Kapitel 5
Als
Severus am nächsten Morgen erwachte, schwappten nur langsam
die
Erinnerungen an den gestrigen Tag über seinen noch etwas
benebelten Geist
herein. Doch dann erinnerte er sich. Jetzt wurde
ihm erst richtig bewusst,
was am Abend zuvor geschehen war.
Harry war ein Cutter!
Da würde er mit Harry drüber reden
müssen. Schließlich wollte er ihm helfen.
Aber Severus
beschloss, den Kleinen erst später darauf anzusprechen und
erst
mal so zu tun, als wenn nichts geschehen wäre. Das
stellte sich jedoch als
recht schwierig heraus, da, als er in die
Küche kam in der sie für
gewöhnlich frühstückten,
ein Harry am Tisch saß, dessen Aura so kalt war,
dass
Severus richtig mulmig wurde.
„Guten Morgen, Harry.„ –
„Morgen.„
Severus kam sich eigenartig unbeholfen vor. Wieso
war der Kleine so
verändert? Er saß doch nur da, wie
jeden Morgen, auf seinem Stuhl, mit
seinem Brötchen in der
einen und einem Buch in der anderen Hand, und las.
Selbst die
Worte, die sie jeden Morgen sagten waren die gleichen. Aber
trotzdem
war etwas anders. Harry hatte sich verändert.
Wenn
Severus genau hinsah, sah er die kleinen Augenringe, die sich
unter
Harrys Augen gebildet hatten. Außerdem war Harrys
Stimme für gewöhnlich
nicht so kalt und abweisend. Man
hörte es nur, wenn man genau hinhörte, aber
dann war es
eindeutig.
Außerdem hatte sich sein Blick verändert. Er
saß nicht mehr so locker auf
seinem Stuhl und las, nein, er
saß angespannt da, als ob er erwarten würde,
dass
gleich etwas passiert. Bereit zum weglaufen, wie ein verletztes
Tier.
Und sein Blick war nicht müde oder fröhlich, wie
es sonst immer der Fall
war. Sein Blick, nein, seine Augen hatten
jegliche Emotion verloren...
Severus tat es weh den Jungen so
zu sehen. Er erinnerte ihn an sich selbst
als er klein war. Nur
war er selbst nie so verletzt worden, hatte nie unter
so einem
Druck gestanden und war nie von einem alten Mann als Kind in
den
Krieg geschickt worden...
Er fragte sich nur, wann Harry
das wohl bemerkt hatte. Denn das wusste er
nicht erst seit ein
paar Wochen! Es war unmöglich, dass Harry erst in den
letzten
Sommerferien zu dieser Erkenntnis gekommen war, denn dazu konnte
er
zu gut damit umgehen und wusste zu genau, was er wollte, was er
tun musste.
Aber er hatte einen entscheidenden Fehler in
seiner Denkweise gemacht:
Wenn er selbst zugrunde gehen sollte,
woran auch immer, dann würde er seine
Pläne, und er
hatte gewiss Pläne auch wenn Severus sie noch nicht
kannte,
niemals verwirklichen können!
Und ihm lagen seine
Pläne und Vorstellungen mit Sicherheit sehr am Herzen,
sonst
würde er nicht so viel dafür tun.
„Würdest du bitte aufhören, mich so anzustarren, Severus. Danke."
Schon wieder dieser komische, dieser kalte, Unterton!
„Ja, natürlich. Entschuldige, Harry."
Am nächsten
Tag würde Harry Geburtstag haben und eigentlich wollte
Severus
ihm eine kleine Feier schenken. Auch wenn es nur eine
Zwei-Mann-Feier
geworden wäre, hätte es dennoch bestimmt
wenigstens ein bisschen Spaß
gemacht, aber so...
Severus
wusste nicht, was er tun sollte, er wollte dem Kleinen helfen,
so
viel stand fest, aber er hatte keine Ahnung, wie.
Harry
stand ohne ein Wort auf, als er zu Ende gegessen hatte. Wieso
sagte
der Junge nichts über gestern? Wieso ignorierte er es?
Wieso, zum Teufel,
ignorierte Harry ihn?
Ok, wenn er es sich
recht überlegte, dann war es ihm schon verständlich,
wieso
Harry nicht darüber reden wollte und auch, wieso er ihn
ignorierte. Er
wollte nun einmal nicht darüber reden. Denn
das war die beste Möglichkeit
seinen Problemen aus dem Weg zu
gehen. Einfach nicht reden!
