Augen; eine gewisse Arroganz in seinen Bewegungen war auch nicht zu übersehen, die verriet, dass er sich für etwas Besseres hielt.

»Ich verfluche dieses Schloss…«

Noch als Sirius längst einen kurzen, erstickten Schrei ausgestoßen, die Augen aufgerissen hatte und James und Remus herbeigeeilt waren (ihren Wortwechsel hatten sie selbstverständlich eingestellt), hallten Salazar Slytherins Worte nach, wie ein Echo, das anstatt leiser fast noch lauter zu werden schien.

Salazar Slytherin hatte ihn gesehen! Seine schwarzen Augen waren direkt auf Sirius gerichtet gewesen, er hatte sich in seinen Blick gebohrt und hatte ihn festhalten wollen, hinunterziehen in den Abgrund, in diesen seltsamen Kerkerraum, in dem er gestanden war.

»Was ist los mit dir?«, fragte James zum zweiten Mal besorgt.

»Salazar Slytherin… hat einen Fluch auf Hogwarts gelegt…«, stammelte Sirius mit trockener Kehle.

»Ja, darüber haben wir gerade auch diskutiert!« James nickte leicht verstimmt zu Remus.

Peter, der wohl von Sirius' Schrei aufgewacht war, rieb sich derweil nur etwas verschlafen die Augen.

»Nein. Ich meine… ich habe ihn gesehen«, versuchte Sirius seinen Freunden verzweifelt klar zu machen.

Remus runzelte auf diese Worte hin leicht die Stirn. »Ich glaube, wir sollten zu Bett gehen, wenn sogar schon Sirius einschläft…«, schlug er, Sirius noch immer unsicher musternd, vor.

»Ich bin nicht eingeschlafen«, protestierte Sirius. »Ich hab euren dämlichen Streit noch gehört und Salazar Slytherin meinte, jeder würde sich nur noch streiten, es gebe keinen Zusammenhalt mehr, weil es gar keine Freundschaft gibt…«

»Du hast dich einfach nur überarbeitet«, zuckte jetzt selbst James die Schultern, wenngleich in seiner Stimme ein besorgter Unterton mitschwang. »Vielleicht sollten wir die Bücher am Montag sofort wieder zurückbringen, wenn man den Fluch doch sowieso nicht brechen kann…«

»Wie oft denn noch!«, Remus seufzte tief auf. »Es gibt keinen Erbfluch, der nicht gebrochen werden kann!«

»Dann ist das hier eben der erste. – Wenn es doch in dem Buch schwarz auf weiß steht…«

Sirius hörte den beiden gar nicht richtig zu. Er musste an die finsteren Augen denken, an den Fluch Slytherins und seine Worte.

»Es sind Legenden, James, Le-gen-den

»Genau wie die Vermutung, dass überhaupt ein Fluch auf Hogwarts liegt…«

»Merkt ihr das denn nicht!« Sirius konnte sich nicht länger zurückhalten.

Verdutzt blickten James und Remus, die bereits auf dem Weg in den Schlafsaal waren, zurück zu Sirius, der noch immer unbeweglich auf seinem Platz saß.

»Was?«, fragten beide gleichzeitig nach.

»Genau das ist es, was Salazar Slytherin gemeint hat: Jeder wird sich nur noch streiten, auch wahre Freundschaft existiert nicht lange!«

James' Blick lag noch immer ein wenig verwirrt auf ihm, während der Remus' fast etwas schuldbewusst dreinsah.

»Wir haben doch nicht gestritten«, bestritt James schließlich. »Es war eher…«

»Eine Diskussion über eine Meinungsverschiedenheit«, half Remus ihm.

James neben ihm nickte zur Bestätigung Remus' Aussage eifrig.

»Na gut, gehen wir schlafen!« Irgendwo fühlte sich Sirius ziemlich ausgepowert.

Vielleicht hatte Remus ja Recht und er hatte sich einfach überarbeitet…

»Bevor Peter wieder wegpennt!« Er wies mit dem Kopf zu Peter, dessen Augen kurz davor waren, zuzufallen, dann gingen sie gemeinsam in den Schlafsaal, wo Sirius sehr zu seinem Erstaunen sofort einschlafen konnte…


Tatsächlich brachten sie die Bücher gleich nach der nächsten Geschichtsstunde zurück (als eingespieltes Team stellte das kein allzu großes Problem dar), da sie mittlerweile sowieso das Wichtigste wussten und selbst Remus das Gefühl hatte, dass sie mithilfe der Werke nichts weiter herausfinden würden.

