Teil 1

Christopher Columbus Park
Eine viertel Stunde später

"Detective Hoyt," sagte Woody mit vorgezeigter Marke, als ein bulliger, älterer Cop zwischen ihm und der Absperrung trat. Ohne ein Wort hob der Polizist das gelbe Absperrband hoch und ließ Woody hindurchschlüpfen.

„Da runter, am Teich vorbei," zeigte der Mann mit der Hand für Woody die grobe Richtung. „Dann wird's von Cops nur so wimmeln. Können es nicht verfehlen."

Woody blickte den Cop auf seine gewohnt bekannte „solche grobe Menschen habe ich noch nie getroffen, weil es die in Wisconsin nicht gibt" –Weise an und ging dann weiter in die Richtung, die man ihm gewiesen hatte. Dabei steckte er sich seine Marke an den Mantel, damit niemand gezwungen war, ihn unter Umständen mit einem neugierigen Journalisten zu verwechseln.

Tatsächlich stieß er bereits am Teich auf die ersten Cops, die herumstanden und sich gegen die Kälte mit Kaffee aus Pappbechern schützten. Sie nickten grüßend und Woody erwiderte gut gelaunt. „Wo geht's lang?"

Einer der Polizisten zeigte auf einen Weg, der vor ihnen abzweigte. „Danke, Leute." Und damit ging Woody weiter. Nur wenige Meter weiter sah er einen jungen Officer vor einem Lorbeer-Gebüsch stehen. „Geht's hier weiter?"

„Hinter mir, ja," sagte der Polizist angespannt. „Ist kein schöner Anblick. Ich zeig's ihnen." Damit drehte er sich herum und bahnte einen Weg für sich und Woody durch das Gestrüpp. „Ein Spaziergänger hat sie gefunden. Besser gesagt sein Hund. Muss sie gewittert haben und hat sich losgerissen. Der Mann ist ihm nach und dabei fast über die Leiche gestolpert. Er heißt Graham Greene, ist Anwalt und jeden Morgen mit seinem Hund hier im Park."

Woody prägte sich die Informationen gut ein, während er versuchte nicht einen Zweig ins Gesicht zu bekommen oder mit seinen Schuhen zu tief im Morast einzusinken. Das Tauwetter hatte hier bereits gute Arbeit geleistet. Vielleicht half ihnen das ja, Fußspuren ihres Mörders zu finden.

„So da wären wir," der Officer trat zur Seite und gab Woody den Blick auf eine kleine Lichtung frei, die mit gelben Absperrband weitläufig abgegrenzt worden war. Kollegen von der Spurensicherung waren schon vor Ort und versperrten ihm die Sicht auf die Leiche. Also auch auf die Sicht eines Gerichtsmediziners – für den Fall, dass schon jemand da war.

„Danke," nickte Woody dem jungen Beamten zu, der sich an die Mütze tippte und wieder zurück auf seinen Posten ging. „Achtung... dürfte ich mal...," versuchte Woody auf sich Aufmerksam zu machen und drängte sich an zwei Spurenermittler vorbei. „Wie sieht's aus?"

„Wir haben eine Leiche?", vernahm Woody die ihm vertraute sarkastische Stimme von Jordan, die sich aus der Hocke erhob und Woody angrinste. Sein Tag war gerettet und ein breites Grinsen nahm sein Gesicht ein.

„Sehr witzig, Jordan. Ich meinte aber ehe.. was wissen wir bereits?", innerlich freute er sich natürlich, dass erstens schon jemand von der Gerichtsmedizin hier war und zweitens – es Jordan war.

„Guten Morgen, zu erst," nahm sich Jordan die Zeit und genoss Woodys verlegenes Lächeln. „Nicht viel. Die Frau ist um die 40. Sie ist vollkommen nackt, weißt keine Kampfspuren oder andere Verletzungen auf, sie wurde erwürgt und hierher geschleift. Es gibt da hinten eine Schleifspur, die Richtung Interstate geht, sich aber leider verliert. Deine Kollegen arbeiten daran."

„Zeitpunkt des Totes?" Woody hatte seinen Notizblock gezogen und notierte sich bereits Jordans erste Befunde.

