Kapitel 8
Im Kerker
Alexa stieg die Stufen zum Kerker hinunter, in dem neben dem Klassenzimmer für Zaubertränke auch Snapes Büro lag. Sie musste ihre panische Angst hinunterschlucken, doch ihr wurde mit jedem Schritt elender zumute. Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie musste mehrmals schlucken, um sich nicht zu übergeben.
Er hatte ihr geholfen. Er wusste alles. Dessen war sie sich sicher. Sein Blick in jenem Moment in der Bibliothek, als er ihre Verletzungen gesehen hatte, war eindeutig gewesen. Und doch blieb er dabei, sie mit seiner stumme, gehässigen art zu quälen, wann immer er es konnte. Aber warum sollte sie auch mehr Glück haben als die anderen Schüler? Bloß weil ihr Stiefvater sie - . Missbrauchte. Ein viel zu harmloses Wort. Er ‚gebrauchte' sie falsch.
Vor der schweren, eisenbeschlagenen Tür zum Büro des Professors hielt sie an und atmete zittrig durch. Sie strich eine Strähne ihres widerspenstigen Haars aus der Stirn und klopfte. Doch Snape ließ sie warten. Erst als sie in zweites Mal klopfte, erklang seine Stimme gedämpft durch das Holz und so trat sie in den Raum, schloss die Tür hinunter sich und drehte sich dann um.
Snape stand an einem Schrank mit Glastüren und räumte darin herum. Er würdigte sie keines Blickes, als er sagte:
„Setzen Sie sich, Miss Hammond. Sie sind sträflich zu spät." Das stimmte nicht, aber Alexa protestierte nicht. In ihr war jeder Widerstand gebrochen. Sie ließ sich auf den harten Holzstuhl fallen, der vor dem wuchtigen Schreibtisch stand und ließ den Blick schweifen. Bücher, Regale voller Bücher. Dazu Schränke mit Phiolen und anderen Gegenständen äußerst obskurer Art. Und überall war die Farbe Schwarz zu sehen. Sie erschauerte unwillkürlich. „Einwände zu meiner Inneneinrichtung?"
Die Schranktür klappte leise klirrend und Snape schlenderte zu seinem Sessel. Alexa betrachtete den Lehrer verdutzt. Er bewegte sich normalerweise abgehackt und fast hektisch, doch hier - . Sie verstand. Dies war sein Reich. Hier hatte er alle Zeit der Welt und konnte sich entspannen. Wenn man davon bei Snape überhaupt sprechen konnte.
Ihr Blick wanderte in sein Gesicht und unwillkürlich zu seinen dunklen Augen. Diese Augen hatten ihn schon einige Male verraten bei ihren Begegnungen. Dieses Mal lag Berechnung und ein Hauch eiskaltes Amüsement in den Tiefen.
„Nein, Professor", würgte sie hervor und kratzte nervös mit den Fingernägeln über ihren Handballen, bis sie der Schmerz ein wenig zur Räson brachte. „Ich-."
„Sie." Einer seiner langen Finger zeigte auf sie. „Sie sagen hier erst einmal gar nichts, haben Sie mich verstanden?"
Alexa sackte zusammen.
„Ja, Professor Snape."
Ein dünnes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel und er faltete die Hände auf der Tischplatte.
„Sie sind hier, weil Sie sich eklatant gegen mich aufgelehnt haben, Miss Hammond und so etwas dulde ich nicht. Erwarten Sie nicht, dass ich in irgendeiner Form Mitgefühl mit ihrem – Zustand aufbringe." Wieder jenes böse, berechnende Lächeln. „Sie sind hier, um Ihre Strafe für ihr Fehlverhalten zu erhalten. Stehen Sie auf."
Alexa erhob sich und hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Ihr wurde leicht schwindelig, doch sie zwang sich, das Kinn oben zu behalten und atmete tief aus. Als er sich erhob, schloss sie die Augen und versuchte, wie sie es schon so oft zuvor getan hatte, ihre Gefühle, ihre Angst und ihre unbändige Wut, tief in sich zu verschließen. Zu zeigen, was sie fühlte hatte es immer, immer schlimmer gemacht.