Remus interessierte ohnehin nur noch die Stoffwiederholung, in die er Peter (der sich als Einziger bequatschen ließ) beständig mit einbezog, und für James war sowieso klar, dass man den Fluch nicht aufheben konnte, sodass es Sirius so vorkam, als wäre er der einzige, der sich über den Untergang Hogwarts' überhaupt noch Gedanken machte.

Schließlich platzte ihm bei einem Abendessen in der Großen Halle der Kragen, als James sich über ein belangloses Thema aufregte (Sirius glaubte zu verstehen, dass ihm das Wasser im See zu kalt war, seit die Lehrer es nicht mehr magisch erwärmten, da das Maiwetter so schön war) und er warf seinen Freunden lauthals vor, dass es ihnen doch gleichgültig wäre, wenn es Hogwarts nicht mehr gebe, weil sie sowieso Privatlehrer kriegen würden und was mit ihm passierte wäre ihnen ebenfalls herzlich egal!

James, Remus und Peter sahen ihn beinahe gekränkt an und James widersprach ihm natürlich sogleich, worauf Sirius nur gewartet hatte.

»Ach ja! – Gebt's doch wenigstens zu, dass unsere Freundschaft euch egal ist«, schrie er aufgebracht.

Wieder kam es ihm so vor, als hätte nicht er gesprochen, als wäre es eine fremde Kraft, die ihn dies sagen ließ, aber das war ihm vorübergehend völlig gleich.

Noch ehe sich James, Remus oder Peter verteidigen konnten gegen diese Anschuldigung, ertönte ein höhnisches Lachen hinter ihnen.

»Hab ich es dir nicht immer gesagt, Black!« Malfoy grinste selbstgefällig.

Ausnahmsweise war er mal allein unterwegs, vermutlich weil er gerade auf dem Weg zum Slytherin-Tisch war.

»Deine Freunde werden dich enttäuschen, ich hab dich doch gewarnt. Konnte nur nicht wissen, dass es so schnell gehen würde! – Tja, du hast wohl den falschen Weg gewählt, Kleiner!«

Sirius' Wut auf seine Freunde war so plötzlich verraucht, wie sie gekommen war. Stattdessen fixierte sie sich nun auf Malfoy, der spöttisch auf ihn herabsah.

»Halt dich aus meinem Leben raus, Malfoy! – Immerhin habe ich Freunde!«

»Fragt sich nur, wie lange noch«, entgegnete Malfoy, um einen gelassenen Ton bemüht, auch wenn man ihm deutlich anmerkte, dass auch er einen Zorn auf Sirius verspürte.

»Ich nehme an, deine Eltern werden dich auf eine bessere Schule schicken… Durmstrang, oder? – Vielleicht lernst du ja da endlich die richtigen Werte zu schätzen! – Ich habe gehört, die sollen mit Verrätern, wie dir, viel strenger umspringen…«

»Ich hab gesagt, dass du dich da raushalten sollst«, fuhr Sirius mit zusammengebissenen Zähnen dazwischen.

Er sah seinen Feind tief in die verabscheuten Augen. Der Hass pulsierte schon fast sichtbar zwischen ihnen.

»Eines Tages wirst du es noch bitter bereuen, dich auf die falsche Seite gestellt zu haben, Black!«, drohte Malfoy ihm, ohne jede erkennbare Gefühlsregung, bevor er mit einem letzten eindringlichen Blick zum Slytherin-Tisch verschwand.


Mitte Mai wurde das Wetter schwül, fast schon drückend, sodass die meisten Schüler die Tage lieber drinnen verbrachten, was Sirius nur Recht war (»Sonne! Wer will schon in die Sonne!«).

Während Remus wie so oft in letzter Zeit zusammen mit Peter für die Prüfungen lernte, schmiedeten Sirius und James Pläne, wie sie heimlich in Hogwarts bleiben könnten, ohne dass es jemand bemerkte.

Allerdings wandte James ein, dass ihnen, selbst wenn es gelingen würde, aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch die Slytherin-Kerker von Hogwarts blieben.

Wenn sie nicht gerade mit solch sinnlosen Plänen beschäftigt waren, lasen sie gemeinsam in James' Werwolfbuch.

So fanden sie heraus, dass die Verwandlung zum Werwolf in der Tat eine Tortur sein musste; bald konnten sie die Merkmale eines Werwolfs besser aufzählen, als viele Fünftklässler, die dieses Jahr ihre ZAGs ablegten und somit eigentlich mehr Ahnung von Werwölfen haben sollten.

