TITEL: 100 tears away
TEIL: 3/3
FSK: PG-13
GENRE: Romanze
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Garret, Annie
SPOILER: 5. Staffel (einschließlich „Luck be a Lady")
INHALT: Garret schmeißt seinen Job in Boston und geht nach Detroit, um noch einmal neu anzufangen und Abstand zu gewinnen. Doch dort muss er erkennen, dass die Vergangenheit oft näher ist als man denkt …
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring. Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben! Nur die Handlung gehört mir …
BEMERKUNG: Mein Beitrag zur Challenge in der Livejournal Community jcareathon. Das Zitat, das in irgendeiner Art verwendet werden sollte, lautet A woman wears her tears like jewelry
Vielen Dank an Mariacharly für ihre Unterstützung und ihr liebes Review!
Garret saß an seinem Schreibtisch, als Annie mit einem triumphierenden Grinsen eintrat und ihm eine Akte auf den Tisch legte.
Sie hatten seit dem Abend im Diner nicht mehr miteinander gesprochen und Garret wusste nicht, ob es nur daran lag, dass Annie zuviel zu tun hatte oder daran, dass es ihr peinlich war, weil sie sich so hatte gehen lassen. Oder ihr war der Kuss peinlich … oder sie mochte ihn doch nicht so und wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. Oder … oder … oder…
Doch was auch immer der Grund sein mochte, warum sie da war: er freute sich, sie zu sehen. Er hatte in den letzten zwei Tagen viel nachgedacht und gemerkt, wie wichtig ihm die blonde Polizistin doch schon geworden war. Sie war im Moment die einzige Verbindung nach Boston, die er noch hatte und die er nicht aufgeben wollte – abgesehen von seinem Grammophon und seinen Jazzplatten, die wie in Boston auch hier wieder einen Platz in seinem Büro gefunden hatten.
Garret klappte den Ordner zu, den er gerade bearbeitet hatte – Arbeitsanweisungen von seinem Vorgänger Dr. Duncan, die Garret erst einmal grundlegend überarbeiten wollte, sobald er die Zeit dafür fand – und nahm Annies Akte hoch. Er klappte sie auf und überflog den Inhalt, während Annie ihm die wichtigsten Dinge parallel mitteilte.
„Peter Buchanan, ehemaliger Mitbesitzer von Buchanan Industries, ist vor fünf Jahren von Seattle nach Bosten gezogen. Er schlägt sich seitdem mit Gelegenheitsjobs durch, ist aber die meiste Zeit arbeitslos. Er hat sein ganzes Geld und seine Anteile an seiner Firma durch eine Scheidung verloren", sagte Annie. „Entweder hatte die Frau einen guten Anwalt oder er hatte einen schlechten, als sie den Ehevertrag aufgesetzt hatten. Oder auch beides." Annie setzte sich auf den freien Stuhl vor dem Schreibtisch.
„Warst du es nicht, der mir mal gesagt hat, man muss an einer Ehe arbeiten, Garret? Ich glaube ja. Also, wie es aussieht, haben sowohl Mr. Buchanan als auch Mrs. Buchanan diese Sache ernst genommen – nur leider nicht die eigene Ehe ausgewählt. Beide sind fremdgegangen, bis Mrs. Buchanan eines Tages die Scheidung wollte. Verrückte Welt, nicht?"
Garret nickte und blickte Annie nachdenklich an.
„Hier steht, dass die Buchanans gern gesehene Gäste von Wohltätigkeitsveranstaltungen waren und auch sonst gerne in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. Namhafte Juweliere aus ganz Amerika und Kanada hatten sie auf der Kundenliste stehen. Meinst du, das hat etwas mit unserem Fall zutun?", fragte er und kratzte sich nachdenklich das Kinn. „Frauen, die ihre Tränen wie Schmuck tragen ..."
„Ich weiß nicht", gab Annie zu. „Aber die Idee hatte ich auch. Ich habe von unterwegs die Jungs angerufen, die Buchanan beschatten sollen. Bisher ist alles ruhig."
In diesem Moment klingelte ihr Handy.
„Entschuldige", sagte sie und holte das Telefon hervor. „Hier ist Capra … Ja, ich verstehe … Was? … Wie konnte das passieren? … Okay, ich bin unterwegs."
Sie legte auf und sah Annie an. „Buchanan scheint entwischt zu sein. Kommst du mit, Garret?"
-o-
Annie raste durch die Straßen und Garret war heilfroh, als sie zehn Minuten später die Beverly Street erreichten, in der Buchanan wohnte. Er hatte ja schon viel über Frauen und ihren Fahrstil gehört, aber bei dem, was Annie da hinlegte, hätte selbst Jordan alt ausgesehen.
