Jordan's Wohnung
einige Minuten später

Stimmen. Lärm. Licht.
Eine Hand, die ihr eine Tasse mit heißem Kaffee in ihre drückte, jemand, der ihr aufmunternd auf die Schulter klopfte, die samt dem Rest von Jordan unter ihrer Wolldecke auf dem Sofa kauerte und jemand, der plötzlich vor ihr stand.

„Jordan?", und dann etwas leiser und besorgter: „Jordan," wieder eine Hand, die sich auf ihre Schulter legte und sie sanft drückte. Es war nur ein Impuls, aber als es geschah, wusste Jordan sofort, dass sie nach der heutigen Nacht um ein Weiteres nicht mehr die alte Jordan sein würde, die ihr morgens aus dem Spiegel heraus eine verschlafene Grimasse schnitt – denn sie schlug panisch die Hand zur Seite und zog die Decke enger um sich. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht wie befürchtet halb ausgezogen sich allen präsentierte, sondern wieder ihre Bluse anhatte. Wann war das passiert? Wann waren all diese Polizisten gekommen?

„Hey...," wieder die sanfte Stimme, jemand, der sich neben sie setzte... und endlich nahm sie sich die Zeit, nachzusehen, wer so sehr um sie besorgt war, dass er sich nicht von ihrer ruppigen Art hatte abschrecken lassen. Woody!

Woody war hier? Hier an ihrer Seite? Es war schrecklich, wenn einem ein paar Minuten aus dem eigenen Leben fehlten.
Stöhnend langte sie sich an ihren Kopf. Er tat höllisch weh, wobei sie den Schmerz erst bemerkt hatte, als sie zu Woody zur Seite blickte. Sie spürte eine unschöne Schwellung und da fiel ihr erst wieder ein, was gerade eben alles in ihrer Wohnung geschehen war. Suchend sah sie sich um und fand ihn auf dem Rücken liegend auf ihrem Fußboden. Die Skimaske hatte ihm jemand vom Gesicht gezogen und sie blickte auf ein fremdes, breites Gesicht, mit Bart, dünnen Lippen, verdrehten Augen. Der Schuss hatte eindeutig ihn erwischt.

„Ich bin wohl gerade noch rechtzeitig gekommen," sagte Woody leise, als er ihrem Blick gefolgt war.

„Das warst du?", fragte sie zurück, auch wenn sie die Antwort kannte. Aber sie musste reden, um die grässliche Erinnerung an eben zu verdängen.

„Ja. Gott sei Dank. Nicht auszudenken, was alles... nun ja... ich meine," Woody kam ins Stocken und schluckte schwer. Er war wirklich allen Schutzengel der Welt dankbar dafür, dass er sich doch noch dazu durchgerungen hatte, auszusteigen, um mit Jordan über den heutigen Morgen in Garrets Büro zu reden. „Ich wollte mit dir reden, wegen heute morgen und als ich die Tür sah, die offen stand, wurde ich vorsichtig."

„Mein Held," lächelte Jordan ohne fröhlichen Glanz in ihren Augen.

„Ach.. mach ich doch gerne. Ich bekomme darin langsam Übung," versuchte es Woody mit etwas Humor und fühlte sich gleich selbst etwas besser. Bei Jordan schien das nicht so zu wirken. „Soll ich die Kollegen erst Mal wegschicken?"

„Sie müssen doch ihre Arbeit tun. Lass sie ruhig. Ich kann irgendwie im Moment nicht alleine sein."

„Das verstehe ich. Ist ansonsten ... ist alles.. in Ordnung?" Er sah sie bedacht vorsichtig an. Klar war nichts mehr so in Ordnung, wie vor einer Stunde, als ihre ganzen Sorgen ihrer beider Suspendierung gegolten hatte. Aber er wusste noch immer nicht, was genau passiert war, noch wie er danach fragen sollte.

„Ich weiß nicht," seufzte Jordan. „Wie würdest du dich fühlen, wenn man dich vor deiner Tür abfängt, dir droht dich Mundtot zu machen und... und...," sie brach ab. Sie konnte das Wort nicht über ihre Lippen bringen. Obwohl nicht wirklich etwas passiert war. Die Vorstellung ließ sie noch immer frösteln und sie kuschelte sich tiefer in ihre Decke hinein.

„Entschuldige," murmelte Woody. „Ich wollte nicht zu direkt sein... oh... die Sanitäter," erleichtert über die Ablenkung sprang Woody auf und ging den Sanitätern entgegen. „Der braucht euch nicht mehr.", dabei deutete er auf den Toten auf dem Boden. „Aber hier... Dr. Cavanaugh... sie hat ein paar Verletzungen..."

„Ach das ist nichts," wehrte Jordan ab, als sie Woodys Worte hörte und den beiden Männern misstrauisch entgegen blickte. Was sie jetzt nicht brauchte waren noch mehr fremde Hände an ihrem Körper.

„Das würde ich nicht sagen, Ma'm," meinte der ältere der beiden skeptisch. „Ihre Gesichtshälfte," dabei zeigte er sich selbst auf die linke Hälfte, „ist schon ziemlich zugeschwollen und da am Hals, der Riss, ist zwar nicht tief, blutet aber noch etwas leicht... wir sollten es uns zumindest mal ansehen."

„Wenn's sein muss," stöhnte Jordan, schloss die Augen und ließ die Untersuchung stumm über sich ergehen. Abtasten, desinfizieren, ein kleiner Verband am Hals...

„Wo ist Jordan?", die aufgeregte Stimme von Garret ertönte an der Tür. Jeden vom Institut hätte sie jetzt ertragen.. nur nicht Garret, dachte sie und stöhnte leise auf, ehe sie ihre Augen wieder öffnete und zu ihrem Chef an die Tür blickte. Sicher... Woody hatte bestimmt direkt ihn angerufen, und ihm berichtet, was passiert war. Garret war zwar ihr Freund, aber über den heutigen Abend hätte er nie bescheid wissen müssen. Jedenfalls nicht gleich und sofort, um sie dabei in diesem Zustand zusehen. Das ruinierte irgendwie ihren toughen Ruf. Ein wenig musste Jordan über sich selbst lächeln. Nach den Ereignissen machte sie sich wirklich noch sorgen um ihren Ruf? Wahrscheinlich begann sie gerade in diesem Augenblick durchzudrehen.

Woody drehte sich bei Garrets Ankunft herum und zeigte zum Sofa. Garret hielt sich nicht lange auf, stellte seine Tasche neben die Leiche und eilte zu Jordan.

„Sie machen ja Sachen," begann er etwas ungeschickt und setzte sich neben sie. Freundschaftlich legte er einen Arm um ihre Schulter, um Trost zu spenden. Doch als sie sich versteifte, nahm er ihn sofort zurück.

