Da sind wir also, es ist Sonntag, der Mond ist ausgestanden, und es sind ein paar Antworten fällig.

Disclaimer: immer noch siehe Kapitel eins.

Besondere Grüße an dieser Stelle an ginny-w; die so nett reviewt, vielen Dank :o)

Soundtrack: (auch wenn ich eigentlich aus dem Spice-Girls-Alter längst raus bin) Melanie C: First Day of my Life, weil es ein echt schöner Titel ist.

So. Eine Runde Katerfrühstück für alle, und los geht's.

SONNTAG

Das Erwachen geschieht zäh und auch nur, weil etwas anders ist als sonst. Wie eine klebrige Masse haftet der Schlaf an ihm und will ihn nicht los lassen. Er liegt in seinem Bett, das Gesicht ins Kissen gedrückt, und verfolgt träge, wie sein Körper sich ganz allmählich, Stück für Stück, zuschaltet. Beine? Wieder da, und lassen sich bewegen. Langsam. Muskeln noch schwach, und schmerzen, jeder einzelne. Arme? Ja. Da sind sie. Schwer, und viel zu lang, wo doch eben noch kompakte Vorderläufe waren. Kopf lässt sich drehen. Gut. Mal die Augen auf?

Er blinzelt und lässt die schweren Augenlider wieder fallen. Träge Bilder gaukeln durch seinen Geist. Padfoot, der jaulend unter ihm liegt. Der Mond, der sein fast grelles Licht über den weißen Flaum der Disteln schüttet. Eine Katze, die sich oben auf dem Bauzaun fest klammert und den Schreck ihres Lebens aussteht. Remus lächelt müde. Hände, die seinen zitternden, hilflosen Körper in Empfang nehmen und in eine Decke hüllen, nachdem der Wolf ihn auf den kalten Betonboden gespieen hat, um vor der Sonne zu fliehen.

Hände…?

Die ihm Haare aus dem Gesicht streichen. Trockene, kühle Lippen auf seiner heißen Stirn. Arme, die ihn mehr tragen als stützen.

Remus macht die Augen auf.

Und das ist es, was anders ist. Jemand werkelt in der Küche, das Radio dudelt leise, Remus hört Töpfe klappern. Ein scharfer, angebrannter Geruch hängt in der Luft. Die Vorhänge sind geschlossen und lassen einen breiten Streifen Sonnenlicht durch den Spalt in den Raum.

Jemand summt.

Remus starrt auf den Sonnenstreifen, der längst verblasstes Blau auf dem alten Linoleum wieder zum Leben erweckt. Sein Herz schlägt ihm irgendwo im Hals. Langsam treten seine Füße die Bettdecke zu einem dicken Klumpen am Fußende des Bettes, dann bringt er seine Beine nach vorne, bis sie über den Rand kippen und seine nackten Füße den kühlen Boden berühren. Mühsam stützt er sich mit der Hand ab und kommt zum Sitzen. Sein Kopf schwimmt, der Raum dreht sich. Die weiche braune Robe, die seinen Körper bedeckt, fühlt sich an, als sei sie aus Brennesseln gemacht.

Er unternimmt das Wagnis und steht auf, er taumelt ein paar Schritte, fängt sich am Tisch, sein Blick ist starr, sehr konzentriert. Zwei Schritte, und die Sofalehne nimmt ihn in Empfang und geleitet ihn zum Regal. Durch die Tür und quer über den Flur sieht er, dass in dem kleinen fensterlosen Badezimmer Licht brennt. Eine kleine Seenlandschaft aus Pfützen ziert den Boden, dazwischen erheben sich kleine Hügel aus zusammen geknüllten Handtüchern.

Er löst sich vom Regal, taumelt die paar Schritte bis zur Küchentür und fängt sich im Türrahmen.

Einer steht am Herd, hoch gewachsen, Schultern ein wenig breit für die schmalen Hüften, die langen Beine in abgetragenen Jeans, deren Saum sich in Fäden auflöst. Feuchtes schwarzes Haar fließt seinen Rücken hinunter, jemand hat sichtlich viel Mühe darauf verwendet, allen Filz heraus zu kämmen. Er trägt ein Hemd mit hoch geschlagenen Ärmeln, es ist ihm ein wenig zu kurz und zu eng um die Schultern, Remus kennt dieses Hemd, er hat nur zwei, da ist es nicht schwer, den Überblick zu behalten.

