3. Ein Missverständnis
Snape bemerkte erst jetzt wirklich, dass er an seinem Ziel angekommen war. Seine vernichtenden Blicke trafen die Bilder an der Wand. Er glaubte, ein unterdrücktes Glucksen hinter der Zeitung zu hören.
„Bananensplitt!" aus seinem Mund klang es wie eine Verwünschung, doch er wurde erhört und betrat kurz darauf den Flur zu Dumbledores Büro.
Nichts regte sich nach seinem kurzen, energischen Klopfen an die Tür. Snape trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen den Türrahmen. Der Hauself hatte doch eindeutig von dem heutigen Nachmittag gesprochen. Er wiederholte das Klopfen, von drinnen hörte er nun die durch die dicke Tür gedämpfte Stimme des Direktors. Unwillkürlich beugte sich Snape ein Stück nach vorn und lauschte. „Ich bin sicher, er wird sich damit abfinden – du meine Güte, es…" Snape konnte nicht verstehen, was als nächstes gesprochen wurde, Dumbledore schien zu flüstern. Zu wem nur? „Zudem handeln wir auf Wunsch, nicht wahr?" Ein fröhliches Lachen des Direktors war nun zu hören.
Gerade erhob Snape seine Hand, um ein drittes Mal an die Tür zu klopfen, als ihm endlich geöffnet wurde.
„Severus! Wie schön, dass du so schnell kommen konntest. Komm doch bitte herein." lächelnd trat Dumbledore beiseite, um ihn in das große Büro zu lassen. Snape nahm ein schelmisches Funkeln in den Augen des Direktors wahr. Aber wann war dieses Funkeln einmal nicht da gewesen? Er konnte sich nur an wenige Momente erinnern, in denen Ernst oder Trauer den steten Frohsinn Dumbledores getrübt hatten.
Er nickte kurz zum Gruß, „Direktor, …" Er nahm ein leises Geräusch wahr – das Rascheln eines Umhanges. „Professor McGonagall!" Das hätte er sich denken können. Die Anwesenheit der stellvertretenden Schulleiterin überraschte ihn nicht. Sie nickte ihm kurz zu und setzte sich zurück in den Sessel aus dem sie kurz zuvor aufgestanden war. Sie hielt einen Brief in den Händen, den sie nun unauffällig in ihren Umhang gleiten ließ.
Snape war die Bewegung jedoch nicht entgangen. Er blickte sie auffordernd an, Dumbledore bemerkte seine Ungeduld und räusperte sich: „Ich habe Dich hergebeten, um dir von einem Gast zu erzählen. „Ich – wir…" er sah kurz zu seiner Stellvertreterin, die seinen Blick mit fast erschrockener Miene erwiderte. Snape zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Über das wir schien hier keine Einigkeit zu herrschen. „… wollen -müssen dich bitten, dich über das Wochenende um ihn zu kümmern." vervollständigte Dumbledore seinen Satz.
Snape sah den Direktor mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen an: „Ich soll…? Aber… wer…?" Dumbledore fuhr mit seiner Hand gedankenverloren an seinem langen Bart entlang. „Nun, es ist so, wir haben eine Nachricht erhalten, dass …"
Weiter kam er nicht, ein lauter Knall aus Richtung des Kamins schreckte alle drei auf. Auf den Knall folgten eine dichte Rauchwolke und ein lautes Husten, beides kam ebenfalls aus dem Kamin. drei Augenpaare richteten sich entsetzt auf die Feuerstelle. Langsam verzog sich der Rauch, das Husten jedoch blieb. Ein Kopf wurde inmitten des Kamins sichtbar. Ein Mann hing kopfüber mit den Haaren in der Asche. Ruß übersäte sein rundliches Gesicht, auf der Nase trug er eine schiefe, kreisrunde Brille, sein kurzes graues Haar stand kraus in alle Richtungen ab. Der Hustenreiz war vorüber und er lächelte Dumbledore und McGonagall verlegen an. Als er Snape erblickte, schien sich seine Miene für einen kurzen Augenblick zu verfinstern. Doch als er etwas sagen wollte, überfiel ihn ein erneuter Hustenreiz.
„Fillibus, mein Lieber! Ich habe mir gedacht, dass Du kommen würdest!" Dumbledore beugte sich zu dem Mann hinunter.
„Es tut mir schrecklich leid Albus, Ich habe mich wohl zu spät auf den Weg gemacht – wollte eigentlich dem Wochenendverkehr entgehen. Verzeih!" hustete der Mann aus dem Kamin.
Dumbledore winkte ab. „Ach was! Komm herein und trink eine Tasse Tee mit uns." Er streckte dem noch immer verlegen lächelnden Mann seine Hand entgegen.
„Ich bitte nochmals um Entschuldigung, aber ich stecke fest, fürchte ich." ein hilfloses Kichern erklang aus dem Kamin.
„Du meine Güte, was für eine unangenehme Situation! – Minerva, was machen wir nur?" Professor McGonagall beugte sich nun ebenfalls besorgt zum Kamin hinunter.
Einige Minuten berieten McGonagall und Dumbledore über verschiedene Möglichkeiten der Rettung. Sie kamen zu keinem rechten Ergebnis und Dumbledore wollte gerade vorschlagen, Filch zu Rate zu ziehen, als sich Snape mit einem Räuspern wieder in Erinnerung brachte.
„Wie wäre es mit einem Schlankheitszauber, das wird den verfrühten Besucher sicherlich aus der misslichen Lage befreien. Dann kann ich meinen – Gast ja ein wenig im Schloss herumführen." säuselte er spöttisch.
Aus dem Kamin ertönte ein beleidigtes Schnauben. Dumbledore blickte auf, er war verwirrt. Dann verstand er: „Oh, Severus, das ist ein Missverständnis. Fillibus ist nicht dein Gast, er ist mein Gast:" er lächelte belustigt und blickte dann zurück zum Kamin.
Nach kurzem Grübeln wandte er sich Snape erneut zu und sagte: „Severus, die Situation hier erfordert noch für kurze Zeit meine ganze Aufmerksamkeit. Geh doch bitte schon zurück in deine Räume, ich habe veranlasst, dass dein Gast bereits dorthin gebracht wurde. – Minerva und ich kommen sofort zu euch, sobald wir das kleine Problem gelöst haben." Den letzten Teil des Satzes hatte Dumbledore bereits wieder in den Kamin gesprochen.
Snape traute seinen Ohren nicht. „Sie haben jemanden in meine Räume gelassen? In meiner Abwesenheit?" schnaubte er erbost. Er wusste, dass der Direktor in jeden Raum des Schlosses Einlass finden konnte, gleich was für ein Schutzzauber auf den Eingag gelegt worden war. Er hätte es jedoch nicht für möglich gehalten, dass…
„Severus, ich hatte keine Wahl – wir wussten nicht, wohin mit ihm. Und nun entschuldige uns bitte." unterbrach Dumbledore seine zornigen Gedanken.
Wütend drehte sich Snape um und rauschte aus dem Raum. Er machte sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen. Er musste so schnell wie möglich zurück in seine Räume. Die Vorstellung, dass ein Fremder sich in diesem Moment dort aufhielt machte ihn wahnsinnig. Keiner durfte ungestraft seine Privatsphäre stören. Das war unverzeihlich.
Mit wehendem Umhang eilte Snape energisch den Gang hinunter, an dem Fenster vorbei, an dem er noch vor wenigen Minuten gestanden hatte. Die Erinnerung an Jeanne d'Abrenville war nun wieder weit hinten in seinem Gedächtnis vergraben.