„War keine Absicht, Garret," lächelte sie ihn genauso unglücklich an, wie gerade eben noch Woody. „Aber machen Sie sich mal keine unnötigen Gedanke und Sorgen. Mir geht es soweit gut und es ist ja fast nichts passiert."

„Sie sehen aber dem entsprechend nicht so aus," merkte Garret streng an.

„Es geht schon.. kümmern Sie sich lieber um den da. Ich will ihn nicht mehr länger in meiner Wohnung anstarren müssen."

„Wenn ich Ihnen damit helfen kann..."

„Oh ja," seufzte Jordan und zog ihre Beine hoch, enger an sich heran.

Garret sah sie mitfühlend an, aber auch hilflos und stand schließlich auf, um sich seiner Arbeit zu widmen. Er hätte gerne Hilfe angeboten oder ihr gesagt, dass er da war, wenn sie jemanden brauchte, aber irgendwie fühlte er, dass das nicht das war, was sie jetzt brauchte.

Ein paar Cops kamen zu Jordan herüber und stellten Fragen. Jordan versuchte sich zu erinnern, um ihnen zu geben, was sie brauchten. Aber sie gingen ihr schnell auf die Nerven und die aufkommende Erinnerung ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Schließlich eilte Woody ihr zur Hilfe und verscheute seine Kollegen, um ihr einen Drink in die Hand zudrücken.

„Versuch's mal damit..."

„Danke," sie nahm ihm das Glas ab, starrte unentschlossen in die Flüssigkeit und trank es dann mit einem Zug leer.

Während sie noch in das leere Glas sah, hörte sie erneut Schritte, die sich ihr näherten. Und als Woody herumfahren wollte, um seinen Kollegen anzublaffen, sie endlich mal in Ruhe zu lassen, riss er erstaunte die Augen auf, während Jordan aufstöhnte. Walcott. Die hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt. Was wollte sie ausgerechnet jetzt hier? Waren die Buschtrommeln einmal mehr in Aktion getreten?

Renees Blick war nichts sagend und weder Jordan noch Woody konnten erkennen, ob sie wusste was hier gerade passiert war oder zufällig zu einem schlechten Moment auftauchte.. andererseits.. Walcott und Zufall? Das konnte nur noch mehr Ärger bedeuten.

Doch ehe Walcott sie erreichen konnte, war Garret aufgestanden, als er sie entdeckt hatte. Rasch schob er sich bestimmt zwischen Renee und Jordan. Ohne Worte nahm er Renee am Ellbogen und zog sie mit sich auf den Flur. Überrascht ließ es Renee ohne Widerstand geschehen. Erst draußen verzog sie ihr Gesicht zu einem wütenden Ausdruck und wollte Garret anfahren. Doch dieser kam ihr zuvor.

„Wenn du hier bist, um Jordan wegen den Gründen zu belästigen, wegen denen du mich vorhin erst angerufen hast, hast du dir einen denkbar schlechten Moment ausgesucht."

„Hm," Renee reckte ihr Kinn etwas in die Höhe und sah auf einmal sehr enttäuscht aus. „Du denkst wirklich in bin so herzlos? Ich bin kein Monster. Und irgendwie habe ich ein verdammtes Deja vu.. lass meinen Arm los," sie bog ihn etwas und Garret ließ tatsächlich los. „Ich habe von dem Vorfall eben erfahren und bin hergefahren, um mich davon zu überzeugen, dass es Jordan gut geht. Schließlich ist nur unschwer zu erraten in welchem Zusammenhang dieser Überfall steht."

„Ach daher weht der Wind also."

„Wie bitte?" Renee funkelte ihn erbost an.

„Nun hier her zu kommen, um die Betroffene zu spielen, während du zeitgleich nicht daran interessiert bist die Hintergründe zu erfahren, weil die Schuldige schon feststeht?"

Wenn Blicke töten könnten, dachte Garret sofort, als er Renees Augen begegnete. Doch die aufflammende Wut und Entrüstung verebbte sofort wieder, um einem seltsamen Ausdruck platz zu machen – Enttäuschung. Dann verdrehte Renee nur genervt ihre Augen, drehte sich herum und ließ Garret alleine auf dem Flur zurück, um zu Jordan ans Sofa zu treten. Sie hatte es nicht nötig sich vor Garret zu rechtfertigen. Sie hatte ihm vor sehr langer Zeit erklärt, dass sie keine Zeit mit Mitgefühl und Bedauern verschwendete.

Beim Sofa sahen sich die beiden Frauen für einen Augenblick nicht sonderlich begeistert an, ehe Renee sichtlich darum rang die richtigen Worte zu finden. Es fiel ihr sichtlich schwer.

„Ich ... nun, ich wollte Ihnen eigentlich heute noch einen Besuch abstatten. Ihnen auch Det. Hoyt. Mich hat vorhin ein sehr aufgebrachter Woodruff angerufen, um sich über ihren Besuch bei ihm zu beschweren..."

„Ach wissen Sie was," seufzte Jordan gelassen. „Gehen sie zum Teufel."

„Wissen Sie überhaupt was hier passiert ist," fuhr Woody wütend auf. Jetzt hatte es die Staatsanwältin tatsächlich geschafft ihn wirklich wütend auf sie zu machen, so dass ihm seine eigenen Verhaltensregeln Vorgesetzten gegenüber völlig egal waren.

Renee brachte etwas zustande, was Jordan nie mals in ihrem Leben für möglich gehalten hätte – die Anwältin schmunzelte sie beiden an. Ja sicher, sie hatte mal wieder Feingespür fehlen gelassen. Dessen war sie sich bewusst. Sie musste noch einmal von vorne anfangen:
„Natürlich weiß ich was passiert ist. Darum bin ich ja hier. Ich muss wissen, ob die Leute dahinter stecken, von denen ich befürchte, dass sie etwas damit zu tun haben. Und wissen Sie was? Manchmal glaube ich Sie bewundern zu müssen," gab Renee plötzlich ohne Schwierigkeiten zu und brachte Woody dazu ungläubig sie anzustarren. „Auch wenn Ihnen das Wasser schon längst bis zum Hals steht, versuchen Sie nicht wegzurennen, sondern erst Recht die Wahrheit herauszufinden. Das ist ziemlich dumm, aber verdammt mutig. Es tut mir leid, was passiert ist... aber ich muss leider gestehen, dass ich befürchte, dass sie durch Ihren nicht autorisierten Besuch bei Woodruff ein paar üble Burschen aufgeschreckt haben."

Jordans Augen hatten sich durch pure Überraschung etwas geweitet. Nach allem heute und durch gerade eben, hatte sie gedacht nichts könnte sie mehr überraschen. Aber Walcott schaffte es mit Links.

