Erwachen – Kapitel 6

Glaube - Liebe - Hoffnung

Harry hängte seinen Umhang zurück an die Garderobe und durchsuchte jedes Zimmer, des Hauses. Draco ging doch nie aus? Seine Kleidung hing ordentlich im Schrank. Ordentlich... ja, das war das richtige Wort. Oder besser: Akkurat!

Die Bettdecke war glatt gezogen, kein Wassertropfen, kein Kalkfleck, kein Irgendwas verschandelte die Küche, das Bad oder sonst ein Zimmer.

Harry musste an den Sauberkeitswahn seiner elenden Muggeltante denken. 'Draco ist gründlicher', dachte er und musste grinsen. Dann erstarb es. Es lagen keinerlei persönliche Gegenstände von Draco herum. Kein Bild, kein Buch, kein was auch immer. Nur die Zahnbürste und der Kamm im Bad, fiel Harry ein. Als ob es Draco nicht gäbe... er lief hektischer durchs Haus. Stopp! Halt! Was hatte Hermine gesagt? Labor? Wo könnte eines sein... Keller! Freilich! Keller! Die Slytherins hatten es schon immer mit Kerkern und wenn es keine gab, tat es sicherlich auch ein Keller. Harry ging zurück ins Erdgeschoss.

Inzwischen war es Mittag und Draco und Severus beendeten ihre Arbeit bis sie gegen Zwei wieder damit beginnen würden. Dieser Rhythmus hatte sich in all den Jahren eingependelt. Harry und Draco standen sich unvermittelt gegenüber. Draco wurde bleich und Harry spürte, wie sein Herz bedrohlich knackte. Nein, es war nur eine Metapher, aber mit einem Mal wusste er, was all die Gedichte und Lieder der letzten Jahrhunderte damit ausdrücken wollten. Dracos Leid brach ihm buchstäblich das Herz...

Severus tauchte hinter Draco auf: "Oh, wieder zurück. Schön dich zu sehen, Harry." Es klang neutral freundlich. Harry wusste jedoch genau, welche Gefühle Snape hinter diesen Worten tatsächlich versteckte: Tu Draco weh und ich tu dir weh! So in etwa war es. Er hatte ja Recht, aber sie waren alt genug, um das alleine zu klären. "Ich freue mich auch, Severus", Harry ließ einfach seine oft gescholtene Impulsivität walten, "Danke, dass du für Draco da warst all die Jahre." Das brachte den ehemaligen Lehrer nun denn doch aus dem Konzept. Harry freute sich insgeheim, ein Blick in Dracos Gesicht, wischte seine Freude wieder fort. "Ihr habt ein Labor da unten eingerichtet?", er schlug den unverbindlichen Plauderton an und sie gingen in die Küche.

Draco war froh, dass er sich anderweitig beschäftigen konnte und machte wieder Tee. Harry fiel ein, dass diese Unterhaltung nichts weiter war, als ein erneutes Hinauszögern und dass das für Draco unerträglich sein musste. "Ich wollte kein Zimmer dafür verschwenden und dachte mir, den Keller nutzen wir doch sowieso nicht.", erklärte Draco und Harry bemerkte wie dessen Hände zitterten. Severus stand wie ein Racheengel dabei. Harry fiel auf, dass er wirklich eher wie ein Engel als wie eine Fledermaus aussah. Offensichtlich bekamen ihm die privaten Forschungen und das Dolce Vita nach Jahren der Lehrzeit und der Spionagetätigkeit für und gegen Voldemort sehr gut. Die Haare seidig, die Hände manikürt, man benutzte Cremes, Wässerchen und sonstiges, was die Schönheitsindustrie für den Mann so hergab. Ja, er war ein erfreulicher Anblick. Gut, im Augenblick war schon sein Blick tödlich, aber Harry kannte diesen Blick und war nicht so empfindlich.

Harry fiel ein, dass Draco wohl auf eine Antwort bezüglich der Zweckentfremdung des Kellers wartete: "Oh, das ist schon okay. Du hättest auch ein Zimmer hier oben nehmen können, dann hättet ihr Sonnenlicht gehabt." Severus schnaubte verächtlich. Ja, immer noch die olle Kellerassel, ganz wie früher. Er musste ihn elegant loswerden. War das nicht möglich, dann eben unelegant. Er wollte mit Draco endlich alleine sein.

"Seid ihr fertig für heute?", Harry nahm den Tee entgegen, den Draco ihm in die Hand drückte. Ihre Hände berührten sich, Dracos waren eiskalt. Er war totenbleich. Harrys Herz riss noch ein Stückchen. Unsicher schaute Draco zu Severus, der verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Kamin. Draco tat, was er in den letzten drei Jahren immer tat, wenn er nicht mehr weiter wusste: Er verteilte den Tee und räumte hektisch wieder auf. Noch ein Stückchen weiter riss Harrys Herz. Am liebsten hätte er geweint.