„Schwer zu sagen bei diesem Wetter. Aber ich glaube sie liegt schon einen Tag hier. Vielleicht auch fast zwei Tage. Die Leichenstarre ist bereits eingetreten."

„Na das ist doch schon etwas... dann gibt es vielleicht eine Vermisstenanzeige, die auf sie passt. Oder haben wir irgendetwas, das uns ihre Identität verrät?"

„Nichts," schüttelte Jordan den Kopf und bückte sich nach ihrer Tasche. „Sieht aus, als hätten wir eine Menge Arbeit vor uns."

Gerichtsmedizinisches Institut
Garrets Büro
eine halbe Stunde später

„Ich verstehe dich durchaus, Renee," sagte Garret in den Hörer mit einer sauren Gesichtsmiene und einer Stimme, die auch diesem Ausdruck entsprach. „Aber ich kann nicht mehr tun, als abzuwarten, ob wir eine unbekannte Leiche rein bekommen oder nicht... sicher rufe ich dich dann sofort an...", was Renee darauf zu erwidern hatte schien Garrets Laune noch mehr zu verschlechtern. Seine Stimme war gereizt, als er sich verabschiedet. „Wenn du meinst! Bye," damit knallte er den Hörer auf die Gabel und atmete hörbar tief durch. Als er sich im Stuhl drehte, fiel sein Blick auf Jordan, die gefolgt von Woody Richtung Autopsieraum 1 eilte. Ihm fiel der Notruf von heute Morgen ein und mit Renee im Nacken fühlte er sich verpflichtet nachzusehen, ob die Frau bereits identifiziert worden war oder nicht.

„Jordan?", rief er hastig über den Flur, als er die beiden an der Tür zum Autopsieraum stehen sah. Jordan wandte ihren Kopf und entdeckte ihren Chef.

„Morgen Garret. Seien Sie froh nicht draußen im Einsatz zu sein," letzteres sagte Jordan mit einer Mischung aus Ironie und Kritik, während Woody bekräftigend mit dem Kopf nickte und sich die Hände rieb.

„Nun es muss einen gewissen Vorteil haben Chef dieser Abteilung zu sein, wenn auch ansonsten hier jeder so tut, als wäre ich Luft," lächelte Garret genauso liebenswürdige ironisch zurück. „Sie haben die Leiche gleich mitgebracht?"

Bei Garrets Frage betraten sie den Autopsieraum, wo die Leiche unter einem weißen Lacken verborgen lag. Jordan schälte sich aus Mantel, Schal, Mütze und Handschuhe, ehe sie nickte. „Wenn man sie unterwegs nicht verwechselt hat.. ja," Garret reichte ihr hilfsbereit Schutzmantel, Handschuhe und den Schutzhelm, während sein Gesicht deutlich ausdrückte, wie sehr er im Moment Jordans Humor nicht ertragen konnte.

„Weiß man schon wer sie ist," fragte Garret an Woody gerichtet, während sich Jordan ihre Arbeitskleidung überstreifte.

„Nein. Es gab keinen Ausweis oder irgendetwas, das uns mehr verraten hätte," klärte Woody die Frage mit Bedauern.

„Gehen sie gründlich vor," bat Garret und als Jordan darüber angekratzt auffahren wollte, lenkte er schnell ein: „Ich habe eben mit Staatsanwältin Walcott telefoniert. Eine beste Freundin von ihr wird seit zwei Tagen vermisst."

„Name?", fragte Woody ganz der Polizist und wollte sich schon seinen Notizblock hervorholen. „Ich könnte nach einer Vermisstenanzeige suchen."

„Die gibt es nicht," erwiderte Garret. „Die Tochter der Vermissten war heute Morgen bei Walcott und holte sich Rat. Sie hat sie vor einer Stunde erst an die Polizei verwiesen, um eine Anzeige zu machen. Den Namen... nun ja," Garret sah verlegen drein. „Sie ...nun... das Gespräch war beendet, bevor ich danach fragen konnte." Garret war der kleine berufliche Schnitzer mehr als nur peinlich. Jordan und Woody gegenüber auch noch gleich erklären zu müssen wieso, war ihm noch eine Spur unangenehmer. „Es gab... Unstimmigkeiten, die mir rieten aufzulegen."

