Kapitel 3

In memoriam...

Im Gedenken an...

Minerva McGonagall blickte sich in dem, ihr so vertrauten Turmzimmer um.

Immer noch schmerzte es sie, wenn sie die Erinnerung an das Vergangene aufkommen ließ, aber wenn sie hier stand und die persönlichen Sachen ihres Vorgängers betrachtete, musste sie sich sehr zusammenreißen, damit ihr auf ihre, auch schon etwas älteren Tage hin, nicht die Beherrschung verloren ging.

Sie schaute hinauf zur Galerie der verstorbenen Schulleiter, wo über dem Kamin Albus Dumbledore in seinem Bilderrahmen hing.

Dann seufzte sie und setzte sich an den Schreibtisch.

„Ach Albus! Wie soll ich nur ohne dich weitermachen? Wie sollen wir ohne dich weitermachen? Wer steht uns nun mit Rat und Tat zur Seite..."

„Ihr sei doch nicht allein, Minerva!", antwortete eine Stimme.

Mc Gonagall fuhr herum.

Aber es war niemand zu sehen. Sie rieb sich die müden Augen und wollte sich eben wieder hinsetzen, als die Stimme erneut zu ihr sprach:

„Ich bin doch hier! Hier oben!"

McGonagall blickte hoch... und ihre Augen trafen Dumbeldores Augen... oder besser, die seines Portraits.

„Albus. Wie soll es nur weitergehen? Wie sollen wir weitermachen?", sie erinnerte sich nicht, sich jemals so hilflos gefühlt zu haben.

„Es geht immer weiter, Minerva! Menschen kommen und gehen! Zauberer wie auch Muggel. Und die Welt hält trotzdem nicht still! Das weißt du genauso wie ich."

Seien Augen blitzen im altgewohnten Schalk auf sie herab, was ihr ein kleines, wehmütiges Lächeln entlockte.

„Weißt du etwas Neues von Harry?", fragte er nach einer Weile.

McGonagall hob die Schultern und schüttelte den Kopf.

„Er wollte mir nicht sagen, was ihr, du und er, vor deinem... Gehen getan habt!", flüsterte sie und senkte einen Moment das Haupt.

So bemerkte sie auch nicht den stolzen Blick in Dumbledores Augen, als er erwiderte:
"Das ist gut. Ich wusste, ich kann mir seiner Treue sicher sein!"

McGonagall sah auf.

„Aber was hast du ihm gesagt, was wir nicht wissen, Albus? Trotz allem ist er noch so jung! Vielleicht braucht er Rat! Oder Hilfe"

„Er wird Hilfe und Rat erhalten, Minerva! Denn Miss Granger und Mr. Weasley sind bei ihm! Er wird nicht allein sein!"

McGonagall konnte nicht umhin, zu schnauben.

„Aber Albus, sie sind alle noch jung. Sie haben nicht unsere Erfahrung! Unser Wissen!", setzte sie hinzu.

Dumbledore zwinkerte stillvergnügt.

„Nein! Aber sie haben ein Wissen, was außer ihnen keiner hat. Ihnen fehlt nur noch ein Teil. Und wie ich Harry kenne, wird er sich bald daran machen, diesen Teil in Erfahrung zu bringen!"

McGonagall seufzte. Egal, wie oft sie Dumbledore fragen würde, sie wusste, er würde es für sich behalten. Er hatte seine Gründe.

...seine Gründe...

„Warum hast du Severus Snape vertraut, Albus?", die Frage, die wohl alle beschäftigte, stellte Minerva McGonagall jetzt. Es drängte sie, das zu wissen, was Albus Dumbledore wusste.

Sie wollte verstehen, nur verstehen, was geschehen war.

Aber Dumbeldore schüttelte nur seinen Kopf.

„Ich habe meine Gründe, Minerva."

Sie scharrte wütend mit dem Fuß. Das war so sonnenklar gewesen, sie hätte sich die Frage eigentlich sparen können.