„Oh," sagte Jordan leise, dann lehnte sie sich auf ihrem Sofa zurück und schloss ihre Augen. „Danke für Ihr Mitgefühl," sie hatte nicht die geringste Ahnung woher sie nach allem noch die Kraft für dieses Danke genommen hatte. „Aber auf die Idee bin ich auch schon längst gekommen. Vor allem nachdem er," sie nickte verachtend zu der Leiche. „Mir verraten hat, dass er mich für seinen Auftraggeber mundtot machen sollte."

„Hm," machte Renee nachdenklich. „Zu schade, dass er uns keine Antworten mehr geben kann." Dabei blickte sie kurz mit zusammengepressten Lippen zu Woody. „Aber ich glaube... ich lasse sie jetzt alleine. Ich wollte nur sehen..., ach nicht so wichtig," mit überraschender Unsicherheit drehte sich Renee von Jordan weg, um zu gehen. Sie fühlte sich Fehl am Platz. Ihre so oft gezeigte Kühle sorgte heute dafür, dass ihr niemand das Mitgefühl abzukaufen schien. Nicht das sie das wirklich störte, aber einen kleinen Stich versetzte es ihr doch.

„Warten Sie," Jordans Stimme hielt sie jedoch zurück. „Ich weiß, dass Sie nicht wollen, dass wir uns einmischen, aber ich habe mir heute ein paar Gedanken gemacht, und möglicherweise etwas entdeckt, was wir die ganze Zeit übersehen haben."

„Jordan.. bitte. Du hast gerade Schreckliches erlebt," mahnte Woody vorsichtig, mit einem fast schon ängstlichen Blick auf die Staatsanwältin, als wollte er abchecken welcher Laune sie gerade verfallen war, um Jordans Theorie anzuhören oder sie deswegen eiskalt abzuservieren. Doch Renee drehte sich mit interessiertem Gesichtsausdruck herum und als Jordan beschwichtigend zu Woody mit der Hand winkte, gab er weitere Proteste auf. Zudem musste er sich gestehen, war er selbst etwas neugierig.

„Also... Anne wurde nicht erstochen oder erschossen. Sie wurde auch nicht aus ihrem Haus entführt oder auf offener Straße gekidnappt. Niemand bekam eine Drohung oder eine Ankündigungen ..."

„Kommen Sie endlich zum Punkt, Jordan," stöhnte Renee und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass sich Garret zu ihnen gesellt hatte.

„Sie wurde von jemanden getötet, den sie kannte, der sie unbedingt tot sehen wollte und dafür sich nicht zu schade war, es mit bloßen Händen zu tun. Vielleicht ist es nicht einmal vorsätzlich gewesen sondern im Streit passiert. Und weil keine andere Waffe da war, wurde sie erwürgt."

„Sie meinen, die Mafia war vielleicht nicht im Spiel," fügte Walcott fragend hinzu. Jordan nickte.

„Vielleicht, oder alles hat eine logische Verknüpfung, die wir nicht sehen.", sagte Jordan.

„Das ist doch verrückt," schaltete sich Garret ein. „Wer aus Annes Umkreis sollte ein Motiv haben, sie zu töten? Es gibt niemand, der etwas aus ihrem Tod gewinnt. Nicht einmal die Mafia. Schließlich hat sie diesen angeblichen Auftragskiller verteidigt."

„Eben. Das ist ja das, was ich meine, was wir übersehen haben. Die Mafia tötet gezielt und macht sich die Hände nicht schmutzig. Wer immer Anne erwürgt hat, hat sie aus persönlichen Gründen umgebracht."

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag," unterbrach Renee die aufkommende Diskussion. „Sie machen jetzt „Urlaub" und ich versuche diese Theorie so auszuarbeiten, damit wir in diese Richtung weiterermitteln können."

„Einverstanden," sagte Jordan artig, hielt dabei dem warnenden Blick der Staatsanwältin stand und versuchte nicht zu grinsen.

"Gut," Renee schien überrascht über so viel Kooperation. Aber ein leichtes Misstrauen konnte man in ihren Augen erkennen, als sie sich entschuldigte, um mit Woodys Kollegen ein paar Worte auszutauschen. Als sie an Garret vorbeischritt, versuchten beide sich zu ignorieren, was ihnen auch soweit gelang, indem Garret zur Seite blickte und dann zu Woody und Jordan an das Sofa trat.

„Renee hat recht, Jordan," ergriff er das Wort. „Sie sollten sich nach heute nicht mehr einmischen. Es ist gefährlich. Viel zu gefährlich."

„Da bin ich ganz einer Meinung mit ihnen, Doc." Woody sah Jordan besorgt an. Ihm hatte ihr „klein beigeben" gerade eben überhaupt nicht gefallen. Das bedeutete nur Ärger.

„Hey... was habt ihr nur? Ich weiß wie man Urlaub genießen kann und nach heute brauch ich jetzt erst Mal eine heiße Dusche, okay?" Garret verstand den Rauswurf, nickte und kümmerte sich dann um den korrekten Abtransport des Verbrechers.

Als eine halbe Stunde später der letzte Polizist gegangen war, war nur noch Woody bei ihr, der gerade mit einer Tasse heißer Schokolade auftauchte. „Hier. Es gibt nichts was eine heiße Tasse Schokolade nicht heilen könnte. Altes Rezept meiner Großmutter."

Jordan lächelte ihn müde und zaghaft an. Aber sie nahm ihm die Tasse ab. „Das ist lieb von dir, wirklich, aber ich glaube ich brauche mehr als eine Tasse, wenn es wirken soll. Ich hab mir nicht nur das Knie aufgeschlagen, weißt du?"

„Tut mir leid, mehr war in deinem Kühlschrank nicht drinnen," lächelte er versucht heiter. Eigentlich war er froh gewesen überhaupt Milch gefunden zu haben und irgendwo zwischen alten Teebeuteln auch ein Päckchen Kakao.

„Ist schon in Ordnung Woody, du brauchst nicht den Cowboy zu spielen. Sag schon was du sagen willst."

Woody legte seinen Kopf etwas zur Seite, um Jordan genauer betrachten zu können. Sie wirkte erschöpft und müde. Und er glaubte auch ihre tief sitzende Angst zu erkennen. Trotzdem spürte er auch, dass sie keine Spielchen heute mehr wollte. Daher seufzte er und setzte zögernd an: „Weißt du.. wenn ich nicht doch noch ausgestiegen wäre, um mit dir zureden.. wer weiß wie das ausgegangen wäre..."

„Ja wer weiß...", sagte Jordan leise und nippte an der Tasse.

„Ich denke wir verschieben das Gespräch eh auf ein andermal. Du brauchst jetzt Ruhe und hast sicher keine Lust über heute Morgen zu reden. Oh und ehe ich es vergesse... ab morgen ist Schluss mit den Ermittlungen. Wir tun, was man uns befohlen hat... nämlich nichts. Und das ist mein Ernst. Das ist alles nicht mehr sehr lustig."

