Erwachen

Rückblick – Wiederkehr

Harry hatte das Haus verlassen, als Draco noch schlief. Der letzte Blick den er auf seinen Geliebten warf, tat ihm unendlich weh. "Ich komme ganz bestimmt wieder, mein Schatz.", flüsterte er als er leise die Tür schloss. Aber er konnte nicht bleiben und für den Rest ihres Lebens in Angst leben, dass diese Schweine wiederkommen könnten. Und sie taten ja nicht nur ihnen beiden Gewalt an, sie terrorisierten ihre Umgebung, sie vergriffen sich an anderen wehrlosen Menschen und hatten auch sonst ihre dreckigen Pfoten in so mancher kriminellen Machenschaft.

Es war nicht schwer, die ersten Mitwisser aufzuspüren. War man erstmal drin in diesem Netzwerk, führte eines zum anderen.

Der erste Weg führte ihn in die Nockturngasse...

Nach wenigen Wochen hatte er mehr Schrecklichkeiten gesehen und mehr Grausamkeiten erfahren als er meinte, ertragen zu können. Immer wenn er es nicht mehr aushielt, stellte er sich Draco vor, wie der ihn anlächelte und in die Arme nahm. Harry meinte manchmal, er hielte das nicht mehr aus und hatte Angst, er könnte aufgeben, bevor seine Mission erfüllt wäre. Aber jedes Mal siegte dann doch wieder sein Gryffindormut.

Immer weiter entfernte er sich von seinem Ausgangspunkt und verließ schließlich das Land. Es war kaum zu glauben, wie viele Anhänger Voldemort hatte und wie verstreut sie waren. Aber egal wie verstreut sie lebten, hatten sie dennoch engen Kontakt über die Medien der Zaubererwelt und nutzten auch unverfroren die der Muggel. Der Zweck heiligte bei ihnen eben immer die Mittel und Geld stinkt ja nicht. Auch nicht das der Muggel.

Eines Tages traf Harry eine alte Zauberin, die ihm ein kleines Fläschchen schenkte, als sie erfuhr wer er war: "Wenn du all die Dinge, die du erfahren hast, nicht mehr aushältst, dann trink etwas davon, mein Junge. Aber mit den Dingen, die du vergessen willst, vergisst du auch Dinge, die du in deinem Herzen bewahrst. Sei vorsichtig, die Wirkung lässt nach einigen Wochen nach und dann stürzen die Erinnerungen ungefiltert auf dich ein."

Harry dankte ihr, nahm einen Schluck und fühlte sich gleich besser.

In den folgenden Monaten war es immer wieder nötig, sich des Fläschchens zu bedienen. Seltsamerweise wurde es nicht leer. Aber da er sowieso vieles vergaß, vergaß er auch, sich darüber zu wundern.

Eines nachts stand Draco vor ihm, lächelte Harry an und nahm ihn in die Arme. Harry klammerte sich an seinen Geliebten wie ein Ertrinkender und schluchzte haltlos. Draco hielt ihn fest und gab ihm Trost. Als die Sonne aufging, musste Harry feststellen, dass er allein war, dass alles nur ein Traum war und dass er Schwierigkeiten hatte, sich an Dracos Gesicht zu erinnern. Er trank noch etwas von dem Vergessenstrank, denn zu wissen, dass er vergaß, war schlimmer, als tatsächlich zu vergessen.

Und dann war es vorbei. Das Ende seiner Jagd kam so plötzlich, dass er eine Weile ins Leere starrte und sein Kaffee, den ihm ein rumänischer Polizist gereicht hatte, kalt wurde. Der Beamte legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn freundlich an: "Sie sollten nach Hause gehen. Da ist bestimmt jemand, der auf Sie wartet." Harry sah ihn erstaunt an und nickte. Er hatte keine Ahnung was ihn zu Hause erwartete. Er hatte keine Ahnung wo das eigentlich war. Er zog das Fläschchen aus seiner Tasche, es war leer. Verwundert darüber steckte Harry es wieder ein, stand auf, verabschiedete sich von den Anwesenden und verließ das Präsidium. Draußen dunkelte es bereits. Harry wollte nur noch heim. Wo immer das auch war.

Ziel. Wille. Bedacht.

Er konzentrierte sich auf sein Zuhause, er konzentrierte sich auf den Menschen, den er liebte und im nächsten Augenblick stand er vor einem hübschen, freundlichen, kleinen Haus, stieg die kleine Treppe hoch und zog einen Schlüssel hervor, um aufzusperren. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, brach Harry zusammen.

