Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Dreißigstes Kapitel

Prüfungen


Am Montag bekamen sie beim Frühstück endlich ihre Prüfungspläne, die nur für noch mehr Hektik unter den Schülern sorgten. Die Prüfungen würden sich über zwei Wochen erstrecken und es blieben ihnen noch sieben Tage, bis die Prüfungssaison startete.

Sirius und James gehörten zu den Wenigen, die das nur geringfügig interessierte, weil sie sich dachten, dass Hogwarts sowieso schließen würde, also konnten ihre Noten getrost in den Keller sacken – danach kümmerte sich eh keiner mehr darum.

Als Remus dann schließlich aus der Heulenden Hütte zurückkam, nötigte er sie angesichts des strengen Prüfungsplanes, den er zusammengestellt hatte dazu, doch noch mit dem Lernen anzufangen. Murrend und knurrend steckten sie ihre Nasen in die Zauberkunstbücher, da das ihre erste Prüfung am Montag war.

Neben ihnen büffelte Specter Illusionszauberei für seine UTZe und murmelte verbissen etwas vor sich hin, was Sirius, den sein eigener Stoff eh langweilte, viel mehr interessierte, sodass er schließlich fragte: »Soll ich dich abfragen?« Specter fuhr so erschrocken hoch, als hätte Sirius ihn aus einer ganz anderen Welt zurückgeholt und blickte den Erstklässler verdattert an.

»W… was? Äh… ja. Wenn du nicht selbst noch irgendwas lernen musst…«

»Ach, das ist doch alles Kinderkram, das kann ja jedes Baby! Gib schon her« Damit zog er Specters Buch zu sich und blickte konzentriert auf die aufgeschlagene Seite.

Lokillusion stand ganz groß darüber.

»Okay, dann sag mir doch mal… wie man einen Lokillusionszauber brechen kann!«

»Gut…« Tiefe Falten erschienen auf Specters Stirn. »…Wenn man in einer Lokillusion gefangen ist, dann muss man sich stark auf den Ort konzentrieren, an dem man sich eigentlich befindet, dazu ist große Willenskraft erforderlich. Der Zauberstab wird nicht gebraucht, es ist ein rein geistiger Kampf.«

»Sehr gut«, lobte Sirius und suchte im Buch nach etwas Schwererem, das er Specter fragen konnte.

Nachdem er Andrew auch noch Verteidigung, Wahrsagen und Muggelkunde abgefragt hatte (und dabei hatte feststellen müssen, dass Siebtklässler wesentlich interessantere Stoffgebiete durchnahmen), meinte Specter, dass er lieber zu Bett gehen würde, um für die Prüfungen fitt zu sein, sodass Sirius sich wieder mit seinen Fächern beschäftigen musste.

Trotz Remus' Mahnungen, sie sollten mehr lernen, vertrieben sich Sirius und James die restliche Zeit bis zur ersten Prüfung damit, im Gemeinschaftsraum herumzuzaubern, was sie durchaus als ›lernen‹ ansahen (mit dem positiven Nebeneffekt, den ÜV zur Weißglut zu bringen).

Schließlich kam der Abend vor dem großen Tag.

Die meisten Schüler gingen früh zu Bett, um für den nächsten Morgen fitt zu sein, doch weder Sirius noch James hatten sonderlich viel Lust zu Schlafen, weshalb sie kurzfristig beschlossen, noch einen Rundgang durchs Schloss zu unternehmen, obwohl – oder vielmehr gerade weil es bereits zu spät war.

Vor allem aber, weil sie bei einem Spaziergang durch das Schloss besser reden konnten, als im Ravenclaw-Turm, wo sie zu so später Stunde leichter von Schülern gestört werden könnten, die eventuell ebenfalls keinen Schlaf fanden.

»Und wenn wir in der Bibliothek in der Verbotenen Abteilung noch mal nach Büchern über den Fluch Slytherins nachsuchen?«, schlug James vor, dessen Schlaflosigkeit wohl genauso wenig an den Prüfungen am morgigen Tag lag, wie bei Sirius.