Vor Ort wurden Sie von dem diensthabenden Officer Mortonson in Empfang genommen.
„Detective Capra, es tut mir Leid", sagte er. „Wir waren die ganze Zeit aufmerksam und haben jeden seiner Schritte beobachtet. Vor etwa einer Stunde hat er im Wohnzimmer das Licht eingeschaltet und sich mit einem Buch in den Sessel gesetzt. Man kann es von hier aus gut sehen." Er zeigte auf ein hell erleuchtetes Fenster im Erdgeschoss. „Als Sie dann angerufen haben, sind zwei meiner Männer zum Haus gegangen und haben geklingelt. Er hat nicht geöffnet. Sollen wir aufbrechen?"
„Ja", sagte Annie und löste den Verschluss ihres Waffenhalters und folgte Mortonson, der über Funk seinen Männern den Befehl gab, die Tür zu öffnen.
Garret folgte Annie ins Haus. Nachdem die beiden Officer den Einsatzort gesichert haben, gingen sie ins Wohnzimmer. Der Sessel, den Mortonson gemeint hatte, war zwar nicht leer, doch es war auch nicht Buchanan, der dort saß.
„Mist! Er hat uns gelinkt!", rief Annie wütend und riss die Betttuch-Kissen-Konstruktion vom Sessel. „So etwas haben wir als Jugendliche schon gemacht, um unseren Eltern weis zu machen, dass wir im Bett liegen und nicht auf der Party sind, die sie uns vorher verboten haben."
Annie war auf hundertachtzig. So ein Anfängerfehler durfte einfach nicht passieren. Garret trat zu ihr und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm.
„He, beruhige dich", sagte er leise. „Wir müssen jetzt genau nachdenken, was wir als nächstes machen. Wie es aussieht, hat Buchanan irgendwie herausgefunden, dass er beschattet wird. Die Frage ist nur, ob er auch weiß, dass wir wissen, wo der nächste Mord voraussichtlich geplant hat. Falls nicht, haben wir gute Chancen, ihn zu erwischen. Falls doch … Nun, das werden wir dann sehen." Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Komm, wir fahren zu Park. Den Rest hier übernimmt die Spurensicherung."
„Einverstanden", sagte Annie und lächelte dankbar zurück. Sie gab Mortonson ein paar Anweisungen und informierte die Einheit im Park davon, dass der Verdächtige möglicherweise unterwegs war.
-o-
Im Park war alles ruhig, als Annie und Garret zur improvisierten Einsatzzentrale in einer kleinen Blockhütte kamen, die am Rande des Abenteuerspielplatzes lag. Es hatte sich zugezogen und die Wolken verdeckten auch die letzte Lichtquelle, die wenigen Sterne, die schon am Himmel standen. Außerdem hatte es angefangen zu Nieseln, und der Bodennebel nahm ihnen zusätzlich die Sicht.
„Bisher ist alles ruhig", informierte Jack Mitchell die beiden, als sie sich zu den drei Polizisten in die Hütte quetschten.
„Wir haben rund um den Spielplatz Leute postiert. Sehen Sie das verliebte Ehepaar dort drüben auf der Bank?" Er zeigte auf eine Bank am anderen Ende des Spielplatzes, auf der ein scheinbar frisch verliebtes Paar herumturtelte. „Die gehören ebenfalls zu uns und werden gleich weitergehen. Wir sind über Funk untereinander erreichbar und können schnell eingreifen."
Annie nickte und setzte sich auf eine kleine Holzbank, die in die Wand eingelassen war und auf der Garret zuvor schon Platz genommen hatte. Er wollte nicht stören oder im Weg stehen. Jetzt hieß es warten.
Nach einer Stunde, Annie war kurz davor einzunicken und hatte im Halbschlaf ihren Kopf an Garrets Schulter gelegt, wurde die Stille durch ein Flüstern unterbrochen.
Annie fuhr hoch und sah sich einen Moment um, um sich zu orientieren. Was machte sie hier? Und wieso war sie zugedeckt? Warum schlief sie aufrecht an … Garret gelehnt?
Sie schluckte, rieb sich die Augen, rückte ein Stück von Garret weg und sah sich orientierungslos um.
„Du bist eingeschlafen", flüsterte Garret und sah sie an, bevor er sich wieder auf Mitchell konzentrierte, der Anweisungen über Funk gab. Eine Bewegung an seiner Seite lenkte ihn ab und er sah wieder zu Annie, die stirnrunzelnd auf ihren Schoss blickte, wo sein Mantel lag.
