Wieso hatte sie überlebt? Wie konnten die beiden tot sein, und sie lebte? Sie hatten doch alle drei an einer Seite gekämpft. Wieso wurde sie verschont, obwohl sie eine Muggelgeborene war?

Wieso hatte keiner versucht, auch sie zu vernichten? Wäre das nicht eigentlich das Ziel gewesen? Die Welt von solchen Menschen, wie sie zu befreien?

Sie konnte nicht glauben, dass der Tod sie nun endgültig voneinander trennte. Hatten sie sich nicht geschworen, immer für einander dazusein? Doch jetzt konnte sie nicht mehr für ihre Freunde da sein.

Wieso musste sie ihre besten Freunde in einem Krieg verlieren, der eigentlich gewonnen war? Wieso waren die drei in dem letzten Kampf alleine gewesen? Wieso war ihnen keiner zu Hilfe gekommen? Wo war der Orden? Wo waren ihre Kollegen? Und vor allem, wo war Dumbledore?

Irgendwann gingen ihr die Tränen aus. Sie war eine ganz Weile an den Gräbern gesessen, als es zu dämmern anfing und sie sich auf den Heimweg machte. Langsam schleppte sie sich den Weg zurück. Wieder konnte sie Frauen am Fenster stehen sehen. Sie hörte in der Ferne sogar ein Baby schreien. Am Stadtrand bog sie rechts, in eine kleine, dunkle Gasse ein. Nur noch ein paar Meter und sie würde daheim sein. Plötzlich hörte sie hinter sich etwas. Aus Reflex griff sie nach ihren Zauberstab. Doch als sie sich umdrehte, war niemand hinter ihr.

Da spürte sie etwas an ihren Bein. Langsam senkte sie ihren Blick nach unten und sah zwei leuchtende Augen ihr entgegen Blicken. Sie war starr vor schrecken, als sie ein leises schnurren wahrnahm.

„Lumos", flüsterte sie und leuchtete auf den Boden hinunter. Zwischen ihren Beinen schlich, eine vom Krieg gezeichnete Katze. „Du hast mich aber erschrocken", sagt sie erleichtert und streichelte die Katze über ihr stumpfes Fell. „Ich glaube es nicht besonders gut, wenn du hier draußen bleibst", fuhr sie fort und nahm die Katze auf den Arm. Schnell setzte sie ihren Weg fort und war in wenigen Minuten zuhause.

Obwohl, ein „Zuhause"konnte man ihre Unterkunft nicht nennen. Es war mehr eine Ruine. Das Dach war löchrig, doch wenigsten hatte das Haus noch alle vier Wände. Es fehlten nur wenige Mauerstücke so das sie die Löcher mit ein paar Zaubersprüchen flicken konnte. Das Haus bestand nur noch aus einem großen Raum und einem kleinen, welchen sie als Bad benutzte. Anscheinend wurden die restlichen Zimmermauern beim Krieg zerstört. Man konnte nur erahnen wie das Haus früher einmal eingeteilt gewesen war. Es gab keine Fensterscheiben mehr. Sie hatte ein paar alte Tücher davor gehängt und einen Zauber benutzt, um die Kälte abzuhalten. Die Wände waren rissig und kahl. Hin und wieder huschte eine Ratte an den Mauern entlang und verschwand in einem der vielen Löcher im Gebälk. Sie hatte versucht, ein bisschen mit Zauberei zu renovieren, doch allzu viel durfte sie nicht machen. Vor allem durfte sie das Haus nicht von außen herrichten. Das Ministerium wollte nicht, dass die Muggel misstrauisch wurden. Sie wollten verhindern, dass noch einmal Krieg ausbrach. Die Magier sollten nicht in renovierten Häusern Leben, während die Muggel Probleme hatten, ihre Welt wieder aufzubauen. Auch in der Muggelwelt hatte sich viel verändert. Während des Krieges wurde die Monarchie beendet. Es gab nun niemanden, der das Land reagierte. Niemand, der sagte, wie es von nun an weitergehen sollte. Es schien so, als sei sich keiner einig, wie es weitergehen sollte. Überall herrschte Chaos. Die Menschen wussten nicht mehr, was sie glauben sollten und wem sie vertrauen konnten.