»Was soll denn da mehr drin stehen, was wir nicht schon in Binns' Geschichtsbüchern gelesen haben?«, entgegnete Sirius mürrisch, während sie in den vierten Korridor einbogen.

Natürlich wäre es überdies ein Regelverstoß ersten Grades gewesen und das Unterfangen, ungesehen in die Verbotene Abteilung einzudringen, wäre auch nicht leicht gewesen – alles Punkte, die in Sirius' Augen normalerweise für ein solches Unternehmen gesprochen hätten, wenn er nicht innerlich schon resigniert und mit Hogwarts abgeschlossen hätte.

Ein Scheppern, das von weiter vorne aus dem Gang kam, riss Sirius aus seinen trüben Gedanken.

»Peeves!« James verdrehte genervt ob der unliebsamen Störung die Augen. »Was will der denn eigentlich noch hier! Der könnte doch langsam mal seine Koffer packen. Viel gibt's hier eh nicht mehr zu verwüsten!«

»Außer unserem Spiegel!«, stellte Sirius trocken fest, der ein böses Klirren zuordnen konnte.

Er wechselte einen schnellen Blick mit James und beide rannten los, bis sie keuchend bei ihrem Spiegel vor dem verborgenen Geheimgang nach Hogsmeade ankamen, der eben einen erneuten Schlag mit einem eisernen Helm einer Rüstung versetzt bekam.

James hielt sich die Arme vors Gesicht, um keine Splitter abzubekommen, während Sirius versuchte, Peeves den Rüstungshelm wegzunehmen. Dieser sah das allerdings als neues Spiel an und begann kichernd und glucksend, seinen Helm gegen Sirius zu schwingen, den es rücklings auf den Boden schmiss, als der Poltergeist mit einem Gackern den Helm, an dem Sirius zerrte, ruckartig losließ.

»Waddiwasi!«, rief James in dem Moment und der Helm, der nun auf dem Boden lag, sauste auf Peeves zu, dem das Lachen verging und der lieber die Flucht ergriff.

James trat keuchend vom Kampf gegen den Poltergeist zu Sirius und half ihm auf.

Auf Sirius' fragenden Blick hin zuckte er nur die Schultern: »Hat mir Remus gezeigt!« Damit richtete er seinen Zauberstab auf den Spiegel und mit einem liebevollen »Reparo« setzten sich die Scherben wieder von selbst zu dem Spiegel zusammen.

»Hey, wir könnten morgen doch den Unterricht schwänzen und stattdessen nach Hogsmeade gehen!«, fiel Sirius ein, wobei er überprüfte, ob der Spiegel auch wirklich ganz intakt war.

»Ja genau!«, stimmte James ihm gleich begeistert zu. »Wir lassen einfach die Prüfungen ausfallen!«

»Das halte ich für keine so gute Idee!«

Sirius und James wirbelten herum. Piler stand hinter ihnen, die Hände in den Taschen seines Umhangs vergraben, und sah sie fragend an.

Doch statt einer Erklärung, was sie nachts vor diesem Spiegel zu suchen hatten, brachte James nur eine Frage heraus: »Was machst du denn hier!«

»Ich war auf der Suche nach dem Ruhestörer. – Wart ihr das?«, erwiderte Piler, wobei er den Gang in allen Richtungen entlangspähte.

»Nein! Das war Peeves. Wir haben für Ruhe gesorgt«, antwortete Sirius schnell.

»Ah ja.« Piler fixierte seinen Blick jetzt auf Sirius. »Und was macht ihr schon wieder nachts draußen? Doch sicher nicht Poltergeister vom Unruhestiften abhalten, oder?«

»Ich bin schlafgewandelt«, entgegnete Sirius prompt, ohne rot zu werden.

