Kapitel 5

Snape

„Professor Snape."

Alexas Stimme schien kaum mehr ihr selbst zu gehören, hatte jeden Hauch von Gefühl verloren. Er trat aus dem Schatten, der schwere Stoff seiner Robe zischte am Holz der Regale entlang. Sie fühlte sich unwillkürlich an ein Raubtier erinnert und sprang schnell auf die Füße. Sie hasste es, wenn er im Unterricht über ihr stand und mit seinen langen Fingern auf ihre Pergamente herabstach, während er seinen Spott über sie ausschüttete.

Doch dies war nicht der Unterricht. Sie hatte das Recht in der Bibliothek zu sein. Ebenso wie er. Ein Funken des Zorns entzündete sich in ihr und sie wusste kaum, warum. Sie war nie wütend gewesen, ihr ganzes Leben lang nicht. Und selbst die Quälereien, die sie hatte erdulden müssen, hatten nie einen solchen Zorn in ihr entfacht wie das Auftauchen von Snape.

‚Ist es, weil er in der Nocturngasse war?', fragte sie sich. Das Gefühl, mit ihrem Stiefvater nicht allein gewesen und beobachtet worden zu sein, hatte sie nie ganz verlassen und nun, da sie dem verhassten Lehrer gegenüberstand, verstärkte es sich zur Gewissheit. Warum sollte er hier sein, wenn er es nichts gesehen hatte? Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Auch wenn sie wusste, dass eine Hilfe von seiner Seite nicht zu erwarten und auch gar nicht wünschenswert war– die Folgen wären undenkbar– so brachte sie allein der Gedanke, dass er dort gewesen war und nichts getan hatte, in Rage.

Ein schmallippiges Lächeln erschien auf seine Gesicht, so als ob er ahnen würde, was sie dachte. Mit ruhigen Schritten kam er um den Tisch herum und baute sich vor ihr auf, die Augen kalt auf sie gerichtet, wie auf ein Insekt, das er zu zertreten gedachte.

„Welch unglaubliche Geistesleistung, Miss Hammond", spottete er. „Was machen Sie so spät hier?"

Wortlos, das Zittern ihrer Hände krampfhaft unterdrückend, reichte sie ihm Flitwicks Papier, doch er las es nicht einmal, sondern ließ es achtlos auf den Tisch fallen.

„Wenn Sie es nicht wissen wollen, sollten Sie nicht fragen", entfuhr es ihr und sofort biss sie sich heftig auf die Lippe. Sie musste verrückt sein. Dieser Mann hatte die Macht, sie nach Hause schicken zu lassen, zurück in ihre persönliche Hölle, und er würde es tun, ohne mit der Wimper zu zucken, dessen war sie sich sicher.

Doch alles, was sie erntete, war wieder jenes schmallippige Lächeln.

„Mehr Courage, als ich dachte, Miss Hammond. Und eine Menge Dummheit, aber was hatte ich erwartet. Bücher allein machen nicht klug."

Alexa holte zittrig Luft und wollte etwas entgegnen, wollte eine Entschuldigung vorbringen, doch unvermittelt schoss Snapes Hand vor und umfasste ihre Handgelenk. Geschockt wich Alexa zurück, doch der Griff löste sich nicht, im Gegenteil. Sie prallte gegen den Tisch und fiel mit einem Laut der Klage zurück auf die Bank. Ihre Rippen schmerzten durch den ihren Körper erschütternden Schlag und für einen Moment sah sie Sterne. Dunkelheit waberte am Rand ihres Sichtfeldes heran, doch sie kämpfte dagegen an, wehrte sich mit Macht gegen die Ohnmacht, wollte vor Snape nicht kapitulieren.

Er stand noch immer vor ihr, völlig unbewegt und hielt ihr Gelenk umfasst. Mit seiner freien Hand schob er den Ärmel ihrer Robe nach oben, erstaunlich sanft, doch Alexa überkam sofort ein Gefühl des Ekels. Sie würgte trocken, als Snapes lange Finger über ihre Haut strichen und zwang sich, ruhig zu atmen.

„Vulni Referra."

Sie hörte die leisen Worte und obwohl es sie große Mühe kostete, sah sie auf ihren Arm. Im matten Licht der Kerzen verschwand zunächst die dünne Schicht der Schminke, die sie über den grünlichen Flecken aufgetragen hatte, die ihr schwacher Heilzauber hinterließ. Dann kehrten sie zurück, die Schnitte und Verbrennungen, die Hämatome und Druckstellen, die sie in den vergangenen Tagen empfangen hatte und gut versteckt zu haben dachte. Nur der Schmerz blieb verschwunden, aber sie war sich nicht sicher, ob es mit Snapes Zauber zu tun hatte oder mit ihrer Fähigkeit, die Pein tief in sich zu verschließen.

Snape ließ ihr Handgelenk fahren, so als hätte er sich verbrannt. Mit einer unwirschen Geste bedeutete er ihr, den Arm wieder zu bedecken und hastig zog sie den Ärmel der Robe nach unten.

„Lassen Sie mich - ", sagte sie beherrscht und sah ihm ins Gesicht, um zu ergründen, was er wohl denken mochte. Doch sie sah nichts außer einer starren Maske und einem starren Blick. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging. Die Tür der Bibliothek fiel mit einem unheilvollen Knall zu.

Alexa blieb zurück, fassungslos, innerlich stumpf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, in diesem Moment noch weniger als zuvor. Sie wollte aufspringen, Snape hinterherlaufen und ihn abhalten von was immer er auch zu tun gedachte. Doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. So blieb sie in der dämmrigen Düsternis der Bibliothek sitzen und krallte ihre Hand in ihren verletzten Arm, bis der Schmerz zurückkehrte. Es gab nichts, was sie tun konnte.