Kapitel 3: Fehler
Verletzt,
Weil er nicht anders kann
Er weiß nicht wohin
Weil sich alles nur im Kreis dreht
Seine Anstrengungen drehen sich im Kreis
Und ist da mal ein Lichtblick
So ist der im nächsten Augenblick
Schon längst verloren
(Sad-Banana, http/www.schreibart.de)
Hermine stand mitten in Snapes Büro, am helllichten Tag, allein, unter Harrys Tarnumhang. Sie hatte über eine Viertelstunde gebraucht, um alle Sicherheitsmaßnahmen des Zaubertränkemeisters zu umgehen und seine Tür zu öffnen. Aber sie wusste, dass er gerade die Erstklässler unterrichtete, und sie daher noch über eine Stunde Zeit hatte. Es hatte sie gestern noch sehr viel Mühe gekostet, Harry seinen Tarnumhang abzuschwatzen, denn sie hatte sich geweigert, ihm zu sagen, wofür sie den Umhang brauchte. Aber schließlich hatte er doch nachgegeben und jetzt war sie hier. In Snapes Büro auf der Suche nach Hinweisen. Schuldgefühle nagten an ihr, während sie sich leise durch den Raum bewegte und schließlich die Schubladen seines Schreibtisches durchsuchte. Sie hätte es Harry und Ron erzählen sollen. Sie hätte eigentlich nicht hier sein sollen. Dumbledore vertraute Snape, vielleicht sollte sie auf sein Urteilsvermögen vertrauen. Aber das untrügliche Gefühl, dass etwas an dieser Sache faul war, ließ sie weitersuchen, anstatt zu fliehen, bevor sie sich in ernsthafte Schwierigkeiten brachte.
Die Schreibtischschubladen brachten nichts Interessantes zutage, außer weiteren Schriftstücken über den Auferstehungstrank und Snapes Notizen dazu. Die letzte Schublade war abgeschlossen und Hermine öffnete sie mit ihrem Zauberstab. Was sie fand waren… Briefe. Sie nahm einen davon in die Hand. Der Brief war alt, laut dem Datum über 10 Jahre alt, und unterschrieben war er von Lucius Malfoy. Sie überflog die handgeschriebenen Zeilen, fand aber nichts Interessantes darin. Ein wenig schuldbewusst legte sie den Brief wieder weg. Das hier ging sie nichts an. Sie wollte die Schublade schließen, da fiel ihr noch etwas auf, unter einigen anderen Briefen. Ein Foto.
Hermine nahm es zur Hand und dabei kam auch ein Schriftstück zum Vorschein. Sie hob es hoch. Der Brief war zerrissen, sie hatte nur die untere Hälfte in der Hand. Die Schrift war unruhig und schief, so als wäre der Brief in Eile geschrieben worden, Tintenkleckse und ein dunkelroter Fleck verdeckten teilweise die Buchstaben, und trotzdem erkannte Hermine Snapes Handschrift. …verraten. Er weiß, wo ihr seid, las sie und darunter stand Snapes Unterschrift. Die obere Hälfte des Briefes fehlte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Wahrscheinlich hatte es auch keine Bedeutung, offensichtlich hatte er den Brief ja nie abgeschickt.
Sie sah das Foto an, es zeigte zwei junge Leute etwa in ihrem Alter. Das Mädchen kannte sie nicht, obwohl sie ihr irgendwie bekannt vorkam, aber der Junge neben ihr… schlaksig, hochgewachsen, mit dunklen, ungepflegten Haaren… das war Snape. Das Mädchen auf dem magischen Foto versuchte offenbar, Snape zum Lächeln zu bringen, aber starrte nur missmutig vor sich hin. Hermine musste grinsen.
Jemand packte sie beim Handgelenk und Hermine schrie auf. Das Foto und der Brief fielen ihr aus der Hand. Sie riss den Kopf herum und sah zuerst nur eine Hand, die nach ihr griff, dann wurde ihr der Tarnumhang vom Kopf gerissen und sie sah sich unversehens Severus Snape gegenüber, der rasend vor Zorn war. Er sagte nichts, sondern hielt sie nur fest, und seine Finger gruben sich so fest in ihren Unterarm, dass sie einen Schrei unterdrücken musste. "Professor Snape!", rief sie. "Es tut mir leid! Ich wollte nicht…"
Er schien sie gar nicht zu hören. Sein Blick fiel nach unten auf das Foto und den Brief und Hermine glaubte, ohnmächtig werden zu müssen. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Snape war so wütend. Er würde sie in eine Kröte verwandeln. Er würde es Dumbledore sagen. Sie würde von der Schule fliegen. Harry würde Ärger kriegen. Was würden ihre Eltern sagen? Sie steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten, aber all das rückte in den Hintergrund als Snape sie anschrie: "Wie können Sie es wagen in meinen Sachen herumzuschnüffeln!"