Jordan zog wissend die Augenbrauen in die Höhe, während Woody verdutzt zwischen Jordan und Garret hin und her blickte. Er verstand wieder einmal nichts und gab sich nicht der Hoffnung hin, dass ihn einen der beiden aufklären würde. Und er behielt recht.

„Also, falls Sie die Leiche identifizieren können oder nicht.. geben Sie mir gleich bescheid, damit ich Walcott anrufen kann."

„Geht klar, Chef," sagte Jordan und zog das Lacken von der Leiche. Drei Augenpaare fielen auf das von blondem Haar umrandete Gesicht der Toten. Doch nur Garret wurde leichenblass und stolperte zwei Schritte nach hinten vom Autopsietisch weg. Jordan und Woody sahen ihn besorgt, aber auch verwirrt an. Aber Garret gab ihnen keine Erklärung, sondern eilte aus dem Raum hinaus.

Gerichtsmedizinisches Institut
Herrentoilette
Eine Minute später

Jordan stieß ungeachtete des Herrentoiletten-Zeichens die Tür auf und stürmte in den Raum dahinter. Garret stand an der Waschbeckenzeile und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Bei Jordans Schritte wandte er sein nasses Gesicht zur Tür und blickte nicht sonderlich glücklich drein.

„Sie wissen, dass Sie sich an der Tür geirrt haben?", Garret richtete sich wieder auf und nahm drei Papierhandtücher aus dem Spender.

„Oh... tatsächlich," tat Jordan gespielt entsetzt, wurde dann aber schlagartig ernst. „Was ist los Garret? Sie haben gerade eben ausgesehen, als wären sie dem Teufel persönlich begegnet. Oder einem Gespenst. Was in einer Gerichtsmedizin durchaus möglich wäre, wenn man..."

„Nichts ist los," wehrte Garret mürrisch ab. „Mir war nur.. schlecht."

„Schlecht?", Jordan lachte frustriert auf. „Schlecht? Sie hatten schon bessere Ausreden auf Lager. Kommen Sie schon Garret.. selbst Woody ist es aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Kennen Sie die Tote etwa?"

„Nein. Wie kommen Sie nur darauf? Mir war schlecht. Wahrscheinlich habe ich mir etwas eingefangen. Bei dem Wetter ja auch kein Wunder. Die Grippe vielleicht. Kein Grund zur Sorge. Und jetzt kümmern Sie sich lieber um ihren Job," damit war für Garret die Sache geklärt und er ließ Jordan alleine auf der Herrentoilette zurück.

District Court
Büro der Staatsanwältin
zur selben Zeit

„Ja natürlich. Schicken Sie sie rein," sagte Renee Walcott in die Gegensprechanlage und lehnte sich dann mit übergeschlagenen Beine auf ihrem Stuhl zurück. Kurz darauf ging die Tür auf und Lisha Woodruff kam mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck herein. Renee war sofort alarmiert und gab ihre versucht strenge Haltung auf, um aufzustehen.

„Was ist los? Konnte dir die Polizei doch nicht helfen?"

„Doch! Doch... Sie haben meine Vermisstenanzeige wegen Mom aufgenommen. Aber viel Hoffnung haben Sie mir nicht gemacht. Gibt es Neues aus der Gerichtsmedizin?"

Renee schüttelte den Kopf. „Nein. Nichts konkretes. Aber wenn du bereits bei der Polizei warst...," Renee unterbrach sich plötzlich und gab sich in Gedanken selbst eine schallende Ohrfeige.. sie hatte es vorhin für viel wichtiger empfunden Garret einmal mehr klar zu machen, wer letztendlich das Sagen von ihnen beiden hatte, dass sie ihm den Namen ihrer Freundin nicht mitgeteilt hatte.

„Was ist los?", Lisha sah Renee ängstlich an.

„Oh nichts, setzt dich. Ich rufe nur noch einmal schnell im Gerichtsmedizinischen Institut an," dabei griff sie nach dem Hörer und wählte die Kurzwahltaste für Garrets Apparat. Er ging erst nach einigen Klingelzeichen dran und Renee war auf Grund dessen bereits wieder verärgert. Doch als sie seine Stimme hörte, spürte sie gleich, dass etwas nicht stimmte und sie vielleicht besser dran war, wenn sie ihre Zunge ein wenig im Zaum hielt. „Garret ich bin es Renee... nein ich rufe nicht an um mich zu entschuldigen...ja, sicher können wir das später bereden. Aber wieso ich anrufe, ich habe dir vorhin den Namen meiner Freundin vergessen mitzuteilen. Sie heißt Anne Robertson... Garret," eine steile Falte bildete sich auf Renees Stimme. „Bist du noch dran?"