Eine Pfanne wird vom Herd gerissen und landet im Ausguss.

„Mist, blöder" sagt eine Stimme, ein wenig tiefer als in Remus' Erinnerung und etwas heiser, aber so vertraut, dass es ihm beinahe die Füße weg zieht.

Er schlingt die Arme um sich, der Türrahmen hält zuverlässig sein Gewicht. Er nimmt allen Mut zusammen.

„Hübsches Hemd" sagt er.

Der andere fährt herum.

„Moony" sagt er. „Himmel! Hast du mich erschreckt. Du bist schon wach?"

„Ja" sagt Remus tonlos, und sein Blick versinkt in diesem Gesicht, das aus der Vergangenheit zu ihm kommt, während ihm gleichzeitig schlecht wird, weil jemand ihn Moony genannt hat. Der Name löst eine Kaskade von Gefühlen aus, mit denen er nicht fertig wird, und so konzentriert er sich auf dieses Gesicht, das schön ist wie immer und doch anders als erwartet, es ist alles ein wenig zu in diesem Gesicht: Augen zu groß und zu blau, Jochbein zu geschwungen, Wangen zu tief, Mund zu breit, Nase zu griechisch. Falten zu scharf. Empfindungen zu offensichtlich, Angst und Freude und Eifer und Verwirrung, die sich in rascher Folge abwechseln, aber zumindest das war schon immer so, man hat Sirius Black schon immer lesen können, zumindest Remus konnte das.

Er fischt die Pfanne aus dem Ausguss und hält sie Remus entgegen.

„Ich wollte Frühstück machen" sagt er und lacht hilflos. „Ich war ganz früh schon einkaufen. Ich hab's total vermasselt. Ich glaube, ich bin so ziemlich aus der Übung."

Remus wirft einen Blick in die Pfanne, es ist etwas wie verkohlte Spiegeleier darin, begleitet von verkrüppelten, harten schwarzen Dingern, die einmal Speck gewesen sein könnten. Schillernde Fettaugen schwimmen auf glibberigen Resten von Eiweiß, und Remus' Magen kapituliert. Er presst die Hand vor den Mund und stürzt vorwärts zum Waschbecken, und dann hängt er drüber und erbricht bittere Galle, bis sein Magen sich anfühlt wie ein harter, stacheliger Klumpen, aber die Dinge, die ihn wirklich schmerzen, lassen sich nicht einfach auskotzen, und deshalb ringt er um Atem und schluckt gegen den Brechreiz an und lässt sich Wasser übers Gesicht laufen, bis er sich wieder im Griff hat. Er tastet nach einem Handtuch und bekommt eines in die Hand gedrückt.

„Vielen Dank" sagt Sirius. „Deine Komplimente sind doch immer wieder die besten."

Remus tastet sich auf den Küchenstuhl und reibt sich das Gesicht trocken, und als er das Handtuch vom Gesicht nimmt, sieht er, dass Sirius vor ihm in die Hocke gegangen ist und ihn betrachtet, mit etwas wie Verwunderung.

„Du bist ja ganz grau" sagt er. „Deine Haare. Ganz grau. Komisch. Ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Und dünn bist du, meine Güte."

„Tja" sagt Remus, seine Stimme schwankt noch ein wenig. „Ich nehme an, als Hund achtet man nicht auf solche Äußerlichkeiten."

„Ja" sagt Sirius.

„Was sollte die Maskerade? Drei Tage. Himmel, ich dachte wirklich schon, du hättest ein Problem und könntest nicht zurück."

„Ich hatte ein Problem."

„Ach ja?"

„Dich."

„Mich" sagt Remus und zieht die Augenbrauen hoch, aber er weiß, er müsste weniger ausgespieen und malträtiert daherkommen, um Eindruck zu machen.

„Padfoot hat so seine Antennen" sagt Sirius und schaut zu Remus hinauf. „Er bemerkt nicht, ob jemand grau oder dünn oder sonst wie ist. Aber er bemerkt, wenn es Vorbehalte gegen ihn gibt."

„Ich hatte keine Vorbehalte" sagt Remus automatisch, und Sirius sagt „doch, hattest du", und Remus sieht keinen Sinn darin, es weiter zu leugnen.

