My life closed twice before its close;
It yet remains to see
If Immortality unveil
A third event to me,
So huge, so hopeless to conceive,
As these that twice befell.
Parting is all we know of heaven,
And all we need of hell.
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Abschied von Hogwarts
Die zweite Aprilwoche neigte sich dem Ende entgegen. Das Wetter war und blieb unbeständig. Kurze heftige Regenschauer wechselten sich mit strahlendem Sonnenschein ab. Des Nachts wurde es oft noch bitterkalt und die meisten Blumen waren durch einen erneuten Nachtfrost eingegangen. Fast alle Schüler zogen sich ins Innere des Schlosses zurück. Der April machte seinem Ruf also alle Ehre.
All das störte Harry nicht. Wie auch an den letzen Tagen, saß er die meiste Zeit im Krankenflügel und starrte an die Wand. Es war das Beste was er tun konnte. Lord Voldemort brachte ihn nicht dazu, die Wand sinnlos zu beschimpfen und der Wirbel in seinem Kopf war schwächer, in Zeiten in denen er möglichst wenig Reize aus der Umwelt bekam. Es war nur ein schwacher Schutz, aber durchaus effektiv. So musste er lediglich die Kraft aufbringen, die nötig war seinem Körper zu befehlen sitzen zu bleiben, sich nicht zu rühren und nichts zu sagen.
Allerdings lehnte sich Voldemort ein paar Mal am Tag gegen Harrys Widerstand auf und entfachte den Sturm in seinem Kopf so heftig, das Harry nichts anderes übrig blieb, als sich zu schlagen und den Angriff nur durch eine Ohnmacht entkommen konnte.
Sanft schaukelte Harry vor und zurück, immer bedacht seinen Körper noch zu spüren. Er hatte inzwischen erfahren, dass in Hogwarts wüste Gerüchte über seinem Zustand kursierten. Ginny hatte ihm erzählt, dass sie ganz oft auf ihn angesprochen wurde und die meisten glaubten, dass Harry seinen Verstand verloren hatte und nun dem Wahnsinn verfallen war.
Manchmal hoffte er tatsächlich, dass es eine Art Wahnsinn war, eine gespaltene Persönlichkeit, dessen innere Personen unterschiedlicher nicht sein konnten, denn so etwas war im Vergleich zu seinem derzeitigen Zustand heilbar. Die Verzweiflung hatte inzwischen Narben hinterlassen und er stürzte sich regelrecht ins Selbstmitleid. Er würde NIE wieder er selbst sein können. Er war zu einem hoffnungslosen Fall geworden, dem niemand mehr helfen konnte. Die einzige Chance dem zu entfliehen, war die Anwendung dunkelster, schwarzer Magie, die keiner in seinem Umkreis durchführen würde. Simon hatte mit ihm über das Kleptorus-Ritual gesprochen und es war ihm sichtlich schwer gefallen, doch der Vampir wäre bereit dazu, wenn alle Stricke rissen, bereit für Harry zu sterben. Doch auch Harry, wenn er in dem Fall wirklich er selbst gewesen war, hatte sich dagegen ausgesprochen. Es würde Voldemort nicht vernichten, sondern nur zu einer leeren Hülle machen und irgendwie würde er in Harry weiterleben können.
Noch nie zuvor schien seine Zukunft so ausweglos und Harry hatte große Angst vor ihr. Bisher war alles nur von kurzer Dauer und mit einem absehbaren Ende, doch jetzt sah sie so düster wie noch nie aus, sodass er keinen Hoffnungsschimmer mehr sehen konnte. Das einzig Beständige war Voldemorts Hass auf Harry und sein Umfeld und sein alltäglicher Kampf gegen ihn. Es ging nicht nur um ihn, denn wenn er verlor, waren all seine Freunde in Gefahr. Wenn die Macht von Voldemort ungebrochen blieb, stürzte er die Welt in eine zweite Finsternis.
# - # - # - # - Madame Pomfrey - # - # - # - #
"Josephine, schön, dass du da bist!", murmelte Madame Pomfrey hektisch und winkte Mrs. Benigus herein, "Komm rein, aber leise, er schläft gerade." Josephine Benigus war eine etwas mollige, dunkelhäutige Dame, kleiner als Madame Pomfrey, mit einem freundlichen und Vertrauen erweckenden Gesicht. Madame Pomfrey war vor zehn Jahren in St. Mungos von ihr ausgebildet worden. Leise betrat die Mrs. Benigus den Krankenflügel. Einen Moment blieb ihr Blick auf den blassen Jungen, der sich wild träumend im Bett hin und her warf, hängen. Madame Pomfrey gönnte ihr einen kurzen Augenblick, bevor sie die ältere Dame schließlich ungeduldig anwies, endlich in den Nebenraum zu gehen, wo sie ungestört reden konnten. Erst als Madame Pomfrey hinter sich die Tür schloss, atmete sie erleichtert auf.