"Ich wollte es nicht, wirklich! Ich wollte nur wissen, wofür sie den Trank brauchen, das ist alles! Der Brief… es war Zufall, dass ich…" Weiter kam sie nicht, denn er zerrte an ihrem Arm und sie taumelte an ihm vorbei und prallte gegen die geschlossene Tür. Er hatte sie losgelassen und sie drehte sich ängstlich um.
Sein Gesicht war wutverzerrt und er schrie: "RAUS!"
"Bitte, ich…"
"RAUS!", brüllte er. "Bevor ich mich vergesse!"
Sie riss die Tür auf, und stürmte, fast schon panisch, nach draußen. Sie hörte noch, wie Glas zerplatzte, als er irgendwas gegen die Wand warf. Hermine rannte den Gang entlang, so schnell sie konnte, wollte nur weg von ihm. Sie hörte ihn schreien und begriff gar nicht, was sie getan hatte, was ihn dermaßen ausrasten ließ.
Sie hörte nicht auf zu rennen, bis sie den Gryffindor Turm betreten hatte und dort rannte sie als erstes Harry und Ron in die Arme, die schon auf sie gewartet hatten. Die zwei waren sehr erschrocken, als sie sahen, wie aufgelöst Hermine war. Sie wurde auf die Couch befördert und in ihrer Aufregung erzählte sie den beiden einfach alles. Was für einen Trank Snape braute, dass sie ihm dabei geholfen hatte, und warum sie nachts mit dem Tarnumhang in sein Büro geschlichen war. Sie erzählte, was sie gefunden hatte und wie Snape reagiert hatte. "Er wird mich rauswerfen lassen!", schluchzte sie. "Was habe ich mir nur dabei gedacht?"
Die beiden Jungs schien etwas anderes mehr aufzuregen. Harry hatte ihr den Tarnumhang weggenommen und ihn vorsichtshalber versteckt, falls Snape ihn als Beweisstück konfiszieren wollte, und dabei gesehen, dass Hermines rechtes Handgelenk stark gerötet war, dort wo Snape sie so grob angefasst hatte. Ron machte einen wahnsinnigen Aufstand darum und knurrte: "WIR gehen zu Dumbledore! Nicht du fliegst von der Schule, sondern Snape! Egal was du getan hast, er darf nicht handgreiflich werden! Dieser miese…"
"Ron!", fiel Harry ihm ins Wort. "Beruhige dich, ja? Und du auch, Hermine. Snape wird niemandem davon erzählen, denn Ron hat Recht. Wenn wir Dumbledore dein Handgelenk zeigen, dann hat er genauso Schwierigkeiten wie du, und das will er sicher nicht. Außerdem möchte er garantiert nicht, dass jemand erfährt, dass er mit schwarzer Magie herumexperimentiert."
Hermine atmete tief ein. Vielleicht hatte Harry Recht. Sie zwang sich, sich zu beruhigen. "Und was soll ich jetzt tun?", flüsterte sie.
"Du wartest einfach ab", schlug Ron vor.
Harry nickte. "Genau. Wenn er zu Dumbledore geht, was ich allerdings sehr bezweifle, erfährst du es sowieso früh genug. Und wenn nicht, hältst du dich einfach in Zukunft von ihm fern. Ich finde es sowieso nicht gut, dass er dich da mit rein gezogen hat. Was auch immer er da zusammenbraut, er soll es ohne dich tun."
"Keine Sorge", fügte Ron hinzu. "Wenn er uns unterrichtet, werden Harry und ich auf dich aufpassen, und ihn von dir ablenken, wenn er versucht, auf dir rumzuhacken. Außerdem sollten wir ihn generell im Auge behalten. Es gefällt mir nicht, dass er mit schwarzer Magie herumexperimentiert."
