Ausnahmezustand
Das Unvermeidliche trifft ein
Nächster Donnerstag: Draco Malfoy sackte in sein weiches Bett ein. Er brauchte eine Verschnaufpause, und wo könnte er die besser bekommen als in seinem Zimmer? Dafür musste er zwar Zabini als Anhängsel ertragen, was ihn aber nicht weiter störte, da dieser nicht gerade viel redete.
Er hatte jetzt schon die Schnauze voll von diesem erzwungenem „Frieden" zwischen Slytherin und Gryffindor. Potter ging ihm nach wie vor auf den Geist, nur diesmal konnte er es ihm nicht so offensichtlich zeigen. Gedankenversunken spielte Draco mit seinem Zauberstab herum.
Zabini, der wie immer auf seinem Bett saß und in einem Buch schmökerte, die Lesebrille auf der Nase und die schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden, schaute kurz auf, als er Draco seufzen hörte. Seltsame Geräusche für seinen Zimmerpartner, das bekam sogar er mit. Aber er wagte es nicht, ihn anzusprechen. Obwohl sie sich schon seit Beginn der Schulzeit ein Zimmer teilten, waren sie sich nie näher gekommen. Zum einen lag das an Zabini verschlossener und einzelgängerischer Art, zum anderen an Dracos Arroganz.
Letzterer fuhr sich nun durch die Haare und kehrte dann in die Realität zurück. Er warf Zabini einen Blick zu, erkannte, dass dieser wohl im Sitzen und mit offenen Augen eingeschlafen sein musste und stand auf, ging zur Tür und schlüpfte hinaus. Blaise schüttelte den Kopf und holte sein Tagebuch hervor, notierte kurz etwas, bevor auch er sich zu der nächsten Stunde, Zaubertränke, begab.
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Harry gähnte. Wieder einmal verging die Zeit viel zu langsam, und wieder einmal in Zaubertränke, und wieder einmal hatte er den Fehler begangen, dies offenkundig zu zeigen.
„Mr. Potter, was ist es denn diesmal, was unter ihrem Niveau liegt?", knurrte Snape ihn an.
Harry hielt dem herausfordernden Blick einen Moment stand, dann blickte er auf seinen zerkratzten Holztisch.
„Ah, und einer Antwort sind Sie auch nicht würdig? Zehn Punkte Abzug von Gryffindor für Überheblichkeit!" Snape grinste selbstgefällig. Erwartungsgemäß ließ Malfoy ein Lachen erklingen, wenigstens hier durfte er das noch. Snape blickte vergnügt zu seinem Lieblingsschüler. Es war heute das erste Mal, dass er wirklich anwesend war. Snape beschloss, dass er Probleme mit seinen Eltern hatte und wollte ihn aufmuntern.
„Also gut, dann gehen wir jetzt mal in die Praxis über", sagte er zu der Klasse. „Ich werde die Paare einteilen", ergänzte er noch. Nun, wenn Malfoy seinen Frust ablassen müsste, würde er ihm jetzt die Gelegenheit dazu geben.
Harry stöhnte. Auch das noch, Paare in Zaubertränke hieß immer, dass er mit Malfoy zusammenarbeiten musste. Als Snape das Startzeichen gab, stand er auf und setzte sich neben Draco, da dieser sich nicht dazu niederlassen würde, mal zu ihm zu kommen. Und er musste ja trotz allem friedlich bleiben, denn Snape würde ihn schneller verpfeifen, als Dumbledore „Zitronenbonbon" sagen konnte.
„Potter, du kannst direkt stehen bleiben und unsere Zutaten holen."
Harry starrte Malfoy trotzig an, und dieser erwiderte den Blick ebenso trotzig. „Wenn wir uns nicht vertragen müssten…", zischte Harry. Auf Dracos Mund spiegelte sich ein siegesgewisses Grinsen. „Dann was? Du holst immer die Zutaten, Potter, weil ich es befehle."
Harry knirschte und holte die Sachen. Auf dem Rückweg schaute er, wen Ron abbekommen hatte. Das konnte heiter werden, Parkinson. Und Hermine? War schon eifrig bei der Sache, mit angemessener Unterstützung von Zabini. Sie schienen sich ohne Worte zu verstehen.