„Albus! Er hat dich getötet! Einfach so! Er ist ein Todesser! Er hat uns alle betrogen! Und dich verraten! Und er hat den jungen Malfoy mitgenommen!"

Dumbeldores Gesichtszüge verhärteten sich.
"Genug jetzt, Minerva! Ich sage, ich habe meine Gründe. Und das soll dir und allen Anderen vorerst genug sein!"

Eine heftige Erwiderung lag ihr auf der Zunge, aber sie wandte sich ab.

„Wir werden uns wohl einen neuen Namen geben müssen, jetzt, wo Fawkes und du nicht mehr bei uns sind!", versetzte sie nach einer Weile.

Dumbledore nickte in ihrem Rücken.

„Ich denke, du solltest den Namen wählen, Minerva! Aber wähle weise, denn es heißt nicht umsonst: „Nomen est omen!", der Name ist ein Vorzeichen!"

Seine Stimme klang weicher, die Härte, die ihr zuvor inne war, war gewichen.

McGonagall ordnete die Papiere auf ihrem Schreibtisch und musste ihm im Stillen recht geben. Aber das würde sie nie zugeben, dazu war sie eindeutig zu stolz.

Dumbledore grinste leise in sich hinein und begann, seine Halbmondbrille zu putzen. Wie immer am Ärmel seiner Robe.

Es war schon dunkel, als sie Hogsmeade erreichten.

Harry gähnte ausgiebig, als er von seinem Feuerblitz glitt.

Hinter ihm war Hermine fast am Stiel festgefroren und auch Ron schlugen die Zähne aneinander, als stumme Zeugen der heraufziehenden Nachtkälte.

„W- wir s- sollten uns beeilen. Um sieben klappen die doch jeden Bürgersteig hoch und dann ist das hier ne Geisterstadt!", er rieb sich die Hände, die seinen roten Haaren von der Farbgebung her echte Konkurrenz machten.

Hermine hatte die Arme um ihren Körper geschlungen und federte mit den Füßen auf- und ab.

Man sah ihr an, dass auch sie möglichst rasch irgendwo ins Warme wollte, sie zitterte, aber kein Wort der Klage kam über ihre Lippen. Sie war eben anders als andere Mädchen.

Und das war mit ein Grund, warum Harry sie so sehr mochte.

Er nickte zu Rons Worten und wandte sich in die Richtung, in welcher man auf dem fernen Hügel Hogwarts erkennen konnte.

Es ragte dunkel in die Dunkelheit hinaus und nur einige Fenster funkelten hell erleuchtet, wie kleine Feuer der Hoffnung in der schwärzesten Nacht.

Sie wanderten den kleinen Pfad entlang, der sich in leichten Kurven am nahen See vorbeischlängelte und auf das prachtvolle Schloss zuführte.

Der Kies knirschte unter ihren Schuhen und das Laub raschelte zwischen ihren Füßen, als sich ihre Schritte gen Schloss lenkten.

Am Portal angekommen, das geschlossen war, erwartete sie ein schwebender Peeves.

Aber entgegen aller Vorstellungen lockte der Anblick dreier Schüler ihn nicht zu Späßen und Possen. Im Gegenteil, er ließ den Kopf hängen und murmelte nur ein leises: „Hallo!"

Hermine nickte ihm zu, Ron und Harry allerdings würdigten den Poltergeist keines Blickes.

Erst, als Peeves ihnen fast hilfsbereit das Tor öffnete, ließen sich auch Harry und Ron zu einem Nicken herab.

Sie schritten durch die leere Eingangshalle, die nun, ohne die vielen Stimmen der herumeilenden Schüler, kalt und ungemütlich wirkte. Wie eine Kirche.

Oder wie ein Kloster, dachte Harry.

Er wusste nicht warum, aber er schlug wie von selbst den Weg zu Dumbledores Büro ein.

