Kapitel IX
Innerer Frieden
Der Mond legte sein sanftes Licht über das Land und hüllte alles in eine friedliche Stille. Sie spürte das kühle Moos unter ihren Füßen. Sie lief im Schatten der Bäume und die einzelnen Strahlen, die der Mond durch das Dach des Waldes sandte, durchbrachen den Nebel.
„Das war ich also, die Hüterin des Abendsterns und nun wandele ich auf dieser Erde ohne ein Ziel und ohne Hoffnung. Schickt mich zurück, wo auch immer ihr mich entrissen habt, dort hatte ich meine Ruhe. Dort hatte ich Frieden, hier bin ich dazu verdammt zu leiden. Dieses Los will und kann ich nicht ertragen. Schenkt mir Erlösung."
Sie sank auf ihre Knie und lies sich auf den Waldboden fallen. Sie blickte gen Himmel und der Anblick der sich ihr bot, der ihr einst stets Frieden und Ruhe gebracht hatte, erfüllte sie nun nicht mehr. Die Sterne standen am Firnament und brachten der Welt ihren Schlaf, doch sie erinnerten sie umso mehr an ihr Schicksal.
Plötzlich verspürte sie einen starken Schmerz, ihr Herz verkrampfte sich, jeder Atemzug bereitete ihr Qualen, ihr ganzer Körper begann zu zittern. Eine große Trauer bemächtigte sich ihrer. Ein starker Wind kam auf und Blitze erleuchten den Nachthimmel. Langsam stand sie auf und sie begriff, was geschehen war.
„Wie konntet Ihr das tun? Warum soll auch er nun leiden, was habt Ihr ihm angetan? Zuviel musste er entbehren. Lasst ihn nicht für das büßen, was ich getan habe, vor so langer Zeit." Sie streckte ihre Hände gen Himmel und der einsetzende Regen verschmolz auf ihrem Gesicht mit den Tränen die sich ihren Weg bahnten. Dies konnte, dies durfte nicht sein.
Sie öffnete die Augen und im Regen sah sie einen Schatten der langsam Gestalt annahm. Diese Frau wurde von einem Lichtschein umgeben und sie schien ihr wie ein Geist. Der Regen berührte sie und dennoch zeichneten sich seine Spuren nicht auf ihr ab. Langsam kam sie auf sie zu.
„Hab keine Furcht, alles was geschehen ist war so bestimmt und es gibt nichts, was Du hättest daran ändern können. Dein Schicksal liegt in Deiner Hand, Du musst nur den Mut haben, den Weg zu gehen, der Dir vorbestimmt ist. Du weißt nicht wer ich bin, nicht wahr?"
Vandala trat einen Schritt zurück, sie traute ihren Augen nicht.
„Du trägst meinen Namen, doch trägst Du nicht meine Bürde. Du trägst die gleiche Leidenschaft und Hingabe in Dir, verleugne sie nicht. Doch auch verspürst Du die gleiche Angst, die auch ich einst empfand. Stelle Dich ihr, du bist niemandem verpflichtet, nur Dir selbst. Mein Blut fließt in Deinen Venen, doch nicht mein Schicksal."
„Du bist meine Mutter?"
„Ja, das bin ich. Die Valar gewährten mir diesen einen Wunsch, Dich zu sehen und Dir die Wahrheit zu sagen, doch mir bleibt nicht viel Zeit. Damals, vor so langer Zeit, hätte ich Dich fast in den Abgrund mitgenommen, in den ich gestürzt bin. Doch sie waren gnädig und retteten Dich. Dich soll nicht das gleiche Schicksal ereilen, das mich zerstörte."
Der Regen hatte aufgehört und die Morgendämmerung setzte langsam ein und tauchte den Horizont in ein purpurfarbenes Lichtermeer.
„Ich muss Dich nun verlassen. Habe Mut meine Tochter und verzage nicht. Hör darauf, was Dein Herz Dir sagt und habe Vertrauen. Du bist das Kind einer großen Liebe. Die Valar und ich beschützen Dich."
Ihre Konturen wurden immer scwacher bis sie letztlich verschwand.
Vandala blieb allein zurück. Auch wenn es ihr eine große Erleichterung brachte, nun zu wissen wer sie wirklich war, so ließ es sie dennoch ihre Erlebnisse und Gefühle nicht vergessen. Die ersten Strahlen der Sonne schenkten ihr eine wohlige Wärme. Ihre Gedanken kreisten um Eomer, sie musste herausfinden was ihm zugestoßen war.
