Annes POV:

Ungläubig starre ich ihn an. Sehe ihm in die Augen, forsche darin nach irgendetwas, das mir sagen könnte, dass er gerade einen seiner weniger lustigen Witze macht. Ich suche, forsche und finde... nichts.

Das ist nicht lustig, nein das ist ganz und gar nicht lustig.

„Du, du meinst das nicht ernst, richtig? Das ist nur ein übler Scherz... nicht?" Ich sehe ihn fast flehend an und muss unwillkürlich an die Situation im Zug zurückdenken, als Angelina George und Fred gedroht hatte, wenn sich das alles als einer ihrer Streiche herausstellen sollte. Doch das war es damals nicht und ich habe das ungute Gefühl, dass es das heute auch nicht ist.

George sieht mich kurz an, dreht mir dann den Rücken zu und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare, so dass sie noch ungebändigter als sonst wirken.

„Weißt du Anne, hätten wir genug Zeit, würde ich mich jetzt erst mal darüber aufregen, dass das immer gleich jeder zu denken scheint, wenn irgendetwas ungewöhnliches passiert... aber, verdammt noch mal wir haben diese Zeit nicht und deshalb sollten wir uns verdammt noch mal beeilen und uns verdammt noch mal beeilen zu diesen Umkleidekabinen zu kommen." Ich glaube nicht, dass ich ihn schon so oft „verdammt noch mal" sagen gehört habe und überhaupt... hätte ich gewusst, dass ihn das so aufregt, hätte ich ihn doch nie gefragt, ob das alles ein Scherz sei. Das war doch einfach nur so eine Redensart. Ich meine...

Ich werde jäh aus meinen wirklich unnötigen und in dieser Situation unglaublich unpassenden Gedanken gerissen, als George ohne große Vorwarnung meine Hand ergreift und mich recht unsanft hinter sich herzieht. Diesen komischen Gang entlang.

Was zum Teufel will er hier? Die Umkleidekabinen und der Trainingsplatz generell sind in der anderen Richtung, das weiß sogar ich und ich bin nicht seit fünf Jahren auf dieser Schule.

Trotzdem beschließe ich vorerst meinen Mund zu halten – das vorhin ging irgendwie nach hinten los und ich werde erst wieder reden, wenn ich ganz sicher bin, dass George nicht genau weiß, was er tut. Und es hat irgendwie den Anschein, als wüsste er das sehr genau.

Er läuft nicht nur sehr schnell, rennt schon fast, er geht auch unglaublich bestimmt, wechselt schlagartig die Richtung und bleibt nicht einmal kurz stehen, um zu sehen wo wir jetzt genau sind.

Ich kann trotzdem nicht behaupten, dass mir das ganz geheuer ist.

George bleibt abrupt stehen, so abrupt, dass ich fast in ihn knalle, weil ich nicht wirklich darauf vorbereitet war, dass er so plötzlich zum Stillstand kommt.

Als ich aufsehe, erkenne ich vor uns die Statue einer Nymphe, die ich noch nie bewusst wahrgenommen habe. Kein Wunder, sie ist nicht wirklich etwas Besonderes, wenn man bedenkt, wie viele verschiedene Statuen die einzelnen Gänge der Schule säumen.

Gerade als ich George fragen will, was er hier will, beugt er sich nach vorne und zieht am kleinen Finger der Nymphe. Mit einem kleinen krächzenden Geräusch bewegt sie sich zur Seite.

Doch bevor ich Zeit zum Staunen habe, zieht George mich in den kleinen Gang, der sich hinter der Nymphe aufgetan hat und beginnt aufs Neue zielstrebig in eine Richtung zu laufen. Nicht, dass ihm viel übrig bleibt, denn der Gang scheint ohne Abzweigungen zu verlaufen.

Nach einer ganzen Weile erreichen wir eine kleine, hölzerne Tür, die George ohne zu zögern aufstößt. Ich erkenne den Wald und in einiger, mir unerreichbar scheinender, Ferne auch das kleine Häuschen neben dem Quidditchfeld.

Wieder befinde ich mich unmittelbar hinter George und zum ersten Mal seit er mich in diesen Gang gezerrt hat, werde ich mir der Gefahr bewusst, in der wir beide uns befinden. Zum ersten Mal werde ich mir der Gefahr bewusst, in die wir Katie und Oliver gebracht haben.

Oh Gott, wenn den beiden was passiert... ich könnte mir das niemals verzeihen. Das ist alles so viel schlimmer als die Sache vor knapp einer Woche im Gemeinschaftsraum. Und zwar um ein Milliardenfaches. Mindestens.

Ich weiß nicht viel über Sirius Black, aber was ich weiß, das ist schrecklich. Er ist ein gewissenloser Mörder und immerhin der erste, der es geschafft hat, aus Azkaban zu entfliehen. Offenbar ist er nicht nur gewissenlos, sondern auch noch sehr schlau – eine schreckliche Mischung.

