Erwachen

Rückblick - Damals vor neunundneunzig Jahren

Schließlich wurde Draco entlassen. Harry holte ihn ab und brachte ihn in das neue Haus.

Unsicher sah sich Draco um. Alles war neu und doch wieder nicht. Der Schnitt des Hauses war gleich, aber es war alles ein wenig größer. Harry führte ihn herum. Draco ließ es emotionslos über sich ergehen. Er hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. Als sei es nicht real. Er hielt Harrys Hand und ließ sich mitziehen.

"Gefällt es dir nicht?", Harry sah ihn enttäuscht an. Draco schrak auf: "Nein. Doch. Es ist sehr... hübsch hier. Wirklich." Draco war völlig verstört, Harry zog ihn in seine Arme: "Ist schon gut, Draco. Es ist alles ein wenig viel gewesen." Draco nickte und schmiegte sich an Harry.

Harry hatte Dracos Lieblingsessen vorbereitet. Draco wunderte sich, dass Harry kochen konnte. Harry konnte es natürlich nicht und hatte Hermine gebeten, etwas für sie vorzubereiten. Die gute Seele hatte das natürlich getan. Draco zwang sich zum Essen, er wollte Harry nicht enttäuschen. Er hatte schon genug angerichtet. Er fühlte sich scheußlich.

Später saßen sie auf der Couch. Harry hielt Dracos Hand und sah ihn an. Draco schoss durch den Kopf, dass sie ja immer noch das mit seinem Ungehorsam zu klären hatten. Draco wurde es ganz anders, schließlich hätte er Harry um ein Haar verraten. Aber Harry hatte ihm etwas anderes zu sagen, etwas, das Draco vollends verstörte und sein Herz in tausend Teile brechen ließ: "Draco, ich werde diese Schweine finden, die das getan haben. Keiner soll davon kommen. Ich werde morgen aufbrechen und ich schwöre dir, ich werde sie alle zur Strecke bringen und komme erst wieder, wenn ich sie gefunden habe." Er drückte Dracos Hand. Der sah ihn mit entsetzt geweiteten Augen an und brachte keinen Ton heraus. 'Bitte lass mich tot sein', flehte er in Gedanken. "Schau nicht so, Draco, ich komm doch wieder.", Harry zog ihn in seine Arme, kraftlos sank Draco hinein.

In dieser Nacht liebten sie sich schier endlos. Harry war unglaublich zärtlich und unglaublich ausdauernd. Draco genoss die Zärtlichkeiten so gut er konnte. Er blendete einfach alles aus, was er nicht wissen wollte. Er klammerte sich an Harry und hatte seine Beine um dessen Hüften geschlungen. Er liebte ihn mit all seiner Liebe und all seiner Verzweiflung. Schließlich schliefen sie erschöpft ein.

Als Draco erwachte, war das Bett neben ihm leer.

Er sprang auf und lief ins Bad.

Lief nach unten und durchsuchte nacheinander alle Räume.

Harry war fort.

Harry hatte ihn allein gelassen.

Draco wollte nur noch sterben. Er hielt das alles nicht mehr aus. Er schleppte sich nach oben zurück in sein Bett und weinte.

Irgendwann hörte er auf. Er ging ins Bad, putzte sich die Zähne, rasierte und duschte sich und kleidete sich an. Dann bezog er das Bett frisch. Harrys Kopfkissenbezug wusch er nicht. Den bewahrte er auf, denn er roch nach ihm. Ein Kopfkissenbezug war alles, was Draco geblieben war. Draco wurde das Herz schwer, dennoch riss er sich zusammen.

Er straffte sich und öffnete die Türen ihres Kleiderschrankes. Er spürte sein gebrochenes Herz und die Scham über seinen Beinaheverrat nicht so arg, wenn er sich ablenkte. Und dieses Haus würde ihm eine Menge Ablenkung bieten.

Eine Reihe von Harrys Kleidungsstücken fehlten natürlich. Draco machte sich nichts vor: Bis Harry zurückkam, würden die mitgenommenen Sachen zu mitgenommen sein, um weiterhin getragen werden zu können. Nicht von seinem Harry, der, seit er mit Draco zusammen war, großen Wert auf schicke und tadellose Kleidung legte. Draco entfernte die leeren Bügel und notierte sich im Geiste, was er wo nachbestellen musste.

Danach sichtete er den Rest des Hauses. Es würde einiges zu tun geben...

Die nächsten Wochen verfiel Draco in einen regelrechten Putz- und Aufräumwahn. Er übte sich im Hemden bügeln, bis er es zur Perfektion darin gebracht hatte. Er schickte eine Bestellung an ein Herrenbekleidungsfachgeschäft, die prompt eine Reihe Designerhemden, - hosen, -socken und -unterwäsche lieferten. Alles in Schwarz natürlich. Draco füllte Harrys Kleiderschrank.