„Ich dachte, dir wäre vielleicht kalt", erklärte er lächelnd, „deshalb habe ich dich mit meinem Mantel zugedeckt. Ich hoffe, das war in Ordnung für dich."
Annie lächelte dankbar zurück.
„Danke, Garret."
„Gern geschehen."
„Elvis has just left the building", sagte Mitchell und drehte sich zu ihnen um. „Es geht los. Showdown."
Er reichte Annie ein Nachtsichtgerät, während Garret sich auf seine Augen verlassen musste. In der Nähe der Rutsche sah er zwei dunkle Gestalten langsam näher kommen. Es sah aus, als wäre die kleinere Person betrunken und müsste von der anderen gestützt werden.
„Das ist Buchanan", flüsterte Annie. „Mit einer Frau. Sie scheint benommen zu sein und-" Sie brach ab, als plötzlich eine laute Stimme über den Platz hallte und von überall her Menschen aus den Gebüschen sprangen, die Buchanan und sein Opfer umstellten.
„Nehmen Sie die Hände hoch, Buchanan! Geben Sie auf!"
Während Annie schon auf den Weg nach draußen war, nahm Garret das Nachtsichtgerät, das sie ihm in die Hand gedrückt hatte, und blickte hindurch.
Buchanan hatte sein Opfer zu Boden gleiten lassen und die Hände hinter den Kopf gelegt, während sich zwei Officer mit vorgehaltenen Waffen näherten, um ihn festzunehmen.
-o-
„Nun, Mr. Buchanan, haben Sie mir etwas zu sagen?"
Garret stand hinter der Spiegelwand und beobachtete Annie, die im Verhörraum auf der anderen Seite Peter Buchanan in die Mangel nahm.
„Ohne meinen Anwalt sage ich nichts", sagte dieser und warf Annie feindselige Blicke zu. Diese ließ sich nicht davon einschüchtern und fuhr unbeirrt fort: „Nun, der ist unterwegs, Mr. Buchanan. Und bis er da ist, rede ich so lange weiter. Einverstanden?" Sie sah kurz auf und blickte zu der Spiegelwand; sie wusste, dass Garret da war, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. Sie war Garret sehr dankbar, war die Aufklärung des Falls doch zum Großteil sein Verdienst.
„Also, ich sage Ihnen, wie es gelaufen ist, Mr. Buchanan", fuhr Annie fort, nachdem sie die Stelle, hinter der sie Garret vermutete, kurz angelächelt hatte. „Sie haben diese Frauen ungebracht, weil Sie sich rächen wollten. Rächen für das, was Ihre Frau Ihnen angetan hat. Sie hat sie betrogen und belogen und Ihnen dann alles genommen, was sie hatten: die Firma, das Haus, den teuren Schmuck, ihren Ruf. Sie sind aus Seattle weggegangen, um hier neu anzufangen. Doch leider mussten Sie feststellen, dass das gar nicht einfach war."
„Ich sage nichts!"
„Das macht nichts. Ich habe noch genug Dinge, um die Zeit zu füllen. Ist besser, als hier zu sitzen und sich anzuschweigen, oder?", sagte Annie und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand.
„Machen Sie doch, was Sie wollen", antwortete Buchanan.
„Das sowieso. Also, wo waren wir stehen geblieben?", fragte Annie. „Ach richtig: Der Neuanfang. Sie haben schnell gemerkt, dass man ohne Geld nicht weit kommt; ohne Geld keine Wohnung, ohne Wohnung keinen Job und ohne Job kein Geld. Ein Teufelskreis …" Annie seufzte. „Tja, aber so ist das Leben nun mal. Ungerecht und bitter."
Garret, der das Gespräch immer noch verfolgte, musste grinsen. Annie hatte es wirklich drauf. Was sie machte, machte sie gut – und im Moment war sie verdammt gut. Buchanan wurde auf seinem Stuhl immer kleiner und war nur noch ein Schatten seiner Selbst. Er wünschte sich für Annie, dass die Kollegen auch bald erkannten, dass mehr in ihr steckte als die Tochter von Richard Capra.
„Und dann haben Sie einen Job gefunden – schlecht bezahlt, aber ein Job – Rasen mähen und Gassigehen mit den Hunden der Reichen und Schönen von Detroit. Es muss eine Qual für Sie gewesen sein; die großen Häuser, die teuren Autos, der Schmuck, die Frauen der reichen Männer, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als das Geld ihrer Männer unter die Leute zu bringen und mit ihrem Reichtum zu prahlen." Annie warf Buchanan einen mitleidigen Blick zu.
