Akt 1
Szene I
DER AZUBI, MUTTER, VATER
Eine nichts sagende Vorstadt, irgendwo im Süden Frankreichs. Es ist April, das Wetter unbeständig. Momentan scheint die Sonne, es könnte aber auch jeden Moment zu regnen beginnen. Vor der Garagenausfahrt eines Einfamilienhauses aus den 70'er Jahren stehen DER AZUBI und seine MUTTER. Das Garagentor ist zu, man hört ab und zu Geräusche aus dem Inneren, unterdrücktes Fluchen, Schmirgeln, vor allem metallisch klingendes Klopfen. DER AZUBI ist reisefertig angezogen, nicht sehr modische Kleidung, abgetragene, verwaschene Jeansjacke, einen alten, grauen Eastpack samt bunter Buttons („I'm a Star", „Boss", „Peace", etc.) an einem Riemen über der Schulter. Die MUTTER wie eine typische Hausfrau gekleidet, Rock, Schürze, Birkenstocksandalen.
DER AZUBI: (ungeduldiger Blick zum Garagentor) Wird Vater noch lange brauchen? Ich muss in spätestens zehn Minuten los, sonst verpasse ich den Zug.
MUTTER: (winkt ab) Ach, du weißt doch, wie er ist. Wenn er einmal mit dem Basteln anfängt, dann kann das den ganzen Tag so gehen, ohne, dass er sich von irgendetwas stören ließe.
DER AZUBI: Ja, aber man sollte meinen, wenn sein einziger Sohn vorhat eine ganze Weile von zu Hause fort zu sein um sein Glück zu suchen, käme er wenigstens heraus um ‚Wiedersehen' zu sagen.
MUTTER: Apropos: Hast du auch alles eingepackt und nichts vergessen? Unterwäsche zum Wechseln, Zahnbürste, Kamm, Ausweis, Geld, Bewerbungsmappe?
DER AZUBI:(genervt) Ja, Mama. Wie oft willst du noch fragen?
MUTTER: Einer besorgten Mutter steht es wohl zu, sich über die Reisevorbereitungen ihres einzigen, gerade erst 18 Jahre alt gewordenen Sohnes zu erkundigen. Solange bis ihm auffällt, was er vergessen hat.
DER AZUBI: Vergessen? (Er kramt in seinen Taschen, öffnet jeden Reißverschluss am Eastpack, durchwühlt ihn und ist am Ende überzeugt, nichts vergessen zu haben.) Nein, ich habe alles.
MUTTER: (holt aus der Bauchtasche ihrer Schürze eine Creme-Tube hervor) So, so, du hast alles. Aber das Wichtigste, die Bepanthen Wund- und Heilsalbe, die hast du vergessen!
DER AZUBI: Ach, Mama...
MUTTER: Nein, ich will nichts hören! Du willst dich für einen gefährlichen Beruf bewerben, bitteschön! Aber du schürfst dir immer so leicht die Knie auf! Du solltest dir nicht absichtlich die Gesundheit ruinieren. Nimm die Salbe mit, mir zuliebe.
DER AZUBI: (nimmt seufzend die Creme-Tube und lässt sie im Rucksack verschwinden)
MUTTER: Und putz dir noch einmal die Nase! Schlimm, wie du wieder herumläufst... (in mütterlicher Liebe zupft sie ihrem Sohn die Kleidung zurecht und tut das, was Mütter gerne tun, aber auf keinen Fall tun sollten: Sie befeuchtet mit Spucke ihren Daumen und wischt einen imaginären Schmutzfleck von der Wange ihres Sohnes, der sich verzweifelt zu wehren versucht und die Prozedur am Ende doch nur über sich ergehen lassen kann. Mütter eben...) So, jetzt kannst du dich beim Security Director und vorm Generaldirektorpräsidenten sehen lassen. Herausgeputzt und auf alles vorbereitet.
(In diesem Moment hört man aus der Garage den VATER rufen: Endlich! Läuft doch! und das Tor geht auf. Sich zufrieden die Hände an einem alten Geschirrtuch abwischend, tritt der VATER heraus, stolz lächelnd. Er klopft seinem Sohn auf die Schulter)
VATER: Was sagst du?
DER AZUBI: Was sage ich wozu?
VATER: Der Rasenmäher funktioniert wieder. Es war die Nockenwinde. Verdammtes Ding, musste es komplett auseinander nehmen. Jetzt hör nur, wie er wieder schnurrt. (Tatsächlich brummt etwas gleichmäßig im Hintergrund.)
DER AZUBI: Papa...
VATER: Der macht so schnell keine Zicken mehr. Wenn ich daran denke- was?
DER AZUBI: Papa, ich muss! Der Zug kommt in drei Minuten!
VATER: (lacht) Zug? Ha, Zug! Mein Sohn fährt doch nicht wieder jeder Dahergelaufene mit dem Zug nach Paris. Nein, ich habe etwas viel Besseres für dich. Sozusagen als Geschenk und Glücksbringer. (zwinkert der Mutter zu, die nur gespielt genervt den Kopf schüttelt und ins Haus geht, um ihre Männer für einen Moment allein zu lassen.)