»Und ich wollte ihn die ganze Zeit über aufwecken«, setzte James dazu. »Aber er hat einfach zu fest geschlafen!«

»Ach wirklich?« Piler hob ungläubig die Augenbrauen. »Na, in dem Fall sollten wir wohl lieber eine Hypnosestunde abhalten. Kommt mit in mein Büro, Jungs!« Damit drehte sich Piler um, winkte den beiden, ihm zu folgen und schritt zügig den Gang wieder hinab.

Sirius sah James entsetzt an, der nur die Schultern in einer Besser-wir-tun-was-er-sagt-Manier zuckte, um sich anschließend ebenfalls in Bewegung zu setzen. Stöhnend schloss Sirius schließlich zu den beiden auf.

»Frederic? So dringend ist das jetzt auch wieder nicht. – Selbst Muggel sollen manchmal schlafwandeln…«, versuchte Sirius es auf dem ganzen Weg, doch Piler schien ihn nicht gehört zu haben, sodass es Sirius letztlich aufgab.

»Ähm… Da geht's aber nicht zu deinem Büro«, stellte James, nachdem sie eine Weile lang wortlos hinter Piler hergegangen waren, fest. Sie hatten gerade den Korridor erreicht, der zum Ravenclaw-Turm führte.

Endlich wandte sich Piler um und lächelte die beiden Jungs schwach an. »Nein. – Aber ich denke, ihr solltet heute Nacht noch etwas Schlaf kriegen, schließlich wollt ihr ja morgen die Prüfungen nicht verschlafen, oder?«

Der Lehrer zwinkerte ihnen kurz zu und fügte dann an: »Ach, und Sirius: Am besten wär's, du würdest heute Nacht nicht mehr – ähem«, er räusperte sich kurz, »schlafwandeln. Die Prüfungen sind echt lustig. Lohnt sich mal, da vorbeizuschauen.«

Der Lehrer nickte ihnen noch ein letztes Mal vielsagend zu, ehe er sich abwandte und den Korridor in der anderen Richtung wieder verschwand.

Sirius wusste nicht, ob es Pilers eindringlicher Ausdruck in seinen Augen gewesen war, der ihm gesagt hatte, dass es Dinge – wie zum Beispiel die Prüfungen – gab, bei denen man sich nicht über die Regeln hinwegsetzen sollte, oder was sonst.

Jedenfalls stand er am nächsten Morgen mehr oder weniger ausgeschlafen zusammen mit seinen Freunden vor dem Zauberkunstklassenzimmer. Remus stand der Schweiß auf der Stirn, als sie sich vor dem Klassenzimmer in die Warteschlange einreihten, um ihre erste Prüfung abzulegen.

»Komm, jetzt stress dich da mal nicht so rein«, meinte James ganz locker.

»Außerdem hast du ja schließlich tagelang – und nächtelang – gelernt«, meinte auch Sirius beruhigend.

Er selbst war nur insofern aufgeregt, dass, sobald die Prüfungen vorbei waren, Hogwarts geschlossen werden würde. Zudem hatte er Specter gefragt, was in seinen ersten Prüfungen drangekommen war, und wenn er dasselbe machen musste, hatte er wirklich keine Sorgen, das nicht zu schaffen.

Remus ließ sich allerdings nicht so leicht beruhigen – seine Nervosität steigerte sich sogar noch. Nur Peter schien genauso aufgeregt zu sein wie Remus; dauernd lief er hin und her und konnte keine Sekunde stillstehen. Sirius verdrehte nur genervt die Augen und wandte sich seinen restlichen Mitschülern zu, die allerdings nicht viel entspannter waren.

Endlich wurden sie eingelassen und setzten sich an ihre Tische.

Sie bekamen sogar eigens ›Prüfungsfedern‹, mit denen sie nicht schummeln konnten. Wie erwartet waren die Prüfungsfragen ein einziger Witz, genauso wie Flitwicks Aufgabe in der praktischen Prüfung, einen großen, schweren Tisch einen halben Meter über dem Boden schweben zu lassen. Sirius hatte letztens das Bett des ÜV an die Decke gehext, da stellte der Tisch für ihn kein Problem mehr dar.