Severus hatte Angst. Ja, er
gestand sich sogar ein, dass er Angst hatte. Und
das mehr um den
Jungen, als vor dem Gespräch, das er irgendwann mit
Sicherheit
mit ihm führen musste. Denn inzwischen fühlte er
sich
verantwortlich für Harry. Verantwortlich für das
kleine, verletzte und
missbrauchte Tier, das jeder mit
Samthandschuhen anfasst, wenn er es
braucht, sonst aber in die
Ecke schmeißt und liegen lässt, so dass es an
den
Verletzungen die es sich zugezogen hat, im Kampf für die,
die ihn
missbrauchen, langsam verblutet. Und Harry war dabei zu
verbluten, das wurde
Severus nun schmerzlich bewusst.
Severus
wusste nicht, wie lange er noch am Tisch gesessen hatte und sich
die
Blöße des traurigem Blickens und des Seufzens
gegeben hatte. Aber als er
endlich aufstand um nach Harry zu
suchen und mit ihm zu reden, wusste er,
was er tun würde. Und
er war sich sicher, dass es das richtige sein
würde.
oooOoooOoooOooo
Er fand Harry schließlich
in der Bibliothek in einem hohen Lehnstuhl am
erloschenen Kamin
sitzen und lesen.
„Harry",
nach einiger Zeit des
Schweigens kam ein kleines „Ja" von dem Jüngeren.
„Wir
müssen reden."
nach einigen Sekunden ein schwaches „Ich
weiß„
„Wirst du mit mir reden?"
Schweigen.
„Ich
weiß es nicht."
„Wirst du mir zuhören?"
Nach
einigen Sekunden ein leises „Wirst du mir
zuhören?"
„Natürlich."
„Gut."
„Harry"
„Ja"
„Wieso?"
Schweigen.
„Weil
ich es leid bin."
„Was bist du leid?"
Sekunden der
Stille.
„Alles"
„Was ist alles, bin ich alles?"
„Nein.
Mein Leben ist alles."
„Wieso ist dein Leben alles?"
„Weil
ich es leid bin. Das ist nicht mein Leben!"
Severus
schwieg.
„Es ist das derer, die die Figuren rücken."
Eine
lange Pause.
„Es ist das derer, die die Macht haben, zu
Entscheiden."
Wieder eine Pause.
„Es ist das derer, die
das Schachspiel spielen." Bedrücktheit war aus
seiner
Stimme heraus zu hören, doch Severus wusste, dass er noch
nicht
fertig war. Irgend etwas in ihm sagte ihm, dass er noch
etwas sagen wollte.
Etwas sagen musste.
Langes Schweigen.
„Es ist das Leben derer, die mich gebrochen haben."
Nach
diesem Satz fand Harry sich irgendwie verloren, ohne jegliche Spur
von
Tränen in seinen Augen in einer festen, engen Umarmung
von Severus' wieder.
Er erwiderte sie nicht.
Aber er wehrte
sich auch nicht dagegen und das war ein großer
Schritt,
beziehungsweise ein guter Anfang, um das auszubügeln,
was die Anderen
verknittert hatten.
Aber da war es auch.
Das war es, was der Kleine wusste. Aber er hätte es
nicht so
trocken sagen dürfen, nicht so neutral, so gleichgültig,
nicht wie
aus der Sicht eines Dritten.
Es nicht ohne jegliche
Emotion sagen dürfen.
Harrys Problem lag darin, dass er
sich so verschlossen hatte, dass er nicht
einmal mehr seine
eigenen Gefühle wahrnehmen konnte.
Dass er so enttäuscht
worden war, dass er nicht mehr fühlen konnte, wie
ein
Mensch.
Und das war es wahrscheinlich auch gewesen, was ihn
dazu gebracht hatte sich
in den Schmerz zu flüchten. Doch da
musste noch viel mehr sein. Noch viel
mehr Gründe, die ihn so
verzweifelt, so hilflos gemacht hatten.
Das was Severus bemerkt
hatte, war nur ein kleiner Strich auf einem makellos
weißen
Papier. Doch dieser hatte ihn stutzig gemacht.
Severus musste
dem Kleinen also wieder beibringen, was es hieß ein Mensch
zu
sein. Was es hieß zu leben.
Wie Makaber, wenn man
bedachte, dass der Kleine es dem Älteren eben erst,
unbewusst
und unabsichtlich, selbst gelehrt hatte.
oooOoooOoooOooo
Harry
ging am nächsten Tag nicht aus, wie er es eigentlich vorgehabt
hatte.
Irgendwie fühlte er sich besser als zuvor, seitdem er
mit Severus geredet
hatte.
Er wusste nicht wieso. Es war doch
nur so wenig, was sie gesagt hatten! Er
verstand das nicht, aber
er fand es gut. Er fühlte sich seit langem mal
wieder ein
wenig fröhlicher und befreiter.