"Du bist ja völlig am Ende", bemerkte Mrs. Benigus, "Ist es wirklich so schlimm?"
"Er schläft nie lange, meist bekommt er Panikattacken und wacht dadurch auf", sagte sie ruhig und stellte zwei Tassen mit Kaffee auf den Tisch.
"Ich sagte ja von Anfang an, dass die Arbeitsbedingungen in Hogwarts nicht die besten sind... aber egal … Was ist nun mit Harry Potter passiert? Man hört allerlei Gerüchte. Meine Nichte sagte, er sei wahnsinnig geworden, stimmt das?"
"Wahnsinnig ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber als offizielle Begründung ganz gut zu gebrauchen. Er... er ist … nun ja, Mr. Lestrange hat es als eine irreversible Störung der Legilimentik bezeichnet, die Harry und ... Du-Weißt-Schon-Wer untrennbar miteinander verbunden hat. Ein Zustand der nicht zu heilen ist."
"Ja, so etwas Ähnliches sagte Professor Dumbledore auch, aber was heißt das? Wie sieht so etwas aus?"
Madame Pomfrey seufzte und nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse, bevor sie langsam und stockend mit ihrem Bericht anfing. Sie ließ nichts aus, beschrieb seine fremd- und autoaggressiven Schübe, seine Weglauftendenz und seine lethargisch-depressiven Phasen; dass ein Gespräch beinahe unmöglich war und er ein komplett gestörtes Auftreten gegenüber Freunde und Fremde an den Tag legte.
"Das klingt alles ziemlich unglaublich", brachte Mrs. Benigus ungehalten hervor, „Kann er noch zaubern?"
"Ich würde es nicht wagen ihm einen Zauberstab zu geben, er hat eine dunkle Aura und ist in der Lage jeden zu töten, der Du-Weißt Schon-Wer nicht passt. Man sollte sich auf keinen Fall darauf verlassen, dass er sich immer wieder gegen die Unverzeihlichen auflehnen kann. Er hat sogar versucht den Schulleiter zu töten." Mrs. Benigus riss entsetzt die Augen auf und schlug fassungslos ihre Hand vor ihren Mund. Madame Pomfrey hatte durchaus mit einer solchen Reaktion gerechnet und nahm einige Schlucke aus ihrer Tasse. Es entstand eine Weile, in der sie schwiegen und Madame Pomfrey nutzte die gewonnene Zeit, um durch das Fenster nach Harry zu sehen. Er schwitzte während er sich hin und her wälzte, aber noch schien er zu schlafen.
"Was ist mit seinen Freunden? Inwieweit kommen sie mit Harry klar, oder umgekehrt?"
"Nun, Mr. Lestrange ist selten hier, aber ich glaube er kommt mit der Situation, den Umständen entsprechend ganz gut zurecht. Seine Beobachtungen sind meist sehr hilfreich, wenn es darum geht, Harry besser einschätzen zu können."
"Mr. Lestrange?", Mrs. Benigus wurde hellhörig und sah nun interessiert zu ihrer ehemaligen Schülerin, „Ich habe gehört, dass der Arme von einem Vampir gebissen wurde… er wäre sicher ein guter Heiler geworden…"
„Du kennst ihn?", fragte Madame Pomfrey.
"Ja, er war vor zwei Jahren zu einem Vorstellungsgespräch bei mir, ein interessanter junger Mann… eigentlich schade um ihn!" Madame Pomfrey wurde langsam ungeduldiger, ihr Blick konnte sich kaum noch von Harry abwenden und sie fürchtete, dass er schon sehr bald wieder wach wurde.
„Um noch mal auf das Thema zurück zu kommen, ich weiß, dass Vampire im Sankt Mungos nicht gerne gesehen werden, aber aus Erfahrung weiß ich, dass es ohne Mr. Lestrange Einschätzungen nicht so gut gelaufen wäre. Er hat mir sehr geholfen die Situation zu verstehen. … Schlimmer dagegen war es mit Harrys Freundin - Miss Weasley - Sie leidet sehr unter Harrys Veränderung. Sie gibt ihm ihre Liebe, doch ob und wie viel davon bei Harry ankommt, vermag ich nicht zu sagen. Manchmal sitzt er da und schaut sie nicht einmal an, oder er beschimpft sie. … Als sie heute Nachmittag hier war, um sich von ihm zu verabschieden, hat er nichts gesagt - ich glaube er hat nicht einmal wahrgenommen, dass sie da war... Er - er saß nur da... nichts... erst als sie weg war, weinte er. Er hat immerzu unverständliche Worte gemurmelt... er hat wahrscheinlich verstanden, dass er sie so oft sehen würde, wenn er erst mal im St. Mungos ist… und trotz eines Beruhigungstranks hat es Stunden gedauert, bis er sich wieder beruhigt hat... Ich habe ihm vor drei Stunden ein Schlafmittel verabreicht. Er muss dringend wieder zu Kräften kommen."