Gerichtsmedizinisches Institut
Garrets Büro
zur selben Zeit

Garret hatte den Hörer auf seine Brust herunter sinken gelassen, aus dem gedämpft Renees Stimme nach ihm rief. Sein Blick starrte unbeweglich auf die Wand gegenüber und er fühlte sich nicht in der Lage etwas zu sagen, noch klar zu denken. Woher kannte Renee Anne? Jene Anne Robertson, die man im Park heute Morgen gefunden hatte und die nun bei Jordan auf dem Tisch lag? Anne Robertson.. bei der er erst noch vor drei Tagen auf ein Glas Rotwein gewesen war, um über alte Zeiten zu reden? Die Anne Robertson, die ihn in eine unangenehme Situation bringen konnte, falls Beweise falsch gedeutet wurden...

Langsam nahm er wieder den Hörer zum Ohr. „Ich bin noch dran Renee. Tut mir leid... ich wurde unterbrochen. Natürlich rufe ich dich sofort an, falls wir jemanden mit diesem Namen hier auf den Tisch bekommen. Auch wenn wir jemanden haben ohne Identifizierung. Heute Abend, dann... gut um acht... bye." Wenigstens war Renee so gnädig und wollte ihn nach dem verpatzten Versuch vor einer Woche, ihre Beziehung in die richtige Richtung zu lenken, noch sehen, um darüber zu reden. Allerdings war er nicht wirklich in Stimmung. Nicht nachdem was gerade passierte. Aber Renee war ihm auf unerklärliche Weise wichtig. Zu wichtig um erneut Fehler zu machen. Er sollte anfangen seine Chancen zu nutzen – allerdings... er hatte sie gerade belogen. Oder besser gesagt absichtlich in Unwissenheit gelassen. Sollte sie das je herausfinden – sie würde ihm die Hölle heiß machen.

Autopsie-Raum 1
Eine Stunde später

„Und?" fragte Woody drängend und nippte an seiner zweiten Tasse Kaffee, die langsam die Kälte vertrieb. Hier im Autopsieraum war es nicht gerade wärmer. Eine Heizung tat den Leichen nicht gut, wie er sich von Jordan hatte belehren lassen. Woody sah das nicht ganz ein – sie waren doch schon tot. Hier war nur einer am Erfrieren – nämlich er!

„Nichts und," sagte Jordan. „Es gibt nichts, was auffällig wäre."

„Wir können mit Sicherheit sagen, dass die Frau seit zwei Tagen tot ist. Leichenstarre, Totenflecken, Lebertemperatur... passt alles zusammen.," ergänzte Nigel, während er mit einem speziellen Licht die Würgemale am Hals der Toten ableuchtete. „Moment Mal.. da hätten wir doch etwas. Pinzette," er streckte seine Hand Jordan entgegen, die ohne Nigels Unverschämtheit zu kommentieren ihm eine Pinzette in die Hand legte. Damit löste er vorsichtig ein Stück Faden von der rechten Halsseite. Triumphierend hob er es hoch. „Ein Indiz auf die Mordwaffe. Ich gehe jede Wette ein, dass meine Datenbanken einen Treffer landen werden." Aufgeregt packte Nigel den Faden in ein Plastiktütchen. „Ich bin bei der Analyse." Und damit verschwand er aus dem Raum.

„Hoffen wir, dass es aus einem recht speziellen Material ist, das ganz selten vorkommt und uns direkt zu einem Spezialladen führt, wo nur ein besonderer Kunde dieses Art von Seil oder was auch immer kauft..."

„Woody," unterbrach Jordan Woodys hoffnungsvolle Fantasie. „Das funktioniert nur im Fernsehen. Sieh dir lieber das an," sie reichte ihm einen Befund und Woody blickte konzentriert darauf.