Remus hatte ihnen weiterhin den Grund für seine immer wiederkehrende Krankheit verschwiegen, doch Sirius und James wussten ja, dass er gegen Ende des Monats bei Vollmond wieder verschwinden würde.

Wäre da nicht die unausgesprochene Tatsache, dass sie alle Angst hatten, nach der Schließung der Schule getrennt zu werden, die wie ein großer Schatten auf ihnen lag, hätten sich Sirius und James vielleicht mehr Gedanken darüber gemacht, doch so hängte der dunkle Schatten über ihnen, wie die Gewitterwolken, die an jenem Abend nach einem weiteren schwülen Sonnentag tief über Hogwarts dahinzogen und sich schließlich in der Nacht entluden – für Sirius eine durchwälzte Nacht.

Sein Schlaf war unruhig und wenngleich er nicht unbewusst aufstand, schreckte er des Öfteren auf, geweckt von einem Blitz, der den Schlafsaal für Sekundenbruchteile schwach erhellte oder von dem darauf folgenden Grollen eines Donners.

Der Regen peitschte erbarmungslos hernieder und verlieh der Atmosphäre noch etwas Mystischeres. Lange lag er wach, lauschte dem Prasseln des Schauers, bis er endlich wieder einschlafen konnte.

Salazar Slytherin stand alleine, in einer verregneten Gewitternacht in dem Kerkerraum, der Sirius mittlerweile nicht mehr ganz unbekannt war. Diesmal sah er ihn nicht an, sondern hatte ihm den Rücken zugewandt.

Auch hier tobte ein Gewitter. Genauso brutal und rücksichtslos, wie in Wirklichkeit – und dennoch musste es Jahrhunderte zuvor stattgefunden haben.

Ein einziges Fenster wurde von einem Blitz erleuchtet, sodass dessen Gitterstäbe gegen die Finsternis hervortraten.

Nur eine Sekunde erkannte Sirius deutlich die Silhouette Salazar Slytherins, dann war es wieder so dunkel wie zuvor, in dieser verdammten, gottlosen Nacht. Nur das Rauschen des Windes, der den Regen in alle erdenklichen Richtungen trieb und die Geräusche des Unwetters waren zu vernehmen.

Gedämpft drangen sie durch die Schlossmauern. Ansonsten herrschte Stille in diesem gottverlassenen Kerker.

Die Stille vor dem Sturm, schoss es Sirius durch den Kopf. Und tatsächlich, als der nächste Blitz kurzzeitig Licht spendete, hatte Salazar Slytherin seine nachdenkliche, in sich versunkene Position geändert. Er hatte jetzt die Arme gen Himmel gerichtet, den Kopf erhoben.

»Ich verfluche dieses Schloss!«, rief er mit ausgestreckten Armen. Wie zur Bestätigung seiner Worte folgte ein zuckender Blitz, dessen Verästelung deutlich durch das kleine Fenster zu sehen war.

»Sollte je ein Zauberer oder eine Hexe, obwohl er oder sie den Normen meines Hauses entspricht, nicht mir und meinem Haus die Ehre erweisen; sollte er weiterhin die schwarze Magie – wenngleich dazu fähig, dieselbige auszuüben – verachten, mich und meine Nachkommen somit verraten; sollte er an Freundschaft festhalten, mehr daran glauben, als an meine Werte – die wahren Werte – der Reinblütigkeit und der dunklen Mächte –, so soll er eines Besseren belehrt werden. Weil es so etwas wie Freundschaft nicht gibt. Jeder – selbst die besten Freunde werden sich nur noch streiten, gegenseitig anbrüllen… Jeglicher Zusammenhalt wird verloren gehen…

Denn jeder verrät den anderen um der Macht willen! Ich – Wächter Slytherins – werde auferstehen, zu besiegeln diesen Fluch und somit das Schicksal ganz Hogwarts'! Der Tag mag kommen, da ihr alle einsehen werdet, dass es so etwas wie Freundschaft nicht gibt!«

Wieder zeichneten sich die Umrisse des Zauberers scharf gegen das Fenster ab, durch das das Licht eines Blitzes fiel. Salazar Slytherin blickte weiterhin zum Fenster, murmelte ein paar Worte, die Sirius nicht verstand, die sich aber sehr nach einer fremden Sprache anhörten, und kreierte zwischen seinen Händen, die er über seinem Kopf auseinander hielt einen grünlichen Lichtstrahl, der sich wie ein zuckendes, im Wind flatterndes Band von einer Hand zur anderen zog.