Was folgte war eine lange Auflistung, der Tränke und Heilmethoden, die Madame Pomfrey bisher an Harry ausprobiert hatte und sie beschrieb detailliert, wie sich diese auf Harry ausgewirkt hatten als ein plötzlicher Schrei die beiden zusammenzucken ließ. Ganz automatisch sah Madame Pomfrey durch das Fenster in den Krankenflügel. Harry war von seinem Bett aufgesprungen und lag nun schreiend auf dem Fußboden. Er versuchte seinen Kopf immer wieder mit voller Wucht auf den Boden zu schlagen. Mrs. Benigus war die Erste, die sich von dem Schreck erholte und aufsprang um Harry zur Hilfe zu eilen. Innerhalb von Sekunden erreichte sie den jungen Slytherin und schob ihm mit sanfter Gewalt sein Kopfkissen unter den Kopf, um einer Verletzung vorzubeugen.
# - # - # - # - # - Harry - # - # - # - # - #
Harry quälten starke Kopfschmerzen, als er anfing seine unmittelbare Umgebung wahrzunehmen. Er blinzelte ein paar Mal vom Licht geblendet und spürte wie der Druck, der auf seinem Oberkörper lastete abnahm. Jemand schien ihn festgehalten zu haben und verschwommen sah er die mollige Frau, die neben ihm auf den Fußboden saß und ihn interessiert beobachtete.
Harry lag eine scharfe Bemerkung auf der Zunge, aber er schluckte sie gezwungenermaßen hinunter und setzte sich auf. Ihm war schwindelig und seine Hand fuhr über seinen Hinterkopf, der immer noch tierisch schmerzte.
„Harry, bist du OK?", fragte Madame Pomfrey besorgt. Der Angesprochene wendete mühsam seinen Blick und versuchte ein schwaches Nicken, woraufhin sein Kopf mit einem heftig stechenden Schmerz reagierte. Verwirrt wandte er sich wieder der, ihm, unbekannten Person zu, die ihn freundlich lächelnd anschaute.
„Hallo Harry", sagte sie und ihre Hand legte sich nun sanft auf sein rechtes Bein, „Mein Name ist Josephine Benigus. Ich arbeite im St. Mungos und bin gekommen, um dich abzuholen." Harry spürte, wie sich sein Körper versteifte. Die Frau, die er gerade noch für freundlich gehalten hatte, ließ ihm nun einen Schauer über den Rücken laufen.
„NEIN", presste Harry hervor, „Ich werde nicht ins St. Mungos gehen. Ich bleibe hier in Hogwarts."
„Harry, du kannst nicht hier bleiben", sagte Madame Pomfrey mitleidig, „Du weißt das sehr genau." Der Slytherin warf ihr einen bösen Blick zu und ganz plötzlich schlug er mit einer Hand gegen den Arm von Mrs. Benigus, dessen Hand immer noch auf seinem Bein ruhte.
„Ich gehe nirgendwo hin und ihr könnt mich nicht zwingen in ein Irrenhaus zu gehen." Er schlug erneut auf Mrs. Benigus, die diesmal allerdings vorbereitet war und mit einem gezielten Griff sein schmales Handgelenk umklammerte und Harrys Körper mit sanfter Gewalt auf den Boden drückte. Harry musste sich kampflos ergeben. Seine körperlichen Kräfte reichten nicht aus, diesen Griff von sich zuweisen. Hasserfüllt funkelte er die ältere Dame an und spukte ihr ins Gesicht.
„Sei vernünftig Harry", sagte sie und wusste doch, dass sie keine Chance hatte den Jungen mit ihren Worten zu beruhigen. Harry strampelte und versuchte vergeblich gegen die fremde Dame anzukommen. Nur für einen Moment glaubte er seine Hand freizubekommen, doch die Heilerin schien seine Tricks zu schnell zu durchschauen.
Madame Pomfrey, die auf einen Wink von Mrs. Benigus eine Flasche mit, für ihn, undefinierbaren Inhalt hervorzauberte, kniete sich neben den sich windenden Harry nieder. Der Slytherin biss die Zähne aufeinander. Er wusste, dass sein Kampf vorüber war, doch er weigerte sich, diesen Trank zu sich zu nehmen.