„Schrecklich. Und das hat Ihren Hass noch weiter gesteigert, fast ins Uferlose; solange, bis Sie den Entschluss gefasst haben, dem ein Ende zu setzen. Sie haben sich systematisch die schönsten und reichsten Frauen ausgesucht, gewartet, bis sie alleine zuhause waren und dann bei Ihnen geklingelt – Sie wussten, wo sie wohnen, nicht wahr, Mr. Buchanan?"
Annie stieß sich von der Wand ab und ging zu Buchanan hinüber.
„Es waren ja schließlich ihre ehemaligen Arbeitgeberinnen, die sich umgebracht haben. Und dann haben Sie sie betäubt und systematisch umgebracht, um ihnen das zu nehmen, was Sie so sehr an Ihre Frau erinnert hat – der teure Schmuck, und ihre Würde."
Annie trat neben Buchanan, stütze ihre Hände auf den Tisch und beugte sich vor, um mit ihm auf einer Höhe zu sein.
„Und dann haben Sie am nächsten Morgen so getan, als wären Sie zufällig da und hätten die Leichen gefunden. Sie haben die Polizei angerufen und auf diese Art den Verdacht von sich abgelenkt. Nur leider ist Ihnen das nicht immer gelungen. Und als Sie dann plötzlich die Leiche von Allison Schneider gefunden haben – durch Zufall, wie ich annehme, was haben Sie da gedacht? Ups, war ich das? Habe ich neuerdings lichte Momente, werde ich senil?"
„Hören Sie auf damit!" Buchanan war aufgesprungen und funkelte Annie so wütend an, dass Garret schon fast an der Tür war, um ihr zur Hilfe zu eilen. Doch Annies Worte hielten ihn zurück.
„Setzen Sie sich wieder hin, Mr. Buchanan", sagte Annie beschwichtigend. „Sie machen doch alles nur noch schlimmer. Sehen Sie doch endlich ein, dass Sie verloren haben. Wir haben Sie überführt. Sie haben keine Chance."
Garret sah, wie Buchanan tatsächlich wieder auf den Stuhl sank und das Gesicht in den Armen vergrub. „Ich wollte das nicht. Wirklich nicht", schluchzte er. „Das ist … ich … war ein Geschäftsmann, erfolgreich, angesehen, bekannt, verstehen Sie? Und dann, von einem Tag auf den nächsten hat sie mir alles weggenommen, was ich hatte: meinen Stolz, meine Ehre, mein Geld." Er blickte auf, sah sie wütend an. „Ich habe sie GEHASST, ich hasse sie immer -"
„Das reicht jetzt, Mr. Buchanan! Sie sagen nichts mehr, bis wir uns beraten haben."
Die Tür des Verhörraums war aufgegangen und ein älterer Mann mit dunklem, leicht ergrautem Haar und Brille war eingetreten. Offensichtlich der Pflichtverteidiger.
„Mein Name ist Dr. Harry Steinbeck", stellte sich der Mann Annie vor und reichte ihr eine Visitenkarte. „Ich würde gerne einen Moment mit meinem Mandanten alleine sprechen."
„Aber sicher doch", sagte Annie freundlich. „Ich bin im Nebenraum, wenn Sie mich suchen."
„Herzlichen Glückwunsch, Det. Capra", sagte Garret, als Annie neben ihn an die Scheibe trat. Er hatte den Lautsprecher zum Verhörraum ausgeschaltet und beobachtete Buchanan und Steinbeck, die miteinander sprachen.
„Der Dank gehört ja wohl Ihnen, Dr. Macy", sagte Annie. „Ohne dich würden wir wahrscheinlich immer noch im Dunkeln tappen."
„Ach, ich habe doch nichts gemacht", winkte Garret ab. „Ich habe nur meinen Job erledigt – mehr nicht."
„Keine falsche Bescheidenheit, Garret", entgegnete Annie ernst. „Du warst eine große Hilfe. Danke!"
„Gern geschehen." Garret wandte sich ihr zu und sah sie an. Sie wirkte noch müder als vorhin in der Blockhütte und ihr leichtes Schwanken machte Garret ein wenig Angst. Nicht, dass sie hier noch zusammenklappte und ihm vor die Füße fiel. Er bezweifelte, dass er momentan in der Lage war, sie aufzufangen - so erschöpft, wie er selber war.
„Soll ich dich nach Hause bringen?", fragte er besorgt. Sie waren auf dem Rückweg zum Präsidium am Institut vorbeigefahren und hatten seinen Wagen geholt.