„Sie hatte Sex vor ihrem Tod? Vergewaltigung?"

„Nein. Sie hat keine Verletzungen und da sie sich auch nicht gewehrt hat, scheint es zumindest in diesem Fall ein gegenseitiges Einverständnis gegeben zu haben."

„Trotzdem könnte derjenige ihr Mörder sein," merkte Woody an.

„Darum gibt's auch ne DNA-Analyse," grinste Jordan und legte einen Befund mehr vor Woodys Nase ab. „Fehlt nur noch etwas, mit dem wir es vergleichen könnten."

Die Tür öffnete sich in diesem Moment und Bug kam mit einem Ausdruck in den Händen herein. „Treffer," verkündete er. „Die Fingerabdrücke eurer Toten gehören zu einer gewissen Anne Robertson. 43 Jahre alt. Sie wurde mal mit 20 als Studentin wegen Drogenbesitzes verhaftet und vernommen. Nicht großes." Bug reichte Jordan den Ausdruck. „Hat seit dem nicht mal einen Strafzettel für falsch parken bekommen."

„Hm.. hier steht, dass sie verheiratet sei und ein Tochter hat," murmelte Jordan und blickte Woody hoffnungsvoll an. Woody erwiderte ihren Blick kurz mit dem Versuch streng und ablehnend dreinzublicken, aber als Jordan bereits ihre Arbeitskleidung ablegte, versuchte er sie erst gar nicht davon abzuhalten mit zu kommen, wenn er jetzt gleich loszog, um Ehemann und Tochter wegen der Toten aufzusuchen.

Autopsieraum 1
ein paar Minuten später

Garret stand am Autopsietisch und hatte das Lacken von Annes Gesicht gezogen. In seinen Händen hielt er Jordans und Nigels ersten Bericht über erste Befunde und studierte die Ergebnisse. Der Faden war ein gutes Zeichen und er nahm sich vor Nigel deswegen zur Eile zu ermahnen. Um so schneller er wusste, was passiert war um so einfacher würde es für ihn werden, seinen Leuten und auch Renee mitzuteilen, dass er Anne kannte und kürzlich bei ihr war, ohne sich ins Fadenkreuz der Ermittler zu bringen.

Die Tür hinter ihm öffnete sich und Renee in Begleitung einer jungen, blonden Frau kamen mit einem bestürzten Gesichtsausdruck herein. Garret bemerkte zu spät, dass das Lacken noch immer von Annes Gesicht gezogen war und die Identifizierung durch die Tochter nicht ganz so einfühlsam wurde, wie sie es für gewöhnlich praktizierten.

Lisha erkannte sofort ihre Mutter und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie wendete sich von Annes Anblick ab und schluchzte in ein Taschentuch.

Renee trat neben Garret und blickte versteinert auf ihre tote Freundin. „Ja, dass ist Anne Robertson. Danke das du gleich angerufen hast."

„Ich hatte es versprochen," sagte Garret leise, legte die Unterlagen zur Seite und blickte kurz zu der Tochter der Toten. „Vielleicht bringst du sie lieber nach draußen." Für einen Moment suchte Garret Rennees Hand, hielt sie kurz fest und drückte sie. Für mehr gezeigte Anteilnahme war im Moment kein Platz. Renee erwiderte den Druck jedoch mit einem dankbaren Lächeln und nickte. Dann löste sie seinen Griff und umarmte Lisha, um sie auf den Flur hinauszuführen.

Boston
Anne Robertsons Haus
Einige Minuten später

"Mit ein wenig mehr Spürsinn hättest du gewusst, dass die Tochter nicht mehr bei ihr lebt und der Mann ausgezogen ist," klagte Jordan, die ihren Mantelkragen zum Schutz gegen den eisigen Wind hochschlug.

„Ach ja? So weit ich weiß ist so was noch nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass man es aktenkundig machen muss," Woody winkte jemandem hinter ihnen und ein Polizist tauchte bei ihnen auf der Veranda auf, die leer geräumt war und nur Platz einer vor der Kälte geschützten Hollywoodschaukel bot. „Sie können es versuchen. Es macht niemand auf."

„Wer sollte auch schon da sein. Der Wellensittich vielleicht?" Jordan pustete in ihre kalte Hände.