„Ich dachte, ich zähme dich schrittweise" sagt Sirius und lächelt ein wenig.

„Du mich" sagt Remus fassungslos. „Jetzt hilf mir noch mal. Wer von uns ist stundenlang mit Hundekeksen auf dem Boden herum gesessen?"

„Du hast das gebraucht" sagt Sirius.

Ich" sagt Remus.

„Wölfe sind so viel schwerer zu zähmen als Hunde" sagt Sirius. „Das liegt daran, dass Hunde es in den Genen haben, zahm zu sein. Wölfe sind von Natur aus wild."

„Komm mir nicht mit platten Analogien" sagt Remus kopfschüttelnd.

„Ist doch egal jetzt" sagt Sirius und kommt ein wenig steif in die Höhe, seinen Bewegungen fehlt etwas, es sind nicht mehr die eines jungen Mannes. „Ich dachte, es wäre besser so. Bis wir uns aneinander gewöhnt haben. Bis der Mond vorbei ist."

„Tröstlich zumindest, dass du dir irgend etwas dabei gedacht hast" murmelt Remus.

„Schade übrigens, das mit Hogwarts" sagt Sirius und beginnt, Schränke zu öffnen. „Mann, ich war so glücklich, als ich letztes Jahr erfuhr, dass du dort unterrichtest. Ich dachte, zumindest einer von uns hätte es geschafft."

„Und das hätte ausgerechnet ich sein sollen" sagt Remus mit müdem Lächeln.

„Warum nicht" sagt Sirius. „Du warst immer ein Überraschungskandidat."

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen."

Sirius hat die Teller gefunden und klappert damit herum.

„Was frühstücken wir?" sagt er. „Ich hab ein paar Sachen eingekauft. Außer denen, die ich verbrannt habe, soll das heißen. Es gibt Käse, und Milch, und so ein Porridge-Zeug in der Tüte. Hühnersalat, und ein Glas Honig. Was willst du haben?"

Remus beißt sich auf die Unterlippe. Er will die Frage wirklich nicht stellen. Er will nicht daher kommen wie einer, der jeden Penny zweimal umdreht, aber dann: Honig. Hühnersalat.

„Von welchem Geld hast du das alles bezahlt?" fragt er und schluckt hart an einem Schwall von Selbstverachtung.

„Dem in der roten Schachtel" sagt Sirius und klappert mit ein paar Tellern.

„Dem für die U-Bahn" sagt Remus. „Gratulation. Wir werden sehr lange Spaziergänge machen."

„Ich frage mich sowieso, wozu du die U-Bahn brauchst" sagt Sirius kopfschüttelnd. „Musstest du deine Apparitions-Lizenz abgeben, oder was?"

„Das Cafe ist am anderen Ende der Stadt, im tiefsten Muggelland" sagt Remus, der es schon leid ist, Dinge zu erklären, ehe die großen Themen überhaupt berührt sind. „Vom nächsten Apparitions-Punkt geht man fast eine Stunde zu Fuß. Oder man nimmt die U-Bahn, wenn man das Geld hat."

„Oh" sagt Sirius. „Hm. Na ja. Zu spät." Er reißt die Packung mit dem Hühnersalat auf, findet eine Gabel und beginnt im Stehen zu essen. Ein Geruch von Curry und Mayonnaise lässt Remus flach atmen und das Waschbecken fixieren.

„Ich sollte vielleicht nicht fragen" sagt er, um sich abzulenken, „aber warum trägst du mein Hemd?"

„Ich hab' geduscht, vorhin" sagt Sirius mit vollem Mund.

„Ja" sagt Remus. „Ist mir aufgefallen."

„Es hing da, auf einem Bügel. Ich konnte keinen Bademantel finden."

„Wahrscheinlich, weil ich so etwas nicht besitze."

„Oh. Ja. Jedenfalls…" Er leckt die Gabel ab, sein Blick geht aus dem Fenster.

„Ich wollte mal sehen, wie sich das so anfühlt" sagt er und versucht wieder ein hilfloses Lachen.

„Aha" sagt Remus. „Und wie fühlt es sich an?"

„Ich weiß nicht" sagt Sirius und lacht nicht mehr.

Sie schweigen, und Remus denkt, dass es wirklich einfacher wäre, wenn dieser Fremde in seiner Küche nicht Sirius' Gesicht hätte.

