Ich schlug meine Augen auf und blickte in den sternklaren Nachthimmel. Kein Wind wehte, kein Geräusch war zu hören. Es war totenstill. Die Schreie der sterbenden Menschen um mich herum waren nach und nach verstummt, bis sie der vollkommenen Ruhe gewichen waren. Die Stille hatte sich wie ein Schleier über den endlosen Ozean gesenkt.
Leichte Wellen schwappten auf die zersplitterte Tür, auf der ich lag. Ich lag einfach so da; fühlte nichts, dachte nichts.
Ich lies mich treiben und hoffte die Titanic wäre nie untergegangen. Das unsinkbare Schiff lag auf dem Boden des Ozean. All die Pracht ist vom Wasser verschlungen worden.
Je länger ich so dalag, desto klarer drängten sich die Bilder der vergangen Stunden in mein Bewusstsein.
Ich drehte mich besorgt zu Jack um, wobei ich bemerkte, dass mein ganzer Körper mit einer kalten Eisschicht bedeckt war.
Da wurde mein Blick auf ein Boot gelenkt, dass sich auf uns zubewegte. Eines der Boote kam zurück! Es kam zurück, um uns zu retten!
"Jack!", flüsterte ich. "Jack, da ist ein Boot, Jack!"
Doch Jack bewegte sich nicht. Er war genau wie ich mit einer Eisschicht umhüllt. Der Mond beschien sein blasses Gesicht, seine blonden Haare, die von Eiskristallen bedeckt waren. Seine Augen waren geschlossen und er lag ruhig und friedlich da.
Das Zittern, das seinen Körper beherrscht hatte, hatte aufgehört. Durch den entspannten Gesichtsausdruck schien es, als schliefe er.
Seine Hände waren an meine gefroren und es war jedes Blut aus ihnen gewichen.
Ein Gedanke jagte durch meinen Kopf, der meinen Atem stocken lies; der mein Blut in den Adern gefrieren lies.
Jack war tot.
Nie wieder würde seine Stimme in meinen Ohren erklingen.
Nie wieder würden seine Hände meine umfassen; seine Lippen meinen Mund verschließen.
All das Glück, das mich durch Jack erfüllt hatte, war endloser Leere gewichen.
Ich fühlte mich allein. Der einzige Mensch, den ich und er mich je geliebt hatte, war tot. Ich wollte und konnte es nicht wahrhaben. Wir hatten von einer gemeinsamen Zukunft geträumt und ich wollte mit ihm von Bord gehen.
Doch all dies war zerstört, bevor es begonnen hatte.
Eine Träne rollte meine Wange hinunter. "Komm zurück", wisperte ich. "Komm zurück." ,obwohl ich wusste, dass meine Worte ihn nicht ins Leben zurückrufen würden. Nichts und niemand konnte das.
Ich wollte aufgeben, loslassen von diesem sinnlosen Dasein in dieser grauenhaften Welt. Ein Leben ohne Jack bedeutete mir nichts. Doch ich dachte an das Versprechen weiterzuleben, das ich Jack gegeben hatte. Ich würde mich daran halten! Ich würde weiterleben!
Neuer Lebenswille flammte in mir auf und ich löste Jack sanft von mir, um ihn den unendlichen Tiefen des Ozeans zu überlassen. Ich fasste Mut, atmete noch einmal tief durch und lies mich in das eiskalte Wasser gleiten. Es fühlte sich an, als bohrten sich hunderte Messer auf einmal in meine Körper. Ich atmete schnell und schwamm auf einen tot im Wasser liegenden Mann zu. Erst jetzt wurde mir das Ausmaß der Katastrophe bewusst.
Um mich herum, überall, trieben die toten Körper von Menschen. Jungen Müttern, die noch im Tod ihr Baby umklammert hielten. Ehepaare, die sich im Sterben aneinander festgeklammert hatten. Junge und alte Menschen mussten sterben, weil die Boote nicht rechtzeitig umkehrten. Wie viele wohl überlebt hatten?
Hektisch zuckten meine Finger, als ich versuchte die Trillerpfeife des Mannes an mich zu nehmen. Zuerst blies ich zaghaft, dann immer heftiger. Mein Leben hing davon ab, ob die Männer im Boot mich bemerkten oder nicht. Die Männer mussten mich sehen! Sie mussten mich retten! Erleichtert wich die Anspannung von mir, als das Boot umkehrte und auf mich zusteuerte. Sie hatten mich gesehen!
Ich würde von den stechenden Schmerzen an meinem Körper erlöst werden, doch die Wunden, die meiner Seele zugefügt worden waren, könnte keiner heilen...