Erster Tag:
Eifersucht?
„Hier ist es!", rief James erleichtert und zeigte auf einen einladenden Platz direkt am See.
Sie waren schon den ganzen Tag gewandert und froh, dass sie jetzt, als es mittlerweile dämmerte, endlich angekommen waren.
„Wirklich schön", sagte Lily bewundernd, „Ich schlage vor, dass wir dort vorne unter dem Baum unser Zelt aufbauen!"
James nickte zustimmend.
Sirius sah Remus an.
„Und, hast du auch irgendwelche Präferenzen, was den optimalen Zeltplatz angeht?", fragte er grinsend, „Irgendwelche Energiefelder oder Meridiane, die du bevorzugst?"
Remus grinste zurück.
„So ein Quatsch…", antwortete er lachend, „Aber ich finde, wir stellen unser Zelt in der Nähe von den beiden anderen auf, dann können wir in der Mitte ein Lagerfeuer machen."
„Klingt vernünftig", nickte Sirius und warf seinen Rucksack und das Bündel mit dem Zelt neben einem Busch ab, „Willst du es mit Magie aufbauen oder vertrauen wir auf bloße, ehrliche Handarbeit?"
„Handarbeit", lachte Remus, „Auch auf die Gefahr hin, dass ich dann alles alleine machen muss."
„Was soll das denn heißen, Moony?", fragte Sirius entrüstet, „Du traust mir also nicht zu, dass ich ohne Magie ein Zelt aufbauen kann?"
Remus antwortete mit einem viel sagenden Blick.
„Na, warte!", rief Sirius und zog eine Handvoll Zeltstangen aus dem Bündel. Er sah sie eine Weile lang nachdenklich an und steckte dann entschlossen zwei Teile zusammen.
„Das sieht doch gut aus", murmelte er zufrieden.
„Total gut", meinte Remus sakastisch, „Besonders, weil du jetzt die beiden längsten Stangen genommen hast. Hattest du vor, einen Tunnel zu bauen?"
Sirius streckte Remus die Zunge heraus.
„Immerhin habe ich überhaupt etwas gemacht. Du hast bloß herumgesessen", beschwerte er sich, „Und überhaupt, wenn ich Magie benutzen dürfte, würde das Zelt schon lange stehen. Inklusive Himmelbett und Kleiderschrank."
„Nichts da!", lachte Remus, „Wenn du dich später als Auror in einer Muggelgegend verstecken musst, kannst du auch nicht einfach den Zauberstab zücken."
Er steckte die Stangen neu zusammen und bald stand das Grundgerüst des Zeltes.
„So, die Plane wirst du ja wohl selbst ausbreiten können", sagte Remus, während er die Stangen festhielt, damit nicht alles wieder umkippte.
Sirius nickte und bald war das blau-rote Zelt fertig aufgebaut.
Nebenan war schallendes Lachen zu hören.
Remus und Sirius erblickten Lily, die zusah, wie sich James aus einem Gewirr von Zeltplane und Stangen freikämpfte.
„Er wollte es unbedingt alleine machen", sagte sie erklärend zu den beiden Jungen.
Anschließend wandte sie sich James zu und half ihm, sich zu befreien.
James, der darauf nur gewartet zu haben schien, zog Lily zu sich herunter und küsste sie leidenschaftlich.
„Komm", murmelte Sirius genervt zu Remus, „Wir sind hier gerade überflüssig."
„Du bist eifersüchtig auf Lily, oder?", fragte Remus plötzlich, als sie wenig später dabei waren, sich in ihrem Zelt einzurichten und die mehr oder weniger eindeutigen Geräusche aus Richtung des Nachbarzeltes zu überhören.
Sirius sah auf.
„Eifersüchtig? Wieso sollte ich?", entgegnete er, während er seinen Schlafsack ausbreitete.
„Ich meine ja nur. In letzter Zeit hattet du nicht gerade viel von deinem besten Kumpel", sagte Remus.
Sirius zuckte mit den Schultern.
„Na ja, es war abzusehen, dass er irgendwann eine Freundin hat", antwortete er schließlich, „Das passiert in unserem Alter nun mal."
„Du hattest noch nie eine Freundin", bemerkte Remus sachlich.
Sirius blickte ihn erstaunt an.
Woher wusste Remus, dass unter all den Mädchen, mit denen er ausgegangen war oder sich in verlassene Räume zurückgezogen hatte, keine war, die er als „seine Freundin" bezeichnet hätte? Das wusste nicht einmal James.
Remus bemerkte scheinbar Sirius' verwirrten Blick.
„Weißt du, ich beobachte gerne", meinte er ruhig und streckte sich auf seinem Schlafsack aus.
Sirius starrte Remus noch immer an. Manchmal war dieser Junge wirklich wunderlich.
„Du denkst, dass ich spinne, oder?", fragte Remus. Er sah dabei nicht im Geringsten wütend oder beleidigt aus.