Als sie die Augen wieder öffnete, wusste sie, dass ihr Blick vollkommen ausdruckslos war. Sie hatte diesen Blick schon oft im Spiegel gesehen, kühl und doch verletzt. Snape stand jetzt direkt vor ihr, groß und düster und blickte sie an. Und nichts geschah. Er fasste sie nicht an. Er schrie nicht. Seine Stimme klang kalt, aber nicht grausam.
„Sie werden dieses Jahr nicht in den Winterurlaub zu ihrer Familie fahren. Sie werden jeden einzelnen Tag zwei Stunden bei mir nachsitzen."
Alexa blinzelte überrascht, dann schockiert, als sie sich bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte. Und vor allem, was für Konsequenzen diese Strafe haben würde. Oh ja, sie selbst würde aus Ronans Einflussbereich verschwunden sein, doch Liza und ihre Mutter nicht.
„Nein", flüsterte sie und taumelte einen Schritt. „Alles, nur das nicht."
Schlagartig stand Wut ins Snapes Gesicht geschrieben und etwas anderes, das Alexa nicht zu deuten wusste. Snape fuhr zum Schreibtisch herum und stützte sich mit den Händen auf die zerkratzte Platte. Er atmete schwer und am Zittern seiner Schultern erkannte sie, dass er sich zusammennehmen musste, um nicht aus de Haut zu fahren. Doch seine Stimme war erneut sehr leise und mühsam beherrscht, als er sagte:
„Glauben Sie, Sie könnten Ihre Familie auf diese Weise beschützen? Glauben Sie das wirklich? Sie dulden das alles, um ihn von ihrer hübschen kleinen Schwester abzulenken und wissen dennoch, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird. Hogwarts wird nicht ewig ihr Refugium sein. Und er wird bekommen, was er will. Irgendwann."
Alexa wünschte sich, sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, was gerade in ihm vorging. Sie selbst fühlte nur eiskalte, gähnende Leere in sich, als sie stockend sagte:
„Er wird ihnen wehtun, wenn ich ihn verrate. Ronan hat die Macht dazu. Er ist so ein Egomane, so ein verfluchtes Schwein, ich-."
Snapes Gestalt straffte sich und er dreht sich um. Alles an ihm wirkte plötzlich kontrolliert.
„Ich werde Ihnen ein Angebot machen, Miss Hammond. Wenn Sie ihren Stiefvater nicht verraten wollen, dann ist das Ihre Sache. Aber es wird zum Eklat kommen und wenn es soweit ist, dann werden Sie vorbereitet sein. Ich werde sie die Drei Flüche lehren. Du dafür werden Sie mir einen gefallen tun."
Alexa spürte, wie ihr noch mehr Blut aus dem Gesicht wich.
„Ich soll – ich soll ihn umbringen?"
Snape lachte hart und höhnisch auf.
„Was sie damit machen, bleibt Ihnen überlassen. Unterbrechen Sie mich nicht ständig. Ich will, dass Sie, wenn Sie nach Hause zurückkehren – und wie ich Sie kenne, werden sie es tun – mir sämtliche Informationen über die Arbeit Ihres Stiefvaters besorgen, die sie finden können. Er hat doch ein Arbeitszimmer, oder etwa nicht?"
Alexa nickte betäubt und starrte ihn an. Sie versuchte verzweifelt, Antworten zu finden, die ihr helfen konnten, auf diese Situation zu reagieren. Ihr Blick wanderte über den Fußboden und dann hob sie ihn wieder, um Snape zu fixieren.
„Ich werde es tun. Alles."
Der Lehrer nickte leicht und Alexa sah, dass er überaus zufrieden war. Doch noch immer lag etwas in seinen Augen, das sie nicht zu deuten wusste.
„Ich werde Ihnen zeigen, wie sie dies alles bewerkstelligen können. Ich erwarte sie von nun an jeden Abend um acht Uhr hier. Und nun gehen Sie. Ich habe genug."
Er machte eine Handbewegung zur Tür und Alexa wich langsam zurück. Sie sah ihn an, bis sie mit dem Rücken gegen das harte Holz der Pforte stieß. Für einen Moment erstarrte sie in der Bewegung, sich umzudrehen und einfach nur zu fliehen vor dem Grauen und der bösartigen Erleichterung der Gewissheit, die sie erfasst hatte. Es war das, was sie endlich in Snape erkannte.
Er war verloren, ebenso wie sie selbst.
Dann ging sie.
