Alexander Corvinus, verstoßener Bruder König Matthias Corvinus des I. von Ungarn, hatte drei Söhne: Einen, gebissen von einem Wolf. Einen, von einer Fledermaus gebissen. Einen, der auf den sterblichen Pfaden des Menschen wandelte. Alexander (II.) hatte nur einen Sohn, der früh starb, dessen Kinder jedoch die Wälder eroberten – des Nachts in Gestalt von Wölfen. Sie fühlten sich der Natur näher als den Häusern. Matthias (II.) war Vater dreier Kinder: Amelia, Viktor und Marcus. Diese drei begründeten das Haus Szilasombyszar („Gekreuzte Schwerter"). Annähernd zwei Jahrhunderte war das Haus im Frieden vereint. Die Kinder Alexanders Matthias Corvinus blieben Menschen, ihre Existenz geriet in Vergessenheit bei denen, die zu Jägern geworden waren.

Marcus und Viktor kreuzten häufig die Schwerter – mit ihren Zungen und aus purem Vergnügen. Doch dann wurde aus Spaß Ernst, und jeder erhob Anspruch auf die Führung des Hauses. Amelia versuchte zwischen den Brüdern zu vermitteln.

Der Name „Gekreuzte Schwerter" ist beinah prophetisch gewesen, dachte Viktor bitter und parierte den Hieb seines Bruders. Als ältester Sohn seines Vaters trug er dessen Schwert, eine schlichte und elegante Waffe. Marcus griff erneut an, und Viktor spürte in dem Stoß das hitzige Temperament seines Bruders.

„Marcus, hör auf. Ich will dich nicht töten müssen."

„Ich höre nicht auf zu kämpfen, bis ich nicht die Führung habe."

„Was qualifiziert dich?" fragte Viktor kalt, „Du bist der Jüngste, wenn ich dich daran erinnern darf." Er stieß zu, Metall schlug auf Metall.

„Ich bin fähig," sagte der andere durch die zusammengepressten Zähne. „Du hast nicht mehr Rechte als ich."

„Genauso wenig wie du."

„Marcus, Viktor, ich bitte euch, hört auf."

Viktor ließ das Schwert sinken. Sich den Bitten seiner Schwester zu verschließen, war ihm unmöglich. Marcus zögerte erst, folgte dann seinem Beispiel. Viktor und Amelia sahen Marcus manches nach. Er war der jüngste der drei, sein Haar so blond wie das von Viktor, seine Augen so dunkel wie die Amelias.

„Es geht so nicht weiter," sagte Viktor entschieden, „Zumal unsere Brüder in Wolfsgestalt in unser Jagdrevier vordringen, da die Sterblichen ihnen die Nahrungsgründe nehmen." „Es gibt eine Lösung."

„Ach ja?" Viktor zog die Augenbrauen hoch.

„Wenn Lucian einverstanden ist, könnten wir die Lykaner als unsere Tageslichtwächter engagieren."

„Und wie zahlen wir sie aus?" wollte Amelia wissen.

„In dem wir einen Teil unseres Vermögens abzweigen, gerade so viel, dass sie sich dafür auf den Märkten der Sterblichen genug Fleisch kaufen können, um einen Bau zu versorgen."

Viktor überschlug die Kosten im Geiste: „Du bist radikal, Bruder, doch deine Idee hat etwas für sich."

„Wie gedenkt ihr in Zukunft miteinander umzugehen? Bedenkt, das Haus zählt, nicht ihr. Unsere Macht bleibt nur erhalten, wenn ihr an einem Strang zieht."

„Jeder hat ein Recht, dieses Haus zu regieren!" brauste Marcus auf.

„Amelia hat Recht," beschwichtigte ihn Viktor, „Und sie sollte genauso an der Herrschaft beteiligt werden."

„Und wenn ich nicht will?"

„Gerechtigkeit für alle oder keinen," beschied er ihr und ignorierte ihren skeptischen Blick. Sie neigte zustimmend den Kopf: „Ich schlage euch etwas vor: Jeder übernimmt für einen festgelegten Zeitraum die Führung, wir wechseln aneinander ab. Wer nicht herrscht, schläft und wird nach Ablauf einer gewissen Frist wieder erweckt, um erneut zu herrschen. So ist die Reihe an jedem, und an jedem für einen gleich langen Zeitraum. Ich werde in die Gestaden jenseits den Schwarzen Meers übersiedeln, da ich nicht länger zwischen euch stehen will. Akzeptiert ihr?"

„Ich akzeptiere. Von allem, was ich in letzter Zeit hören musste, war dies noch das Vernünftigste."

„Marcus?"

„Ja," sagte er mit schmalen Lippen.

„Dann ist es beschlossen," entschied Amelia.

„Ich lade Lucian ein," schlug Viktor vor.

„Gut."

Amelia trat auf ihn und küsste seine Wange: „Danke, Bruder."

Er sah ihr nach, als sie die geschnitzte Treppe hinaufstieg, eine Königin ihrem Denken und ihrer Haltung nach.

Marcus folgte seinem Blick und raunte ihm scharf ins Ohr: „Ich weiß, dass du sie begehrst, und ich schwöre dir, dass ich dich töten werde, solltest du sie anders berühren als ein Bruder."

Viktor schuf Distanz zwischen sich und dem Jüngeren: „Du würdest es mit Vergnügen tun, doch ich verspreche dir, dass ich dir hierfür keinen Anlass geben werde."

Marcus Augen trafen die seinen: „Danke ihr, dass sie sich deiner Nähe entziehen wird, denn sähest du auch nur die geringste Chance, tätest du es."