Kapitel 8:
Gleich nach der Station Edgware Road fuhr der Zug durch einen Tunnel. Die Passagiere wurden durchgeschüttelt wie in jeder normalen U-Bahn, als der Zug die Schienen entlang fuhr. Eliza Martins zog auf ihrem gerade ergatterten Sitz eine Zeitung aus der Tasche und schlug die erste Seite auf. Gerade als sie sich in den Leitartikel vertiefen wollte, hörte sie einen lauten Knall.
Erschrocken, aber gelassen, wie man es in ihrem Beruf sein musste, blickte sie aus dem Fenster in den nur spärlich beleuteten Tunnel. Mit Schrecken stellte sie fest, dass der Zug abseits der Gleise fuhr und geräuschvoll den Tunnel hinunterratterte. Die Menschen schrien durcheinander, Kinder weinten und klammerten sich an ihren Müttern fest, ein alter Mann war durch die Erschütterung gegen eine Wand geworfen worden und sank auf die Knie. Blut sickerte aus einer Wunde. Geistesgegenwärtig stand Eliza auf und kniete sich neben den verletzten Mann. Sie achtete peinlich genau darauf, dass niemand sah, wie sie ihren Zauberstab aus der Tasche zog und ihn heilte. Der Zug blieb nicht stehen, einen entgleisten Zug konnte man nicht bremsen, er rollte nur weiter, ohne dass irgendjemand etwas hätte dagegen tun können. Auch Eliza nicht. Sie war doch nicht in Katastrophenschutz ausgebildet.
Überhaupt war es doch nur Zufall, dass sie Muggelfahrzeuge benutzen musste, denn die Ärzte in St. Mungos hatten ihr geraten, mit dem apparieren noch zu warten nach ihrem kleinen Unfall. Ach hätte sie nur nicht darauf gehört. Bei einem weiteren Knall, wurden die verzweifelten Rufe lauter. Langsam kroch auch in ihr Angst hoch und sie wünschte sich, heute morgen nicht mit ihrem Mann gestritten zu haben. Plötzlich explodierte etwas genau neben einem der Fenster. Scherben flogen durch die Gegend , einige Menschen, die der Explosion am nächsten waren, wurden umgeworfen und rissen wieder andere mit sich. Es war schließlich eine der Hauptverkehrszeiten in London und die U-Bahnen waren wie immer überfüllt. Fast jeder hatte die eine oder andere Glasscherbe abbekommen und nach dem ersten Schock, nachdem sich Eliza mühselig aufgestanden war, bemerkte sie einen stechenden Schmerz auf ihrer Wange und auf ihrer Hand war Blut, als sie danach tastete. Eine Serie von Explosionen folgte, als ob ein U-Bahn-Elektromotor nach dem anderen detoniert wäre. Mittlerweile waren beinahe alle Fenster zersplittert und die in Panik geratenen Menschen drängten sich an die neu geschaffenen Fluchtwege, denn der Zug wurde immer langsamer.
Als der Zug stehen blieb, schrien die Leute, jedoch vor allem aus Panik, da sich der Waggon schnell mit Rauch füllte und der Geruch von brennenden Motoren ein klares Zeichen für Feuer bedeutete. Bereits nach nur fünf Sekunden konnten die Menschen nichts mehr sehen und fielen alle zu Boden, um noch die verbliebene kostbare Luft zu atmen. Auch Eliza warf sich wieder zu Boden, doch der Rauch kratzte im Hals und in den Augen, sie bekam einen Hustenanfall. Ein Mann schrie, er habe Asthma, er bekäme keine Luft mehr, doch er war zu weit weg, als das Eliza hätte zu ihm gelangen können. Nach ein paar Atemzügen, in denen Eliza versuchte, sich ein wenig zu beruhigen und einen klaren Kopf zu bekommen, was allerdings nicht einfach war, angesichts der ständigen verzweifelten Schreie, die sie bis ins Innerste erschütterten. Langsam kehrte ihr klarer Verstand wieder zurück, von wo kam der Rauch hier drinnen und was war eigentlich passiert. Draußen im Tunnel musste es brennen, doch es mischte sich auch der Geruch von brennenden Motoren in die Luft. Sie war eine Hexe, sie musste doch etwas tun können, wenigstens die Flammen löschen, so dass die Passagiere aus dem Tunnel gerettet werden konnten.