"Hallo?", er wurde ungeduldig. Er wurde immer ungeduldig, wenn er nicht sofort eine Antwort bekam.

Draco wünschte sich, er wäre damals gestorben. Drei Jahre hatte er ausgeharrt und nun war er am Ende. Reiß dich zusammen!

"Ich denke," unsicherer Blick zu seinem Paten, "wir können vielleicht ein andermal weitermachen?" Severus' Augen verengten sich zu Schlitzen. "Ich meine, der Trank sollte sowieso ziehen und zur Not, kann ich vielleicht mal..." "Nein, er kann warten. Mach dir keine Sorgen, Draco.", Severus zog Draco in die Arme und drückte ihn väterlich an sich. Auf dem Weg zum Kamin zischte er Harry an: "Mach einen Fehler und ich mach dich einen Kopf kürzer, Potter!" Damit verschwand er durch den Kamin.

Draco sah ihm erschrocken nach. Er nahm Severus' Tasse, schüttete den Rest Tee weg und goss seine unberührte hinterher.

Harry sah ihm zu. "Du bist nicht mehr du selbst, Draco." Ha! Das war ja mal eine Neuigkeit. Hermine hätte ihm für den Satz eine heruntergehauen. Zu Recht!

"Bitte, ich kann nicht mehr. Sag einfach, was du mit mir vorhast und dann tu es meinetwegen.", Dracos Stimme war nur noch ein Flüstern.

Harry stellte seine Tasse auf den Tisch. Mit einem Klirren. Ups, keine Absicht! Aber Draco war bei dem Geräusch trotzdem zusammengezuckt. Inzwischen ging der Riss glatt durch.

Zwei Schritte brauchte Harry um die Distanz zwischen ihnen zu überwinden. Draco klammerte sich am Spülbecken fest und wagte nicht, sich umzudrehen. Harry umfasste ihn mit beiden Armen. Draco zitterte. "Verzeih mir, Draco.", flüsterte er. Das Zittern hörte auf. Nein, so nicht. Das Zittern verwandelte sich in eine Erstarrung. Harry drehte Draco zu sich herum und sah ihm in die Augen: "Bitte, Draco, " hauchte er, "ich brauche dich. Ich liebe dich. Was soll denn nur ohne dich aus mir werden?" Was sollte Draco darauf sagen? Es würde wieder falsch sein, oder doch nicht? "Ich liebe dich, Harry." Die Erstarrung wich.

Die Erinnerung kehrte schrittweise zurück. "All die Jahre hat mich nur der Gedanke an dich meine Jagd durchstehen lassen.", Harry presste Draco fest an sich. Er würde ihn nie wieder los lassen. "Du in diesem Haus zusammen mit mir... das war immer mein innerer sicherer Ort, Draco. Wenn ich in schier ausweglosen Situationen war und dachte, es geht nicht mehr weiter, hat mich der Gedanke an uns hier aufrecht erhalten." Draco entspannte sich langsam. Der Riss schloss sich ein wenig.

Sie gingen ins Wohnzimmer. Eine Couch war eindeutig kuscheliger als eine Küche. Draco schmiegte sich an Harry. Harry küsste Dracos Haar. "Verzeih mir, Draco", wiederholte Harry. Der wusste jedoch nicht, was er eigentlich verzeihen sollte. Harry hatte nur das getan, was er immer vor hatte und was er immer und immer wieder schwor, als Draco in Sankt Mungos lag. Das sagte ihm Draco.

Und Harry sagte ihm, dass er Draco allein gelassen hatte in einer Zeit, als er es nicht hätte tun dürfen. Er sei ein erbärmlicher Partner. Draco zog die Augenbrauen hoch: So etwas dürfe Harry nicht einmal von sich denken. Aber Harry dachte sehr wohl so von sich und meinte, wenn Draco lieber tot wäre, als auf ihn zu warten, könne er, Harry, sich auch als miesen, egoistischen, dämlichen, niederträchtigen... Weiter kam er nicht, weil ihm an dem Punkt von Dracos Lippen der Mund verschlossen wurde.

Der Riss heilte in Rekordzeit weiter zu.

"Verzeihst du mir nun?", kaum hatte Harry wieder Luft, musste das nun endgültig geklärt werden. Draco lächelte. Draco nickte. Draco küsste ihn erneut. "Bevor ich es vergesse," Harry schnappte nach Luft, "Egal was, ich verzeihe dir auch alles, damit das gleich mal geklärt ist. Oder hattest du etwas mit einem anderen Mann?" Draco schüttelte entsetzt den Kopf. "Mit einer anderen Frau?" Dracos Gesichtsausdruck wechselte von entsetzt zu empört und Harry lachte.