„Wie geht's Harry?" fragt Sirius, als das Schweigen ihnen bis zum Hals steht. „Hast du was von ihm gehört?"

„Nicht direkt" sagt Remus. „Molly sagt, es geht ihm gut. Den Umständen entsprechend. Cedrics Tod hat ihn mitgenommen, verständlicher Weise. Und… der ganze Rest."

„Dann… weißt du es schon?"

„Natürlich. Es gibt ein paar Dinge, die sprechen sich sogar bis nach Muggelland herum."

„Wer?"

„Kings. Er schickte mir eine Eule, nachdem du bei ihm gewesen warst. Was erwartest du? Die alten Ordensleute sitzen doch nicht untätig herum, bis du deine Runde beendet hast."

„Ja" sagt Sirius und zupft an seinen Haaren. „Wahrscheinlich nicht."

„Weißt du" sagt Remus, „gerade der letzte in der Reihe hat gute Chancen, die Neuigkeiten von anderer Seite zu erfahren."

„Ich hab's verstanden" sagt Sirius unfreundlich.

Schweigen. Remus lässt den Kopf hängen. Gerade ein Tag bleibt ihm, um sich zu erholen, morgen wird er aus der Welt der Werwölfe und Zauberei wieder zurückkehren in sein Muggelleben, er braucht Schlaf und seine Ruhe und keine Diskussionen in der Küche.

„Warum hast du dich nicht gekümmert?" fragt Sirius nach einer Weile, seine Stimme klingt erstickt und wütend. Remus reibt seine nackten Füße gegeneinander und sieht ihn nicht an.

„Um Harry" sagt Sirius. „Als ich… weg war. Du wusstest doch, er hat sonst niemanden. Er ist James' Sohn, zum Teufel! Und Lillys, falls dir das noch irgend etwas bedeutet."

„Es bedeutet mir etwas" sagt Remus und fühlt sich, als werde er mit dem Rücken gegen die Wand getrieben. „Dumbledore sagte damals, es ginge ihm gut bei Lillys Schwester. Er könnte dort aufwachsen wie ein normales Kind."

„Es sind Freaks! Sie haben ihn in einem Wandschrank untergebracht!"

„Das weiß ich jetzt auch."

„Es hätte nicht geschadet, du hättest dich mal früher informiert."

„Es war nicht gewünscht, Sirius. Sie haben ihn vollständig von der Zauberwelt abgeschirmt. Und was hätte ich tun sollen? Hingehen und klingeln und mich als der nette Onkel vorstellen, der mal mit Papa befreundet war?"

„Und warum nicht? Man sieht doch, dass du einen perfekten Muggel abgibst."

Remus seufzt und vergräbt das Gesicht in den Handflächen. Nicht, dass ihm nicht auch schon ähnliche Gedanken gekommen wären.

„Ich hatte…" Kein Dach über dem Kopf. Kein Geld, keinen einzigen müden Sickel. Essen aus der Mülltonne. Oft nur noch den Wunsch, dass der Wolf sich endlich selbst verschlingt, damit endlich Ruhe ist. Nicht die ganze Zeit, aber immer wieder, und viel zu oft. „… sehr mit mir zu tun" sagt er. „Ich wäre keine große Hilfe gewesen."

Sirius lacht erbost und schnaubt und schmeißt etwas in die Spüle, es klirrt, es muss die Gabel gewesen sein.

„Du warst frei" sagt er. „Du konntest. Niemand hätte dich daran hindern können, in deine Scheiß-U-Bahn zu steigen und dorthin zu fahren und zu klingeln, wenn du es nur gewollt hättest."

„Ja" sagt Remus, „richtig", weil es darauf nichts zu erwidern gibt und er es nicht zielführend findet, Sirius darüber aufzuklären, dass nach Little Whining keine U-Bahn fährt.

„Tja" sagt Sirius, vergräbt die Fäuste in den Taschen seiner Jeans und starrt aus dem Fenster. „Ich nehme mal an, du hattest einfach kein besonders großes Interesse, dich um den Patensohn eines Verbrechers zu kümmern. Ich verstehe nur nicht, warum du es nicht wenigstens für James getan hast."

Remus sagt nichts. Er schließt die Augen hinter seiner Hand, er wird sie einfach nicht mehr aufmachen, bis alles vorbei ist.