Also stand sie kurz entschlossen auf, unterdrückte einen erneuten Hustenanfall und bahnte sich trotz tränender Augen einen Weg zum nächstgelegenen Fenster. Niemand achtete besonders auf sie, denn schon mehrere Leute versuchten durch eines der Fenster nach draußen zu entkommen. Schnell murmelte Eliza einen Spruch, der sie gegen die Flammen und die Hitze schützen sollte. Im Tunnel zeigte sich ein flammendes Inferno, noch immer wurde der Boden von kleineren Explosionen erschüttert und die Druckwelle riss Eliza von den Beinen.
„Scheiße, was ist denn das? So viele Motoren hat doch keine U-Bahn!" fluchte sie laut und vergaß ihre kühle Zurückhaltung. Sie rappelte sich wieder hoch und löschte die Flammen um die herum. Dann rannte sie weiter in die Richtung aus der die Erschütterungen kamen. Hier im Tunnel hallten die verzweifelten Schreie noch schrecklicher nach, als vorher. Und sie taten Eliza in der Seele weh. Sie war schon fast am Ende des Zuges angelangt, als sie die eigentliche Quelle der Explosionen entdeckte. Es war kein Unfall gewesen. Todesser. Das war doch unmöglich, seit wann giffen sie Muggel an? Einfach so. Es war doch wirklich nur Zufall, wenn muggelgeborene Zauberer oder überhaupt Zauberer an Bord waren...
„Hey, was macht denn die da?"
Eliza hatte keine Chance sich zu verstecken, sie war ihnen schutzlos ausgeliefert. Sie wusste, sie würde sterben, als ein grüner Blitz sie von den Füßen in ein schwarzes Loch riss...
„Draco? Ron?" Harrys Stimme war gerade noch ein Hauch und er selbst hatte das Gefühl, dass er sich inmitten eines dichten Nebelfeldes befand. Eine Hand ergriff seine und drückte sie leicht. Er spürt warme Lippen auf den seinen.
„Wir sind bei dir, Harry. Hab keine Angst."
Langsam, ganz langsam lichtete sich der Nebel um ihn herum und er blickte in die blauen Augen von Ron. Dicht neben ihm stand Draco. Beide blickten ihn mit erleichterter Miene an.Er konnte sich nur noch an eine scheinbar endlose Dunkelheit erinnern, in der er verzweifelt nach ihnen gerufen hatte, aber er hatte nie eine Antwort bekommen. Irgendwie war ihm klar, dass er in einer Welt jenseits von Leben und Tod gewandelt war und er wusste sicher, dass er niemals mehr dorthin zurückkehren wollte. Er gehörte doch hierher. Zu den beiden Menschen, die er am meisten liebte auf der Welt. Er lächelte leicht, doch selbst die Bewegung seiner Gesichtsmuskeln zu kontrollieren, kostete ihn Kraft.
Aber er war sich eigentlich ganz sicher, dass seine beiden Freunde ihm wieder auf die Beine helfen würden.
Ron und Draco waren, seit Harry bewusstlos zu Boden gesunken war, nicht von seiner Seite gewichen. Noch immer sahen sie den geschundenen Körper vor sich, der nichts tat, außer vor Schmerz zu zucken. Das war mittlerweile zwei Wochen her. Sie hatten alles, in ihren Kräften stehende, getan, um Harrys Schmerz auch nur ein wenig zu lindern. Bis jetzt hatte der Schwarzhaarige nicht darauf reagiert und umso froher waren die beiden, dass er anscheinend von alleine aufgewacht war.