Seine Tage verliefen gleichmäßig, beinahe mechanisch: Aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken, putzen, waschen, bügeln, Bilder aufhängen, Bücher sortieren. Was eben so anfiel.

Gelegentlich kam Hermine mit Hannah vorbei, füllte Dracos Kühlschrank und musste feststellen, dass die meisten Dinge unangetastet blieben. Sie machte sich Sorgen. Er war so emotionslos und seine Augen blickten leer. Sie hatte den Eindruck, er ertrug schlicht keine menschliche Gesellschaft. Wobei... Hannah ertrug er offensichtlich gerne. Er nahm sie Hermine immer sofort ab, wenn sie kamen. Hannah schmiegte sich an ihn und er drückte die Kleine liebevoll an sich. Wenn er mit Hannah sprach, bekam seine Stimme einen wärmeren Klang.

Eines Tages bat Draco Hermine, kein Fleisch oder Wurst mehr zu bringen. Er ekelte sich seit jenem schrecklichen Tag vor Fleisch jeglicher Art. Er wusste nicht warum, aber es war so.

Er schaffte es auch nicht, das Haus zu verlassen. Alleine der Gedanke daran den Fuß vor die Tür zu setzen, ließ ihm den kalten Schweiß ausbrechen. Der Garten verursachte ihm die gleiche Panik. Er verstand das nicht, schließlich waren sie ja im Haus überfallen worden und nicht draußen. Aber nachdem er festgestellt hatte, dass er generell keine Menschen um sich herum mehr ertrug, wunderte er sich über nichts mehr. Manchmal dachte er an seine Freunde: Pansy, Blaise, Gregory und Vincent. Er vermisste sie auf der einen Seite, wollte sie andererseits aber auch nicht hier haben. Immer noch liefen zu viele von den Todessern und ihren heimlichen Sympathisanten herum. Was, wenn jemand seine Freunde benutzte oder ihnen das gleiche antat wie ihm? Er hätte es nicht ertragen. Er fand es schrecklich genug, dass sich Ron und Hermine nicht abhalten ließen, sich um ihn zu kümmern. Er sorgte sich um sie, er sorgte sich noch mehr um Hannah. Draco wusste, diese Schweine machten auch vor kleinen Kindern nicht halt. Harry, der als Kleinstkind beinahe von Voldemort getötet worden wäre, war ja das beste Beispiel dafür. Aber Ron und Hermine kamen immer wieder vorbei. Sie füllten seinen Kühlschrank, kümmerten sich um den Garten und immer wieder, weckten sie ihn aus einer Erstarrung, von der er oft nicht wusste, dass er darin gefangen gewesen war. Ihm fehlten manchmal Stunden. Stunden, in denen er nach ihren Angaben nur leer vor sich hingestarrt hatte.

War er alleine, kümmerte er sich um das Haus.

Aber nach einigen Wochen war eben alles geputzt und blank gewienert. Kein Stäubchen lag mehr herum. Man hätte ohne Übertreibung vom Boden essen können.

Alles war gewaschen und gebügelt. Die Bügelfalten waren messerscharf und wie mit dem Lineal gezogen.

Es gab nichts mehr zu tun.

Es war ihm, als würde er in ein Loch fallen.

Er konnte sich nicht mehr ablenken und war wieder alleine mit seinen Gedanken, seinen Schuldgefühlen und seinem Schmerz über Harrys Fortgang. Ihm tat das Herz weh. Er setzte sich auf die Couch. Als es draußen langsam dunkel wurde, kam er wieder zu sich. Er musste stundenlang dort gesessen sein. Er stand auf, ging in die Küche und machte sich Tee. Hunger hatte er nicht. Es war inzwischen acht Uhr abends. Er beschloss ins Bett zu gehen. Als er sich in Harrys Kissenbezug kuschelte, wich die Erstarrung, endlich konnte er weinen. Er weinte sich in den Schlaf.

Die folgenden Wochen verliefen wiederum gleich:

Aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken und dann saß er auf der Couch bis es zu dunkeln begann. Er starrte ins Leere.

Ron und Hermine machten sich zunehmend Sorgen. Ein Draco, der auf nichts mehr reagierte, war ihnen unheimlich.

Ron wünschte sich nichts sehnlicher, als den früheren Draco zurück. Er hätte auch den Draco aus ihrer Schulzeit genommen. Alles war besser als dessen jetziger Zustand. In den Jahren, in denen Harry mit Draco fest zusammen war, hatte Ron Draco wirklich ins Herz geschlossen. Das zu verlieren war hart. Hermine dachte ähnlich.

Sie wandten sich an ihren ehemaligen Lehrer für Zaubertränke. Der versprach, sich um Draco zu kümmern. Er war derjenige, den Draco immer sowohl als Bezugsperson als auch als Respektsperson gesehen hatte. Er würde Draco nahe genug kommen können, um ihn aus der Starre zu befreien.