Sie sind längst im Schweigen ertrunken, als Sirius sich von einem Fuß auf den anderen bewegt, seine Schuhe scharren über den Küchenboden.

„Du hast wirklich dran geglaubt, oder?" sagt er, und seine Stimme klingt anders, brüchig, die Wut ist verraucht. „Dass ich es war."

„Keine Sekunde" sagt Remus. „Ich war von Anfang an und immer von deiner vollständigen Unschuld überzeugt. Ist es das, was du hören willst? Es stimmt nur leider nicht."

Er fragt sich, warum Sirius noch hier ist. Sirius war immer derjenige, der nach Jacke, Schlüssel und Zigaretten gegriffen hat und davon gestürmt ist, mit möglichst vielen Türen knallend und mit dem finsteren Vorsatz, möglichst betrunken nach Hause zu kommen. Er hat nie einen Streit bis zum Schluss aushalten können. Aber diesmal bleibt er, steht am Fenster wie angewachsen, und deshalb bleibt auch Remus, und weil seine Beine wahrscheinlich zu schwach sind, um ihn sonderlich weit zu bringen.

„Ich weiß nicht" sagt er und bemüht sich nun doch um eine Antwort. „Ich stand unter Schock. Lange Zeit. Ich war in… in Godric's Hollow, als… nachdem… ich war dann unterwegs, um heraus zu finden, was mit Harry ist. Ich war bei ihm, bei Hagrid, und dann… als ich nach Hause kam… ich hatte ja noch keine Ahnung, was überhaupt passiert war… da waren diese Auroren, sie waren gerade dabei, die Wohnung aufzubrechen…"

„Unsere?"

„Welche denn sonst. Sie haben alles durchsucht, für Beweismaterial. Sie haben mich verhaftet, und verhört. So lange, bis ich dachte, ich verliere den Verstand. Sie konnten nicht glauben, dass die Dunkle Kreatur nichts damit zu tun hat. Ich war drei oder vier Tage dort. Dass Peter auch tot ist, hab' ich erst erfahren, als ich wieder draußen war."

„Peter ist nicht tot. Noch nicht."

„Du weißt, was ich meine."

„Ja."

Schweigen, und Remus fragt sich, ob man sich an das Gefühl gewöhnen kann, allmählich zu ersticken.

„Und?" sagt Sirius schließlich. „Hast du's nun geglaubt oder nicht?"

„In meinen dunklen Stunden, ja" sagt Remus. „Ich dachte auch an einen Imperius, oder einen Hypnox, oder ähnliches. Es gibt genügend Methoden magischer Fremdkontrolle. Die meiste Zeit konnte ich es einfach nur nicht fassen."

„Und?"

„Nichts und. Was versuchst du? Einmal alles auf den Tisch bringen, und dann verlassen wir diese Küche als beste Freunde? Das wird nicht funktionieren."

„Nein" sagt Sirius und klingt überraschend sanft. „Ich meinte, und? Willst du mich nicht fragen, wie ich dich für den Verräter halten konnte?"

„Ich bin eine Dunkle Kreatur, wie soeben erwähnt. Das ist Grund genug für die meisten Dinge, die in meinem Leben schief laufen."

„Das war es aber nicht" sagt Sirius und bewegt sich, Remus hört, dass er sich zu ihm an den Tisch setzt, er hat den Stuhl erwischt, der kippelt, und dann fassen Hände seine Handgelenke und ziehen ihm den Schutz vom Gesicht. Er blinzelt, immer noch lichtempfindlich.

„Es war etwas anderes" sagt Sirius. „Etwas, wofür ich immer noch keine Erklärung habe. Dein merkwürdiges Verhalten, seit ich aus Frankreich zurück kam. Du wolltest keine Zeit mehr mit mir verbringen. Du hast kaum mehr mit mir geredet. Du wolltest sogar aus der Wohnung ausziehen, du hattest nur noch nichts gefunden, was du dir leisten konntest."

„Ich erinnere mich, dass ich dir die Hintergründe erklärt habe. Mehr als einmal. Das nenne ich nicht kaum miteinander geredet."

„Ich erinnere mich, dass du mir einen Haufen Mist erzählt hast. Erklärung kann man das kaum nennen, Herr Lehrer."

Remus befreit seine Hände aus Sirius' Zugriff, fast reißt er sie an sich.