„Wellensittich?", irritiert blickte sich Woody um, entdeckte aber die leeren Vogelfutterpackungen unter der Schaukel erst, als Jordan drauf deutete. „Ach so.. DER Wellensittich," er grinste verlegen, während sein uniformierte Kollege mit einen Dietrich die Tür öffnete. Woody hasste es, wenn Jordan Dinge sah, die ihm als Polizist hätten genauso auffallen müssen.

„Nach Ihnen," meinte Woody gespielt höfflich und ließ Jordan vorangehen. Im Haus war es kalt, ganz so, als wäre Tage lang nicht geheizt worden. „Ich bezweifle, dass der Sittich überhaupt noch in der Lage wäre, an die Tür zu gehen," witzelte Woody weiter, verstummte aber betroffen, als sie im Wohnzimmer den leeren Käfig erblickten. Leer, weil der Vogel tot am Boden lag.

Auf den ersten Blick erschien ihnen das Haus völlig normal. Es gab im unterem Stock ein großes Wohnzimmer mit einem Kamin auf den Familienfotos standen. Die Küche befand sich samt Esszimmer dahinter, plus einem Gästebad. Eine Etage höher gab es zwei Schlafzimmer, ein Bad und ein Büro. Nichts deutete darauf hin, dass der Mord hier geschehen war. Das Bett war frisch gemacht, keine Spuren eines Kampfes. Auch nicht im Wohnzimmer oder im anderen Schlafzimmer. Nur die ungeöffnete Post im Briefkasten und der tote Vogel zeugten von der Abwesenheit der Bewohnerin.

„Scheint alles normal zu sein," Woody steckte seine Waffe wieder ein, die er bei der Durchsuchung gezogen hatte.

„Bis auf die zwei Weingläser in der Spüle," meinte Jordan und überraschte damit Woody aufs neue. Er hatte nicht darauf geachtet.

„Jede wette, das wir darauf Fingerabdrücke finden werden? Oder eine DNA-Spur?"

„Da passe ich lieber", wehrte Woody ab. „Was machst du da?" Woody klang etwas entsetzt, als Jordan die beiden Weingläser in Tüten verpackte und sie in ihrer Tasche verschwinden ließ.

„Beweismaterial sicher stellen," erwiderte Jordan gelassen und völlig unschuldig. „Bevor die Spurensicherung hier aufkreuzt und uns auf ihre Berichte warten lässt, kümmere ich mich doch darum lieber selbst."

„Ich habe nichts gesehen und nichts gehört," sagte Woody nervös mit Blick ins Wohnzimmer, wo bereits die Spurensicherung mit ihrer Arbeit anfing.

„Ganz mein Detective," brachte Jordan Woody erneut in Verlegenheit, als sie ihn angrinste, ihre Tasche zuschnappen ließ und an Woody vorbei ins Wohnzimmer zurückging.

Gerichtsmedizinisches Institut
Bug saß über eine Versuchsreihe mit Insekten gebeugt, als Garret herein kam und sich wortlos an seinen Schreibtisch stellte und dabei mit gerunzelter Stirn misstrauisch das Krabbeln unter der Glasscheibe betrachtete.
Als Bug klar wurde, dass Garret nicht als erster das Wort ergreifen würde blickte er nach oben, wobei vor seinem rechten Auge eine Vergrößerungslupe hing, durch die er Garret recht unscharf erkannte.

„Kann ich Ihnen helfen, Dr. Macy?"

„Hm?", Garret tat so als hätte ihn Bug aus einer wichtigen Beobachtung gerissen und räusperte sich dann. „Ja sie könnten mir einen Gefallen tun. Die Leiche, die Jordan heute Morgen mit in die Gerichtsmedizin brachte – würden Sie noch einmal einen etwas genaueren Blick auf sie werfen?"

„Sollten Sie das nicht lieber Jordan überlassen," fragte Bug verunsichert zurück.

„Sie ist mit Woody unterwegs. Und da die Tote eine Freundin von Staatsanwältin Walcott ist, wäre es mir sehr recht, wenn es zu keinen Zeitverzögerungen käme."

„Verstehe," Bug nahm das Vergrößerungsglas ab und stand auf. „Nach was soll ich suchen?"