Doch nicht nur Harry war zu pflegen, sondern auch Draco. Ron hatte tagelang immer wieder auf ihn eigeredet, dass er nicht schuld daran war. Dass Lucius Harry auch gequält hätte, wenn Draco nicht da gewesen wäre. Es ihn einige Nerven und viel Geduld gekostet, den Blonden von seiner Unschuld zu überzeugen, doch letztendlich war es ihm wenigstens einigermaßen geglückt.
Sie befanden sich noch immer in ihrer Wohnung im Luftschloss, nur dass Lucius ihnen die Zauberstäbe abgenommen und einige seiner Untergebenen als Wachposten abgestellt hatte. Seit diesem Tag, hatten sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Nicht, dass das besonders schlimm gewesen wäre, aber trotz allem war es beunruhigend, nicht zu wissen, was eigentlich draußen los war. Herrschte schon wieder Krieg, oder war Lucius gerade erst dabei, seine Anhänger zusammen zu rufen?
Harry versuchte sich langsam aufzusetzen, doch es gelang ihm nicht aufs erste Mal. Ron stützte ihn schließlich, so dass er sich an ein Kissen lehnen konnte. Draco hatte währenddessen eine Suppe für Harry vorbereitet, denn er hatte in den zwei Wochen seines Komas merklich an Gewicht verloren. Der Schwarzhaarige war so schwach, dass er nicht einmal den Löffel halten konnte, also wurde er von den anderen gefüttert. Ron und Draco gaben nicht eher Ruhe, bis Harry die Suppe ganz aufgegessen hatte. Erschöpft lehnte sich Harry gegen die Kissen, die ihn stützten.
„Wusste gar nicht, dass essen so anstrengend sein kann..." sagte er leise und lächelte sogar ein bißchen.
„Du wirst sicher bald wieder auf die Beine kommen..." erwiderte der Rothaarige. „..und dann..." Er stockte. Eigentlich hatte er sagen wollen „und dann wird alles gut", aber das ging nicht. Nichts würde gut werden, gar nichts. Sie waren Gefangene von Lucius und daran würde sich so bald nichts ändern. Er hatte jederzeit die Macht, sie alle zu töten und sie konnten absolut nichts dagegen tun.
Draco legte Ron mitfühlend die Hand auf die Schulter. „Das wird schon wieder. Jetzt wo Harry wach ist, wird uns sicher etwas einfallen..." Wie oft hatten die beiden sich die letzten Tage immer wieder gegenseitig aufbauen müssen, sich gegenseitig Hoffnung machen, in dieser auswegslosen Situation. Sie wussten, dass sie stark sein mussten. Stark für Harry. Stark für ihren gemeinsamen Traum. Sie durften einfach nicht aufgeben.
„Aber wie sollen wir hier rauskommen, wenn niemand weiß, wo wir sind? Wir selbst können uns nicht befreien, den wir haben weder Zauberstäbe noch sonst irgendwelche Waffen..." meinte Ron resigniert und blickte aus dem Fenster in die grauen Wolken. „...wir müssten irgendjemandem mitteilen, wo wir sind und wie man hierherkommt..." überlegte er laut. Er seufzte. „Aber wie?"
„Ronald Weasley, darf ich dich dran erinnern, dass du ein Auror bist?" Harrys Stimme, war immer noch ein Flüstern.
„Ja und?"
„Weasley, Weasley...begreifst du denn nicht, was Harry meint?" Dracos Miene hatte sich schlagartig aufgehellt.
„Nein...worum geht es denn?" Der Rothaarige blickte verwirrt zwischen den beiden hin und her.
„Hast du schon mal etwas von Okklumentik gehört, Ron?" Der Schwarzhaarige lächelte ihn an. „Wir müssen einfach nur einem Mitglied des Phönixorderns die Informationen im Traum senden..."