„Na ja, manchmal bist du schon seltsam", antwortete Sirius vorsichtig.
„Deshalb wolltest du auch eigentlich nicht das Zelt mit mir teilen, oder?", sagte Remus gleichmütig und ohne den geringsten Vorwurf in der Stimme.
Sirius wusste keine Antwort.
„Ich… ich…", stotterte er.
Remus lachte.
„Kein Problem", meinte er, „Ich werde dir schon beweisen, dass ich nicht so langweilig bin, wie du denkst!"
Mit diesen Worten stand er auf.
„Kommst du mit ins Wasser? Wir könnten anschließend Lily und James eine kleine Abkühlung verpassen!"
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„Aaaargh… Sirius!", schrie James ungefähr eine halbe Stunde später auf, als sich über ihm ein ganzer Kochtopf voll kaltem Seewasser entlud.
„Falsch geraten!", sagte sein Angreifer nur gut gelaunt, „Sirius hat sich um Lily gekümmert!"
James setzte sich auf und schaute zu Lily, die nicht mehr schlafend neben ihm lag, sondern triefend nass und mit einem Stock bewaffnet hinter Sirius her rannte.
„Wir dachten, ihr braucht mal eine Abkühlung", sagte Remus grinsend.
James schüttelte den Kopf, dass die Wassertropfen nur so flogen.
„Ihr seid doch bloß eifersüchtig!", meinte er herablassend, konnte sich ein Lachen aber nicht verkneifen.
„Ich kann eigentlich nicht behaupten, dass mir deine Lage im Moment lieber wäre als meine", antwortete Remus trocken, während Sirius sich schnaufend neben ihm niederließ.
„Lily ist ganz schön brutal", meinte er und zeigte James einen tiefen Kratzer auf seinem Arm.
„Das hast du voll und ganz verdient", antwortete Lily siegessicher und setzte sich zu James.
„Soll ich dich abtrocknen?", fragte dieser sogleich und Lily lehnte sich sofort bereitwillig zurück, um sich von James in ein großes Handtuch wickeln zu lassen.
„Nicht schon wieder…", murmelte Sirius, als Lily und James anfingen, sich zärtlich zu küssen. Konnten die beiden sich nicht einen Moment lang ganz normal benehmen?
James, der seine Bemerkung gehört hatte, sah ihn irritiert an und wandte sich kurz von Lily ab.
„Ist was?", fragte er seinen Freund.
„Nein, gar nichts", murmelte Sirius, „Ich hatte bloß an einen lustigen Lagerfeuerabend gedacht. Aber ist schon gut. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich geh dann mal ins Bett."
Mit diesen Worten machte er sich missmutig auf den Weg in sein eigenes Zelt.
Er wusste selbst nicht, warum James und Lily ihn so nervten. Er hatte sonst auch nichts gegen frisch verliebte Paare und abgesehen davon hatte er selbst sich das ein oder andere Mal ziemlich ähnlich benommen.
Und doch war Lilys und James' ständiges Aneinanderkleben irgendwie nicht zum Aushalten.
Grimmig zog sich Sirius sein T-Shirt über den Kopf und entledigte sich seiner Jeans. Einen Moment lang überlegte er, ob er zum Zähneputzen noch einmal das Zelt verlassen sollte.
Aber dann entschied er sich, doch lieber sofort in seinen Schlafsack zu kriechen, auch wenn er eigentlich überhaupt noch nicht müde war.
Er wusste nicht, wie lange er dagelegen und an die Decke gestarrt hatte, als Remus ins Zelt kam.
„Sirius?", fragte dieser leise.
„Hm", brummte Sirius an Stelle einer Antwort.
„Du bist ja noch wach", bemerkte Remus geistreich, „Wieso bist du nicht noch mal raus gekommen? Es war eigentlich ganz nett, wir haben noch ein Feuer gemacht."
„Hmpf…", murmelte Sirius.
Er hatte irgendwie keine Lust, Remus etwas zu erklären, was er selbst nicht ganz verstand. „Hey, sieh es doch nicht so eng", meinte Remus beruhigend, „Die beiden sind frisch verliebt. Das gibt sich auch wieder. Und dann hat James auch wieder Zeit für dich."
„Darum geht es doch gar nicht", antwortete Sirius ohne viel Nachdenken und war über sich selbst sehr erstaunt, denn diese Antwort entsprach der Wahrheit.
Das war ihm erst in diesem Moment klar geworden.
Allerdings wusste er immer noch nicht, worum es ihm dann ging.
„Nicht?", fragte Remus und holte Sirius damit aus seinen Gedanken.
Die Frage hatte sich nicht danach angehört, als würde Remus nach einer Antwort verlangen. Sie hatte eher wie eine Feststellung geklungen.
Deshalb sagte Sirius nichts, sondern begnügte sich damit, dem Rascheln zuzuhören, das Remus durch das Wühlen in seinem Rucksack verursachte, und dabei langsam einzuschlafen.
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