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Draco hatte mit Severus' Hilfe einen niedlichen Strampelanzug in buntes Geschenkpapier gewickelt. "Zu meiner Zeit hat man ja immer den Zauberstab benutzt.", maulte sein Pate und versuchte, seine Finger von dem Klebeband zu befreien. "Ach komm, Severus, das macht doch Spaß. Diese durchsichtigen Klebestreifen sind klasse.", Draco befestigte noch eine regenbogenfarbige Schleife auf dem Päckchen und steckte dann eine Flasche Wein in eine Papiertüte. "Wein für schwangere Frauen? Hermine wird dir einen Vortrag halten.", Severus zog die Flasche ein wenig aus der Geschenktüte und begutachtete das Etikett. "Wird sie nicht. Aber um deinem zu entgehen, " Draco holte eine gleiche Flasche aus dem Schrank und überreichte sie seinem Paten, "habe ich dir auch eine besorgt." Severus nahm sie überrascht und erfreut entgegen. "Ich wusste, du würdest dich beschweren.", erklärte Draco ungerührt und wurde in eine Umarmung mit Schulterklopfen gezogen.

Als Draco schließlich alleine war, machte er sich eine Tasse Tee und setzte sich mit einem Buch auf die Couch. Ausnahmsweise war es diesmal weder ein Fachbuch über Chemie, noch eine Publikation über die neuesten Forschungsergebnisse, noch ein Märchenbuch für Hannah. Es war ein schlichter Roman über ein mittelalterliches Bild und seiner versteckten Bedeutung. Draco fand es hanebüchen, hatte aber nichts anderes, um sich ein wenig zu zerstreuen und quälte sich durch die pseudologische Handlung.

Plötzlich hörte er ein Geräusch an der Tür. Jemand sperrte auf und betrat das Haus. Draco konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass jemals ein Besucher das Haus durch diese Tür betreten hatte. Alle, die zu ihm wollten, kamen durch den Kamin. Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Als er das Buch weglegte und sich erhob, war er jedoch erstaunlich ruhig. Wenn das nun sein Ende war, sollte es das eben sein. Er zückte nicht einmal seinen Zauberstab, sondern ging in den Flur, um zu sehen, was immer auch dort sein mochte.

Ein Mann mit verstrubbelten schwarzen Haaren lag im Flur. Die Kleidung sah mehr als mitgenommen aus und war ein Fall für die Mülltonne. Offensichtlich war er verletzt und erschöpft.

"Harry!", Draco lief zu ihm, kniete sich neben ihn und nahm ihn in die Arme. Dieser öffnete die Augen, sah, dass er zu Hause war und schmiegte sich in die Umarmung.

Nach einer Weile stand Draco auf und zog Harry mit auf die Füße: "Komm, ich bring dich hoch. Du bist ganz kalt und schmutzig. Ein warmes Bad wird dir gut tun." Harry ließ sich von Draco die Treppe hinaufschleppen, entkleiden und in das angenehm warme Wasser setzen, das so wundervoll duftete. Draco wusch ihn liebevoll und passte auf, dass Harry nicht einfach unterging. Die Kräfte des ehemaligen Gryffindors waren aufgebraucht, er war zu den einfachsten Dingen nicht mehr fähig. Draco hievte ihn aus der Wanne, trocknete ihn ab und brachte ihn ins Bett, wo er Harrys Blessuren mit einer Tinktur betupfte, so dass diese binnen Minuten abheilten.

"Hast du Hunger?", fragte Draco liebevoll, Harry nickte und lächelte matt.

Draco eilte in die Küche, um etwas zu richten. Bevor er das Tablett nach oben brachte, schickte er noch eine Nachricht an Ron und Hermine: Harry ist zurück. Erschöpft, aber unversehrt.

Nach dem Essen, als Harry eingeschlafen und Draco beim Abspülen in der Küche war, erreichte ihn Rons und Hermines begeisterte Antwort und die Bitte, die Einladung mit Harry aufrechtzuerhalten.

Die Kleidung war wirklich nicht mehr zu retten. Draco warf alles in den Müll. Den Inhalt der Taschen legte er auf Harrys Nachttisch.

Draco dachte an die letzten Stunden zurück. Es war so unwirklich und Harry war irgendwie nicht ganz bei sich gewesen. Seine sonst so strahlenden Augen wirkten ein wenig verschleiert, als stünde er unter einem Zauber oder hätte zu viel von einem Elixier erwischt.

Ihm fiel die Phiole ein, die er sich genau besah und daran roch. Er runzelte die Stirn als er entdeckte, was sich darin befunden hatte. Das war eine stark konzentrierte Form eines uralten Vergessentrank gewesen. Woher hatte Harry das? Selbst Severus hatte ihm einmal dringend abgeraten, sich an solchen Rezepten zu versuchen. Der ehemalige Zaubertranklehrer war für die neueren Entdeckungen, die sanfter in der Wirkung und geringer in der Nebenwirkung waren. Das Zeug hier war eindeutig ein zu starker Trank für Harry gewesen. Draco betrachtete den Schlafenden besorgt und fragte sich, wie sich die Nachwirkungen äußerten.

Draco grübelte noch darüber nach als er sich die Zähne putzte und tat es noch, als er sich entkleidete und sich an Harrys warmen Körper schmiegte, der im Schlaf wohlig seufzte und ganz nah an seinen Geliebten rückte. Draco schlang die Arme um ihn und hoffte, er träumte das nicht alles nur.

Auch in dieser Nacht blieben die Vorhänge offen, damit die Sonne morgens ungehindert das Schlafzimmer erhellen und erwärmen konnte...