„Du hast recht," gestand Jordan und starrte in ihre Tasse. Woody sah sie überrascht an. Er hatte recht? Hatte er sich eben verhört? „Verdammt recht. Das ist nicht mehr lustig. Jemand hat vor zu verhindern, dass wir den wahren Hintergrund erfahren..."

„Oh Jordan, bitte," stöhnte Woody auf, als ihm bewusst wurde, dass Jordan überhaupt nicht zugehört hatte. Oder hören wollte.

„Nein. Ich kann doch jetzt nicht einfach aufhören? Walcott tut bestimmt nichts. Sie hat ja und amen gesagt, um heil wieder aus meiner Wohnung zu kommen. Morgen wird sie vor Gericht versuchen den größten Schaden abzuwenden und einfach in der Tagesordnung fortfahren. Und die, die Anne umgebracht haben, kommen davon."

„Die," fragte Woody erstaunt.

„Er, sie.. was weiß ich. Ich meine, dir ist doch auch klar, dass da mehr dahinter steckt."

„Ich weiß ehrlich gesagt langsam überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll," gestand Woody. „Alles erscheint nicht zusammenzupassen und doch habe ich das Gefühl, wie du, irgendetwas übersehen zu haben," er seufzte und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Aber ich weiß eines – du wirst nichts mehr in dieser Sache unternehmen. Mir reicht was heute passiert ist..."

„Woody? Du bist nicht mein Dad und schon gar nicht mein Bodyguard. Ich kann für mich alleine entscheiden okay? Und ich will auf jeden Fall herausfinden, wer für heute Abend verantwortlich ist. Ich wette mit dir, wenn uns das gelingt, bekommen wir auch heraus wer Anne getötet hat."

Woody wollte protestieren, doch Jordan legte ihm einen Finger auf seine Lippen und versiegelte sie damit. Unter jedem anderen Umstand hätte Woody diese Berührung sogar genossen, doch heute nicht. Er wollte ihre Hand nehmen und sie zur Seite ziehen, doch wieder war sie schneller.

„Sag einfach nichts mehr dazu, Woody. Mein Entschluss steht fest," Jordan stand auf und ließ die Decke über ihre Schultern nach unten gleiten. „Und ein Entschluss heißt – duschen. Lang und ausgiebig."

„Dann werde ich wohl lieber mal gehen, wenn meine Sorge nicht erwünscht ist," Woody stand ebenfalls auf und wirkte auf Jordan sehr unglücklich. Sie hatte das Gefühl etwas tun zu müssen.

„Deine Sorge ist erwünscht, Woody," hielt Jordan ihn seufzend zurück. „Wirklich. Aber ich bin schon ein großes Mädchen, okay? Und...," auch wenn das gleich Gesagte nicht zu diesem Großen-Mädchen-Image passen würde, entschloss sich Jordan dazu diese Worte laut auszusprechen. „Und ich wäre sehr froh, wenn du heute Nacht da bleiben könntest? Einfach so zum Reden? Ich glaube nicht, dass ich heute viel Schlaf finde?"

Fragend und fast mit einem flehenden Ausdruck in ihren Augen sah Jordan Woody an, der versuchte ein wenig ernst dreinzublicken, um die Freude über ihre Bitte zu verbergen. Doch dann lächelte er und nickte, ehe er sich wieder auf das Sofa setzte und Jordan hinterher blickte die in ihrem Badezimmer verschwand.

Am nächsten Morgen
Polizeipräsidium

Woodruff senior saß schwitzend auf dem unbequemen Metallstuhl des Verhörraums und wischte sich mit einem Taschentuch die feuchte Stirn ab. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er dabei zu dem jungen, bissigen Polizisten auf, der sich in diesem Moment ein wenig zu ihm herunterbeugte.

„Also kommen Sie schon Mr. Woodruff... da ist doch absolut nichts dabei. Jeder von uns hat doch solche Kontakte. Nehmen Sie mich – meine Informanten sind Drogendealer, Waffenhändler, Mafiahandlanger. Man nimmt was man bekommt, um ein größeres Verbrechen aufzuklären. Oder hier...," der junge, blonde Mann machte eine Armbewegung zum Spiegel, wo die Staatsanwältin mit verschränkten Armen stand und das Verhör verfolgte. „Unsere geschätzte Bezirksstaatsanwältin bedient sich auch gerne solcher Informanten. Einer davon teilt sich sogar ihr Bett mit ihr," Seely sah noch einmal mit breitem Grinsen zu Renee. Würde sie ihn nicht kennen, hätte sie das Grinsen für überlegen gehalten, so wusste sie jedoch inzwischen, dass es seine Art war ‚sorry' zu sagen. Sie verdrehte nur kurz die Augen und kniff ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Dem jungen Mann fehlte es einfach an dem nötigen Respekt. Aber er war gut in seinem Job. Und sie hatte nicht wirklich viel an seinen Methoden auszusetzen. Also ließ sie seinen Kommentar erst einmal auf sich beruhen. „Was ist also schon Großes dran, wenn Sie zugeben ein paar Informanten bei der Mafia sitzen zu haben?"

„Weil ich mir denken kann, wieso Sie mir diese Fragen stellen," brummte Woodruff und griff nach dem Pappbecher mit Wasser. „Und selbst wenn es so wäre... was nützt es Ihnen, wenn ich Ihnen diese Namen verraten würde?"

Ein genervtes Aufstöhnen hinter ihm, ließ Seely alarmiert zu Renee blicken, die ihren Platz aufgab und zu ihnen an den Tisch trat. „Mr. Woodruff.. hören wir doch mit den Spielchen auf. Wir wissen längst die Namen und kennen die Personen. Was Detective Seely Ihnen versucht zu sagen, ist," dabei öffnete Renee eine Aktenmappe, in der Bilder lagen. „Ist, dass wir längst von diesen Verbindungen wissen," Renee legte ihm ein Bild auf den Tisch, das Woodruff junior mit einem Mann zeigte. „Robert Taylor," das nächste Bild folgte, „Brian Scotty," das nächste, „Liam O'Neil und der letzte," sie zauberte noch ein Bild auf den Tisch. „Henry Bailey. Und glauben Sie mir, wir haben diese Leute überprüft und eindeutige Verbindungen zur Mafia herstellen können. Für den Fall, dass Sie sich noch immer fragen, wieso Sie hier sitzen – gestern Nacht fand ein tätlicher Übergriff auf eine Staatsangestellte statt. Laut UNSEREN Informanten sollen wir uns an einen der Männer hier auf den Bildern wenden. Und das brachte uns zurück zu Aufnahmen, die ich im Zusammenhang mit dem Prozess machen ließ. Also? Wollen Sie nicht endlich Licht in diese Angelegenheit bringen?"