Ich beschleunige meine Schritte und schon bald laufe ich nicht mehr hinter, sondern neben George. Ich ignoriere das brennende Stechen in meiner Seite und laufe weiter, denke dabei an Katie und Oliver und wie irgendwie immer alles nach hinten loszugehen scheint.

Das ist nicht gut, nein das ist ganz und gar nicht gut. Das ist katastrophal.

Endlich erreichen wir das kleine Gebäude und wieder beobachte ich, wie George die Tür aufreißt.

Ich bin direkt hinter ihm, als er auf die winzige Besenkammer zustürmt und fast sachte daran klopft. Wie kann er auf einmal so sanft sein?

Langsam, als ob ich Angst hätte, gehe ich auf die Tür zu, vor der George jetzt steht. Und ja, verdammt, ich habe Angst. Was, wenn den beiden wirklich etwas passiert ist? Was, wenn George jetzt die Tür aufmacht und wir die beiden nicht darin finden? Oder schlimmer noch... Ja, was dann?

„Oliver?" Ich lehne meinen Kopf an die Tür. „Katie?" Keine Antwort.

„Mach das Ding doch einfach auf, verdammt!" George sieht mich ungeduldig an.

Ich sehe ihn verzweifelt und auch etwas verlegen an. „Ich, ich kann nicht. Ich hab den Spruch vergessen..." Verzweifelt sehe ich ihm in die Augen, doch schon nach kurzer Zeit schüttelt George den Kopf, zieht ein Stück Pergament aus seiner rechten Hosentasche, zückt seinen Zauberstab und liest den Spruch laut davon ab.

Ich bin also keineswegs die einzige, deren Nerven hier flattern.

Erleichtert sehe ich ihn an, wende mich aber schnell wieder der Tür zu und stoße sie auf.

Auf den Anblick, der vor mir liegt, war ich jedoch keinesfalls gefasst. Ich starre fassungslos.

„Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?" George klingt geschockt, überrascht und ein kleines bisschen wütend. „Merlin, das darf doch alles nicht wahr sein...", murmelt er, als er sich umdreht und sich, wie schon vor einigen Minuten, mit beiden Händen durch die Haare fährt.

Ich richte meinen Blick wieder auf die beiden selig schlummernden Personen vor mir, die eng umeinander geschlungen auf ihren Mänteln liegen und nicht einmal von unserer Anwesenheit ahnen zu scheinen.

„Ich werde sie nicht aufwecken, das kannst schön du erledigen!", meldet sich George hinter mir und ich sehe ihn ungläubig an.

„Oh nein, das werde ich nicht tun!", wehre ich ab. Warum sollte ich auch?

„Du hast doch mit dem Ganzen angefangen, im Gemeinschaftsraum!", meint er, als wäre es gar keine Frage, dass es deshalb meine Pflicht ist, die beiden jetzt zu wecken.

Tse... egal, es gibt schlimmeres und die Zeit drängt, auch wenn ich das für die letzten beiden Minuten vergessen habe. Dummes Anne, dummes Anne!

Mutiger als ich mich fühle, gehe ich auf die beiden zu, beuge mich vorsichtig über sie und rüttle dann an Olivers Schulter.

„Oliver, wach auf!", fordere ich und rüttle etwas fester.

„Noch fünf Minuten, Mom!" Eine leise Antwort, darauf ein Schmatzen und er scheint sich noch enger an Katie zu kuscheln, was eigentlich gar nicht möglich sein dürfte.

„Jetzt wach endlich auf, verdammt!" Erstaunt sehe ich George an. Mit zerzausten Haaren steht er in der Tür und sieht wirklich ein wenig verzweifelt aus. Missbilligend blickt er mich an und ich sehe entschuldigend zurück.

Ich bin wirklich überfordert mit dieser ganzen Situation hier. Und auch wenn es vor wenigen Stunden noch so schien, so ist doch heute nicht wirklich etwas nach Plan verlaufen. Auch wenn man es nicht glaubt, aber so etwas wirft mich aus der Bahn. Und dann noch diese Sirius Black Sache... oh mein Gott, was wenn er plötzlich hier reinstürmt, auf der Suche nach einem Unterschlupf?

Fast Panisch sehe ich mich um, erblicke die fragenden Gesichter von Oliver und Katie und höre noch Georges Stimme, wie von weit entfernt: „Wir haben jetzt keine Zeit, euch das zu erklären, aber das machen wir später – versprochen! Wir müssen in die Große Halle, schnell!"

Ich glaube, Oliver so etwas wie „Auf die Erklärung bin ich mal gespannt!" murmeln zu hören und finde mich unmittelbar danach wieder einmal hinter George, der mich an der Hand hinter sich herzieht. Und ich laufe einfach, vertraue ihm blind, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll.

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Wo kommt ihr her?" Snape sieht uns aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch an. Er hat die Hände hinter dem Rücken gefaltet und erscheint mir so einschüchternder denn je.

Zum Glück findet George seine Stimme, denn mir wäre garantiert nichts halbwegs Glaubwürdiges eingefallen.

