Szene IV
DER AZUBI, PORTHOS, ARAMIS, ANDERE WACHLEUTE, DOGGE
Wir befinden uns in der erstaunlichsten Stadt des Universums. Nein, leider nicht in Berlin. Paris! Gerade fährt ein uns wohlbekannter junger Mann auf einem uns wohlbekannten Moped durch das Stadttor. Folgen wir seinem Weg durch die Innenstadt. Am Arc de triomphe fährt er einige extra Runden, weil er sich zu weit in den Kreisverkehr hineingewagt hat. Aber das gibt dem AZUBI Gelegenheit, sich gründlich noch ein wenig mehr zu ärgern, dass er mit einem Tag Verspätung die Stadt erreicht hat.
DER AZUBI:(schneidet eine sehr finstere Miene und flucht vor sich hin) Dieser verdammte...! Dieser gepinselte...! Dieser... Lackaffe! Hat meine Bewerbungsmappe geklaut! Samt Empfehlungsbrief an den Security Director! Wenn ich den Mistkerl erwische. Dann... Dann... Dann wird er sich wünschen, dass ich ihn nie erwischt hätte!
Mit einem brillanten – sagen wir besser: riskanten – Überholmanöver wechselt Moppi die Spur und bricht aus dem ewigen Kreis aus. Endlich kann der AZUBI seinen Weg durch die Stadt fortsetzen und gelangt seinem Ziel näher: Dem Firmengelände der „Bourbon GmbH & Co.KG"!
DER AZUBI: (schon etwas besser gelaunt) Ein Glück, dass ich Mamas Salbe dabei hatte. Dieser raffgierige Kioskbesitzer hätte mich sonst noch länger als nur einen Tag da behalten. Pah, aber da hat er sich geschnitten!
Viele Fehlzündungen später erreicht der AZUBI schließlich das große Einfahrtstor zum Firmengelände. Ein WACHMANN vom Sicherheitsdienst steht im Pförtnerhäuschen. Er wirkt wie eingeklemmt in dem kleinen Häuschen und als er nun hinaustritt, entfaltet er sich geradezu. Er ist ziemlich groß und den überwiegenden Teil seiner Masse machen Muskeln aus. Allerdings wirkt er dadurch auch etwas behäbig.
PORTHOS: Halt! Wohin wollen Sie?
DER AZUBI: (schmeißt sich stolz in die Brust) Zum Security Director. Ich werde erwartet.
PORTHOS: Name?
DER AZUBI: D'Azubi.
PORTHOS: (hebt eine Braue, greift nach dem Telefon. Einen Augenblick später legt er den Hörer wieder auf.) Sie dürfen passieren. Aber das – er deutet auf Moppi – bleibt besser draußen.
DER AZUBI: (knirscht mit den Zähnen, aber steigt ab und geht durch das Tor, das sich gerade elektrisch summend und geräuschvoll weit genug öffnet, um ihn passieren zu lassen.)
PORTHOS: Halt!
DER AZUBI: Was denn noch?
PORTHOS: Fahren Sie ihr... Personenbeförderungsmittel von dem Tor weg oder ich sehe mich gezwungen, es abschleppen zu lassen!
DER AZUBI: Auf wessen Kosten?
PORTHOS: Der Firma.
DER AZUBI: Ok. (Er will gehen, aber ein bedrohliches Knurren hinter ihm veranlasst ihn dazu, sich ganz langsam wieder umzudrehen. Eine riesige, wohlgenährte Dogge steht an der Seite des Wachmanns und hebt nur leicht die Lefzen. Hübsche, gelbe Zähne.)
PORTHOS: (Legt dem Hund beruhigend eine Hand auf den riesigen Schädel) Schon gut, Mouston. Ich bin sicher, der junge Mann hat es nicht so gemeint und er wird gleich brav sein Moped zu den Fahrradständern schieben.
DER AZUBI: (sein Mund bewegt sich und er hört sich selbst etwas sagen, das nur durch Wahnsinn geboren sein kann.) Machen Sie es doch selbst. Zündschlüssel steckt, aber verbrennen Sie sich nicht am Kühler. Dürfte bei Ihrer ausgeprägten Leibesfülle allerdings schwierig werden.
PORTHOS: (wird rot vor Zorn) So Bürschchen, das genügt. Zu schade, dass sie im Wachhaus schon wissen, dass du auf dem Weg zu ihnen bist. Dann werden wir das eben nach deinem Besuch beim Boss regeln! (Er schiebt mit dem Daumen ein bisschen seinen Mantel zur Seite, sodass der Blick auf ein Klappmesser unter seinem Gürtel fällt. Tief aus dem Innern der Dogge dringt ein Grollen.)
DER AZUBI: (ignoriert den Köter) Wann und wo?
PORTHOS: Morgen Mittag, beim „Karmeliter".
DER AZUBI: Wo soll das sein?
PORTHOS: Auch noch ein Auswärtiger! Das hätte ich gleich wissen müssen! Nimm die Metro, Bursche. Die „Karmeliter" ist der angesagteste Schuppen in der Stadt. Mittags ist dort nichts los. Ich rate dir, pünktlich zu sein.
DER AZUBI: Worauf du dich verlassen kannst, Alter! (dreht sich um und geht, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.)