Entfernt nahm er Voldemort wahr. Es war schwer in dieser Situation dem Lord zu folgen. Vorhin war Voldemort noch bei den Geiseln gewesen und hatte mit der dortigen Wache gesprochen. Was es genau war, wusste er nicht mehr, aber es war eine gewisse Bedrohung vorhanden gewesen, die sogar Harry noch nach seinem Traum intensiv spürte.
Harry versuchte sich noch einmal aufzubäumen und schrie, rasend vor Wut, die fremde Frau an, als ein paar Tropfen ekelig süßen Zaubertranks seine Lippen benetzte. Er spuckte und versuchte alles, den hochkonzentrierten Schlaftrank nicht zu schlucken. Prustend und keuchend musste er schließlich aufgeben. Sein Körper erschlaffte gänzlich während sein Geist lediglich dahindämmerte.
Die beiden Heilerinnen hoben ihn hoch und legten ihn vorerst auf ein Bett. Mit halbgeöffneten Augen und nur verschwommen, sah er wie Mrs. Benigus eine schwebende Trage hervorzauberte. Wehrlos und trotzdem immer noch gegen die bleierne Müdigkeit ankämpfend, zog man seinen erschlafften Körper auf die Bahre. Es musste noch mitten in der Nacht sein, als Harry vage die vorbeiziehenden Korridore wahrnahm. Kein Mensch begegnete ihnen, als man ihn aus dem Schloss schaffte und keiner verabschiedete sich von ihm.
Sein Blick fiel auf eine blaue Kutsche mit leuchtend gelben Streifen. Statt Reifen, hatte sie acht spinnengleiche Beine, die sehr dünn erschienen, aber dennoch das Gewicht halten würden. Ein Mann stand neben ihr und begrüßte die Heilerinnen mit einem freundlichen Lächeln. Er war klein und glatzköpfig, doch die Falten um die Augen ließen ihn sanftmütig erscheinen. Als sie die Kutsche erreichten, öffnete er die beiden Flügeltüren und half mit die Bare hinein zuschieben.
Das Interieur wirkte angenehm warm und beruhigend und der Raum um einiges Größer als es von außen den Anschein hatte. In Harrys Blickfeld befand sich ein großes Bett mit heller Bettwäsche und sobald er darin zu Liegen kam, verschwand die Trage ins Nichts. Noch hatte Harry seine Augen offen, doch die Müdigkeit war so allumfassend, dass er sie letztendlich schließen musste. Ihm war es nun egal was mit ihm passierte, er wollte nur noch schlafen, nicht mehr kämpfen müssen und einfach die Ruhe und die Dunkelheit um sich herum genießen.
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Harry erwachte erst Stunden später aus seinem totengleichen Schlaf. Was auch immer die beiden Heilerinnen ihm verabreicht hatten, der Trank hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Er hatte lange nicht mehr so gut geschlafen und dabei nicht einmal geträumt. Er wusste nicht was Voldemort getan hatte, während er ohne Bewusstsein war. Jetzt sah er den Feind wieder klar und deutlich in einem Ohrensessel vor einem erloschenen Kamin sitzen. Er war allein und schien über irgendetwas nachgedacht zu haben. Voldemort spürte, dass Harry wieder erwacht war, denn innerhalb von nur wenigen Minuten entfachte er den Sturm in Harrys Kopf erneut. Tausende Bilder schossen durch seinen Kopf, doch sie waren zu schnell, um sie näher zu betrachten oder in einen vernünftigen Zusammenhang zu setzen.
Schließlich wendete Harry sich von dem Sturm ab. Er musste versuchen, sich den Bildern zu widersetzen. Ganz vage nahm er wahr, wie seine Arme wild rudernd versuchten auf einem Bett Halt zu finden und er schrie aus Leibeskräften. Er musste versuchen, seine Augen zu öffnen und sich Voldemorts Einfluss entziehen. Die Flut der Bilder riss nicht ab und zeigte stattdessen eindringlich Personen, Dinge, verschiedene Situationen, wie Mord, Folter, seine Eltern und vieles mehr. Was Voldemort damit bezwecken wollte, blieb Harry schleierhaft und so versank er erneut im Strudel der fremden Erinnerungen.
Erst als er einen sanften Druck auf seiner Brust und einige Augenblicke später seinen Körper, der auf eine weiche Matratze gedrückt wurde, spürte, schaffte er es erneut die nötige Kraft aufzubringen, die fremden Bilder von sich zu schieben. Der Strom der Bilder nahm langsam aber stetig ab und schließlich schaffte es Harry, seine Augen zu öffnen.
