3. Dir treu ergeben

Snape war inzwischen fast am Kerker angelangt. Er bog um die letzte Ecke und sah, dass jemand vor seiner Tür auf ihn wartete. Eine Frau mittleren Alters in einem grünen Kostüm, für das sie eindeutig zu pummelig war. Ihre feuerroten Haare waren zu einem unordentlichen Knoten aufgetürmt. Sie wippte ungeduldig mit dem Fuß.

Snape ahnte Schreckliches, er fluchte leise und wollte auf dem Absatz kehrt machen.

„Halt! Severus Snape! Sie müssen es sein! Kommen sie sofort zurück!" befahl die rote Dame schrill.

Snape fürchtete, sie würde ihm zurück in den großen Saal folgen oder sonst irgendwohin ins Schloss, und er befürchtete weitere Peinlichkeiten. Also drehte er sich um und ging auf sie zu. Bevor sie etwas sagen konnte zischte er bedrohlich: „Welche von diesen unverschämten Nachrichten habe ich ihnen zu verdanken?"

Die Dame sah ihn verwirrt an, entgegnete aber sogleich schroff: „ICH schreibe keine unverschämten Nachrichten, Professor! Die kam gestern Abend wohl eher von ihnen!"

„Ich verstehe kein Wort. Wer sind sie überhaupt" Snape verschränkte die Arme.

„Eben schienen sie mir sehr wohl zu verstehen, worum es hier geht!" quiekte sie schrill und fügte dann hinzu: „Fiona Thomas – wenn ihnen dieser Name etwas sagt!"

„Nein." knurrte er entnervt. Die Situation drohte ihn nun endgültig zu überfordern. Er stand hier mit einer wildfremden Frau, deren Stimme ihm Kopfschmerzen bereitete. Der ganze Morgen war eine Katastrophe. Er rieb sich die Schläfen.

„Man sollte sie anzeigen. Erst die wildesten Versprechungen und Anschmachtungen Eule um Eule - und dann diese unverfrorene Abfuhr. Und ich bin den ganzen Weg aus Irland gekommen! Noch dazu haben sie nicht einmal den Anstand besessen, zu verbergen, dass sie sich gleich mit mehreren Damen eingelassen haben! – Ich habe sehr wohl gemerkt, dass ich gestern Abend nicht die Einzige war, die lauthals mit ihrer beleidigenden Nachricht beehrt wurde!" Fiona Thomas kannte keine Gnade, ihre Stimme knallte wie Peitschenhiebe.

„Ich pflege keine Eulen mit Versprechungen und Anschmachtungen zu verschicken!" Snape hielt sich nun den schmerzenden Kopf. Und schon gar nicht an so eine wie sie! dachte er bei sich.

Miss Thomas holte Luft und setzte erneut an.

„Halt! Das reicht – sie kommen jetzt mit mir da rein und erklären mir das!" Snape schob sie unsanft durch die Kerkertür in das benachbarte Büro und schloss diese hinter sich.

Fiona Thomas ließ ein erbostes „Ich muss doch sehr bitten" heraus, sah den Mann, der ihr gegenüber stand jedoch unsicher an. War es möglich, dass er tatsächlich nicht wusste, wovon sie sprach? Aber er war mit Sicherheit Severus Snape! Er hatte sich doch in einem der Briefe beschrieben.

Als könnte er ihre Gedanken lesen sagte Snape: „Ich bin Severus Snape, Lehrer für Zaubertränke an dieser Schule. Aber ich habe absolut keine Ahnung, von welchen Briefen sie hier sprechen und wäre ihnen darum äußerst dankbar, wenn sie die Güte hätten, mich aufzuklären! Das könnte auch zur Erhellung anderer morgendlicher Zwischenfälle beitragen!" erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen und wies ihr mit einem kurzen Nicken eine Sitzgelegenheit zu.

Zögernd setzte sie sich. Kramte in ihrer übergroßen Handtasche und zog einige Briefe heraus. Wortlos reichte sie ihm den Stapel.

Meine sehr verehrte Fiona,

ich bin erfreut, dass Du auf meine Anzeige geantwortet hast.

Mir fällt dieser Schritt nicht leicht. Ich bin kein Mann, der seinen Gefühlen und Träumen offen nachgibt. …

Snape nahm den nächsten Brief und entfaltete ihn stirnrunzelnd. Er überflog einige Zeilen.

… meine Mauern sind dick, doch Du sollst sie einreißen! Ich bin glücklich, dass auch für Dich nur die inneren Werte zählen.…

Der nächste Brief.

… Geboren auf deinem Schoß, will ich auf deinen Wangen…

Snape schnaubte und ließ die Seite fallen. Der Nächste.

… kann es kaum erwarten, Dich am nächsten Freitag in Hogsmeade endlich zu sehen.…

Die restlichen Briefe wollte er sich lieber ersparen. Ein Gefühl von Übelkeit kroch in ihm hoch. Jeder Brief trug die gleiche verschnörkelte Unterschrift: Dir treu ergeben, Severus Snape.

Unter dem Stapel Briefe lag ein verknitterter Zeitungsausschnitt. Snape zögerte, glättete ihn schließlich zähneknirschend zwischen Mittelfinger und Zeigefinder und las:

Ich, männlich (mittleren Alters), ledig, mit gesicherter beruflicher Position (Lehrer) - suche Dich, weiblich (Alter ist unwichtig), ledig! Bist Du auf der Suche nach der Herausforderung Deines Lebens? Hier ist sie! Ich bin kein einfacher Mensch – hinter der harten Fassade steckt jedoch ein liebenswürdiger, warmherziger Mann, der Dir die Sterne vom Himmel holt – wenn Du nur Geduld hast.