„Wir wollten Oliver und Katie holen, sie wollten noch für das Spiel gegen Slytherin trainieren, Professor.", antwortet er nach kurzem Überlegen und klingt dabei völlig glaubwürdig.

„Auch wenn ich verstehe, dass sie für dieses Spiel zusätzliche Trainingseinheiten benötigen, so ist es nicht akzeptabel, dass sie alleine aufbrechen und so etwas nicht einem Lehrer melden, Mr Weasley und Ms Reed... die nächsten vier Wochen werden sie deshalb..."

„Nanana, Severus", ich drehe mich in die Richtung aus der die Stimme kommt und erblicke den schrulligen Direktor, der Snape tadelnd ansieht, „es ist schön spät und morgen ist trotz allem ein weiterer Unterrichtstag. Ich bin mir sicher, die beiden haben in ihrer Angst um ihre Freunde nur vergessen, einem Lehrkörper Bescheid zu geben." Dumbledore sieht Snape fast eindringlich an und wendet sich dann uns zu: „Geht schon hinein, ich bin mir sicher in einer Ecke sind noch vier Schlafsäcke frei!", fordert er uns lächelnd auf und mit einem Wink seines Zauberstabes öffnet sich die schwere Hölztür unmittelbar vor uns und nach Katie und Oliver gehen auch George und ich hindurch.

„Das war verdammt knapp.", stellt George kopfschüttelnd fest und ich frage mich, zum wievielten Mal er gerade „verdammt" gesagt hat. „Der nächste Samstag ist nämlich sowieso schon für McGonagall reserviert...", höre ich ihn murmeln und muss trotz allem grinsen. Typisch.

Gerade als ich in meinen Schlafsack schlüpfe, höre ich Oliver sagen: „Das eins klar ist, morgen will ich eine Erklärung haben!" Und schon dreht er sich wieder zu Katie um.

Ich schüttle den Kopf. Wie soll ich ihm das bitte erklären?

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„George?"

„Ja?"

Erleichtert atme ich aus. So kitschig und mädchenhaft auch immer das jetzt klingen mag, aber als ich seine Stimme höre, fühle ich mich sofort viel wohler.

„Ich kann nicht schlafen!", beklage ich mich in genervtem Tonfall.

Es stimmt. Selbst nach den aufregenden Ereignissen zuvor, oder vielleicht gerade deswegen, kann ich mich nicht dazu bringen einzuschlafen.

Auch wenn ich mir sicher bin, dass uns in der Großen Halle nichts passiert – irgendetwas hindert mich am Einschlafen.

Und ich habe sogar schon versucht, Schafe zu zählen. Es hat nicht geklappt. Keine einzige noch so dumme oder stereotypische Methode. Und sonst war es für mich so unglaublich einfach einzuschlafen. Heute? Keine Chance, Baby.

Er grummelt irgendwas, dann höre ich das Rascheln von Stoff.

„Nun komm schon her, A!", fordert er mich mit müder und verschlafener, aber dennoch bestimmter Stimme auf und ich gehorche nur allzu gerne.

Vorsichtig krabble ich ihn seine Richtung, ziehe meinen Schlafsack dabei hinter mir her und kann dann endlich in der Dunkelheit erkennen, dass er das obere Stück seines großen Schlafsacks einladend hochhebt, dabei kaum im Stande die Augen offen zu halten.

Zufrieden lege ich mich neben George und mache es mir bequem. Kurz drehe ich mich zu ihm und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke", sage ich leise und weiß nicht genau, wofür ich ihm genau danken will. Dafür, dass er mich ohne groß nachzudenken, einfach so aufgefordert hat, mit in seinen Schlafsack zu kriechen? Dafür, dass er daran gedacht hat, den Spruch aufzuschreiben, der die Türe öffnet? Dafür, dass er sich so um meinen „Stiefbruder" gesorgt hat? Oder einfach nur dafür, dass er da ist? Dafür, dass er eigentlich immer da ist, seit ich ihn kenne?

„Gern geschehen", kommt es von hinter mir und seine Stimme klingt kratzig und wenn ich mich nicht irre ein kleines bisschen weniger verschlafen als vorher – ich muss doch müder sein, als ich gedacht habe.

„Und jetzt schlaf endlich, Anne!" Als er das sagt, legt er den Schlafsack endlich über mich und behält seinen Arm einfach da, wo er jetzt liegt, auf meinen Bauch. Ich kuschle mich ein wenig enger an ihn, einfach nur weil es sich gut anfühlt und schließe die Augen.

Ich bin mir verdammt sicher, dass ich jetzt einschlafen kann...

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A/N: Unglaublich aber wahr. Ja, es geht weiter. Nach so langer Zeit.

Allerdings wird es jetzt wohl eher mehr Kapitel aus Annes Sicht geben, weil mir die besser gefallen und ich mich beim Schreiben wohler fühle.

Beschwerden, Liebesbriefe und natürlich Kritik sind per Review natürlich sehr gern gesehen.