Er kehrte wieder zurück zu seinem Traumpartner, welcher schon den Kessel auf den Tisch gehievt und ein Feuer entfacht hatte. Harry stellte die Sachen unsanft ab. Malfoy zog eine Augenbraue hoch, aber sagte nichts. Stattdessen griff er zur Alraunen Wurzel und fing an, sie säuberlich zu zerschneiden. Fasziniert beobachtete Harry den Vorgang, der sich so schnell verzog, dass er kaum mitkam, dann sammelte er sich und schälte die Haselnüsse. Als er fertig war, wollte er sie gedankenlos in den Topf werfen, doch Malfoy war schneller und hielt ihm am (von heute Morgen noch angegriffenen) Handgelenk fest.
„Was tust du da? Willst du unsere Note versauen?"
„Wie käme ich denn darauf, wo du mir doch letztens bei dem Frettchen so nett geholfen hast", zischte Harry. Malfoy führte seine Hand vom Kessel weg, nicht ohne unnötigen Druck auszuüben. Er schüttelte Harrys Hand, Harry ließ die Nüsse auf den Tisch fallen, dann legte Malfoy seine Hand bestimmt auf Harrys Bein ab.
„Du hältst deine Finger am besten von Kessel fern", sagte er und arbeitete weiter.
Am Ende sah ihr Trank hellblau aus, und Snape lobte sie dafür. „Gut, Malfoy, zehn Punkte für Slytherin!"
„Das war ungerecht und das weißt du", beschwerte Harry sich bei Draco, als sie aus dem Kerker gingen. Malfoy lachte hämisch auf.
„Potter, als würde mich das interessieren!", schnarrte er. Harry blickte sich um, lugte nach Ron und Hermine. Ron stritt sich noch mit Pansy darum, wer ihren Arbeitsplatz sauber machen durfte und Hermine schlenderte ein wenig hinter ihm mit Zabini auf ihn zu.
„Ugh. Hermine redet mit einem Slytherin, als wäre nichts dabei", nuschelte er, doch Draco verstand das sehr wohl und drehte sich ebenfalls um, dann runzelte er die Stirn.
„Dieser Zabini war schon immer so merkwürdig", meinte er, natürlich zu sich selber.
„Ich dachte, er wäre dein Freund?", fragte Harry.
„Wohl kaum. Lass das Denken lieber bleiben, Potter!"
Harry blieb stehen und ließ Hermine und Zabini ihn einholen. Zu seiner grenzenlosen Überraschung tat Draco dasselbe. Er schaute ihn verwundert an.
„Was, Potter, darf ich nicht aus jemandem aus meinem Haus warten?", sagte er spitz. Als Hermine Harry sah, nahm sie ihn beiseite und ließ Malfoy und Zabini alleine weitergehen.
„Wir warten am besten noch auf Ron, er hat Aufmunterung nötig", schlug sie vor.
„Wie hast du Zabini zum Reden gebracht?", wollte Harry neugierig wissen. Soweit er sich erinnerte, kannte er noch nicht einmal seine Stimme. Hermine schaute ihn verwundert an.
„Wieso? Er hat einfach auf meine Fragen geantwortet. Irgendwie wusste ich vorher gar nicht, dass in Slytherin auch nette Menschen sind. Ich habe immer automatisch angenommen, dort sind alle so aufgeblasen wie Malfoy."
„Ach, er hatte wahrscheinlich eine schwere Kindheit", sagte Harry. Hermine runzelte die Stirn.
„Seit wann verteidigst du ihn? Na, egal, Dumbledores Plan scheint ja aufzugehen. Was hätte ich gewettet, dass ihr euch trotzdem in die Haare kriegt. Umso besser. Ah, Ron, wie war's?"
Ron guckte noch grimmiger als am Vortag, als er an ihnen vorbeistampfte. „Frag nicht."
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Draco fragte sich, warum er auf Zabini gewartet hatte. Er redete normalerweise nicht mehr als nötig mit ihm. Irgendwie war es ein Reflex gewesen, weil Potter stehen geblieben war. Nun liefen sie schweigend nebeneinander her und Draco wurde es langsam zu bunt.
„Also, du musstest mit der Granger zusammenarbeiten?", fragte er, um die Stille zu durchbrechen. Zabini blickte ihn aus seinen nachdenklichen blauen Augen an.
„Ja. Sie ist gut im Unterricht", meinte er. Wie ungewöhnlich, dass Malfoy eine Konversation anfing.
