Virginias Wut
Prolog
Es ist der Sommer von 1997 und es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, dass sich mein gesamtes Leben um einhundertachtzig Grad gedreht hat.
Vor einem Jahr, als ich von meiner Familie mit einem gemeinsamen Urlaub in Nizza zwangsbeglückt wurde, habe ich in einem Anfall von blinder Rage den kindischen Entschluss gefasst, eine Todesserin zu werden. Kein halbes Jahr später trug ich bereits das Dunkle Mal und gelobte Lord Voldemort meine Treue. Verdammt, ich hätte niemals gedacht, dass es so einfach sein würde. Und genau das war es, im Nachhinein betrachtet – einfach. Es war so simpel, jedes Kleinkind wäre dazu in der Lage gewesen. Ich wollte dem Dunklen Lord dienen, weil ich hoffte, in ihm noch Schatten von Tom zu finden – Tom, meinem engsten und einzigen Freund, der von Harry Potter vernichtet worden war. Aber ich hatte mich geirrt. Tom, mein Freund, mein Seelenverwandter, Tom, der einzige, der mich kannte und verstand, war genauso tot wie Ginny Weasley. Sie starben gemeinsam in der Kammer des Schreckens.
Dennoch war ich nicht allein. Ich habe einen anderen Freund gefunden, in dem Menschen, von dem ich wohl am allerwenigsten jemals vermutet hätte, in ihm einen Verbündeten zu finden: Draco Malfoy. Bis heute ist er für mich ein Mysterium. Er ist kalt und gefühllos, kennt keinerlei Skrupel und zeigt niemals Anteilnahme. Er hat die geheimnisvollsten Augen, in die ich je gesehen habe. Er hat die schönsten Hände, die ich je berührte. Er hat das feinste Haar, durch das meine Hände je gefahren sind. Er ist der erfolgreichste Auftragsmörder, den ich je kannte.
Draco. Der Drache. Er war es, der mir das Tor zu Voldemort öffnete. Er war mein Lehrer, war mein Mentor. Jeden Fluch den ich kann, hat er mich gelehrt. Draco hat mir aber auch meine Unschuld genommen. Er hat mir die Angst davor genommen, zu töten. Er hat mir gezeigt, wie dumm und sinnlos Skrupel sind. Er hat mir erklärt, wie wichtig es ist, Kontrolle zu haben über sich selbst und seine Umwelt. Dank ihm habe ich überlebt. Dank ihm habe ich die Prüfungen, die Lord Voldemort mir auferlegt hat, überstanden. Ohne ihn hätte ich das Dunkle Mal niemals erhalten. Der Drache ist etwas Besonderes, das weiß ich jetzt. Anfangs hielt ich ihn für einen wahnsinnigen Schlächter, aber heute habe ich erkannt, was er wirklich ist: ein Künstler. Es wäre eine Lüge zu behaupten, unter seiner harten Schale stecke ein weicher Kern. Nichts gibt es, dass er so sehr hasst wie Schwäche. Jahrelang hat er sich selbst gequält um diese menschliche Schwäche, die in jedem von uns vorhanden ist, zu töten. Und er hat auch mir beigebracht, diese Schwäche zu vernichten. Er wird für mich immer ein Vorbild sein. An seinen Händen klebt so viel Blut wie an denen eines durchschnittlichen Massenmörders. Aber das ist ihm egal. Er hat kein schlechtes Gewissen, hat keine Alpträume, wird nicht wahnsinnig. Er hat es geschafft, über solchen Gefühlen zu stehen, besitzt eine wahrhafte, einmalige Stärke.
Ich erkannte, dass der Dunkle Lord mich betrogen hatte, dass Tom vernichtet war, als er mich von Draco trennte. Draco war mein Partner, wir ergänzten uns absolut, zusammen waren wir die Perfektion. Es gab nichts, dass wir nicht schaffen konnten. Aber Voldemort ertrug es nicht, dass wir so stark waren. Er fühlte sich gedemütigt, weil er niemals einen Makel fand an dem, was Draco oder ich taten. Und so trennte er uns, schickte mich zu seinem Metzger, Walden. Walden war ein Schwächling, ein schlechter Magier. Aber er war ein kräftiger Mann, mir an Körperkraft weit überlegen. Und so gelang es ihm, sich mir aufzuzwingen. Aber Draco ließ nicht zu, dass wir getrennt wurden. Immerhin waren wir ein Team. Er tötete Walden. Und dann haben wir gemeinsam den Dunklen Lord verlassen.
Monatelang war unser Leben eine einzige Flucht. Wir wurden verfolgt von den Todessern, die unseren Verrat bestrafen wollten, Draco wurde außerdem noch von den Auroren gejagt, die dachten, er wäre ein verwirrtes, von seinem Vater zu etwas gezwungenes Kind, dass es zu retten galt. Und ich wurde, obwohl Harry Potter es besser wusste, für tot erklärt. Draco hat seinem Vater etwas Geld gestohlen, dennoch hatten wir kaum einen Moment der Ruhe. Die Jagd war unerbittlich. Ich verlor beinahe meinen Arm.
Dann, vor etwa sechs Monaten, gelang es uns, uns abzusetzen, das Land zu verlassen. Draco hatte Recht behalten – für Leute wie uns gab es immer einen Platz. Wir fanden schnell einen Auftraggeber, einen rachsüchtigen alten italienischen Zauberer, der uns gut dafür bezahlte, dass wir nach und nach alle seine Feinde auslöschten.
Dann, vor etwa zwei Monaten, geschah etwas Unerwartetes: Lord Voldemort wurde vernichtet. Nun, eigentlich war es gar nicht so unerwartet, alle wussten, dass Harry Potter früher oder später siegen würde, aber wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so bald geschehen würde. Da wusste ich, dass es an der Zeit war, zurückzukehren. Ich erinnerte Draco an das versprechen, dass er mir gegeben hatte: dass wir und gemeinsam an meiner Familie rächen würden, die mich all die Jahre ignoriert hatte, und dass wir uns an Harry Potter rächen würden, der Tom vernichtet hatte.
Und nun sind wir wieder hier, in England, in einem kleinen, schäbigen Appartement in der Nocturn Alley, unbemerkt und uns ruhig verhaltend. Die Auroren haben die Suche nach Draco aufgegeben, und die Todesser waren nun keine Gefahr mehr.
Mein Name ist Virginia. Ich bin siebzehn Jahre alt. Einst war ich eine Weasley. Einst war ich ein Kind. Einst war ich einsam. Einst schwor ich dem Dunklen Lord die Treue. Heute bin ich eine Mörderin. Heute bin ich eine Frau. Heute bin ich nicht mehr alleine. Heute diene ich nur mir selbst. Früher war ich blind vor Wut und wollte meine Rache um jeden Preis. Heute weiß ich, was diese Rache kostet und bin in der Lage, meine Wut zu lenken, sie einzusetzen, um diese Rache zu bekommen. Schnell, effektiv und ohne Gnade. Lange habe ich auf meine Chance gewartet, mich zu rächen. Jetzt endlich ist der Tag da, meine Rache zu üben.
Und sie wird furchtbar sein.
Review Pleez!