Als sie die große Tür des alten Hauses geschlossen hatte, legte sie sich auf ihren provisorischen Schlafplatz aus Stroh. Eine bequemere Liege hatte sie nicht. Sie musste schon fast dankbar für dieses „Bett"sein. Sie hörte wie ihr Magen knurrte. Vorsichtig stand sie auf und ging zu einer Holztruhe in der sie ihren Proviant lagerte. Viel hatte sie nicht. Das meiste Land wurde beim Krieg zerstört. Überall lagen Flugzeugstücke. Einige fanden sogar noch Bomben. Die Überlebenden hatten alle Hände voll zu tun, um ihre Stadt, ihr Dorf oder wo immer sie sonst lebten von den Überresten des Krieges zu befreien. Die Katze kam miauend zu ihr. Sie gab ihr etwas Milch. Sie selbst bekam nichts hinunter. Traurig beobachte sie die Katze und dachte nach. Ihr Blick glitt durch das Haus. Sie hatte Glück, so ein Haus zu haben. Es gab Hunderte in England, die für so ein warmes Zuhause gemordet hätten. Doch sie hätte alles dafür getan, die Zeit zurückzudrehen! Bis zu welchem Zeitpunkt? So genau wusste sie das auch nicht. Auf jeden Fall zu einer fröhlichern, ausgelassenen und vor allem lebendigern Zeit. Zu einer Zeit, an der der Tod ihr nicht hinterherlief. Zu einer Zeit, in der ihre einzigste Sorge daraus bestand, ihre Abschlussprüfung zu bestehen. Doch hatte es jemals in Hogwarts jemals eine Zeit gegeben, in der sie sich nur um ihre Noten kümmern musste? Immer wieder erinnert sie sich, wie sich die drei kennen gelernt hatten. Die erste Begegnung im Zug. Wie sie alle drei nach Gryffindor gekommen waren. Was sie alles miteinander erlebt hatten. Der Stein des Weisen, die Kammer des Schreckens, der Troll, wie sie Sirius das erste mal gegenüber standen, die Quidditch-WM usw. In den 7 Jahren in Hogwarts hatte das Trio mehr erlebt, als manch andere in ihrem ganzen Leben. Sie war zu müde um ihre Augen offen zu halten. Innerhalb weniger Minuten, war sie auf dem Boden in einen tiefen Schlaf versunken. Doch es war ein sehr unruhiger Schlaf. Die wurde die ganze Zeit von Albträumen heimgesucht.

Keuchend wachte sie auf. Sie hatte gerade den schlimmsten Albtraum von allen geträumt. Ihr Kopf pochte vor Schmerzen. Sie hatte in dem Moment eine kleine Vorstellung davon, wie Harrys Narbe geschmerzt haben musste. Sie konnte sich Vorstellen, wie Harry sich wegen dem Tod seiner Eltern, Sirius und Cedric gefühlt haben musste. Doch konnte sie ihre Gefühle eigentlich mit denen Harrys vergleichen? Konnte sie nur im geringsten nachfühlen, wie sich Harry gefühlt haben musste? Konnte sie jemals seine Schmerzen verstehen? Mühevoll stand sie vom Boden auf und legte sich zurück in ihr Bett. Sie spürte wie es sich die Katze an ihren Füssen bequem gemacht hatte. Lange lag sie wach und dachte nach. Morgen würde in Hogwarts eine Gedenkfeier stattfinden. Sie war seit über einem Jahr nicht mehr dort gewesen.

Früher war Hogwarts für sie ein Zuhause gewesen, doch heute empfand sie dafür nur noch Enttäuschung. Enttäuschung von den Zauberern und den Hexen, die alle einst mit ihnen diese Schule besucht hatten. Enttäuschung gegenüber dem Orden, den Auroren und den Heilern. Und vor allem war sie von Dumbledore enttäuscht.

Doch sie wollte die Einladung trotzdem annehmen. Sie wollte ihrer Enttäuschung freien Lauf lassen. Bei der Gedenkfeier hatte sie die Gelegenheit zu fragen, warum keiner da gewesen war. Warum keiner zu Hilfe gekommen war. Ob sie etwa dachten, Harry würde das schon alleine regeln. Ja, sie wollte diese Feiglinge zur Rede stellen. Die einzigen, die Harry Potter zur Seite gestanden hatten, waren Ron Weasly und sie gewesen – Hermine Granger.