„Du vergisst, dass alle Mitglieder ihre Gedanken nachts abschirmen und auch sonst. Und gerade, wenn schon ein Anschlag passiert ist, werden sie doppelt vorsichtig sein..." erklärte Ron. „Mal von dem abgesehen, dass ich in Okklumentik eine totale Niete war..."
Harry überlegte kurz und nickte. „Das hatte ich vergessen. Aber die Informationen an einen anderen zu schicken ist zu gefährlich...Es müsste jemand sein, der dem Orden sehr nahe steht oder auf den Niemand tippen würde..."
„Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert...so machtbesessen, wie Vater jetzt ist, denkt er sicher nicht an die erforderlichen Bannzauber...außerdem ist er auf diesem Gebiet nicht unbedingt eine Spitzenkraft..." warf Draco ein.
Rons Miene hellte sich auf. „Leute, ich glaube, ich weiß, wer in Frage kommt!"
Hermine seufzte besorgt, als sie das Tablett mit der Teekanne und den Tassen mit einem Wink ihres Zauberstabs auf dem Tisch im Wohnzimmer der Weasleys absetzte. Sie ließ sich neben Charlie auf dem Sofa nieder und blickte in die Runde.
„Danke Kind." sagte Molly Weasley und lächelte ihr zu. Sie waren alle versammelt. Die ganze Familie hatte sich im Fuchsbau eingefunden. Alle außer Ron und Harry, der für sie fast wie ein zusätzlicher Sohn geworden war. Sie hatten sich nicht nur hier zusammen gefunden, weil sie den Rest des Phönixordens darstellten, sondern auch, weil man das Gefühl hatte, dass man in der Familie einfach den Trost finden konnte, der wegen den Anschlägen nirgens sonst mehr gefunden werden konnte.
„Ich kann mir einfach nicht erklären, wo sie sind..." sagte Mr. Weasley und die Tasse in seiner Hand zitterte so sehr, dass er beinahe alles auf den Boden schüttete. Als Zaubereiminister hatte er natürlich eine unglaubliche Verantwortung zu tragen. Und die Anschläge, die jetzt beinahe täglich aufeinander folgten, machten der Zauberergemeinschaft verständlicherweise Angst und die Ohnmacht, mit der das Zaubereiministerium den Angriffen gegenüberstand, ließ ärgerliche Stimmen immer lauter werden.
„Sie wären auf jeden Fall hier, wenn sie es sein könnten." meinte Ginny überzeugt. „Harry und Ron verstecken sich nicht einfach so. Da muss etwas passiert sein."
„Der Meinung bin ich auch." erklärte Bill. „Schließlich kennen wir die beiden alle schon lange genug."
„Aber wo sollen wir anfangen zu suchen? Ich meine, sie könnten überall sein...oder vielleicht sind sich auch schon..." Neville sprach nicht weiter.
„Daran wage ich gar nicht zu denken..." Molly hatte Tränen in den Augen.
„Ach Mum, Harry lässt sich nicht so einfach umbringen..." sagte George.
„Genau und Ron ist viel zu zäh, als dass ihn sowas umhauen würde..." fügte Fred hinzu.
Die Familie verfiel wieder in Schweigen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Vielleicht stimmte es ja und beide waren schon längst ermordet worden. Wer konnte das schon wissen? Und wenn sie irgendwo festgehalten wurden, wo sollte man anfangen zu suchen? Die Lage war mehr als nur schwierig.
„Mama?"
Alle blickten auf das kleine Mädchen, dass im Nachthemd vor ihnen stand. Die Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und Marie zitterte am ganzen Leib.
Ginny lief ihrer Tochter entgegen und nahm sie auf den Arm.
„Um Gottes Willen, was ist denn los, meine Süße?"
„Mama, ich hab von Onkel Ron geträumt und von Onkel Harry. Sie brauchen Hilfe."
Hab ich dafür ein Kommentar verdient? Würd mich wenigstens freuen...