Es war nachher unnötig, mit James oder Remus über die Prüfungen zu sprechen, da sie es alle als leicht empfunden hatten, nur Peter jammerte ständig, er habe völlig versagt und ihm sei die Zauberformel nicht eingefallen, sodass der Tisch auf sein ›Wingardia Leviosum‹ hin nur einen unbeholfenen Sprung zur Seite gemacht hätte.

Der Dienstag mit der Verwandlungsprüfung verging ebenso schnell und ehe sie sich versahen war schon Halbzeit. Natürlich ließ Remus ihnen auch an diesem Wochenende keine Zeit, sich zu entspannen, obwohl draußen herrliches Wetter war. Auf Grund des Stresses hatten sie noch nicht mal Zeit, Gedanken daran zu verschwenden, dass sie nur noch zwei Wochen in Hogwarts waren.

Sirius und James nutzten das bisschen Freizeit, das ihnen blieb, nicht wie sonst, zum Geheimgänge erforschen und nachts durch die Korridore streifen, ganz einfach aus dem Grund, dass es ihnen nichts bringen würde, neue Geheimgänge zu entdecken, wenn sie Hogwarts sowieso bald nie wieder sehen würden.

Sirius hatte in letzter Zeit, vorzugsweise sobald er alleine war, oft darüber nachdenken müssen, wie er es schaffen konnte, den Kontakt zu James zu halten, wenn sie erstmal auf verschiedene Schulen gehen würden. Tagsüber war er davon überzeugt, dass sie sich nicht trennen lassen würden, ganz gleich, was geschah.

– Doch nachts, wenn er von Salazar Slytherin träumte, dessen kalte Stimme ihm versicherte, dass wahre Freundschaft nicht stärker sein konnte als Macht, war sich Sirius nicht mehr so gewiss. In solchen Momenten, wenn er mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachte, begann er daran zu zweifeln, wessen er sich tags zuvor noch sicher wähnte.

»Kannst du auch nicht schlafen?«

Sirius drehte sich um und erkannte James' Gestalt, die sich neben ihm auf ein Sofa fallen ließ. Bis eben hatte er sinnlos in das erlöschende Kaminfeuer gestarrt, das dem sonst so gemütlichen Gemeinschaftsraum eine beinahe unheimliche Atmosphäre verlieh.

»Hmm«, machte Sirius bloß. Er hatte im Traum mal wieder Salazar Slytherin gesehen. Erst, wie er den Fluch sprach – wie so oft, die letzten Tage. Doch dann hatte er angefangen, über Freundschaft zu philosophieren… Eine Freundschaft, die es im wirklichen Leben nie geben würde. Freundschaft wäre nichts anderes als eine Illusion…

»Und es gibt nur diese Illusion von Freundschaft. Ein Traum, nichts weiter. Es gibt nur Träume, Hoffnungen – und die Enttäuschung, die unvermeidlich folgen muss…«

»Ich hab auch keine Lust auf Zaubertränke morgen«, drang da James' Stimme durch Sirius' Gedanken.

Sirius sah verdutzt auf. »Zaubertränke?«, wiederholte er perplex.

»Ja, die Prüfung morgen«, meinte James mit ernster Miene.

»Ach so…« Seit wann hatte James Bammel vor einer Prüfung, selbst wenn es Brewpot war, der sie ihnen abnahm… »– Nee, ist nicht deswegen…«, murmelte Sirius deshalb etwas neben der Spur, dessen Gedanken schon wieder zu Salazar Slytherin zurückkehrten.