„Und du mit Potter?", fügte er hinzu. Draco grunzte. „Muss ich doch immer. Anscheinend bin ich bei Snape doch nicht so beliebt, wie ich dachte."
„Vielleicht will er Potter einfach nur eine auswischen. Oder er denkt, du brauchst jemanden, um deine Aggressionen auszulassen."
Draco sah auf. Er hatte vergessen, warum er nie mit Zabini sprach. Weil der immer so geradeaus sagte, was er dachte.
„Wie bitte? Ich bin nicht aggressiv", fuhr er ihn an und erntete nur ein Lächeln. „So?"
„Zabini, wenn du nicht mein Zimmerpartner wärst...", knurrte er und ballte seine Fäuste.
„Ganz ruhig, Malfoy", beschwichtigte Zabini ihn. Dieser Malfoy litt bestimmt unter einem Aufmerksamkeits- Defizit- Syndrom. Warum sonst war er so leicht aus der Reserve zu locken?
Draco allerdings sah die Sache ein wenig anders. Er war es nicht gewohnt, dass jemand normal mit ihm sprach, ohne ihn voller Bewunderung (oder Furcht, je nachdem, welches Haus) anzuglotzen und ihm aufs Wort zu gehorchen. Bei allen, die es taten (und keine Lehrer oder seine Eltern waren), regte er sich leicht auf. Und da das bis jetzt nur Potter gewesen war, ein Gryffindor, der auch noch mit ihren Streitereien begonnen hatte, bekam dieser eben Dracos ganze Wut ab.
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„Komm schon Ron, du hast doch sicher Hunger?", versuchte Hermine ihn zu überreden. Ron schüttelte den Kopf und veränderte seine Position, die Arme verschränkt und auf ein Schachspiel starrend, nicht.
Harry machte einen Zug, von dem er wusste, das Ron ihn damit schachmatt setzen konnte. Schließlich knurrte sein Magen. Ron bewegte seinen Bauern.
„Was soll denn das? Mit dem Läufer hättest du mich gehabt!", rief Harry aus. Ron zuckte mit den Schultern.
„Du übertreibst, Ron! Ich gehe jetzt mit Hermine auf jeden Fall zum Essen! Komm mit oder verhungere!" Er stand auf und die beiden gingen raus. Zu ihrer Erleichterung folgte Ron ihnen doch noch.
In der Eingangshalle war ein Tumult entstanden, die Türen der Großen Halle waren geschlossen.
„Was ist hier los?", fragte Harry einen Mitschüler.
„Ich glaube, Peeves hat etwas in der Halle angestellt, oder war es in der Küche, Dean? Na ja, wir warten darauf, dass es behoben wird", antwortete Seamus Finnigan.
„Ja, er hat die Hauselfen aufgeschreckt", mischte sich Dean Thomas ein.
„Pah. Ich wusste es doch, wir hätten gar nicht erst kommen sollen", meinte Ron trotzig. Die Tür, vor die er in der Menge gedrängt wurde, öffnete sich mit Schwung und er taumelte ein paar Schritte vorwärts, so dass Harry ihn auffangen musste.
„Was stehst du hier so dämlich im Weg rum?", keifte ein erboster Malfoy ihn an.
„Du siehst jawohl, dass es hier ein wenig überfüllt ist", verteidigte Harry seinen Freund. Malfoys Augen verengten sich zu Schlitzen, aus denen silberne Blitze schossen, alle gezielt auf Harry.
„Und wer redet mit dir, Potter?", fragte er. Harry stemmte die Hände in die Hüften. „Du. Schon schlecht, wenn du nicht einmal das mitkriegst!"
Malfoy zückte seinen Zauberstab. Oft genug hatte er diesen Drang unterdrücken müssen. In einem Zug richtete er ihn auf Harry und schickte einen Fluch auf ihn, doch Harry hatte dasselbe getan und ihre Blitze trafen sich in der Mitte, lenkten sich aus der Bahn und schossen durch die Eingangshalle, bevor sie ein paar Erstklässler schockten. Sofort kamen Lehrer angerannt und kümmerten sich um sie.
Professor McGonagall trat wütend zu Harry und Draco. „Ich dachte, der Direktor hat sich klar ausgedrückt", meinte sie so leise, dass sie sich anstrengen mussten, um sie zu hören. Sie war außer sich vor Wut, sie wollte keine Slytherin in Gryffindor!