„Ein Haufen Mist, ja" faucht er und wundert sich noch, woher er die Kraft nimmt, der Wolf vielleicht, mit dem er nicht mehr gerechnet hat. „Es hat nicht den großartigen Sirius Black als Zentrum des Sonnensystems, und deshalb ist es ein Haufen Mist! Und es kann ja nicht sein, es kann nicht sein, dass ich einfach so beschließe, aus deinem Schatten zu treten! Was für eine Frechheit. Wie kann ich einfach so beschließen, dass weniger Sirius besser für mich wäre? Wie kann ich nur beschließen, mit fast dreißig, dass ich mal beginnen könnte, mein eigenes Leben zu leben, im Rahmen meiner beschissenen Möglichkeiten? Das ist ja so absurd. Da muss ich doch glatt ein Spion Voldemorts sein. Anders ist das wirklich nicht zu erklären."

„Hoppla" sagt Sirius entgeistert.

„Entschuldigung" sagt Remus automatisch und presst die Stirn gegen die Hände. Die Küche um ihn schaukelt leicht, schwarze Flecken schwimmen vor seinen Augen wie seltsame, dicke Fische.

„Es kam eben ein bisschen sehr plötzlich" sagt Sirius. „Dein Sinneswandel."

„Es kam auch ein bisschen plötzlich, als Sophie mich verlassen hat."

„Wer ist Sophie?"

„Ja" sagt Remus. „Genau. Wer ist Sophie."

Und wieder Schweigen, zäh und bedrückend. Sirius kippelt auf seinem Stuhl, mit einer Hand hält er sich am Tisch fest, die andere dreht lange Haarsträhnen um den Finger. Sein Blick geht an Remus vorbei an die Wand. Remus lässt den Kopf auf die Arme sinken. Es hat schon wieder angefangen. Remus Lupin schreit nicht, er wird nicht einmal laut. Niemals. Sirius ist die einzige Person auf Erden, die er jemals angeschrieen hat, und selbst jetzt, nach so vielen Jahren, muss er sich nur zehn Minuten mit ihm in einem Raum aufhalten, um sich selbst nicht mehr ähnlich zu sehen.

Remus Lupin ist nicht bitter. Er ist nicht wütend, er hadert nicht. Er ist nicht gierig, er beansprucht kein Leben, wie andere es führen. Er hat sich abgefunden in seiner bescheidenen Gleichmäßigkeit, und härter als an allem anderen hat er daran gearbeitet, keine Bedürfnisse zu haben, nichts zu erwarten, nichts zu wollen, und dann kommt er und wirft alles über den Haufen, und Remus weiß nicht, ob er ihn dafür hassen oder lieben soll.

„Sagst du's mir noch?" fragt Sirius vom anderen Ende des Tisches, seine Stimme verrät seine Unsicherheit.

„Was" sagt Remus dumpf in seinen Ärmel hinein.

„Wer Sophie ist?"

Remus dreht den Kopf ein wenig zur Seite.

„Sophie ist die Frau, die ich geheiratet hätte" sagt er und ist froh, dass seine Stimme wieder ruhig ist, oder vielleicht auch nur müde. „Die erste, die mir wirklich etwas bedeutet hat, seit Lilly. Eine Französin, klein und dunkelhaarig. Musikerin. Cello. Du erinnerst dich wirklich nicht?"

„Nein" sagt Sirius.

„Wir waren dreieinhalb Jahre zusammen. Dann hat sie mich wegen eines Pianisten verlassen. Sie sagte, sie wollte einen Mann, der ganz für sie da ist, und ich sollte doch besser meinen Prioritäten folgen und dich heiraten."

„Oh" sagt Sirius. „Das… du meine Güte. Das tut mir leid."

„Es hat mir die Augen geöffnet" sagt Remus. „Vielleicht war das nötig."

„Kannte ich sie?"

„Natürlich."

„Ich erinnere mich nicht" sagt Sirius. „Ich habe viel vergessen. Sie haben es mich vergessen lassen. Weggeküsst. Die ganzen guten Erinnerungen. Manches ist mir in der Zwischenzeit wieder eingefallen, aber es ist trotzdem viel zu wenig."

Remus schweigt.