Annie schüttelte den Kopf.
„Nein Danke", sagte sie und unterdrückte ein Gähnen. „Nicht, dass ich dein Angebot nicht gerne annehmen würde, aber ich muss hier noch einige Dinge erledigen." Sie deutete auf Buchanan und Steinbeck, der jetzt wild gestikulierend auf seinen Mandanten einredete.
„Aber was hältst du davon, wenn wir morgen Abend zusammen essen würden?", fragte sie. „Wir haben doch was zu feiern. Ich kenne da ein gemütliches kleines Restaurant. Es hat erst letzten Monat eröffnet. Also keine Erinnerungen, keine Tränen – das verspreche ich dir. Indianerehrenwort." Sie hob grinsend ihre rechte Hand.
„Einverstanden", sagte Garret. „Dann hole ich dich morgen ab. Sagen wir so gegen sieben?", fragte er und versuchte das warme Gefühl, dass sich in seinem Körper ausbreitete zu unterdrücken.
„Sieben ist perfekt."
„Ok, dann fahre ich jetzt mal", sagte Garret, nahm seinen Mantel, den er vorhin über einen Stuhl gelegt hatte und ging zur Tür. Er blieb mit der Hand an der Türklinke stehen und drehte sich noch einmal um. „Schlaf gut, Annie."
„Ja, du auch, Garret." Sie hob müde lächelnd die Hand und winkte ihm zum Abschied zu.
-o-
„Und Buchanan hat wirklich ein Geständnis abgelegt?", fragte Garret und sah Annie über die Speisekarte hinweg an.
„Ja", antwortete Annie und klappte ihre Karte zu. „Aber er hatte auch keine andere Wahl, das wusste er, und das wusste auch sein Anwalt. Wir haben sämtlichen Schmuck der Opfer in seinem Keller gefunden. Dazu das Messer, das er am Spielplatz dabei hatte und die Aussage von Miss Ryan; das alleine hätte schon gereicht, um ihn für ein paar Jahre hinter Gitter zu bringen. Jetzt hofft er auf mildernde Umstände. Aber so, wie ich Larry Paul kenne, wird Buchanan so schnell nicht mehr durch den Park joggen können."
„Ja, das glaube ich auch", sagte Garret.
Sie sprachen bis das Essen kam über alles Mögliche. Annie erzählte ein paar Anekdoten aus Detroit und Garret brachte sie auf den neuesten Stand, wie es in Boston aussah und was passiert war, seit sie weggegangen war.
Nach dem Essen spazierten sie eine Weile durch die leeren Straßen, bis sie an einem kleinen Jazzclub haltmachten und hineingingen.
Sie redeten und lachten und schwiegen gemeinsam, und Garret spürte, wie die Anspannung der letzten Wochen und Monate von ihm wich und er sich endlich entspannen konnte.
Als die letzten Klänge von „Pale Blue Eyes" verstummten und die Musiker eine Pause einlegten, blickte Annie müde auf die Uhr. Es war schon nach Mitternacht. Morgen war zwar Samstag und sie musste nicht arbeiten, aber ihr hingen die letzten Tage noch ziemlich in den Knochen.
„Möchtest du gehen?", fragte Garret, der ihr unterdrücktes Gähnen bemerkt hatte. Auch er fühlte sich müde und erschöpft und wollte nur noch ins Bett und schlafen.
Sie zahlten und traten dann hinaus in die sternenklare Nacht. Der zunehmende Mond leuchtete schwach am Horizont und kalter Wind wehte ihnen um die Nase. Garret sah, dass Annie automatisch den Mantel fester um sich zog und legte ihr mutig einen Arm um die Schulter um sie zu wärmen.
Nachdem sie sich ihm nicht entzogen oder protestiert hatte, gingen sie schweigend die Straße entlang. Garret spürte, wie Annie ihren Kopf an seine Schulter lehnte und zog sich noch etwas enger an sich heran.
Er schloss die Augen und genoss das befremdliche und doch vertraute Gefühl, das Annie in ihm auslöste. Ein Gefühl, an das er sich gewöhnen konnte. Detroit war seine neue Heimat geworden – und das in so kurzer Zeit, wie Garret es nie für möglich gehalten hatte. Und die Frau an seiner Seite hatte entscheidend dazu beigetragen, dass er so fühlte. Er war endlich da angekommen zu sein, wo er so lange hingewollt hatte:
Zu Hause.
Ende
So, das war es dann (erstmal). Ich hätte vielleicht noch ein Sequel, wenn jemand Lust hat…