Seine Hand hatte ein Handgelenk eng umschlungen. Der Druck auf seiner Brust nahm ab und auch Harry lies seine Hand auf das Bett zurückfallen.
„Harry?" Harry sah blinzelnd zu dem jungen Mann auf, der noch immer neben ihm auf dem Bett saß und ihn skeptisch musterte, „Bist du in Ordnung?", fragte der Mann weiter. Doch Harry reagierte nicht auf die Ansprache, sondern sah sich erstaunt in seiner unmittelbaren Umgebung um. Er hatte nicht mehr an Mrs. Benigus gedacht und schon gar nicht an seinen nächtlichen Umzug, doch jetzt fiel ihm alles wieder ein. Das Zimmer in dem er lag war winzig. Neben seinem Bett stand ein Nachtschrank. Er war kaum breiter als sechzig Zentimeter, doch seine andere Seite berührte die gegenüberliegende Wand. Ein kleines Fenster ohne Griff war in ihr und lies seinen Blick auf einen wolken-verhangenen Himmel zu. Am Fußende zwischen der halboffenen Tür und der gegenüberliegenden Wand war ein hoher schmaler Schrank, der kaum Staumöglichkeiten bot.
„Das ist dein neues Zimmer", erklärte der junge Mann, „Sicher bedarf es noch einiger Veränderungen, aber hier wirst du vorerst bleiben." Harry sah zurück zu dem Mann. Er schien höchstens fünf Jahre älter als er zu sein. Seine blauen Augen wirkten vertraut und doch war ihm das Gesicht gänzlich unbekannt. Ein blonder Vollbart versteckte den kantigen Kiefer, dessen Konturen Harry nur erahnen konnte. Er glaubt diesen Menschen zu kennen, sein Blick huschte über die hellblaue Krankenhauskleidung und blieb an dem Namensschild hängen: Pierre-Luc Montague.
„Du müsstest meinen Bruder kennen, nicht wahr?", sagte der junge Mann geduldig. Harry reagierte immer noch nicht, sondern starrte weiterhin auf das Namensschild und horchte in sich hinein. Voldemort blieb ruhig und der erwartete Sturm an Beleidigungen blieb aus. Es waren nur einige wenige Bilder, die ihm durch den Kopf gingen. Zum Teil waren es seine eigenen Erinnerungen, vereinzelte Bilder waren ihm aber völlig fremd. Dennoch zeigten sie denselben jungen Mann, mit blonden Haaren: Fréderic Montague war der beste Freund von Simon und damals maßgeblich an Simons Planungen beteiligt gewesen. Aber seine Erinnerungen zeigten auch Bilder von ihm, in denen er mit schwarzer Todesserrobe vor dem dunklen Lord kniete. Das dunkle Mal brannte auf Fréderics Unterarm. Im Hintergrund erkannte er Simon, ebenfalls in Todesserrobe, der der Taufe seines Freundes mit Genugtuung beiwohnte.
„Ja", flüsterte Harry, „Fréderic hat sich Voldemort bereits nach der Schule angeschlossen... Er ist ein Todesser, nicht wahr?" Pierre-Luc zuckte erschrocken zusammen und erhob sich hastig vom Bett.
„Fréderic und Todesser? Nein Harry, auch wenn er ein Slytherin war und einige zwielichtige Freunde hatte, ein Todesser ist er ganz sicher nicht!" Harry lächelte boshaft, vielleicht wirkte es wissend, denn der junge Mann trat noch einen Schritt zurück. Harry spürte eine innere Zufriedenheit, obwohl sein Geist sich gegen dieses Gefühl sträubte. Es war Voldemort, der zufrieden war, nun wissend, dass sein Diener seine Rolle glaubwürdig zu spielen vermochte, und nicht einmal sein eigener Bruder davon etwas wusste oder ahnte.
„Wann hast du ihn zuletzt gesehen?", fragte Harry. Nicht, dass es ihn interessierte, aber für sein zweites Ich schien diese Information wichtig zu sein.
„Noch nicht lange her", sagte Pierre-Luc, „Vor zwei Tagen haben wir gemeinsam zu Abend gegessen. Wieso?"
„Nur so", sagte Harry und Lord Voldemort lehnte sich zufrieden im Sessel zurück. Das Gespräch zwischen Harry und Pierre-Luc verlief ohne weitere Beeinflussung durch Voldemort. Pièrre-Luc erklärte ihm den Tagesablauf, was er durfte und was nicht und was sie nun unternehmen würden um Harrys Beschwerden zu lindern. Er bekam über den Tag verteilt mehrere Tränke, die ihn aufbauen sollten, damit er körperlich bei Kräften blieb. Alles Weitere würde sich in den nächsten Tagen ergeben.