„Sieh es positiv" sagt Sirius und versucht vergeblich, heiter zu klingen. „Ich bin ein Mann ohne Vergangenheit. Wir können ganz von vorne anfangen. Ein unbeschriebenes Blatt. Wir können alles besser machen, diesmal."

„Ich glaube, es ist umgekehrt" sagt Remus. „Nach derzeitiger Lage bist du ein Mann ohne Zukunft."

Sirius hört auf zu kippeln, sein Stuhl hängt auf den beiden Hinterbeinen, er starrt Remus über den Tisch hinweg an, und zu seiner eigenen Überraschung muss Remus lächeln.

„Das macht aber nichts" sagt er. „So passen wir wenigstens zusammen."

Sirius setzt seinen Stuhl auf den vier Beinen ab.

„Wirklich?" sagt er und ist plötzlich so sehr hoffnungsvoller Padfoot, dass Remus versucht ist, ihn zwischen den Ohren zu kraulen. „Du meist… es gibt so was wie wir? Wir, so wie, du und ich?"

„Bitte keine Liebesschwüre oder Anträge gleich welcher Art. Nicht am Tag nach dem Mond."

„Aber… aber, ich dachte, weniger Sirius wäre besser für dich?"

„Ich hatte ein paar Jahre ganz ohne, und das war auch nichts. Vielleicht können wir ja die Mitte treffen."

Sirius grinst, von einem Ohr zum anderen, und das Wiedererkennen trifft Remus wie eine sanfte Welle.

„Ich treff' mich mit dir, wo du willst" sagt Sirius.

Etwas piept schrill.

„Was ist das?" sagt Sirius alarmiert.

„Telefon" sagt Remus und stützt sich schwer auf den Tisch bei dem Versuch, in die Höhe zu kommen, seine Beine sind mit Watte angefüllt.

„Was?" sagt Sirius.

„Te-le-fon" sagt Remus. „Drüben, auf dem Fensterbrett."

„Nicht dein Ernst" sagt Sirius fassungslos und starrt hinüber zu dem abgestoßenen Second-Hand-Mobiltelefon, das auf dem Fensterbrett liegt und seinen Alarmton von sich gibt. „Du hast ein – ein – Telefon? Was ist falsch mit den guten alten Eulen?"

„Sie verkehren nicht bei Muggeln" sagt Remus und gibt seine fruchtlosen Versuche auf. „Bist du mal so freundlich?" Er zeigt hinüber, und Sirius springt auf und schnappt das Mobiltelefon vom Fensterbrett. Remus streckt die Hand danach aus, aber Sirius behält es und studiert es für einen Augenblick, bevor er einen Knopf drückt und es sich ans Ohr hält.

„Hallo?" sagt er.

„Gib her!" sagt Remus.

„Hi" sagt Sirius und grinst breit. „Nein, Sie sind schon ganz richtig. Das ist sein Telefon. Ja. Ich bin sein Freund. Si – Orion. Freut mich sehr. Und Sie sind…? Ah. Hi, Kathy."

„Gib!" befiehlt Remus, immer noch mit ausgestreckter Hand, die von Sirius vollständig ignoriert wird.

„Hund?" sagt Sirius. „Wie… ach so. Ja, genau. Ich bin der mit dem Hund." Er lauscht und strahlt. „Ja, nicht wahr?" sagt er. „Ein Prachtkerl. Genau. Wunderbar. Ich hoffe, er hat Ihnen keinen Ärger gemacht." Er lauscht, dann legt er die Hand über das Telefon.

„Sie sagt, du sollst Padfoot mal wieder mitbringen" flüstert er überlaut, und sein Grinsen sprengt fast das schmale Gesicht.

„Gib mir das Telefon" sagt Remus ungeduldig.

„Gleich" sagt Sirius und nimmt die Hand weg.

„Wie geht es Ihnen?" fragt er mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit. „Ja? Wie schön. Ihm?" Er wirft einen kritischen Blick über den Tisch. „Besser, würde ich sagen. Ja. Letzte Nacht war' s schlimm, aber jetzt ist er schon wieder auf den Beinen. Fast, zumindest. Ja. Man tut, was man kann."

„Gib es her!" sagt Remus und sieht sich schon wieder kurz davor, Sirius anzuschreien. Er lenkt diesen plötzlichen Ausbruch von Energie in seine Beine um und kommt hoch, umrundet den Tisch und fällt praktisch in Sirius' Arme bei dem Versuch, das Telefon an sich zu bringen.