Wieder tupfte sich Woodruff die Stirn ab und sah auf die Bilder, als würde er diese Männer zum ersten Mal sehen.

„Reden Sie schon Mann. Was wissen Sie?", Seely sah missmutig zu dem Mann herunter.

Schließlich seufzte Woodruff und ein resignierter Ausdruck machte sich in seinen Augen breit. „Hören Sie.. das sind Leute mit denen mein Sohn zu tun hat. Informanten, so wie Sie es vermutet haben. Nicht mehr und nicht weniger."

„Mhm," machte Renee mit einem gespielt nachdenklichen Tonfall. „Nur Informanten? Ich denke es würde mir gelingen ein paar Informanten davon zu überzeugen, dass ein Gefängnisaufenthalt nicht so großartig für sie sein würde. Ich schätze mit etwas Feingefühl würde ich sie dazu bringen mir ein paar wichtige Hinweise zu liefern."

Woodruff lachte bei dem Wort Feingefühl leise auf. Toller Scherz aus dem Mund der Staatsanwältin, dachte er und lächelte sie dann plötzlich arrogant an. „Tun Sie was Sie tun müssen. Aber ich denke es wird für Sie in einer Sackgasse enden. Und wenn das alles ist, was Sie von mir wollten ist das Verhör hiermit beendet."

Zur selben Zeit
Jordan's Wohnung

Jordan schlug blinzelnd ihre Augen auf und stöhnte leise. Kopfschmerzen. Gnadenlose pochende Schmerzen. Und noch etwas... ein Engegefühl um ihre Brust, das sie auch geweckt hatte. Als sie herunter sah, erblickte sie einen Arm, der schützend um sie geschlungen war und etwas erschrocken über diesen Umstand fuhr Jordan hoch, sprang von ihrem Sofa und starrte Woody fassungslos an, der halbverschlafen zu sich kam. „Kaffee? Gibt es schon Kaffee?"

Jordan grinste. So sah das also aus, wenn sie Woody bat über Nacht zu bleiben.. sie redeten bis kurz nach zwei und schliefen dann auf dem Sofa einfach ein.

„Nee, aber ich kann welchen kaufen gehen..."

„Jordan? Wie.. oh," Woody fuhr hoch und zog seinen Anzug glatt. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, denn der Anzug war vollkommen zerknittert. „Morgen. Wie geht es dir?"

„Geht so," log sie und zog ihren Bademantel zurecht, mit dem sie nach fast einer Stunde Duschen wieder zu ihm gekommen war. „Wie wär's.. ich zieh mir schnell was an und dann gehen wir zu dem kleinen, italienischen Laden um die Ecke, frühstücken?"

„Tolle Idee," nickte Woody und ging vor den Spiegel, um seine Haare zu kontrollieren und sein Gesamterscheinen. Er sah aus wie er sich fühlte.. unausgeschlafen, versteift... zerknittert. Aber wenn er Jordan eine Freude mit dem Coffee-Shop machen konnte, wollte er nicht kneifen.

Kurz darauf
Coffee-Shop

„Ja.. ja ich verstehe, danke," Woody drückte das Gespräch über Handy in dem Moment weg, als Jordan an ihrem Tisch mit einem Tablett auftauchte.

„Okay, die Schlange ist viel zu lang, also hab ich dir deinen Kaffee, Croissant und einen Muffin mitgebracht. Du musst dich nicht bedanken.. hab ich gern gemacht," Jordan setzte sich und wusste, dass ihre aufgekratzte Heiterkeit nur einer ihrer vielen Selbstschutzmechanismen war, um das was gestern passiert war einfach zu ignorieren und zu verdrängen. Mit Woodys Gegenwart fiel ihr das sogar noch leichter als sonst.

„Entschuldige.. was hast du gesagt," Woody sah Jordan etwas abwesend an und wurde sich sofort diesen Umstandes bewusst. „Oh, tut mir leid. Seely hat gerade angerufen. Walcott hat gestern Nacht eine interessante Verbindung herausgefunden. Soviel zu deiner Theorie, dass sie nichts unternehmen wird."

„Folter mich nicht," wehrte Jordan seine Kritik ab. „Erzähl mir lieber die Details."

„Wie es scheint hat ein Informant den Tip gegeben wirklich im engsten Kreis zu suchen. Besser gesagt, hat er die Aufmerksamkeit auf einen Mann gelenkt, der eine direkte Verbindung zur Kanzlei Woodruff hat. Damit haben sie heute Morgen dem Alten auf den Zahn gefühlt."

„Lass mich raten – er war alles andere nur nicht kooperativ?"

„Leider," seufzte Woody und biss hungrig in sein Croissant. „Den Mafia-Informant hat er allerdings zugegeben. Und – Vater und Sohn mögen sich offensichtlich nicht besonders. Jedenfalls hat er die Sache auf Junior abgewälzt. Im Moment versucht Seely mit Walcott Druck auf den Informant auszuüben, um herauszufinden, ob es einen Auftrag wegen dir von Seiten der Woodruffs gab."

Jordan sah kurz nachdenklich auf ihren Teller. „Ich könnte wetten, dass es den gab. Und überraschen würde es mich auch nicht. Ich hab diesen Woodruff junior von Anfang an nicht getraut." Dann blickte sie plötzlich mit einem breiten Grinsen zu Woody auf. „Dann sollten wir doch da einfach mal ansetzen und nachharken."

Woody überlegte kurz, ob er protestieren sollte. Er wollte an ihre Vernunft appellieren, sie daran erinnern was gestern alles war und passiert ist. Er hatte Angst vor einer Wiederholung – nein... er hatte Angst sie irgendwann bei einer solchen Aktion zu verlieren. Aber er wusste auch, dass Widerstand zwecklos war, wenn Jordan erst einmal diesen entschlossenen Glanz in ihren Augen hatte. Also nickte er nur mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck und spülte die Mahnungen mit seinem Kaffee hinunter, während Jordan mit einem Plan für den heutigen Tag ein wenig abgelenkt von allem wieder heller lächelte, als er sie vorhin noch in ihrer Wohnung erlebt hatte.

„Hat überhaupt irgendjemand unsere Beweise ernst genommen," fing Jordan dann plötzlich wieder zu reden an. „Ich meine wir haben diesen Zement und das Seil. Wir wissen das Lisha und ihr Vater beides für Reparaturen gekauft haben. Aber Robertson hat ein Alibi. Aber was ist mit Lisha? Haben wir je nach ihrem Alibi gefragt? Wieso hat sich niemand für den Umstand interessiert, dass wir das Seil im Geräteschuppen der Woodruffs gefunden haben und daran Zementspuren waren?"