"Liebling?", Harry wurde ernst. Draco küsste ihn sanft und horchte, was Harry ihm zu sagen hatte: "Ich weiß, was wir früher für eine Beziehung hatten. Aber, ich kann das nicht mehr. Ich will es nicht mehr. Ich... ich will dich nur noch glücklich machen." "Wir waren glücklich, Harry.", es war kein Widerspruch, es war eher eine Beruhigung. "Ja, vielleicht, aber jetzt wären wir es nicht mehr. Wir haben drei Jahre verloren, eigentlich mehr als das, aber wir haben noch so viele Jahre vor uns. Ich will einfach nur noch glücklich sein mit dir." Harry schmiegte sich an Draco, der ihn glücklich an sich drückte. "Ich glaube, ich mag kein Auror mehr sein.", Harry dachte laut. "Ob ich bei Severus und dir einsteigen kann?" Draco bekam diese steile Falte zwischen den Augenbrauen. "Okay, das heißt wohl eher nein.", grinste Harry. Wenn er ehrlich war, wäre das auch das Ende des Erfolgsduos Malfoy-Snape gewesen. Ein Potter in den Reihen und er hätte eine Explosionswelle ausgelöst. "Ich werde schon was finden, das ich machen möchte.", murmelte er in Dracos Armen.

Vielleicht könnte er seine Lebensgeschichte an einen Verlag verkaufen? Ein Film wäre nett. Oder auch sieben. Er lächelte. Aber wer solle das schon lesen oder gar Eintritt für das Kino bezahlen wollen?

Morgen war auch noch ein Tag. Und der heutige war auch noch nicht alt. Er sah auf die Uhr, die hinter seinem Geliebten an der Wand hing. Es war ein Uhr.

"Draco?" "Hm?" "Draco, warum haben wir nie geheiratet?" "Es wollte uns niemand, Liebling." Witzbold! "Ich meine es ernst, Draco." "Wir konnten uns nicht auf einen Familiennamen einigen." "Wirklich?" "Nein, Liebling, du hast mich nicht gefragt und ich habe mich nicht getraut." "Du hättest mich heiraten wollen?", Harry war ehrlich verblüfft. Draco nickte. "Warum hast du dich nicht getraut?", hakte Harry nach. "Weil du der Gryffindor bist und mutig.", das war typisch Draco. Harry seufzte, dann sank er vor Draco auf die Knie und fragte ihn, ob er ihn heiraten wolle. Die Antwort verstand Harry nicht, denn sie ging in einem Schwall Tränen und noch mehr Küssen unter. Harry vermutete Draco meinte das als Ja.

Über den Namen würden sie sich auch ein andermal Gedanken machen können. Entweder sie einigten sich, sie knobelten das aus oder jeder behielt seinen Namen. Wen kümmerte das heute?

Heute verschwanden sie in Richtung Schlafzimmer und kamen nicht mehr heraus.

Und morgen?

Morgen würde Harry sich überlegen, was er künftig arbeiten wolle. Würden Draco und er sich gemeinsam überlegen, wie sie künftig heißen wollen und würden die freudige Nachricht ihren Freunden mitteilen. Draco hätte dann noch die Aufgabe, Severus wiederzubeleben, der garantiert in Ohnmacht fallen würde. Aber wenn die Kamera gut positioniert wäre, die das Spektakel filmen würde, wäre das der Brüller für die Feste der nächsten zwanzig Jahre.

Harry liebte sein Leben. Er liebte es, weil er es mit Draco teilen würde. Was könnte es Besseres geben?

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Dies war definitiv das letzte Kapitel dieser Fanfiction. Für die, die meinen Masterplan (nettes Wort #kichert#) bewundert haben: Ich habe alle Kapitel, außer die Rückblicke) innerhalb einer Nacht geschrieben, nachdem ich morgens mit der Idee dazu aufwachte und den ganzen Tag darüber nachgegrübelt habe. Als das letzte Kapitel „Glaube – Liebe – Hoffnung" fertig war, dachte ich, dass den Leserinnen der Hintergrund fehlt. Also, schrieb ich die Rückblicke, damit keine Fragen offen bleiben.

Jemand fragte, warum Draco Harry als „Meister" oder „Herr" akzeptiert. Das hat nichts mit Voldemort zu tun. Das ist einfach eine Spielart der Liebe, wie vieles andere auch. Ich hätte die beiden auch Latexklamotten... urgs... nein, das hätte ich nicht... #lacht#

Vielen Dank für eure Reviews und eure Geduld, denn die Rückblicke schrieb ich in einer Zeit, in der mein Leben turbulent und terminreich war.