Narcissa Malfoy war aus Erschöpfung und Langeweile eingeschlafen. Erst das Sirren einer Motorsäge weckte sie. Arbeiter setzten sie am Baum neben ihr an. Ast für Ast fiel zu Boden. Lähmendes Entsetzen packte sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie Bedauern mit Leben, das ausgelöscht wurde, denn in ihr machte sich eine Ahnung breit, dass auch ihres so enden könnte.

Amroth lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück und legte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. Heute war der Tag gekommen – sein Tag.

Lucius Malfoy Senior kribbelte der Fuß, der nicht mehr existierte. Am liebsten hätte er seinen Stock fallen gelassen und ihn gekratzt. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Er fluchte.

Lucius stand vor dem versammelten Orden. Niemand braucht zu erfahren, dass Narcissa verschwunden ist, dachte er. Noch nicht. Er musterte die Gesichter der Männer der Reihe nach. Sie würden ihn wählen. Geld und Macht waren auf seiner Seite ebenso wie die Tatsache, dass die Malfoys die Speerspitze von Voldemorts erneutem Aufstieg gebildet hatten. In Redepausen gönnte er sich den einen oder anderen Gedanken an Hermine. Sie waren für heute Abend verabredet. Gleicher Ort, gleiche Zeit.

Amroth hieß seinen Besucher herzlich willkommen. Malfoy fand, dass er nicht so aussah wie er sich einen Meistervampir vorgestellt hatte: So alt wie er selbst und genauso zernarbt. Doch er spürte in dem anderen eine Vitalität, die die seine in den Schatten stellte. „Meister," begrüßte er den anderen freundlich. „Willkommen in meinem Haus," erwiderte der Vampir seine Freundlichkeit. Malfoy beherrschte wie kaum ein anderer, seine wahren Absichten zu verschleiern – wenn er es denn wollte. Meist hatte er es schlichtweg nicht nötig. Doch der Vampir wusste, dass er seinen Gast auch in dieser Hinsicht übertraf. Er dachte an die Nacht zurück, in der er Narcissa aus dem Haus gelockt hatte, weil Lucius günstiger weise außer Haus gewesen war.

Hermine vergewisserte sich, dass ihr Kleid saß. Sie hatte einen leichten Lippenstift aufgetragen (eben erst gekauft, denn vorher hatte sie keinen besessen) und stellte erfreut fest, dass dieser ihre natürliche Ausstrahlung noch betonte. Sie hoffte, heute Abend nicht die Wirkung zu verfehlen. „Er steht euch," kommentierte der Spiegel. „Ich danke euch, Sir Cadogan." Sie dachte über das Schicksal ihres Gesprächspartners nach. Wer ihn in den Spiegel verbannt hatte, wusste sie nicht, und er zog es vor, darüber zu schweigen. Nachdem Hogwarts von Voldemorts Handlangern geschlossen und sein Inventar verkauft worden war, hatte der Spiegel – sie dachte von ihm nur als Sir Cadogan – seinen Weg ins „Friar's Inn" gefunden.

Als sie aus der Tür trat, sah sie seinen geraden Rücken und sein helles Haar bereits. Ihr Herz hämmerte, sie wusste nicht, ob in Erwartung dessen, was kam, oder aus Angst vor sich selbst. Er musste ihren Blick gespürt haben, denn er drehte sich zu ihr herum und sah ihr geradewegs in die Augen. Seine strahlten: „Hermine." „Lucius," begrüßte sie ihn zurückhaltend. Er beugte sich zu ihr hinab. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als ihr, und er liebte große Frauen. Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie das Strahlen in seinen Augen getroffen hatte, unvorbereitet und an ihrer empfindlichsten Stelle. Er nahm ihre Hand, und sie umfasste seine. Kraftvolle, schlanke Hände, wie Ron sie gehabt hatte. Die Erinnerung versetzte ihr einen Stich.

Mit einem Nicken verabschiedeten sie sich von dem Wirt.