Eine Illusion… Vielleicht war es das ja wirklich…

»Weiß ich doch, Dummkopf«, grinste James. »Hast du Slytherin wieder gesehen?«

Sirius nickte stumm und blickte zurück zum Feuer. Nach einer Weile meinte er leise: »Meine Eltern hätten unsere Freundschaft eh nie geduldet – und deine wohl auch nicht. Schließlich bin ich ein rassistischer Black, der ›freundschaftsunfähig‹ und ›schwarzmagisch‹ ist…« So oder ähnlich hatte es James zum Anfang des Jahres selbst ausgedrückt, auch wenn Sirius wusste, dass sein Freund längst nicht mehr so dachte.

James erwiderte nicht sofort etwas. Sirius traute sich nicht, zu ihm zu sehen, doch er konnte dennoch förmlich spüren, wie James leicht die Stirn runzelte und ihn unverwandt ansah.

Im Gegensatz zu Sirius blieb er vollkommen ernst und Sirius wurde mit einem Schlag bewusst, dass er seine wahren Gefühle vor James nicht überspielen musste. Schließlich überwand sich Sirius doch und erwiderte den Blick seines besten Freundes. Der tauchte tief in seinen Blick ein. Worte waren nicht von Nöten – jedes einzelne hätte höchstens dazu geführt, dass sie die Gedanken des anderen schlechter erfasst hätten, als ohne.

Was meinst du damit?

Es war ihm unmöglich, den Blickkontakt zu brechen und so antwortete Sirius auf dieselbe Weise: Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir von Anfang an Feinde geblieben wären. Viel Leid bliebe uns jetzt erspart.

Sirius dachte an den Beginn des Schuljahres zurück, an ihre Duelle und wie er immer wieder versucht hatte, James aus seinem Leben herauszuhalten, ihn nicht näher an sich heranzulassen, einfach weil Freundschaft etwas völlig Fremdes für ihn gewesen war. Er erinnerte sich an James, der dachte, er wäre ein Schwarzmagier, schließlich an die Nacht, in der die Peitschende Weide gepflanzt worden war, als ihm James die Hand dargeboten hatte – die Hand der Freundschaft…

Meinst du nicht, das war es wert? – Das ist es noch immer wert?

Sirius blinzelte, da ihm die beißende Wärme des Feuers Tränen in die Augen trieb und nutzte die Gelegenheit, seinen Blick durch den Gemeinschaftsraum schweifen zu lassen.

»Du kannst keinen Blickkontakt länger als fünf Minuten halten, weißt du das?«, erkundigte sich James grinsend, als hätte es ihre nonverbale Konversation nie gegeben und Sirius fragte sich schon ehrlich, ob sie das je hatte, doch als er James erneut ansah, wurde dieser wieder ernsthaft. In seinen haselnussbraunen Augen reflektierte sich das schwache Licht des Feuers.

Ich weiß nicht, warum du befürchtest, das könnte das Ende unserer Freundschaft sein, aber ich verspreche dir: Das ist es nicht! Ein einfacher Fluch von einem der mächtigsten Zauberer seit Jahrhunderten wird unsere Freundschaft nicht so leicht zerstören können!

Damit erhob sich James, schlurfte zurück zur Treppe und ließ Sirius alleine, der sich insgeheim dachte, dass er eben eine viel schwierigere Prüfung überstanden hatte, als in allen Fächern zusammen: Eine Prüfung um der wahren Freundschaft willen. Und obwohl es tiefste Nacht war, war sich Sirius sicherer denn je, dass es so etwas wie ›wahre Freundschaft‹ gab – jedenfalls zwischen James und ihm!

Die Zaubertränkeprüfung am nächsten Tag verlief sogar noch besser, als angesichts Brewpots erwartet, was unter anderem daran liegen konnte, dass Sirius nach dem Gespräch mit James viel ausgeglichener war.