Woody sah Jordan einen Moment nachdenklich an, dann nickte er. „Du hast recht. Wir haben uns in den letzten Tagen viel zu sehr darauf konzentriert Garrets Unschuld zu beweisen, anstatt uns auf die Suche nach dem wahren Mörder zu begeben. Das ist ein unverzeihlicher Fehler."

„Dann lass uns fahren."

Lisha und Andrew Woodruffs Haus
Etwas später

Woody klopfte erneut, heftig gegen die Tür, während Jordan kurz über die Veranda in den Garten spähte. Dabei fiel ihr Blick auf etwas, dass ihr Interesse weckte. Eine japanische Steinfigur, die eine Schneehaube trug.

„Nichts," kam sie zu ihm zurück.

„Vielleicht fährt sie die Kinder gerade fort," überlegte Woody und versuchte es trotzdem noch einmal – dieses Mal mit der Türklingel.

Endlich hörten sie drinnen Schritte, dann ein Schlüsselklirren an der Tür, ein Riegel der zurückgeschoben wurde und eine verschlafene Lisha mit Morgenmantel, machte ihnen die Tür auf.

Sie blinzelte gegen das Tageslicht an, ehe sie Woody und Jordan zu erkennen schien. „Oh .. Sie schon wieder?"

„Wie es aussieht.. ja," erwiderte Jordan fröhlich und drängte sich an Woody vorbei, damit sie automatisch das Wort führen konnte. „Ms. Woodruff, wir hätten da noch ein zwei Fragen an Sie. Können wir reinkommen?"

„Also ich weiß nicht.. Andrew wäre sicher nicht begeistert..."

„Ihr Mann ist doch sicher in der Kanzlei? Und sie sind ja alt genug, um entscheiden zu können, ob ein Gespräch mit uns wichtig ist oder nicht?", versuchte es Woody hinter Jordan mit einer Übernahme „seines" Verhörs.

„Er ist früh los, er hat für mich die Kinder weggebracht, damit ich ein bisschen zur Ruhe komme. Es ist so vieles zu erledigen. Die Beerdigung, Mums Papierkram... das ist einfach im Moment zu viel für mich."

„Das verstehe ich sehr gut," sagte Jordan leise und drückte Lisha mitfühlend den Arm. „Es dauert auch nicht lange und es hilft uns auch Sie und Ihren Mann von den Verdächtigen auszuschließen."

Lisha starrte Jordan entsetzt und ungläubig an. „Wir... wir waren verdächtigt?"

„Nicht wirklich," beeilte sich Woody mit der Schadensbekämpfung. „Uns fehlt nur das Alibi von Ihrem Mann."

„Und auch Ihres. Wir waren beim letzten Mal zu sehr auf Spurensuche aus, dass wir ganz vergessen hatten zu fragen," fügte Jordan hinzu.

„Na ja, es ist zwar absurd, dass Sie uns verdächtigen, aber ich war an jenem Abend zu Hause. Mit den Kindern kommt man nicht fort und unser Babysitter liegt seit einigen Wochen mit einem Gips am Bein im Bett. Also bin ich gezwungen zu Hause zu bleiben. Und Andrew...," Lisha machte ein nachdenkliches Gesicht. „Andrew hatte ein Meeting in der Kanzlei. Er kam sehr spät in der Nacht zurück. Gegen eins oder halb zwei."

„Ist das normal für solche Meetings?", wollte Woody wissen und machte sich eine Notiz auf seinen gezogenen Notizblock.

„Hin und wieder ja. Wenn sie an einem wichtigen Fall arbeiten," nickte Lisha und zog ihren Morgenmantel enger um sich.

„Hm.. sagen Sie, Lisha," begann Jordan mit einem vertraulichen Tonfall. „Ich hab gerade in Ihrem Garten Ihre japanische Skulptur bewundert. Sind Sie ein Fan von solchen Dingen?"

„Oh das," lächelte Lisha etwas entspannter. „Ein Hobby von Andrew. Er hat letzten Sommer angefangen unseren Garten umzugestalten und einen japanischen Garten angelegt. In seinem Arbeitszimmer sind alle Fenstersimse überladen mit Bonsais."

„Schön," nickte Jordan und warf Woody einen viel sagenden Blick zu.

„Das war's auch schon, Ms. Woodruff," Woody klappte seinen Notizblock zu und nickte der jungen Frau zu. Jordan schloss sich ihm an und kurz bevor sie die Veranda verlassen konnten, blieb Woody noch einmal stehen und drehte sich herum. „Nur noch eines.. können Sie uns die Telefonnummer Ihres Babysitters geben?"

DA's Office
Renee Walcotts Büro

Als sich die Tür öffnete blickte Woody nervös und Jordan kampfbereit auf, um der Staatsanwältin entgegen zu blicken. Renee wirkte nicht sonderlich erfreut die beiden in ihrem Büro sitzen zu sehen und genauso fühlte sie auch. Sie hatte die beiden suspendiert und erst gestern Nacht noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich von jetzt an um die Sache kümmerte und sonst niemand. Eine leise Stimme flüsterte ihr jedoch zu, dass sich Jordan mal wieder nicht nach ihren Worten gerichtet hatte.

Renee schloss ihre Tür und ging auf ihren Schreibtisch zu. Mit den Worte: „Auch wenn ich es bereuen werde – was verschafft mir die Ehre?", nahm sie platz.

"Ein paar Dinge, die wir bisher übersehen haben," fing Jordan sofort an. „Dinge, die elementarer sind, als Kreuzzüge gegen die Gerichtsmedizin und ihre Mitarbeiter."

„Hören Sie Dr. Cavanaugh, wenn Sie hier sind, um sich mit mir zu streiten, können Sie gleich wieder gehen. Ich bin heute Morgen nicht in der Stimmung. Der Vize-Gouverneur sitzt mir wegen dem Prozess im Nacken, weil mit jeder Stunde die ich verliere, auch den Prozess verlieren werde. Und ich verliere tatsächlich wertvolle Zeit, wenn ich hier sitze und mit ihnen beiden über eine Sache rede, von denen ich sie abgezogen habe."

„Ja, aber Sie verstehen den ernst der Situation nicht ganz," fuhr Jordan auf. „Wir haben wichtige Beweismittel übersehen und Alibis vergessen zu überprüfen, weil Garret und Sie Spielchen spielen mussten...," weiter kam Jordan nicht, denn Woody legte ihr eine Hand auf den Unterarm. Mehr Warnung bedurfte es nicht und Jordan räusperte sich. Wenn sie hier jetzt persönlich wurden, würden sie gar nichts erreichen, außer dass Renee dicht machen würde.

