Amroth vertiefte sich in die Gesichtszüge und Gedanken seines Gegenübers. Er hatte sich geschworen, die Familie seines Gastes auszulöschen. Langsam und mit Muße. Er dachte an die Nacht zurück, in der durch den Park gewandelt war und gesehen hatte, dass von dem Baum, der Narcissa gewesen war, nur noch ein Stumpf geblieben war.
Sein Sohn hatte an einer seltenen Krankheit gelitten, und nur das Blut eines Weasley hätte ihn heilen können. Nicht irgendeines Weasley, sondern Ronald Weasleys. Einmal einen tiefen Schluck zu nehmen, sobald Ron das fünfunddreißigste Lebensjahr erreicht hatte, hätte sein Leben retten können. Ronald war vor seinem zweiunddreißigsten gestorben, ermordet von Draco Malfoy in einem Duell, das die Zaubererwelt erschüttert hatte. Zu Amroths Zufriedenheit hatte er Draco mit in den Tod genommen.
Lucius Malfoy ahnte von all dem nichts.
Dennoch berührte den Vampir, was er in der Miene des anderen sah: Einen Kummer, der dem seinen gleichkam. Beide waren sie Männer ohne Söhne, beide gezeichnet vom Krieg, beide alt und entschlossen, nicht von ihren Zielen zu lassen.
Hermine spürte Lucius' Hand in ihrem Rücken, warm und sanft. Sie entspannte sich unter seiner Berührung. Dieses Mal übernahm sie die Initiative, küsste ihn, behutsam und mit mehr Zärtlichkeit, als sie in sich vermutet hätte. Sie öffnete sich ihm, obwohl sie sich vorgenommen hatte, genau das nicht zu tun. Doch sie hatte die Erfahrung gemacht, dass das Leben seinen Lauf nahm, und meist anders, als man dachte. Sich dagegen aufzulehnen, brachte manchmal Erfolg, doch häufig noch mehr Leid. Also ließ sie es geschehen. „Worüber denkst du nach?" Sie zögerte einen Moment, sagte dann: „Über das Leben. Über mich." Interessiert forschte er in ihren Augen. „Über dieses und jenes," sagte sie. „Verunsichere ich dich?" „Nein. Ja. Ja, doch, vielleicht. Ich weiß es nicht. Ist das wichtig?" „Nein." Hermine schüttelte ihre letzten Zweifel ab und gab ihm klar zu verstehen: „Du bist nur nicht der Mann, mit dem ich mich im Bett wieder zu finden geglaubt hatte." „Mir geht es nicht anders." „Dann bin ich beruhigt." Sie war es wirklich.
„Wie gefällt es Ihnen in der Stadt?" Etwas Smalltalk konnte ja nicht schaden, fand Lucius. „Ich bin noch nicht lange genug hier, um mir ein Urteil gebildet zu haben," sagte Amroth. Er warf einen Blick auf die Stelle, an der sich der Fuß des Seniors hätte befinden müssen. Sein Spaziergang durch Malfoys Geist hatte ihm längst gezeigt, wie sein alter Freund Remus zugebissen hatte, um sich seiner Haut zu wehren.
Remus füllte den Ofen mit Kohle auf. Der Krieg hatte ihn arm gemacht, wie alle – mit Ausnahme der überlebenden Todesser und Amroth Akestos – und er konnte sich nicht leisten, seine magische Energie für so etwas Alltägliches wie das Heizen zu verschwenden. Auroren wurden überall gebraucht, um Voldemort von noch mehr Unheil abzuhalten. Er hatte sich in eine Muggel aus der Nachbarschaft verliebt, die jedoch nicht ahnte, was er war – und es niemals erfahren durfte. Er wusste, dass er Melanie verlieren würde, wenn er sich ihr offenbarte. Er hatte sie auf einen Tee eingeladen, und sie hatte zugesagt. Mehr durfte sich ein von Narben gezeichneter alternder Werwolf nicht erhoffen, doch ihn erwärmte schon der Gedanke an sie. Voller Trauer dachte er an seine Zeit in Hogwarts zurück, wenn er die Zeit dazu hatte, denn bei allem Schmerz, den ihm die Erinnerung brachte, erfüllte sie ihn doch.
Malfoy sah sich in der Bibliothek um, in die ihn sein Gastgeber geführt hatte. Bücher reihten sich bis zur Decke aneinander, aufgereiht in Regalen, die reich verziert mit Schnitzwerk schon für sich genommen ein Vermögen wert waren. Dieser Mann war ganz nach seinem Geschmack, und er hoffte, dass der Vampirmeister ihn als ebenbürtig betrachtete. Bislang war das Gespräch nach seiner Zufriedenheit verlaufen.