Als der Heiler den Raum verließ erhob Harry sich und näherte sich dem Fenster. Er war im vierten Stock des Krankenhauses, auf der Station für unheilbar Kranke untergebracht worden. Hier war für die meisten Endstation, ohne eine Chance diese Station jemals wieder zu verlassen. Der Blick aus dem Fenster war trostlos. Die Wolken hatten sich weiter verdunkelt und die Muggel unter seinem Fenster hasteten die Straßen entlang, um noch vor dem absehbaren Platzregen ins Innere der Häuser zu fliehen. Er spürte die Verachtung, die Voldemort für diese Menschen übrig hatte und wenn Harry in Besitz eines Zauberstabs gewesen wäre, würde er mit Sicherheit diesen nutzen um einen riesigen Krater in die Straße zu sprengen, doch so vergnügte sich Voldemort mit dem Hass auf die Muggel und erfreute sich an Harrys hilflosen Versuchen diesen Hass von sich zu lenken. Der einzige Ausweg, den Harry sah, schien dem Fenster seinen Rücken zuzuwenden. Leise, und immer noch barfuss, verließ er das Zimmer. Der Gang hinter seiner Tür war breit und hell beleuchtet. Einige Landschaftsbilder in leuchtenden Farben hingen an den Wänden. Von dem Gang gingen mehrere hohe Türen ab, die in die anderen Zimmer führten. Harry versuchte eine von ihnen zu öffnen, doch sie schienen in irgendeiner Art gesichert zu sein und er kam nicht hinein. Er versuchte es mit der nächsten und der übernächsten Tür, doch auch da hatte er keinen Erfolg.
„Gib es auf, Harry", sagte Pierre-Luc, der mit einem voll beladenen Tablett den Gang betrat, „Die Türen sind extra gesichert, damit du nicht in die fremden Zimmer kommst." Der Heiler öffnete mit der freien Hand eine der Türen, die Harry kurz zuvor versucht hatte, zu öffnen. Durch den Türspalt erblickte Harry ein großes Zimmer in dem mehrere Betten standen. Pierre-Luc trat ein und augenblicklich fiel die Tür hinter ihm wieder ins Schloss. Harry hastete mit einigen großen Schritten zu der Tür, doch er konnte sie nicht wieder öffnen.
„Harry, was hast du hier zu suchen?" Der Angesprochene drehte sich erschrocken um und erblickte eine Hexe mittleren Alters. Auch sie trug die typisch hellblaue Kleidung der Heiler und kam auf Harry zu. Der Slytherin hatte gar keine Chance zur Gegenwehr und ehe er sich versah wurde er von der Heilerin wieder zurück in sein Zimmer bugsiert.
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Die Tage auf der geschlossenen Station waren eintönig. Jeder Tag verlief wie der vorige und Voldemorts Beeinflussung war so stark wie zuvor. Er hatte keine Chance sich dagegen zu wehren und Voldemort bot ihm nur selten die Möglichkeit relevante Informationen herauszubekommen. Der Lord traf sich mit verschiedenen Todessern und erteilte ihnen den Auftrag ihre Suche nach Simon zu intensivieren. Harry hatte den Vampir bereits gewarnt und ihn ermahnt vorsichtig zu sein, doch er hatte nicht den Eindruck, dass dieser sonderlich auf seine Warnung einging.
Ein durchschnittlicher Tag im St. Mungos begann für Harry meist sehr früh. Noch vor Sonnenaufgang schrak er schreiend und sich schlagend aus seinen Träumen auf. Fast immer kam er morgens erst zu sich, nachdem er von mehreren Heilern im Bett festgehalten, irgendwelche Tränke eingeflösst bekam. Erstaunlich gut machte sich Simons Vorschlag, Harry regelmäßig Verwirrungstrank einzuflößen. Doch Harry mochte ihn nicht. Zwar blieb der Geschmack hinreißend süß, doch es vernebelte seinen Verstand zu stark, um Voldemorts Aktionen noch folgen zu können. Er hatte den Eindruck, dass der Lord ihm immer mehr entglitt. Ihm fehlte es an der nötigen Konzentration und jeder Versuch es doch zu tun, riss ihn tief in eine dunkle Gedankenwelt, die ihn mehr verwirrte, als half. Seiner Flucht aus diesen Gedanken, folgten oft eine kurze Ohnmacht oder autoaggressive Verhaltensweisen. Unzählige Wunden klafften an seinem Körper und forderten von den Heilern sofortiges Eingreifen.