Fast schien es elektrisch geladen, wenn es Sirius nicht besser gewusst hätte. Salazars Gemurmel hatte noch nicht aufgehört. Der Lichtstrahl wurde dicker, schließlich drückte Salazar Slytherin ihn scheinbar unter großer Kraftanstrengung zusammen und formte ihn zu einer Kugel.

»Lang lebe Slytherin!«, schrie der Zauberer in einer Lautstärke, sodass selbst das Echo das Gewitter außerhalb der Festung übertönte.

In dem Moment, da er diese Worte aussprach, traf ein Blitz, der aus dem Nichts entstanden war die Lichtkugel in seinen Händen.

Doch die Kugel schien den Blitz in sich aufzunehmen, saugte dessen ganze Energie auf und als Slytherin sie losließ (die Energie eines Blitzes – wenn auch, oder gerade weil er magisch erzeugt wurde – konnte er dann wohl doch nicht länger halten), traf dieser die nächstgelegene Mauer und das Licht, die Energie, oder was auch immer verbreitete sich wie ein Lauffeuer über das ganze Schloss.

»Es lebe Slytherin«, wiederholte Salazar in seiner gebieterischen Stimme, woraufhin das grüne Licht erlosch und Sirius in der Dunkelheit allein zurückblieb…

Ein Donnerschlag traf ihn und holte ihn brutal aus dem Schlaf – und aus der Dunkelheit. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass es kein Donnerschlag gewesen war, sondern James' Hand, die ihn im Gesicht getroffen hatte.

Um ihn herum war es heller, da allesamt – James, Remus, Peter, Nelson, Finn und Tai – mit leuchtenden Zauberstäben um sein Bett standen.

»Wir dachten schon, du schlafwandelst wieder, als du das Reden angefangen hast, bist ja aber nicht aufgestanden«, erklärte Finn aufgeregt.

»Du hast was von Blitz und Donner gefaselt«, fügte Nelson hinzu. »Hättest uns ruhig sagen können, dass du Angst vor Gewittern hast…«

»Ich habe keine Angst vor Gewittern!« Sirius, der versucht hatte, sich auf den Traum zu konzentrieren, fuhr empört auf, zuckte jedoch ärgerlicherweise zusammen, als ein lauter Donner über sie hinwegrollte.

Dann wandte er sich an James, Remus und Peter: »Ich hab ihn wieder gesehen!« Er hatte seine Stimme gesenkt, um die anderen aus dem Gespräch auszuschließen, doch die guckten ihn baff an.

»Kann es sein, dass er phantasiert, oder so?«, hakte Finn unsicher nach.

Zu Sirius' Verblüffung antwortete Remus sofort: »Ja! – Wir bringen ihn besser in den Krankenflügel!«

Schon zogen James und Remus ihn aus dem Bett und bugsierten ihn an den anderen vorbei aus dem Schlafsaal. Peter folgte ihnen verschlafen aber dennoch wie selbstverständlich.

»Du hast Slytherin gesehen?«, vergewisserte sich James, sobald sie weit genug von dem Schlafsaal entfernt waren.

Abermals wurde Sirius erstaunt, da sie nicht im Gemeinschaftsraum anhielten, sondern ihn aus dem Porträtloch zerrten, hinaus auf die finsteren Gänge.

»Wo gehen wir hin?«, murmelte Sirius noch halb abwesend, ohne auf James einzugehen.

»Na, in den Krankenflügel natürlich, wohin denn sonst!«

Sofort riss sich Sirius los. »Ich bin geistig gesund. Ich hab nur…«

»Ja, geistig vielleicht – aber hast du schon mal in den Spiegel geschaut! Du siehst aus wie eine wandelnde Leiche«, entgegnete Remus schroff, packte ihn erneut am Arm und zog ihn weiter.

»Ich hab ihn gesehen… wie er den Fluch gesprochen hat…« Sirius hatte gar keine Kraft mehr, Remus oder James Widerstand zu leisten. Außerdem war er viel zu sehr in Gedanken bei seinem seltsamen Traum, der ihm so wirklich vorgekommen war!

»Und, was hat er gesagt?« James' Stimme klang ernst; anscheinend glaubte er ihm.

»Weiß nicht…« Sirius fühlte sich wirklich etwas schwach. Vielleicht war der Schlafmangel der vergangenen Tage doch zu viel für ihn gewesen. Der Stress wegen des Wissens, dass Hogwarts nicht mehr lange stehen würde…

»Er will Slytherin erhalten. Schwarzmagische Reinblüter gehören in sein Haus und wenn nicht, dann wird…«

»Sehen wir das Ganze doch mal realistisch: Es war ein Traum, nichts weiter«, unterbrach Remus ihn, wobei er ihn zur Vorsicht noch fester am Arm packte, da Sirius leicht strauchelte.