„Sehen Sie, Ms. Walcott, wir haben dieses Seil im Schuppen der Woodruffs gefunden, aber es bis heute nicht auf DNA-Spuren überprüfen lassen. In diesem Zusammenhang hat auch niemand die Alibis der jungen Woodruffs überprüft. Und..," Jordan machte ein viel sagendes Gesicht. „Das haben wir nachgeholt. Lisha war offensichtlich in der Mordnacht zuhause, weil sich ihr Babysitter im Urlaub ein Fuß beim Skifahren gebrochen hat. Andrew soll angeblich bei einem Meeting in der Kanzlei gewesen sein. Aber dort wusste niemand etwas von diesem Meeting. Nicht einmal der Senior. Er hat nicht einmal versucht, seinen Sohn in Schutz zunehmen. Laut Lisha kam Andrew zwischen eins und halb zwei nach hause. Er hatte also jede Zeit der Welt, den Mord zu begehen." Erwartungsvoll blickte Jordan Renee an.

„Das ist jetzt nicht Ihr ernst?", Renee blickte von Jordan zu Woody, der jedoch nickte. „Das ist Ihr ernst," stöhnte Renee und lehnte sich auf ihrem Sessel zurück. „Wieso sollte Andrew Woodruff seine Schwiegermutter töten?"

„Sagen Sie es mir," entgegnete Jordan. „Sie haben doch eine Verbindung zwischen ihm und der Mafia aufgedeckt."

Renee machte ein nicht sehr begeistertes Gesicht über die Tatsache, dass Jordan schon davon wusste. „Das ist nichts. Nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Und der Mann hüllt sich in Schweigen. Drohungen und Angebote haben ihn nicht dazu bewegen können, zu zugeben, dass es einen Auftrag gab. Weder in Ihrem Fall, Dr. Cavanaugh noch im Fall Anne."

„Na ja, aber es ist doch immerhin ein Anfang. Wir haben den Zement und das Seil – beides bei den Woodruffs gefunden. Dann diese spezielle Erdmischung aus Robertsons Wagen – geeignet für japanische Zierpflanzen. Und - wir wissen seit ein paar Minuten, dass Andrew Woodruff eine Vorliebe für japanische Pflanzen hat. Sein geplatztes Alibi, die Mafia-Verbindung... was wollen wir noch mehr?"

„Ein Motiv?", schlug Renee vor.

„Seit wann interessiert Sie das," entfuhr es Jordan. „Ich meine... was ich eigentlich sagen wollte, wir haben uns im Wagen ein paar Gedanken gemacht."

Renee seufzte ergeben. „Dann lassen Sie mal hören..."

„Okay... wir wissen, dass Anne mit Garret reden wollte. Angeblich über seine mögliche Vaterschaft ..."

„Bitte was?", Renee zog ihre Stirn kraus und starrte Jordan entsetzt an.

Jordan sank auf ihrem Stuhl ein wenig zusammen. Davon hatte Walcott nichts gewusst? Meine Güte.. da hatte sie jetzt wohl etwas angerichtet. Aber zurücknehmen konnte sie es nicht mehr... und das Loch im Boden, in das sie sich gerne verkrochen hätte, wollte auch nicht auftauchen...

„Uhm.. na ja, Garret hat Lily erzählt, Anne glaubte er wäre Lishas Vater...," vorsichtig blickte sie die Staatsanwältin an, deren Lippen sich zu einem engen Strich verengt hatten, aber schweigend Jordan zunickte, damit sie fort fuhr. „Was aber, wenn es nur ein Vorwand war? Vielleicht wollte sie ihm etwas anderes anvertrauen, tat es dann jedoch nicht. Wir sind uns doch alle einig, dass es merkwürdig ist, dass jemand nach über 20 Jahren plötzlich auftaucht und solche Dinge behauptet, wenn nicht mehr dahinter steckt. Daher glaube ich ganz fest, dass alles mit Ihrem und Annes Prozess zusammenhängt. Selbst das Treffen mit Garret. Und als das vorbei war, hatte sich Anne im Moor mit ihrem Kronzeugen und Andrew als ihr Gerichtspartner getroffen, um etwas wegen dem Prozess zu besprechen. Da jeder außer dem alten Woodruff uns ein integeres Bild von Anne gegeben hat, glauben wir, dass es etwas war, dass ihre Sicht über den Prozess änderte, nicht um Delaney zu schmieren. Vielleicht wusste sie nichts von den Mafiaverbindungen der Woodruffs und wurde an jenem Abend damit zum ersten Mal konfrontierte. Sie gerieten in Streit und Andrew brachte im Effekt seine Schwiegermutter um. Er legte sie in seinen Kofferraum, in dem zuvor erst von seinem Schwiegervater der Zement transportiert wurde. So gelangte der Staub an sie. Er fuhr zum Park, war sich über die Konsequenzen und die zurückgelassenen Spuren bewusst, zog sie deshalb aus und legte sie im Gebüsch ab."

Renee konnte einen amüsierten Tonfall nicht gänzlich unterdrücken, auch wenn ihr die Tatsache mit Garret, Anne und Lisha schwer auf den Magen drückte. „Das ist in der Tat eine sehr gewagte Theorie. Sie erklärt uns nicht, was mein Kronzeuge mit der Gegenseite zu schaffen hatte, noch wie sein Blut an das Lenkrad kam. Und so lange wir den Wagen von Andrew Woodruff nicht auf DNA untersucht haben oder Annes Kleider finden, haben wir nicht ausreichende Beweise, um ihn verhaften zu lassen."

„Ich denke die Kleider wird er verbrannt haben. So dumm ist er sicher nicht. Hey.. Sie sind doch die Staatsanwältin.. der Gerichtsbeschluss dürfte doch kein Problem für Sie sein."

Renee holte tief Luft. „Ich muss zugeben, an der Theorie ist einiges dran, das mich interessiert. Und wenn es hilft Garret endlich rein zu waschen, Annes Mörder zu fassen und meinen Prozess zu retten.. dann sehe ich was ich machen kann. Sagen wir in ein oder zwei Stunden?"

Erfreut lächelte Jordan Walcott an und nickte. Für einen Moment lehnte sich auch Woody beruhigt zurück. Das Gespräch war völlig ohne ihn verlaufen, aber ganz gegen seine Befürchtungen – sehr friedlich und vernünftig und es war doch ein guter Anfang, dass Walcott an erster Stelle an Garret dachte... mit einem Blick zu Jordan glaubte er, sie dachte dasselbe.

Lisha und Andrew Woodruffs Haus
Zwei Stunden später

Andrew Woodruff stand mit den Händen in seinen Hosentaschen auf der Terrasse und verfolgte mit düsterem Blick das Treiben in seinem Garten. Drei Hundeführer liefen auf und ab, trampelten den Schnee nieder und waren auf der Suche nach Spuren. Dieser Detective Hoyt und sein Anhängsel aus der Gerichtsmedizin stöberten erneut in seinem Geräteschuppen herum und er versucht jetzt gelassen zu bleiben. Es war schwieriger als es sich selbst vorzunehmen.
Wütend stapfte er schließlich durch den verschneiten, inzwischen zertrampelten, Garten auf den Schuppen zu.