Im Laufe der ersten zwei Wochen war es Harry einige Male gelungen, einem Heiler in die fremden Zimmer zu folgen. Er war zwar selbst nicht in der Lage die Türen zu öffnen, aber wenn sie offen standen, konnte er einfach mit hindurchschlüpfen. Auf diese Art und Weise traf er auf Frank Longbottom. Harry selbst hatte absolut keine Erinnerungen mehr an den Vorfall, doch Pierre-Luc erzählte ihm im Nachhinein, dass er Frank Longbottom schwer verletzt hatte. Hätten die Heiler nur wenige Augenblicke später eingegriffen, würde Frank Longbottom sicher nicht mehr leben. Harry war über diesen Kontrollverlust sehr bestürzt und es tat ihm Leid, dass er einen ehemaligen Auror fast getötet hätte, doch Voldemort war mit ihm zufrieden und versuchte Harry immer und immer wieder in dieses Zimmer zu locken, um sein Werk zu vollenden. Oft hatte Harry aus nur diesem Grund stundenlang vor dem Zimmer herumgelungert, bis es den Heilern zu viel wurde und schließlich hatten sie Harry für längere Zeit in sein Zimmer einsperren müssen. Er weinte und schrie. Immer wieder schlug er gegen die magisch verschlossene Tür, doch keiner beachtete ihn und letztendlich sank Harry erschöpft zusammen. Es war das erste Mal, dass Harry darüber nachdachte, ernsthaft sterben zu wollen, die Qualen endlich los zu werden und seinen Frieden wieder zu bekommen. Voldemort würde ihn eines Tages mit Sicherheit tatsächlich in den Wahnsinn treiben.
Es folgte eine Phase der absoluten Hoffnungslosigkeit, in der Harry sich nahezu nach dem Tod sehnte, doch keiner tat ihm den Gefallen. Nicht einmal Lord Voldemort legte besonderen Wert darauf Harry zu töten. Voldemort wusste zu genau, dass von dem jungen Slytherin keinerlei Gefahr ausging, solange er ihn kontrollieren konnte.
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Simon wirkte blass und krank, als er Ende April spät abends zu Besuch kam. Harry betrachtete ihn misstrauisch von seinem Bett aus und begrüßte ihn nicht. Die einzige Regung die sich tat, nachdem der Vampir eingetreten war, war Voldemort der seine ganze Aufmerksamkeit auf Simon richtete.
Harry spürte wie er unwillkürlich seinen Kopf drehte, um Simon zu mustern. Gleichzeitig überfluteten Voldemorts Gedanken Harrys Kopf und er rutschte an die Bettkante, um sich aufrecht hinzusetzen.
„Guten Abend, Mister Lestrange", sagte er kühl, „Schön dich zu sehen." Simon senkte seinen Blick und trat einen Schritt zurück. Unwillkürlich umklammerte seine Hand den linken Unterarm und für einen Moment verzog er seinen Mund zu einer von Schmerz geplagten Grimasse.
„Ich bin nicht gekommen um mit Ihnen zu reden", zischte Simon nachdem er sich gefasst hatte. Harrys Gedanken rasten erneut und nur mit Mühe konnte er den Impuls auf Simon zuzugehen unterdrücken und warf seinen Körper zurück auf die Matratze.
„Harry?", fragte Simon zögernd. Der Angesprochene hob schwach den Kopf. Er wollte Simon für seinen Ungehorsam schlagen, ihn bestrafen und wenn er einen Zauberstab gehabt hätte ihn sicher foltern. Harry spürte zwar Voldemorts Zorn auf Simon ruhen, doch konnte Voldemort sich beherrschen, den Vampir nicht sofort töten zu wollen.
„Du bereitest mir Schwierigkeiten", sagte Harry, „aber du kannst dich nicht für immer vor mir ver..." Harry schlug seine Hand auf den Mund und das letzte Wort erstickte gurgelnd in seiner Kehle. Seine Gegenwehr führte so weit, dass der Strom in seinem Kopf neu entfacht wurde und Harry mit aller Kraft dagegen ankämpfen musste, um nicht weiter Voldemorts Einfluss zu folgen.
„Simon", brachte er gepresst hervor, während er sich wieder gequält in seinem Bett hin und her wälzte. Er wollte von seinen Beobachtungen erzählen, die er in den letzten Tagen gemacht hatte, doch der Einfluss Voldemorts ließ ihn etwas ganz anderes sagen: „Es ist alles vorbereitet nur fehlt mir noch dein Herz um mit dem Ritual zu beginnen. Ich warte auf dich." Simon schluckte. Er war näher an Harry herangetreten, zögerte aber auch jetzt wieder. „Sieh ihn dir an! Er ist nur noch ein Häufchen Elend, verwirrt und wahnsinnig... Er wird nicht mehr lange kämpfen können und dann ist auch deine Hoffnung dahin." Harry lachte hysterisch, ohne den Vampir dabei aus den Augen zu lassen. Er wusste das Voldemort sich anstrengte, um Harry und Simon keine Möglichkeit zu geben sich untereinander auszutauschen. Diese Momente der absoluten Beeinflussung waren nie sonderlich lang, aber für Harry erschienen sie wie Ewigkeiten.