»So wie du es erzählst, hört sich dieser Fluch sehr auf dich zugeschnitten an. – Das war ein Traum«, wiederholte Remus.

»Nein! Hogwarts wird untergehen. Keine Freundschaft… Kein Vertrauen. Alles zerstört!«

»Keine Panik, wir sind gleich da!«

Sirius musste sich anstrengen, die Augen offen zu halten; es forderte höchste geistige Konzentration, dass ihm nicht schwarz vor den Augen wurde. Er durfte sich nicht einfach der wohltuenden Finsternis hingeben! Erst mussten seine Freunde begreifen…

»Tanzende Titanen – der Krankenflügel!«

Sirius, der die Augen doch ganz kurz geschlossen hatte, öffnete sie wegen James' Ausruf wieder. Was er sah, war nicht gerade aufbauend: Der gesamte Krankenflügel-Korridor war verschwunden!

»Und jetzt?«, piepste Peter hinter ihnen unsicher.

Remus, der sich wohl als erster wieder fasste, meinte sachlich: »Madam Pomfrey muss ja irgendwo sein!«

Kurzentschlossen führte er Sirius den Gang zurück und weitere Korridore kreuz und quer durchs Schloss. Sirius achtete nicht auf den Weg, sondern erzählte unterdessen auszugsweise von seinem Traum, wie Salazar Slytherin die Energie gebündelt hatte und den Fluch schließlich auf Hogwarts gelegt hatte.

Letztlich kamen sie in die Eingangshalle, wo sie auf Dumbledore stießen, der vermutlich aus der Küche kam. Noch während Remus den Schulleiter ansprach, fühlte Sirius endgültig, wie seine Sinne schwanden…

Er erwachte in einem Raum, der wie ein Klassenzimmer aussah – wären da nicht die weißen Betten gewesen, die sehr an den Krankenflügel erinnerten. Auf dem Boden neben seinem Bett saßen seine Freunde. Remus und Peter schliefen noch, doch sobald James bemerkte, dass er wach war, lächelte er ihm zu und stand auf.

»Du hast den ganzen Morgen verschlafen. Sei froh, Verwandlung war mal wieder megalangweilig!«

Sirius nickte nur, weil er sich zu etwas anderem momentan nicht fähig fühlte. Das Gewitter hatte nachgelassen, im Moment fielen sogar vereinzelte Sonnenstrahlen durch das Fenster.

»Glaubst du… glaubst du mir das mit Salazar Slytherin?«, fragte Sirius schließlich nach einer Pause, in der er unschlüssig vor sich hingestarrt hatte.

»Ja!«, nickte James aufrichtig. Sirius atmete erleichtert aus. »Aber viel bringen tut's uns ja nicht gerade, oder? Ich meine – er hat dir nicht gesagt, wie man den Fluch aufheben kann!«

Sirius sah einen Augenblick lang in die Augen seines besten Freundes, der die Sache recht locker zu nehmen schien. »Wenn ich nach Slytherin gehen würde…«, überwand er sich letztlich zu sagen, doch James schüttelte bestimmt den Kopf.

»Der Hut hat dich – gelost oder nicht – nach Gryffindor gesteckt. Du kannst nicht so einfach nach Slytherin gehen, selbst wenn du wolltest!«

Sirius war froh, dass James das sagte. Sein Freund hatte Recht: Er konnte nichts daran ändern, ob der Traum nun ein Traum gewesen war, oder doch mehr tat nichts zur Sache! Er sollte sich einfach nicht so viele Gedanken machen!

Er würde sicherlich bald aus diesem neuen Krankenflügel entlassen werden und dann sollte er die letzte Zeit zusammen mit seinen Freunden in Hogwarts genießen und sich nicht Gedanken über einen Traum machen, der am Ende nichts weiter war als ein Traum…

Tatsächlich ließ Madam Pomfrey Sirius noch am selben Tag gehen. Ihrer Diagnose nach hatten lediglich seine Nerven schlapp gemacht… ein Kreislaufproblem… das kam schon mal vor in solchen Zeiten…

Sie hatte ja keine Ahnung, was er gesehen hatte. – Sie hatte keine Ahnung, dass Salazar Slytherins Fluch, ein Erbfluch der bereits über tausend Jahre lang auf Hogwarts geruht hatte, sich nun endlich erfüllen würde…

tbc...