Nein, zu McGonagalls Büro, verbesserte sich Harry in Gedanken. Er mochte und respektierte Minerva McGonagall und er wusste, niemand würde Albus Dumbledore ersetzen können, aber auch würde niemand seinen Job so gut zu erfüllen versuchen und zu erfüllen wissen, wie sie. Seine Schritte griffen weiter aus, als er dem langen Gang folgte. Hermine hatte Mühe, bei dem Tempo Schritt zu halten, aber Ron blieb etwas zurück und wartete, bis sie ihn eingeholt hatte. Bei jedem Schritt Harrys musste sie zwei machen. So war sie auch etwas außer Atem, als die Drei dann vor dem Wasserspeier standen.

Er hob den steinernen Kopf und Harry war verwundert und entsetzt zugleich, als er Tränen in den Augen der Figur erkannte.

Ohne ein Passwort zu verlangen, ließ er sie vorbei und gab die Wendeltreppe frei.

„Woran denkst du, Minerva?", Dumbeldores Stimme klang freundlich, fast besorgt.

Minerva schreckte hoch und ließ die Feder fallen, mit welcher ihre Finger gespielt hatten.

„Ich frage mich, wie es weitergehen soll? Was, wenn niemand mehr zurückkehrt? Albus, ich weiß, ich...ich...", sie stockte und man hörte das Beben in ihrer Stimme.

Sie war allein. Die Zweifel fraßen sie auf. Zweifel, ob sie den, an sie gerichteten, Anforderungen, Dumbledores Platz einzunehmen, gerecht werden würde.

Und ihr wurde erstmals etwas bewusst...

Ihr wurde bewusst, wie sich Harry die ganze Zeit fühlen musste. Es war ein schreckliches Gefühl, das gestand sich Minerva McGonagall in diesem Moment ein und eine Welle aus Mitleid überschwemmte ihr Herz. Der Junge hatte das alles still und klaglos ertragen, er hatte sich nie beschwert, sondern getan, was zu tun war. Minerva schüttelte nur den Kopf. Dumbledore hatte Recht. Harry Potter hatte etwas, was sie alle nicht hatten. Und Minerva wusste nun auch, was.

Als sie den Blick zu Dumbledores Portrait wandte, waren ihre Augen feucht, aber ihre Stimme klang fest: „ Ich verstehe dich, Albus. Du hast Recht! Potter hat etwas, was niemand von uns besitzt! Er hat die Kraft und die Stärke, das alles durchzustehen. Er macht immer weiter, wo Andere aufgegeben haben. Aber, er...er hat das nicht verdient, Albus!", sie schüttelte erneut energisch den Kopf, als Dumbledores Augen sie fragend musterten, „Diese schwere Bürde zu tragen hat er nicht verdient. Er hätte ein normaler Junge sein sollen. Kein Held."

„Ich weiß, Minerva. Aber unser Schicksal weist uns oft andere Wege, als jene, die wir uns wünschen. Harry ist stark. Aber allein wird auch er scheitern. Er braucht Freunde! Und vor allem Halt! Also gib ihm Halt, wenn er gleich hereinkommt!"

Wie zur Bestätigung klopfte es leise und doch fest an die schwere Eichentür. Minerva, die Dumbledores Portrait mit verwunderten Augen angestarrt hatte, erschrak innerlich fast zu Tode, fing sich aber schnell wieder und versuchte, das Beben in ihrer Stimme zu verbergen, als sie erwiderte: „Herein!"

Die Tür öffnete sich und ihre Augen wurden größer, als Harry eintrat. Hinter ihm Ron Weasley und Hermine Granger. Minerva erhob sich.

Einen langen Augenblick standen sie sich gegenüber: Die große, hagere Gestalt von Minerva McGonagall und die große, schlanke Gestalt von Harry Potter. Minerva versuchte, in den undurchdringlichen, grünen Augen zu lesen, aber es schien ihr, als irre sie durch einen tiefen Dschungel, als stürze sie in einen See, dessen Tiefe kein Ende nahm.

Dann streckte sie die Hand aus und Harry ergriff sie mit kräftigen Fingern, in welchen Minerva die Kraft und die Stärke pulsieren fühlen konnte.