„Nach einer Spur, die uns den Täter verraten könnte. Suchen sie jeden Millimeter ihres Körpers ab."

„Okay," sagte Bug zwar noch immer verwirrt über die Bitte von Macy, aber bereit dem Auftrag nach zukommen. Macy ging aus dem Raum und Bug griff nach seinem blauen Kittel und verschwand im Autopsieraum 1.

Autopsieraum 1
Eine halbe Stunde später

Bug hatte alles getan was ihm möglich gewesen war. Aber er war zu keinen anderen Erkenntnisse gekommen wie Jordan. Es gab Samenflüssigkeit, aber keine Spuren einer inneren Verletzung, noch Kampfspuren am Körper der Frau. Das Stück Faden eines Seils, das Nigel gefunden hatte, hatte er bereits vorhin schon gesehen, als Nigel damit ankam um es für eine umfassende Analyse vorzubereiten. Aber ansonsten war nichts am Hals. Er hatte selbst auf den Augäpfeln der Leiche nach einem Fingerabdruck gesucht, weil er von solchen Fällen gehört hatte.

Etwas ratlos stand er vor der Leiche, dann kam ihm eine Idee. Er griff nach der Speziallampe und fing an das blonde Haar der Frau Millimeter für Millimeter abzuleuchten und mit dem Finger darin herumzustochern. Plötzlich machte sich ein breites, zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht breit – er hatte etwas gefunden – ein kurzes, angegrautes Haar.

Etwas später
Büro Nigel, Bug

„Kann sich das Mistding nicht beeilen?" Jordan spähte ungeduldig Nigel über die Schulter, während der Engländer seine Finger flink über die Tastatur wandern ließ.

„Das ist ein Computer, Jordan. Keine Zaubermaschine. Aber wir haben es gleich. Nur noch eine Datenbank, dann sollte dein zweiter geheimnisvoller Fingerabdruck vom Glas identifiziert sein."

„Ich hoffe doch. Langsam geht mir der Fall ein wenig auf die Nerven. Woody drängt, Garret fragt ständig nach und jetzt hat er sogar Bug noch auf den Fall angesetzt." Jordan richtete sich auf und blickte zu dem Weinglas hinüber, auf dem sie Fingerabdrücke sichtbar gemacht hatten. Auf dem anderen war wie zu erwarten gewesen war nur der Abdruck von Anne Robertson.

Ein lautes Piep-Geräusch vom Monitor ließ Jordan zurück zu Nigel gehen. Sie hatten einen Treffer...

Nigel klickte den Button mit „okay" an und sowohl er als auch Jordan zogen hörbar scharf die Luft ein – auf dem Monitor öffnete sich ihnen die Akte von Dr. Garret Macy.

Nigel sah Jordan an und Jordan erwiderte den Blick mit innerer Unruhe. Was hatte das zu bedeuten? Ihr Chef... nun es würde sein Verhalten vom Morgen erklären. Aber nicht was er mit dieser Toten zu tun hatte. Sie wollte gerade Nigel darum bitten die neuen Entwicklungen für sich zu behalten, als Bug, noch im blauen Kittel hereinkam und eine düstere Miene zur Schau trug.

„Ihr werdet mir nicht glauben was ich gefunden habe," er hielt ein Plastiktütchen hoch, in dem das graue Haar lag.

„Du wirst es uns sicher gleich verraten," brummte Nigel und klickte hastig die Akte von Macy vom Bildschirm.

„Ein Haar. Aber es ist nicht irgendein Haar. Es hat dieselbe DNA-Struktur wie die DNA des Spermas, das ihr in Robertson gefunden habt. Aber das merkwürdige an diesem Haar ist seine Substanz. Die dazugehörige Person benutzt ein spezielles Haarmittel. Ein recht teueres, das man nicht überall bekommt. Das schließt die Verdächtigen ein. Das dumme an der Sache – ich weiß, dass es auch Macy verwendet.

Wieder sahen sich Jordan und Nigel an und ihre Blicke wanderten zum Weinglas ehe sie Bug ansahen.

„Mach die Tür zu, Bug.. wir haben dir was zu zeigen," mit diesen Worten wandte sich Nigel wieder dem Monitor zu und brachte die Akte zurück auf den Bildschirm ...

tbc...