„Was wollen sie denn finden," blaffte er ins Innere und gab es auf ihnen noch irgendetwas vorzuspielen.

„Beweise," schlug Jordan vor und leerte einen Eimer aus. Staub, Erde, Blätter.. mehr nicht. „Eine Handtasche, Schmuck.. etwas das Ihrer Schwiegermutter gehörte und das sie in ihrer Todesnacht trug."

„Sie sind ja verrückt. Wieso sollte ich die Mutter meiner Frau, die Großmutter meiner Enkelkinder umbringen? Ich kann nicht verstehen, wieso irgendein Richter der Welt ihnen diesen erneuten Durchsuchungsbefehl genehmigt hat."

„Weil wir vielleicht schon genug andere Beweise haben, Mr. Woodruff," schaltete sich Woody ein. „Meine Kollegen sind gerade dabei Ihren Wagen, ganz besonders Ihren Kofferraum auf DNA-Spuren zu untersuchen."

Woodruffs Augen weiteten sich etwas, aber er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Er brachte sogar ein Lachen zustande. „Sie sind verrückt. Ganz eindeutig. Das hat ein Nachspiel. Auch die Verleumdungen der Staatsanwaltschaft gegen meine Person. Ich lass das nicht auf mir beruhen."

„Wenn Sie meinen," murmelte Woody und drängte sich an ihm vorbei ins Freie. „Ich schau mal nach ob die Jungs schon was haben." Damit ging er durch den Garten auf das Haus zu.

Jordan warf Woodruff einen amüsierten Blick zu. „Ach kommen Sie schon, Andrew," wurde sie vertraulich. „Sie wissen doch selbst, dass Ihnen das Wasser bis zum Hals steht."

Woodruff blieb ihr eine Antwort zunächst schuldig, sah rasch über seine Schulter und trat ganz ein. Mit zwei Schritten war er plötzlich an Jordans Seite. „Ich weiß gar nichts. Ich weiß nur eines.. wenn Sie nicht aufhören mir und meiner Familie das Leben schwer zu machen, wird es das nächste Mal nicht so glücklich für sie enden."

Jordan starrte Andrew für einen Augenblick schockiert an, dann zog sie ihre Augenbrauen zusammen. „War das ein Geständnis? Wenn nicht muss ich es als Drohung verstehen. Und da verstehe ich überhaupt keinen Spaß. Sie wollen mir Angst machen? Gut, dass ist Ihnen gestern Nacht tatsächlich gelungen. Sie wollen mich davon abhalten, weiterzumachen? Falsch, dass stachelt mich erst recht an. Und wissen Sie was? All unsere Beweise liegen bereits Ms. Walcott vor. Und glauben Sie mir, die reichen vollkommen für einen Haftbefehl aus. Wir suchen nur nach dem Salz in der Suppe.. das, was Ihnen auch das Genick brechen wird." Damit ließ sie ihn einfach stehen und ging ins Freie. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber ihre Knie zitterten leicht und ihr Herz raste...

Parkgarage, DA's Office
In der Nacht

Renee kam mit ihrem Wagenschlüssel in der Hand aus dem Fahrstuhl und ging mit schnellen, festen Schritten durch die Reihe parkender Autos. Für die später Stunde waren noch viele Menschen im Gebäude, aber in ihrem Beruf überraschte das Renee nicht sonderlich. Sie selbst kam fast nie vor zehn aus ihrem Büro. Einer der vielen Umstände die es ihr fast unmöglich machten eine gesunde Beziehung zu führen. Oder eine Beziehung zu einem gewissen Pathologen, der zu allem auch noch regelmäßig Nachtschichten hatte oder auf Bereitschaft war. Sie seufzte bei dem plötzlichen Gedanken an Garret. Sie wusste nicht wieso, aber heute war ihr mehrmals gelungen, was sie in den letzten Tagen gerne verdängt hatte – an ihn und ihre Probleme zu denken. Was soll's, dachte sie frustriert, es war vorbei. Sie hatten es beide gehörig vermasselt. Er hatte mit einer anderen geschlafen, sie hat ihn dafür auf eine miese, unfaire Weise bestraft. Sie hatten beide das Vertrauen des anderen missbraucht, die Gefühle des jeweils anderen mit den Füssen getreten. Egal wie sie es drehen und wenden wollte, einen Neuanfang sah sie dabei nicht.

Als sie eine Autotür hörte, zuckte sie kurz zusammen, schenkte dem Geräusch aber keine weitere Beachtung. Ein Wagen fuhr an, kam an ihr vorbei und fuhr weiter vorne die Rampe hinauf. Ein anderer kam gerade herein gerollt, auf der Suche nach einem Parkplatz.

Ein ständiges Kommen und Gehen. Sie war es gewohnt. Trotzdem fühlte sie sich um diese Zeit nicht wirklich in der Parkgarage wohl. Und als sie ihr Auto in der Ferne ausmachte, ging sie ein wenig schneller.

Es lenkte sie allerdings nicht von ihren Gedanken ab, die sie von Garret weiter zu Jordan geführt hatten. Jordan und ihre gewagte Theorie. Allerdings musste sie zugeben, dass die Pathologin recht hatte. Es gab blonde Haare im Kofferraum von Andrew und angeblich hatte man auf dem Seil aus dem Geräteschuppen Hautschuppen gefunden. Jetzt hieß es die Analyse abzuwarten. Aber im Grunde wussten sie alle inzwischen mit was für einem Ergebnis zu rechnen war. Den Haftbefehl konnte sie eigentlich bereits ausstellen lassen.

Als Renee wieder eine Autotüre hörte, dieses Mal in ihrer Nähe, wendete sie doch ihren Kopf, sah aber niemand. Auch nicht als sie Schritte hörte. Aber es war ihr egal. Sie war an ihrem Wagen angekommen und wollte nur noch nach Hause. Niemanden am Ende noch treffen, den sie kannte und mit dem sie small talk führen musste.

Müde steckte Renee ihren Wagenschlüssel in das Schloss, entriegelte und öffnete die Tür. Sie wollte gerade einsteigen, als sie jemand von hinten packte und noch ehe sie erschrocken aufschreien konnte ein mit Chloroform getränktes Tuch auf das Gesicht presste.

Der Schlüssel fiel ihr aus der Hand, die Handtasche rutschte ihr über die Schulter nach unten, während sie versuchte sich dagegen zu wehren. Aber die Dunkelheit kam schneller...