Wie Harry und Ron es vorausgesagt hatten, gab es keine Reaktion auf das, was in Snapes Büro passiert war. Natürlich war Hermine erleichtert darüber, aber sie konnte weder die Furcht vor seiner Rache noch ihr schlechtes Gewissen wirklich unterdrücken. Auch Ron und Harry hatten sich keinen Reim auf den Brief und das Foto machen können, und ihr war immer noch nicht klar, was sie da gesehen hatte. Aber es musste etwas sehr privates gewesen sein. Oder etwas Geheimes, das ihn belasten könnte, sagte eine fiese Stimme in ihrem Kopf, aber daran konnte sie nicht wirklich glauben. Der Brief war doch eine Warnung gewesen. Eine Warnung an wen? Voldemort und die Todesser vielleicht? Aber vor wem? Das machte nicht besonders viel Sinn, und selbst wenn es so wäre, der Brief hätte keinerlei Beweiskraft. Es konnte ihm ja relativ egal sein, ob sie ihn gesehen hatte oder nicht. Warum war er so wütend geworden? Zwei Tage lang grübelte sie darüber nach, ohne eine Antwort zu finden. Natürlich wagte sie es am Donnerstag nicht, abends zu ihm zu gehen. Sie war sich ziemlich sicher, dass er nach dieser Sache nicht mehr wollte, dass sie ihm bei dem Trank half. Jetzt hatte sie wieder mehr Zeit, aber die Arbeit mit ihm hatte ihr irgendwie Spaß gemacht und sie hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, dass sie sich diese Chance ruiniert hatte.
Am Schlimmsten war der Unterricht bei Snape. Sie hatte sich sehr davor gefürchtet, aber als er ins Klassenzimmer kam, war er wie immer. Er beachtete sie nicht, und sie wagte es nicht, die Hand zu heben und etwas zu sagen, es gab keine unprovozierten Beleidigungen und auch keine lebensbedrohlichen Unfälle. Einfach… nichts.
Es war nicht mehr zu ändern. Sie hatte einen Fehler gemacht, und jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Eine Weile lang dachte sie daran, es mit einer Entschuldigung zu versuchen, aber sie hatte zu viel Angst vor ihm. So wütend wie er gewesen war, als er sie erwischt hatte, wollte sie ihm nie wieder begegnen.
Was sie nicht losließ, war das Geheimnis um den Auferstehungstrank. Sie war nach wie vor überzeugt, dass des Rätsels Lösung irgendwo in dem lateinischen Text stand. Auch wenn Snape ihre Hilfe jetzt nicht mehr wollte, sie wollte wissen, woran sie gescheitert waren. Ein Rätsel war dazu da, um gelöst zu werden, und sie konnte nicht aufhören, sich damit zu beschäftigen. Die ganze nächste Woche verbrachte sie in der Bibliothek und suchte nach Hinweisen. Aber sie hatte alle Bücher schon mindestens zweimal durchgelesen, die den Auferstehungstrank auch nur erwähnten. Jedenfalls alle, die im öffentlichen Teil der Bibliothek standen.
Die Idee, dass die Lösung im verbotenen Teil der Bibliothek lag, setzte sich in ihrem Kopf fest. Sie überlegte lange, wie sie dort hinkommen sollte, aber außer Harrys Tarnumhang fiel ihr nichts ein. Natürlich hatte sie weder Harry noch Ron gesagt, dass sie sich noch immer mit Snapes Trank beschäftigte, und das hatte sie auch nicht vor, es war nicht schwer, sich deren Reaktion vorzustellen. Schließlich ging sie einfach spät abends zu Harry und erzählte ihm, sie hätte etwas in der Bibliothek vergessen und wollte es holen. Um diese Uhrzeit durfte man sich dort nicht mehr aufhalten und sie erzählte ihm einfach, dass sie sich momentan lieber nichts zuschulden kommen lassen wollte, und deshalb den Umhang brauchte. Harry war nicht dumm und sein misstrauischer Blick sagte überdeutlich, dass er ihr kein Wort glaubte, aber er fragte nicht nach und gab ihr den Umhang, wofür sie ihm wirklich dankbar war.
Mit klopfendem Herzen, verborgen unter dem Umhang, schlich sich Hermine in die Bibliothek bis zu den verbotenen Büchern. Von Septimus gab es hier einige Bücher, da er sich auch mit schwarzer Magie beschäftigt hatte. Sie war aber mehr interessiert an anderen Autoren, die sich mit seinen Erkenntnissen beschäftigt hatten. Gerade wollte sie ein Buch aus dem Regal nehmen, da hörte sie Schritte. Sofort wich sie zurück und wollte diesen Teil der Bibliothek verlassen, aber sie befand sich zwischen zwei Regalen, auf der einen Seite war die Wand und auf der anderen Seite tauchte in dem Moment jemand auf. Es war ausgerechnet Snape, dessen Gesicht im Licht seines Zauberstabs sogar noch furchterregender aussah als sonst. Erschrocken wich sie zurück und drückte sich gegen die steinerne Wand.