Und schließlich kam ihre letzte Prüfung, die Sirius sprichwörtlich verpennte. Mitten in der Nacht wurde er plötzlich von James geweckt (was fiel dem eigentlich ein!) mit den Worten: »Hey Kumpel, wir haben jetzt noch Astronomie! Nach der Prüfung kannst du weiterschnarchen!«

Sirius wurde gar nicht erst richtig wach, da der Trank der Lebenden Toten ihn noch fest in seinen Fängen hatte, sondern trottete nur im Halbschlaf neben seinen Freunden her in den Astronomieturm, wo sie Legenden um Sternbilder erklären mussten (Neben Kassiopeia auch noch Drakon, Lupus…) und die Bewegung der Himmelskörper erläutern.

Kaum dass Sirius seinen letzten Federstrich geschrieben hatte (was nach der Hälfte der Zeit der Fall war), knallte sein Kopf auf den Tisch und der Trank tat endgültig seine Wirkung. Natürlich begleiteten ihn formlose Stimmen die ganze Nacht hindurch; diesmal schienen sie sogar noch stärker zu werden. Zum Glück war es noch etwas hin bis Vollmond, sodass er wenigstens vor Schlafwandeln verschont blieb.

Anscheinend hatten sich seine Freunde jedoch ein Herz gefasst und ihn in sein Bett bugsiert, wo er am Morgen halbwegs ausgeschlafen aufwachte.

Doch der nächste Tiefschlag ließ nicht lange auf sich warten. Gerade kamen die vier in der Eingangshalle an, um zum Abendessen zu gehen, da liefen die Schüler fast aufgeregter durcheinander, als sie es in den Wochen der Prüfungen getan hatten.

»Was ist denn hier los?«, wollte Remus alarmiert wissen, dem anscheinend schon Übles schwante.

»Ist mir egal, lass diese Freaks doch machen, was sie wollen! Zum Glück muss ich die nicht länger ertragen«, schnauzte Sirius trotzig, aber mit der trübsinnigen Vorstellung, Hogwarts in nunmehr einer Woche für immer verlassen zu müssen. – Angesichts dieser Tatsache würde er die Freaks lieber noch länger ertragen!

Mit diesem Gedanken stieß er schwungvoll die Tür zur Großen Halle auf und seine Augen fielen ihm fast aus den Höhlen, als er die Große Halle sah – beziehungsweise nicht sah. Vor ihm erstreckte sich eine Ebene, welche der Fußboden der Großen Halle sein musste, auf der nur noch der Slytherin-Tisch verblieben war.

»Aha, das ist hier los«, stellte Remus hinter ihm trocken fest.

Beim Anblick des Slytherin-Tischs stieg die unbekannte Kraft wieder in ihm hoch. Slytherins Stimme drang – obwohl er vollkommen wach war – in seine Gedanken, rief nach ihm. Er brauchte nicht erst die anderen zu fragen, ob sie die Stimme ebenfalls gehört hatten…

In Sirius schwoll so großer Hass an, dass er wutentbrannt nach seinem Zauberstab griff, um wenigstens auch diesen Tisch in seine Einzelteile zu zerlegen, doch er fand ihn nicht. Fast panisch versuchte er es in seiner anderen Umhangtasche, aber die war ebenfalls leer.

»Sagt mal, Leute, habt ihr gestern Nacht irgendwie meinen Zauberstab aus meiner Tasche genommen?«, hakte er verzweifelt nach, die Rufe Slytherins übertönend, da er seinen Zauberstab seit gestern Abend nicht mehr gebraucht hatte, worauf die anderen nur verwirrt die Köpfe schüttelten. »Na toll, dann ist der jetzt auch hinüber«, stellte Sirius bitter fest.

In dem Moment trat Brewpot aus den Kerkern in die Eingangshalle. Sein Blick schweifte bedrohlich von Sirius zu der fehlenden Großen Halle. »Sofort zurück in die Gemeinschaftsräume – und zwar alle«, befahl der Zaubertränkemeister böse, wobei er die vier Jungs, die am nächsten bei der Großen Halle standen mit einem langen, harten Blick bedachte.