DER AZUBI: (strahlt) Ein Geschenk? Für mich? Etwa die niegelnagelneue TT600! Mit Vierzylinder? Alufelgen? 1200 Kubik?
VATER: Etwas viel Besseres als das. (Geht in die Garage und rollt feierlich etwas daraus hervor auf die Einfahrt, was mit einem grauen Tuch verdeckt ist aber die Umrisse eines Motorrades erahnen lässt. Wartet einen Augenblick, um die Spannung zu erhöhen. Dann zieht er das Tuch weg.)
DER AZUBI: (wenig begeistert) Moppi?
(Unter dem Tuch ist ein altes, rostiges Moped zu Tage gekommen, etwa 20 Jahre alt. Wo kein Rost ist, blättert langsam die orange-gelbe Farbe vom Kühler. Die Reifen haben kaum Profil, dafür viele Fransen. Die Außenspiegel glänzen, im Gegensatz zum alten Ledersattel. Einige der Schrauben wurden gegen neue eingetauscht. Das Moped ist ohne Zweifel fahrtüchtig, aber eine Beleidigung für jeden Easy Raider.)
DER AZUBI: (fasst sich wieder) Du schenkst mir Moppi? Dafür lohnt es sich natürlich, den Zug zu verpassen. Der gute, alte, rüstige, alte, betagte Moppi...
VATER: (streichelt in liebevoller Erinnerung an Damals über die Lenkstange) Ja, ja, das waren noch Zeiten. Moppi und ich und die Landstraße. Versprich mir, ihn gut zu behandeln und nicht an irgendeinen schmierigen Schrotthändler zu verscherbeln!
DER AZUBI: (zögert, sieht seinen stolzen, glücklichen Vater an und zwingt sich zu einem Lächeln) Moppi wird bekommen, was er verdient.
VATER: Ah ja, und dies gehört auch noch dazu. (Holt einen melonenförmigen, alten, mit Rennstreifen versehenen Helm hervor und überreicht ihn feierlich seinem Sohn)
DER AZUBI: Und dein Helm! Vater, das kann ich nicht annehmen...
VATER: Doch, doch, nimm ihn ruhig. Er gehört jetzt dir. Er hat mir bei vielen Straßenprügeleien gute Dienste geleistet. Das soll er nun auch dir. Nimm auch das alte Klappmesser. Es gehörte noch deinem Großvater. Hat er als Souvenier aus dem Krieg mitgebracht.
DER AZUBI: (hat Tränen der Rührung oder des Entsetzens in den Augen, nimmt die Geschenke, setzt sich den Helm auf, schiebt das Klappmesser in den Gürtel. Die Mutter kommt wieder aus dem Haus, ein Lunchpaket in Händen, das sie ebenfalls ihrem Sohn überreicht. Die Rührung ist allseits sehr groß, man umarmt sich zum Abschied. DER AZUBI setzt sich schließlich auf Moppi, rutscht etwas im Sattel und lässt nach drei gescheiterten Versuchen den Motor an. Moppi knattert hingebungsvoll und stößt eine blaue, stinkende Dunstwolke aus dem Auspuff aus, dann läuft er gleichmäßig und laut)
Nun... Dann also tschüß! Ich rufe an, wenn ich angekommen bin.
VATER: Warte, noch eine Sache, bevor du fährst: Du wirst dich bei der „Bourbon GmbH & Co.KG" beim Sicherheitsdienst bewerben. Denk immer daran, dass der Security Director dieser mächtigen Firma einmal genauso angefangen hat wie du und er wäre sicher nicht soweit gekommen, wenn er sich hätte einschüchtern lassen. Sollte dich also jemand beleidigen, so verprügel ihn!
(Er macht einen kleinen Schattenboxkampf gegen die Wand. Er war einmal ein guter Wachmann beim Sicherheitsdienst. Dann erinnert er sich wieder ans Jetzt und richtet sich eindringlich an seinen Sohn)
Die Bewerbungsmappe gibst du an den Security Director. Begegne nicht nur dem Generaldirektorpräsidenten, sondern auch dem Vize-Chef immer mit Respekt! Du darfst dich von niemandem sonst runtermachen lassen. Als Wachmann ist es deine Aufgabe, die Firma und ihren Vorstand zu beschützen. Dafür wirst du eingestellt. Mach dich jetzt auf den Weg und viel Erfolg! (nickt feierlich, kratzt sich dann am Kopf)
Handynummer hast du aufgeschrieben?
DER AZUBI: (in Gedanken schon längst unterwegs) Ja, Papa, alles klar! Ich komme am freien Wochenende runter, grüß die Nachbarn! Ciao!
(Er lässt den Motor aufheulen und will einen Kavaliersstart hinlegen, Moppi aber macht nur einen kleinen Satz nach vorne und tuckert dann gemächlich aus der Einfahrt. Zu allem Übel fängt es jetzt auch noch an zu regnen. Der Zug ist schon lange weg, über die Autobahn darf das Moped nicht fahren. DER AZUBI ist jedoch erwartungsfroh, setzt den Blinker und biegt aus der Vorstadt ab auf die Landstraße. Mit fast 40 km/h die Stunde rast der tapfere Recke seinem Schicksal entgegen...)