Snape schien sie nicht bemerkt zu haben. Er suchte das Regal ab und kam dabei immer näher, blieb dann aber dort stehen, wo sie eben noch gestanden hatte und nahm ausgerechnet das Buch in die Hand, das sie sich hatte holen wollen. Sie hatten wohl beide dieselbe Idee gehabt.
Sie sah zu, wie Snape das Buch einsteckte und sich von ihr abwandte, um zu gehen. Hermine wollte schon erleichtert aufatmen, da zuckte Snape plötzlich zusammen. Der Zauberstab fiel auf den Boden, er hielt sich am Regal fest und krümmte sich. Hermine wusste nicht, was sie tun sollte. Irgendwas stimmte nicht mit ihm und sie musste ihm doch helfen… aber wenn er sie hier erwischte…
Die Entscheidung wurde ihr zum Glück abgenommen, denn noch jemand tauchte auf dem Gang auf. "Ist alles in Ordnung, Severus?" Es war Dumbledore.
Snape bückte sich, um seinen Zauberstab aufzuheben und richtete sich wieder auf. "Ich bin nur gestolpert", sagte er knapp. Hermine drückte sich immer noch an die Wand und wagte es kaum, zu atmen.
"Tatsächlich? Du siehst erschöpft aus, mein Junge", sagte der Schulleiter. Hermine hatte ihn noch nie "mein Junge" zu Snape sagen hören.
Und dem schien es auch nicht sonderlich zu gefallen. "Ich sagte doch, es geht mir gut." Er wollte gehen, aber Dumbledore stand im Weg und machte keine Anstalten, ihm Platz zu machen.
"Ich habe gehört, du hast dir jemanden gesucht, der dir bei deinen Tränken hilft?", meinte Dumbledore und Snape zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
"Ja… nein. Ich hatte Miss Granger darum gebeten aber es gab da einen… Zwischenfall", erwiderte Snape, dem die Unterhaltung ganz und gar nicht zu behagen schien.
Dumbledore strich sich über seinen Bart. "Ach, so ist das?"
"Albus, misch dich da bitte nicht ein." Snape klang jetzt wütend. "Das ist meine Sache. Ich brauche keine Hilfe. Gute Nacht." Er drängte sich an Dumbledore vorbei und man konnte hören, wie er sich mit schnellen Schritten entfernte.
Der Schulleiter stand noch einen Augenblick lang da und sah ihm nach, dann drehte auch er sich um und ging. Hermine atmete erleichtert auf. Sie wartete, fünf Minuten lang, um sicherzugehen, dass weder Snape noch Dumbledore zurückkamen, dann flüsterte sie "Lumos" und machte sich im Licht das der Zauberstab spendete auf den Weg. Sie hatte nicht mehr die Nerven, um nach weiteren Büchern zu suchen, außerdem hatte Snape das, was sie hatte lesen wollen, mitgenommen.
Hermine kam nicht besonders weit. Nach ein paar Metern bog sie um die Ecke und sah sich unversehens Dumbledore gegenüber, der mit einem wissenden Lächeln zu ihr runter sah. Mist. Da er das Licht des Zauberstabs ja sowieso schon gesehen hatte, zog sie sich den Umhang vom Kopf und sagte kleinlaut: "Professor, es tut mir leid. Ich weiß, ich sollte…"
"…nicht hier sein, ja", unterbrach er sie. "Haben Sie ein verbotenes Buch bei sich?"
"N-nein…"
"Nun, ich denke, dann kann ich darüber hinwegsehen. Aber beantworten Sie mir eine Frage. Warum haben Sie damit aufgehört, Professor Snape zu assistieren?"
"Oh…" Hermine überlegte, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. Schließlich entschied sie sich, so nahe wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben. "Ich habe einen Fehler gemacht und er hat sich… sehr geärgert."
"Vielleicht sollten Sie es mit einer Entschuldigung versuchen?"
Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass Dumbledore sehr genau wusste, was vorgefallen war. Vielleicht konnte er ihr ja einen guten Rat geben. Deshalb sagte sie: "Ich traue mich nicht. Er war so wütend."
"Severus braucht Ihre Hilfe. Versuchen Sie es, ich denke, er wird Ihre Entschuldigung akzeptieren."
"Okay…", murmelte sie. "Danke. Gute Nacht, Professor Dumbledore."
"Gute Nacht", sagte er mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, das Hermine sich nicht erklären konnte.
…tbc…