Einsendungen an das Eulenpostfach Sev/067932

„Die muss ja ein Vermögen gekostet haben, bei der Anzahl von Zeilen!" schnaubte Snape spöttisch und reichte Miss Thomas den Stapel Briefe samt Anzeige.

„Heißt das…"

„ICH habe diese Anzeige niemals geschrieben!" vervollständigte er ihren Satz. „Und auch diese Briefe nicht!"

„ Ja aber…wer?" stammelte Miss Thomas. Sie war inzwischen überzeugt, dass der Mann vor ihr die Wahrheit sagte. Diese Empörung konnte unmöglich gespielt sein. „Vielleicht einer ihrer Kollegen? – Ein Streich!" versuchte sie den Ansatz einer Erklärung und wurde sogleich mit einem kalten, zornigen Blick gestraft. „Nur ein – Scherz, sie verstehen?"

„NUR ein Scherz? NUR ein Scherz?" Snape war von seinem Stuhl aufgesprungen und kam Mrs. Thomas gefährlich nahe. Die arme Frau wich erschrocken zurück. Wer auch immer diese Anzeige aufgegeben hatte, hatte mit der Umschreibung „Ich bin kein einfacher Mensch" stark untertrieben und sie bezweifelte, dass irgendwo in diesem Mannsbild etwas Warmherziges und Liebenswürdiges versteckt sein könnte.

„Nicht einmal meine Kollegen sind so dumm! – Nein, da steckt jemand anderes dahinter." Er ging ein paar Schritte zurück als er Fiona Thomas' geweitete Augen sah. Das letzte was er jetzt brauchte, war noch eine hysterische kreischende Frau – noch dazu in seinem Büro. Er begann auf und ab zu laufen. Miss Thomas' Augen folgten ihm verunsichert. „POTTER!" platzte es plötzlich aus ihm heraus.

„Verzeihung?" piepste Miss Thomas, die von Minute zu Minute ängstlicher wurde und mit dem Gedanken spielte, einfach aufzuspringen und aus diesem Raum zu stürzen. Sie versuchte krampfhaft, sich zu erinnern, ob er die Tür abgeschlossen hatte. Wenn, dann sicher nicht mit einem Schlüssel.

Snape war vertieft in seine Gedanken und grummelte zischelnd vor sich hin. Plötzlich, als Fiona Thomas gerade Mut gefasst hatte und noch ein Stück näher an die Stuhlkante gerückt war, um einen möglichst guten Start zu haben, blickte er sie an und kam wieder auf sie zu.

„Was haben sie da eigentlich von einer beleidigenden Nachricht am gestrigen Abend gefaselt? Ich war nicht in den DREI BESEN!" Auffordernd und mit verschränkten Armen stand er vor ihr.

Nun stand auch sie auf. „Nicht sie waren da!" Stammelte sie „Es war ein älterer Herr in einem verlotterten grauen Umhang. Ich erinnere mich an zotteligen lange Haare und ein ziemlich grimmiges Gesicht."

„Filch!" sagte Snape erstaunt und dann erinnerte er sich an einen Moment in seinem Büro gestern Abend: „Natürlich! Er war gestern Abend kurz bei mir, erzählte etwas davon, dass drei seltsame Gestalten in Hogsmeade auf mich warteten, und ob ich mir nicht selber ein Bild machen wolle." er setzte sich auf eine Tischkante. „Ich habe ihm lediglich mitgeteilt, dass diese drei Gestalten – wie er sie nannte – wohl kaum auf mich warten würden, da ich mich an keine Verabredung irgendeiner Art erinnern konnte. Danach ist er wohl zurück nach Hogsmeade gegangen." Schloss er und blickte Miss Thomas fragend an. „Ich sehe in meiner Antwort nicht den Hauch einer Beleidigung."

Fiona Thomas schnaubte verächtlich bei dem Gedanken an den vergangenen Abend. Sie faste Mut und sah in Snapes Augen. Er schien sich etwas beruhigt zu haben. „Nun, der gute Filch hat ihre Nachricht ein wenig variiert." Sie wurde rot. Snape bemerkte es und beugte sich ein Stück zu ihr vor.

„inwiefern?" fragte er gespannt.

Sie räusperte sich. „ Professor Severus Snape lässt ihnen ausrichten, dass er ein viel beschäftigter Mann ist, der seine wertvollen Freitagabende ganz sicher nicht mit langweiligen Vogelscheuchen wie ihnen verbringen wird. Sie sollten davon absehen, ihn noch einmal in irgendeiner Weise zu belästigen. – Ich bin jedoch weniger wählerisch – wenn ich ihnen irgendwie zu Diensten sein kann!" Miss Thomas schüttelte es, „ Das waren seine Worte!" Schloss sie schließlich.

„Oh, ich verstehe!" war Snapes einziger Kommentar. Ohne sich weiter um die Gefühle der Dame in seinem Büro zu kümmern sagte er schließlich: „Gut, dann hätten wir das wenigstens geklärt."

Sein Gegenüber wollte protestieren, doch er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. „Bleibt nur noch, herauszufinden, wer diese geistlose Idee hatte und auch unverschämt genug war, sie in die Tat umzusetzen." sagte er mehr zu sich selbst.

„Kam ihnen die Schrift nicht bekannt vor? Vielleicht sollten sie sie mit den Handschriften der Kollegen und aller möglichen Personen hier vergleichen." schlug Miss Thomas mutig vor.

„Auf die Idee bin ich auch schon gekommen!" log Snape und schnappte sich flink den Stapel Briefe wieder aus ihrer Hand. „Die brauchen sie ja nun nicht mehr. Sie gehen jetzt besser, es ist wohl alles geklärt, jedenfalls was sie betrifft." Er schob sie unsanft aus Tür, bevor sie widersprechen konnte.