„Dafür sind Freunde da" sagt Sirius und lächelt sanft, während er mit dem freien Arm versucht, Remus zu stabilisieren, der auf den zweiten Küchenstuhl sinkt, Sirius zu sich hinunter zieht und ihm das Telefon aus der Hand windet.

„Kathy?" sagt er atemlos. „Hi. Ich bin's. Entschuldige."

„Nichts zu entschuldigen" sagt sie und klingt eindeutig amüsiert. Im Hintergrund hört Remus Geschirr klappern und Ryan, den Koch, eine Bestellung ausrufen. „Wie geht's dir?"

„Besser" sagt er. „Danke der Nachfrage. Noch etwas schlapp, weshalb ich auch nicht schnell genug am Telefon war."

„Josie hat nach dir gefragt."

„Tatsächlich?" sagt er und lächelt. „Bestell ihr schöne Grüße. Morgen bin ich wieder da."

„Wie schön" sagt sie. „Ich hab' mir Sorgen gemacht."

„Das ist nett, aber unnötig" sagt er und dreht sich weg, weil Sirius bei dem Versuch, mit zu hören, immer näher kommt. „Trotzdem danke."

„Ich hab' wenig Zeit" sagt sie, und er hört ihren Atem in der Leitung. „Ich will dich nur was fragen."

„Ja?" sagt er.

„Morgen" sagt sie. „Josie hat schulfrei, und ich könnte es so einrichten, dass wir beide nur eine halbe Schicht haben. Würdest du… ich meine, hast du Lust, nachmittags mit uns in den Zoo zu gehen?"

Sirius, dessen Kopf praktisch auf Remus' Schulter angekommen ist, stößt Remus an und grinst.

„Es ist keine, keine Verabredung" sagt Kathy eilig. „Nicht in dem Sinn. Nur ein… eine Art… Familienausflug. Ich weiß ja gar nicht, ob du auf so etwas Lust hast. Falls nicht… vergiss es."

„Doch" sagt Remus und weiß nicht warum, denn eigentlich will er ja nicht, dass eines zum anderen führt, aber dann will er einfach neben ihr her gehen und die Sonne auf ihrem Haar betrachten und ihr Parfum riechen, und deshalb sagt er: „Sehr gerne. Danke für die Einladung."

„Ja" sagt sie, plötzlich atemlos. „Toll. Josie wird ausflippen."

„Dann bring's ihr schonend bei" sagt er lächelnd, und dann wechselt Sirius die Position und spricht ins Telefon:

„Kathy" sagt er, „hi. Ich bin's noch mal. Es stört doch sicher nicht, wenn er den Hund mitbringt, oder?"

„Nein" sagt Kathy verblüfft. „Sag mal, Remus, dein Freund, hört er immer deine Telefonate mit?"

„Entschuldige" sagt Remus. „Du hast recht, wir müssen uns hier noch auf ein paar Umgangsformen einigen."

„Klingt aufregend" schnurrt Sirius. „Und Padfoot freut sich irrsinnig."

„Ja" sagt Kathy irritiert. „Also dann. Morgen von sieben bis zwölf, und den restlichen Schichtplan können wir dann morgen besprechen, wenn dir das recht ist."

„Ja" sagt Remus. „Sehr recht. Vielen Dank, Kathy. Wenn ich dich nicht hätte."

„Ich muss weiter machen" sagt sie. „Bis morgen."

„Ja" sagt Remus. „Bis morgen." Er hört es in der Leitung knacken und drückt den kleinen roten Knopf.

„Moony und Kathy" singt Sirius, „sitzen auf'm Baum und küs-sen-sich…"

„Quatsch" sagt Remus, „Sie ist eine Kollegin", aber Sirius grinst nur breit und nimmt sich die Gabel als improvisiertes Mikrofon, um seine Gesangsdarbietung zu vervollständigen, und es ist so plötzlich und so dermaßen alles beim alten, dass es Remus mit der Macht eines Hogwarts-Express überrollt, und er lacht und sagt „Quatsch" und „Hör auf" und „Mach mir lieber einen Tee, wenn du nicht ausgelastet bist", und es fühlt sich an, als käme er aus einer kalten, regnerischen Nacht nach Hause.