Seltsamerweise reagierten die Schüler sofort auf sein Kommando und eilten in die unterschiedlichsten Richtungen davon.

Auch Sirius, James, Remus und Peter begaben sich in den Ravenclaw-Turm, wo sie eine geschlagene Stunde lang wie die Heringe in den Gemeinschaftsraum eingequetscht warteten, ehe endlich Dumbledores magisch verstärkte Stimme durch die Korridore flutete:

»Liebe Schüler und Kollegen, wir müssen Sie leider in Anbetracht der Lage bitten, Ihre Sachen bis Montagmorgen abfahrbereit gepackt zu haben, da wir es uns unter gegebenen Umständen nicht weiter leisten können, die Schule offen zu halten. Der Hogwarts-Express wird Montag um acht Uhr Hogsmeade verlassen. Die Prüfungsergebnisse werden Ihnen im Verlaufe der nächsten Wochen zugeschickt werden. Vielen Dank.«

Auf diese Worte hin folgte bedrücktes Schweigen, das für Sirius nur durch die Stimme unterbrochen wurde, die ihn den ganzen Tag nicht mehr losließ und stets im Hintergrund – wenn auch im Flüsterton – auf ihn einredete.

Niemand schien so richtig zu verstehen, was Dumbledore da eben gesagt hatte. Normalerweise hätten sie noch eine Woche länger gehabt und hätten sich somit noch in aller Ruhe von jedem verabschieden können. – Das sollte jetzt innerhalb von zwei Tagen geschehen! Nach einigen Sekunden dieser ungläubigen Stille brach das völlige Chaos los. Mancheiner stürmte aus dem Gemeinschaftsraum, um noch ein letztes Mal all seine Freunde und Bekannten zu sehen.

Nur wenige blieben zurück, unter ihnen Sirius, James, Remus und Peter.

Schwermütig saßen sie sich gegenüber, ohne dass einer von ihnen etwas über die Lippen brachte.

Schließlich riss sich Remus als erster wieder zusammen: »Kommt schon, uns war doch allen klar, dass das irgendwann soweit kommen musste. – Ich wollte nur, dass ihr wisst, dass ich noch nie in meinem Leben so gute Freunde hatte wie euch, Jungs. Ehrlich.«

»Wir sehen uns doch wieder, oder? Wir lassen unsere Freundschaft nicht einfach im Sand verlaufen, ja?«, bat Peter traurig.

»'türlich nicht«, murmelte Sirius, in seine eigenen schweren Gedanken versunken.

»Also, Jungs… dann sollten wir mal Koffer packen gehen, oder?«, zog Remus den Schlussstrich.

»Was für Koffer?«, hakte James patzig, ebenfalls in trübsinnigem Ton nach.

»Und was sollten wir bitte reinpacken, wenn wir noch welche hätten?«, setzte Sirius trocken dazu.

»Dann… äh… vielleicht solltet ihr mal eure Vögel holen… Peter und ich suchen in der Zwischenzeit Charles…«, schlug Remus schüchtern vor.

Sirius und James nickten sich zu und verließen zusammen den Gemeinschaftsraum, um in den Wahrsageturm zu gehen.

Kaum waren sie allein auf den Gängen, musste James sich eine Fluchtirade von Sirius anhören, der nun endgültig die Fassung verlor.

In ihm tobte ein Orkan aus Enttäuschung, Hass und Wut auf Salazar Slytherin, den er im Endeffekt jetzt doch für alles verantwortlich machte. Diese Slytherins konnten einem aber auch alles vermiesen! Da hatte er das schönste Jahr seines Lebens, schon kam so ein dämlicher Slytherin daher und sorgte nachhaltig dafür, dass es das einzige blieb! Verdammt, wenn es nach seinen bekloppten Eltern ging, dann würde er James wahrscheinlich nie wieder sehen, ganz zu schweigen von Remus, der ja nicht nur ein Gryffindor, sondern auch noch arm war.