„My Lord, Sie irren", sagte Simon und hob eine Augenbraue, während er Harrys grüne Augen fixierte, „Er ist nicht wahnsinnig und ich fürchte er kann für Sie noch zu einer ernsten Gefahr werden." Ein Lächeln umspielte Simons Lippen. Harry jedoch war unfähig dieses auch nur wahrzunehmen und fixierte Simons blassblaue Augen. Ehe er sich versah verpasste Harry ihm eine saftige Ohrfeige. Es folgte ein Tritt, der Simon rückwärts gegen die Wand taumeln und stöhnend zu Boden sinken ließ.
Harry erschrak, als er noch im selben Moment erkannte, was er gerade tat und empfand Simons Schwäche noch als einen zusätzlichen Schock. Er sah noch wie Simon sich erneut aufrichtete, dann verschwamm Harrys Umgebung und der Strom riss seinen Geist tief in eine inzwischen fast vertraute dunkle Gedankenwelt. Noch war nicht alles Schwarz, aber er wollte beinahe in die gnädige Bewusstlosigkeit sinken, als er von einer unsichtbaren Hand zurückgerissen wurde. Vorbei an den vielen Bildern, dunkler Erinnerungen, wurde sein eigener getrübter Blick allmählich wieder klarer. Er blickte in zwei blassblaue Augen, die ihn konzentriert anstarrten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
„Simon was...?" Doch der Vampir hob rasch abwinkend die Hand.
„Hast du was über Hermine herausbekommen? Geht es ihr gut?"
„Nein, nichts neues... Es sind Berge im Hintergrund... Riesige kahle Berge, wie sie in den Highlands zu sehen sind... Aber ich habe keine Ahnung, wo sie sind."
„Zeig es mir", forderte Simon mit schwacher Stimme. Harry ging in sich und fand das Bild, in welchem er die Möglichkeit gehabt hatte aus dem Fenster zu schauen.
„Kennst du den Ort?", fragte Harry ungeduldig, nachdem Simon eine Weile schweigend neben ihm gesessen hatte und in sich horchte.
„Ich habe eine Vermutung, hoffe aber, dass ich mich irre", sagte er leise.
„Wo ist es?"
„Genau kann ich es noch nicht sagen... Ich werde mich dort erst einmal umschauen müssen."
„Simon!", stieß Harry alarmiert hervor, „Du darfst das nicht alleine machen! Wenn du einen Verdacht hast, geh zu Dumbledore!"
„Dumbledore?" Simons Stimme klang verächtlich, aber sein Ausdruck war verbittert, „Nein, ich kann nicht zu Dumbledore."
„Aber du musst ihm Bescheid geben! Was ist wenn der Lord dich in die Finger bekommt?"
„Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf", murmelte Simon, erhob sich und ging in Richtung Zimmertür.
„Warum kannst du nicht zu Dumbledore?", fragte Harry irritiert und der Vampir hielt inne.
„Weil ich - ich wieder gemordet habe... Er mag es nicht, wenn ich mich von Menschen ernähre und ich will mir nicht weiter seine Vorwürfe anhören müssen." Harry erschauderte und setzte ebenfalls zu einer Moralpredigt an, doch Simon verabschiedete sich rasch mit einer Geste und im selben Moment flog die Tür hinter Simon ins Schloss.
Harry lehnte sich zurück. Er spürte das Voldemort, mit dem, was er gehört hatte, zufrieden war und noch in der selben Minute war Harry von seinem Bett aufgesprungen und rannte wie ein Verrückter auf den Gang hinaus, doch von Simon fehlte jede Spur. Verzweifelt hämmerte er gegen das Dienstzimmer und schrie die Heilerin, die letztendlich die Tür geöffnet hatte, an, sie solle Simon zurückholen, doch sie schob ihn zurück auf den Gang, lächelte unverständlich und schloss die Tür vor seiner Nase. Nur Sekunden später kam sie mit Verstärkung zurück und Harry wurde ohne Chance auf Gegenwehr in sein Zimmer eingeschlossen und mit einem starken Beruhigungstrank sediert.
# - # - # - # - to be continued - # - # - # - #