Da Harry nicht ausging,
hatte Severus vorgeschlagen, dass sie zusammen etwas
machen
konnten. Auf dem Manor war viel Platz. Severus hatte einen
riesigen
Garten. Wofür Harry sich jedoch entschied, und das
erstaunte Severus, war
backen.
Harry wollte Plätzchen und
Kuchen backen!
Irgendwie fand Severus das ja niedlich, aber es
schien ihm irgendwie auch,
als wenn es eine Angewohnheit war. Wie
eine Hausarbeit bei den Dursleys...
Severus, seine Bedenken
über Bord werfend, holte alles aus den Schränken,
was
sie brauchen würden und begann mit Harry den Teig für die
Plätzchen zu
rühren. Es wurde eine Spaßige
Angelegenheit, denn komischer weise lachte
Harry. Er lachte so
befreit, dass es Severus dieses mal nicht gespielt und
falsch
vorkam, sondern richtig und ehrlich.
Der Junge verwirrte ihn.
Aber, wenn es dem Kleinen besser ging, dann fühlte
auch er sich besser, weil
er somit, wenn auch nur ein kleines
Stückchen, näher zur ,Genesung' und
somit zum normalen
Menschsein kam.
Außerdem hatte auch Severus seinen Spaß
daran. Er hatte lange nicht mehr
gebacken und war daher
entsprechend erzürnt über die ungenauen Angaben in
seinem
Backbuch was die Zeiten anging, „ca. ein halbe Stunde bei ca. 180°
"
„Wieso können die denn keine genaueren Angaben
machen! Das ist ja wohl die
Höhe! Wie soll man denn da
ordentliche Plätzchen backen! Noch nicht mal
genaue
Zeitangaben! Ich werde mich bei dem Verleger beschweren!"
Nach
diesem Ausbruch Severus' fand sich eben genannter Harry erst nach
einer
kleineren Weile, kugelnd unter dem Küchentisch
wieder.
„Was gibt es denn da zu lachen! Das ist doch wohl
eine Frechheit, erst so
ein vermurkstes Buch, das nicht mal genau
angibt, auf welcher Hundertstel
Gradstufe man backen soll und dann
wird man hier auch noch ausgelacht! Das
ist ja wohl nicht zu
fassen!"
Bei diesen ganzen Turbulenzen vergaß
Harry vollkommen, dass er weder von
Hermione, Ron oder Hagrid
einen Brief bekommen hatte. Erst als sie am Abend
wieder in der
Bibliothek saßen, flatterte Errol, sichtlich verwirrt
und
erschöpft herein. Er hatte ein großes Päckchen
an den Beinen festgebunden
und ließ sich damit auf Harrys
Schoß nieder. Die alte Eule kippte sofort um
und schlief,
wenn man das denn so nennen konnte. Harry wusste nicht,
was
schrecklicher war. Das Schnarchen seines Onkels oder das
„Schnarchen" dieser
Eule...
Er legte sie sanft auf
das Sofa neben sich und öffnete das Päckchen. Es war
nicht
von Ron, das war klar, aber um so überraschter war er, als
er
bemerkte, dass es von den Zwillingen und ihrer Mutter geschickt
wurde. Es
kam ein riesiger Kuchen mit den Besten Wünschen zum
Geburtstag und ein
riesiger Karton mit Dingen aus dem Laden der
Zwillinge zum Vorschein. Für
ihren ,stillen Teilhaber'.
Severus beäugte den Karton nur misstrauisch. Von
nun an würde
er besser darauf achten, was er essen würde und was
lieber
nicht...
Harry freute sich diebisch darüber und
vergaß den Schmerz den es ihm
bereitete, dass ihm keiner
seiner angeblich besten Freunde in den ganzen
Sommerferien auch
nur ein mal geschrieben hatte.
Irgendwie fühlte er sich bei
den Zwillingen besser aufgehoben. So chaotisch
und scherzhaft wie
sie waren, so konnte man sich trotzdem auf sie als
Freunde
verlassen.
An diesem Tag gingen die beiden sehr spät
schlafen. Es war ein recht
turbulenter Tag gewesen, denn Severus
hatte viele böse Dinge über das noch
viel bösere
Backbuch gesagt...
In der nächsten Woche wollten sie einkaufen gehen.
Moondancer: Danke! Nun ja, Severus weiß ja nicht, ob diese kleine süße Schlange, die es sich in seinem Haus gemütlich gemacht hat, giftig ist oder nicht, du hättest doch sicher auch ein unwohliges Gefühl, wenn du kein Parsel kannst, oder? D