Doch sie war verantwortungsbewusst genug, diese Auseinandersetzung nicht zu ignorieren.
„Ihre Häuser werden sich heute Abend in den Gemeinschaftsräumen einfinden, dann erfahren sie alles weitere", befahl sie.
Als sie verschwand, blickten Harry und Draco sich geschockt an.
„Was hast du getan, Malfoy!"
„Was hast du getan, Potter!", kam es gleichzeitig aus ihren Mündern. Sie starrten sich noch eine Weile hasserfüllt an, doch dann brach die Bewegung, die in die Menschenmasse kam, ihren Blickkontakt.
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Zabini saß bedrückt am Fenster und schaute auf das Schlossgelände. Nun würde er bald einen neuen Zimmerpartner kriegen, vielleicht sogar selber ausziehen müssen. Das behagte ihm gar nicht.
„Das war Potters Schuld! Hätte er mich nicht provoziert!", beschwerte Draco sich hinter ihm, im Zimmer auf und ab laufend.
„Hättest ihn ja ignorieren können", gab Zabini leise von sich. Aber wie so oft, wenn er ihn Rage war, achtete Draco nicht auf seine Umgebung. Zabini stand von dem Stuhl auf, warf einen letzten Blick aus dem Fenster und drehte sich zu Draco um. Seine Haare lagen etwas unordentlich, und seine Wangen waren gerötet. Die ganze Zeit schon regte er sich über Potter auf, und jetzt bestand noch die Gefahr, mit ihm in ein Haus zu kommen.
„Komm, es ist Zeit", sagte Zabini und öffnete die Tür. Draco folgte ihm aufgelöst und sie gingen in den Gemeinschaftskeller. Ganz Slytherin war hier versammelt, nicht nur die Viertklässler, sondern auch alle anderen Klassen. Manche starrten Draco böse an und Pansy kam sogleich angerannt und hängte sich an seinen Arm.
„Dracoooo! Ich will nicht!", jammerte sie. Draco schüttelte sie ärgerlich ab. Er konnte sie nur bei bester Laune und mit viel Geduld ertragen. Wenn er sie für einige Zeit los wurde, wäre das immerhin ein Vorteil, den dieser Haustausch mit sich brachte.
Snape betrat den Raum und schlagartig wurde es still, alle Augenpaare richteten sich auf ihn. Er atmete tief ein und verkündete dann laut: „Es tut mir leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass wir heute ein paar sehr geschätzte Genossen gegen allseits unbeliebte Gryffindor tauschen müssen. Hier ist eine Liste, welcher Schüler mit wem tauscht. Die, die hier bleiben dürfen, hat es leider nicht viel besser getroffen. Ich hänge sie aus, morgen sollte der Tausch so schnell wie möglich verzogen werden."
Snape hing einen Zettel an die Pinnwand und sofort drängten sich Schüler um sie. Snape verließ den Raum und Draco versuchte, einen Blick auf den Zettel zu werfen.
„Aus dem Weg! Lasst mich durch!", rief er und stieß ein paar Erstklässler zur Seite. Dann suchte er seine und Zabinis Zimmernummer und als sein Blick darauf fiel, sog er scharf die Luft ein.
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Harry Potter lag in seinem Bett und starrte die Vorhänge an. Er überlegte angestrengt, was er Dumbledore getan hatte, dass dieser eine so harte Strafe für nötig hielt. Aber ihm fiel nichts ein.
Eine Tasche, gepackt mit seinen Habseligkeiten, stand aufbruchsbereit vor dem Bett. In nur wenigen Stunden würde sie in einem anderen Zimmer stehen. Und Zabinis Tasche hier. Harry wollte nicht nach Slytherin, wo er womöglich Draco über den Weg laufen könnte. Nein, es auf jeden Fall würde, korrigierte er sich, da Malfoy nicht auf der Liste der Tauschpartner stand.
Er drehte sich auf die Seite und schlief mit der Hoffnung ein, dass Hermine Recht behielt, es auch nette Slytherins gab und diese seine Zimmergenossen sein würden.
Vielen Dank an: Elektra van Helsing, Silver Snake, niah luna und shean! Ich hatte ja vor, auf fünf Reviews zu warten, aber ich habe heute meinen gnädigen Tag ;-)