Das Firmengelände ist riesig und der AZUBI bedauert es bald, Moppi nicht dabei zu haben und den ganzen Weg zu Fuß gehen zu müssen. Die Gebäude des Sicherheitsdienstes befinden sich ganz am anderen Ende des Geländes. Man ist hier fast schon in einer Stadt in der Stadt. Der Weg des AZUBIS führt an Bürogebäuden ebenso vorbei, wie an Lagerhallen, Kantinen, Fertigungsanlagen und was es sonst noch alles gibt. In der Mitte ragt der Hauptsitz der Firma auf, von den Mitarbeitern mehr oder weniger liebevoll „der Louvre" getauft. Hier sitzt der Vorstand und trifft alle Entscheidungen, hier laufen die Fäden zusammen, hier wohnt der Generaldirektorpräsident mit seiner Gattin.
Der AZUBI ist so überwältigt von den Ausmaßen der Firma, besonders von den hohen, qualmspuckenden Fabrikschlöten, dass er, ganz Hans-guck-in-die-Luft, fast gegen einen Laternenpfahl rennt. Gerade so eben holt er sich keine neue Beule am Kopf, dafür richtet sich seine Aufmerksamkeit beim Umsehen, ob niemand sein Beinahe-Missgeschick bemerkt hat, jetzt auf eine junge Dame, die gerade aus einem der Bürogebäude kommt und einen Stapel Akten trägt. Wie zufällig erfasst ein leichter Windstoß einen zuoberst liegenden Zettel, der unbemerkt von der Frau auf den Boden segelt.
Hilfsbereit, wie der AZUBI ist, läuft er, um den Zettel aufzuheben, bemerkt dabei nicht, wie ein junger WACHMANN namens ARAMIS ebenfalls in diese Richtung schlendert. Wie es so Mode ist, scheint er täglich unter dem Asytoaster zu liegen, nur so lässt sich im April sein überaus sonnengebräunter Teint erklären. Zusätzlich scheint er sich noch die Haare zu färben, dieses Wasserstoffblond ist nicht natürlich gewachsen. Und ist das da Wimperntusche! Viele Frauen würden das als attraktiv bezeichnen. Die übrigen stehen halt mehr auf den rustikalen Typ. ARAMIS dreht ganz schnell bei, als er den AZUBI sieht.
DER AZUBI: (liest den Zettel) „Ruf-mich-an! 01639 96 63 666!" Hä? Was soll das denn für eine Nummer sein? Klingt ja-
ARAMIS: Herr Gott, das ist meiner! (reißt dem AZUBI den Zettel aus der Hand und steckt ihn rasch in seine eigene Tasche)
DER AZUBI: He, sind Sie noch ganz koscher?
ANDERE WACHLEUTE: (haben im Hintergrund alles gesehen und ziehen jetzt ihren Kollegen auf) Ja, Aramis? Bist du noch ganz koscher? Wohl eher nicht.
ARAMIS: (erblasst) Das geht euch nun gar nichts an. Ich habe lediglich diesen Zettel an mich genommen, damit dieser vorlaute Kerl hier ihn nicht liest. Immerhin könnte es sich um Firmengeheimnisse handeln und ich sehe hier kein Ausweisschild am Hemd dieses jungen Herrn, das ihn als Mitarbeiter kennzeichnen würde.
ANDERE W.: (lachen) Dein Pflichtbewusstsein der Firma gegenüber ist wirklich bemerkenswert. Vielleicht sollten wir es dem Boss sagen, damit er dich befördert.
ARAMIS: Vielleicht sollte ich dem Boss sagen, dass ihr alle scherzt und schwatzt, statt zu arbeiten.
ANDERE W.: (grinsen immer noch breit) Schon gut, schon gut. Dann werden wir eben unseren Rundgang machen. Wir seh'n uns!
ARAMIS: (sieht seinen Kollegen nach, bis sie um eine Ecke verschwunden sind. Dann wirbelt er zu dem AZUBI herum, der sich gerade höflich und unauffällig entfernen wollte, nachdem er begriffen hat, in was für Peinlichkeiten er hier getapst ist.) Und wohin wollen wir so eilig?
DER AZUBI: Zum Wachhaus, habe einen Termin beim Security Director. (Räuspert sich) Ähm, das mit der Handynummer tut mir leid.
ARAMIS: Leid tut Ihnen das? Darf ich Ihnen sagen, dass Sie ein Volltrottel sind!
DER AZUBI: (jetzt selbst sauer) Ich habe mich entschuldigt, das ist schon mehr, als Sie verlangen könnten.
ARAMIS: Ihretwegen ist die junge Frau beinahe in große Schwierigkeiten geraten. Liest den Zettel laut vor! Wer hat denn so was schon einmal gehört!
DER AZUBI: Pah, es hätte keiner bemerkt, wenn Sie mir den Zettel nicht aus der Hand gerissen hätten! Aber es ist ja ohnehin Ihrer, also rufen sie die Dame nur an.
ARAMIS: Das ist nicht mein Zettel!
DER AZUBI: Dann haben Sie eben gelogen.
ARAMIS: Kerl, mir reicht's langsam mit dir!
DER AZUBI: Ok, dann zeig' doch mal, was du noch drauf hast, außer Handynummern zu sammeln. Jetzt und sofort!
ARAMIS: Klar, jetzt und sofort. Wenn alle zusehen können. Nichts da, bis Morgen Mittag wird das noch warten müssen. Wir treffen uns beim „Karmeliter". (Mustert kritisch sein Gegenüber von oben bis unten) Sie sind nicht von hier, nehmen Sie die Metro. Guten Tag!
DER AZUBI: (sieht verärgert dem Anderen nach, der auf dem Absatz kehrt macht und geht.) Herzlichen Dank. Na, der Kerl macht mir keine Sorgen. Sunnyboy! (Macht ebenfalls auf dem Absatz kehrt und folgt der Straße weiter zum Wachhaus.)