Sie passierten inzwischen ihren Spiegel im vierten Korridor, der nach Hogsmeade führte – eine der letzten Einrichtungen, die noch nicht spurlos verschwunden war.

Tief seufzend trat James an ihn heran und klappte ihn ein letztes Mal auf, um einen Fuß hineinzusetzen. Auch Sirius gesellte sich zu ihm, von den Erinnerungen an diesen Tunnel überwältigt und besänftigt.

Er hatte die eine Nacht nicht vergessen, in der er hier als einzige Fluchtmöglichkeit übernachtet hatte, um James und ihrem großen Streit zu entgehen. Oder wie sie zusammen hier gewartet hatten, dass Dumbledore und Piler ihr Gespräch endlich beendeten… So viele schöne und prägende Erinnerungen hingen an diesem Ort, so viele gemeinsame Erlebnisse… Sirius wurde schwer ums Herz, als er daran dachte, ihren Geheimgang hinter dem Spiegel nie wieder zu benutzen.

»Lass uns gehen«, krächzte James heiser, dem es genauso gehen musste.

»Können wir nicht noch ein bisschen so durch die Gänge gehen…«, bat Sirius, der den Gedanken nicht ertrug, jetzt mit Oxbow in den überfüllten Gemeinschaftsraum zurückzukehren und auf das Ende von Hogwarts und den Hogwarts-Express warten zu müssen.

James nickte schweigend und sie trotteten weiter durch die Korridore, ohne ein Ziel vor Augen zu haben, jeder in seine Gedanken versunken. Sie staunten nicht schlecht, als sie plötzlich vor den Kerkern standen, da sie dort eigentlich gar nicht hatten hingehen wollen.

»Komm zu mir… Komm nach Slytherin…«, säuselte da wieder Salazar Slytherins Stimme in Sirius' Ohr, diesmal allerdings lauter, energischer, fast in einem befehlenden Ton.

James neben ihm blieb stocksteif stehen. »Hast du das auch gehört! Was war das! WER war das?«, hakte er panisch nach, wobei er herumfuhr, um in allen Richtungen nach der Person Ausschau zu halten, die gesprochen hatte.

Sirius war erstaunt, dass selbst James die Stimme hören konnte; die Kraft musste einfach zu stark sein! Sirius hörte Salazar deutlicher denn je… »Salazar Slytherin. Er ruft mich. Er will noch immer nicht aufgeben! Nicht mal, wenn er weiß, dass er Hogwarts zugrunde gerichtet hat!« Sirius steigerte sich in seine Wut auf den ausgestoßenen Gründer Hogwarts'.

KOMM ZU MIR!

»Das gefällt mir nicht… das gefällt mir ganz und gar nicht«, murmelte James, noch immer um sich spähend. Seine Hand hatte er in seiner Umhangtasche vergraben – wo er seinen Zauberstab vermutlich in Alarmbereitschaft umklammert hielt.

»Jetzt weißt du mal, was ich mir schon fast ein ganzes Jahr lang anhören muss«, klärte Sirius seinen Freund auf, der seinen Zorn nicht länger bändigen konnte.

James packte ihn am Arm, als er weitergehen wollte: »Nicht! Wir müssen hier weg!«

»Nein!« Sirius befreite sich von ihm. »Ich mach dem jetzt ein Ende!« Damit folgte er dem immer lauter werdenden, lockenden Ruf. Zu seiner Überraschung bemerkte er nach einer Weile James neben sich.

»Du musst das hier nicht tun«, machte Sirius ihm schlicht klar. Dennoch blickte er seinen besten Freund dankbar an, als dieser trotzdem wie selbstverständlich weiterhin neben ihm herlief.

Kurz bevor Sirius die Tür aufstieß, durch die er noch nie zuvor getreten war und aus der grünes Licht flimmerte, nickten sie sich ein letztes Mal freundschaftlich zu, da sie nicht wussten, was sie hinter der knarrend aufgehenden Tür erwarten würde…

tbc...