Eomer trug Lothiriel zu Grabe, seine Trauer war grenzenlos. Das Einzige was ihm geblieben war, war sein Sohn, doch den wollte er nicht sehen. Es schmerzte ihn zu sehr. Er hatte alles verloren, was ihm je etwas bedeutet hatte, der Alptraum jener Nacht war wahr geworden. Tagelang verbrachte er am Grab seiner Frau und sprach kein Wort. Eowyn sorgte sich währenddessen um Elfwine, doch wollte und konnte sie nicht länger mit ansehen, wie ihr Bruder zu Grunde ging.
„Dein Sohn braucht Dich. Du kannst Dich nicht verstecken, das Leben geht weiter."
„Was soll ich tun? Soll ich ihn in mein Herz schließen und dann zusehen, dass ihn das Gleiche Schicksal ereilt, wie all die Anderen die ich liebte? Nein, der Preis seiner Geburt war hoch genug. Lieber erdulde ich, dass er ohne meine Liebe aufwächst, als das sich dies wiederholt."
„So darfst Du nicht denken, erinnere Dich wie früh unser Vater umkam und unsere Mutter vor Gram starb. Soll Dein Sohn Dein Schicksal teilen? Das kannst Du nicht ernst meinen."
Er sah sie an und Zorn lag in seinen Augen, doch zugleich auch großer Schmerz.
„Ich werde bald nach Hause zurückkehren und ich hoffe bis dahin kommst Du zur Besinnung. Ein Land ist immer nur so stark wie sein König, vergiss das nie." So ging sie und lies ihn allein.
Spät in der Nacht ging Eomer, zum ersten Mal seit der Geburt seines Sohnes, in dessen Zimmer. Die Amme saß neben seiner Wiege in einem Sessel und schlief. Elfwine schlief ruhig und friedlich. Alles was ihm geblieben war, war dieses kleine Wesen. Er war unsicher was er nun tun sollte. Auf einmal wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Sein Sohn war aufgewacht und begann zu weinen. Auch die Amme wurde sofort aus ihrem Schlaf geweckt. Sie sah Eomer und bedeutete ihm, seinen Sohn auf den Arm zu nehmen. Zunächst unentschlossen, zögerte er. Die Amme nahm das Kind aus der Wiege und legte es ihm in die Arme. Etwas unbeholfen und in der Angst ihm wehzutun hielt er ihn, doch Elfwine wollte nicht aufhören zu weinen. Er ging mit ihm auf und ab und versuchte es mit leichtem Wippen, doch nichts half. Die Amme kam auf ihn zu, und gab ihm etwas in die Hand und sagte. "Das hat mir Eure Frau gegeben, immer wenn ich es ihm im Mondlicht zeige wird er ruhig. Sie sagte in jener Nacht zu mir, es wird ihm genauso viel bedeuten, wie es Euch bedeutet hat." Dann verlies sie den Raum.
Eomer öffnete seine Hand und was er sah überraschte ihn, es war der Anhänger dem Vandala ihm einst gegeben hatte, bevor sie ihn verlies. Er wand sich dem Fenster zu und hielt den Anhänger in den Schein des Mondes und Elfwine wurde ruhig. Das Kind schien wie in einen Bann gezogen zu sein und sah konzentriert auf den funkelnden kleinen Stein und begann zu lächeln. Nach kurzer Zeit war er wieder eingeschlafen. Vorsichtig setzte sich Eomer in den Sessel und hielt seinen Sohn immer noch in den Armen und sah ihm zu, wie dieser friedlich schlief. Eomer spürte eine innere Ruhe, als er seinen Sohn so sah und zugleich überkam ihn eine große Sehnsucht. Wie oft hatte er in den letzten Monaten diesen Anhänger betrachtet. Jedes Mal wenn ihn diese große innere Leere eingeholt hatte, nahm er ihn an sich, heimlich und im Verborgenen. Er spendete ihm Trost und dennoch spürte er jedes Mal den Verrat den er damit beging. Es beschämte ihn zu sehr. Denn so vollkommen sein Leben auch schien, so fehlte ihm stets etwas. Etwas das Lothiriel ihm nicht geben konnte.
