Kapitel 9
Eine unverhoffte Begegnung
Schnee fiel auf Hogwarts, leicht und hell schien das Schloss inmitten der Berge zu liegen. Der Dezember war angebrochen und die Lehrer schienen es darauf anzulegen, den Schülern vor den Ferien noch einmal extra viel Arbeit aufzuhalsen. Alexa verbrachte die meiste Zeit über den Büchern. Zwar hatte sie keine wirkliche Perspektive für das Leben nach dem Abschluss, aber es lenkte sie ab, den vertrauten Geruch der Folianten in der Bibliothek zu atmen.
Ihre Abende bei Snape waren langatmig und anstrengend. Sein Versprechen, ihr die Drei Flüche beizubringen, schien in weiter Ferne gerückt und sie war eigentlich sehr froh darüber. Stattdessen brachte er ihr kleine Zauber bei, die ihr helfen würden, seine Forderung, Ronan auszuspionieren, in die Tat umzusetzen. Das Öffnen von Schlössern, das Verschwindenlassen von Spuren – alles, was sie lernte, musste sie unzählige Male wiederholen, bis Snape zufrieden war. Bekanntlicherweise war er niemals zufrieden.
Zumindest hatte er niemals wieder die Fassung verloren und behandelte sie mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die es ihr leichter machte, in seiner Gegenwart nicht ständig wütend zu werden. Es war, als würde er das, was immer in ihm steckte, gewaltsam zurückhalten und mehr als einmal hatte sie bemerkt, dass er sie ebenso intensiv musterte wie sie ihn.
Eines Abends ließ Snape sie für eine Weile alleine und ging durch eine kleine Tür, die hinter seinem Schreibtisch von dem Büro abzweigte und die sie erst beim zweiten oder dritten Besuch bemerkt hatte. Als das Schloss klickte, sah Alexa von dem Text auf, den sie aus einem Buch kopierte – ein Trankrezept für einen Unsichtbarkeitstrank. Sie erhob sich von dem kleinen Pult, das Snape organisiert hatte, damit sie nicht auf den Knie schreiben musste und legte die Feder beiseite.
Auf Schritte lauschend, erhob sie sich und begann, sich mehr aus Langeweile denn aus Absicht näher umzusehen. Fasziniert betrachtete sie die Phiolen hinter den Scheiben der Vitrinen und schrak ein wenig zusammen, als sie bemerkte, dass sich in einer Schachtel mit Luftlöchern etwas bewegte. Lächeln schüttelte sie den Kopf. Alles an diesem Raum und diesem Mann war seltsam.
„Wie ich sehe, bewundern sie die Ingredienzien."
Alexa fuhr, zu Tode erschrocken herum. Doch es stand kein rachesüchtiger Snape im Raum, sondern Albus Dumbledore, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Hinter seinen geschliffenen Brillengläsern blitzten seine Augen freundlich und verständnisvoll.
„Sehen Sie mich nicht so an, MissHammond."
„Professor Dumbledore, Sie haben mich nur erschreckt."
Er lächelte und schlenderte durch das Büro. Seine blaue Robe, die mit silbernen Sternen bestickt war, raschelte angenehm leise über den Steinboden.
„Ach ja, der Duft von Zaubertränken, geheimnisvoll und oftmals einfach nur muffig." Dumbledore zwinkerte ihr zu und lehnte sich an den Schreibtisch. Dieses trutzige Symbol von Snapes Unnahbarkeit so missbraucht zu sehen zwang Alexa zu einem Lächeln. „Wie laufen Ihre Vorbereitungen bei Professor Snape?"
Alexa stutzt kurz. Snape würde Dumbledore niemals erzählt haben, dass -. Fassungslos sah sie den Schulleiter an.
„Sie wissen von dem Plan, dass ich meinen Schwiegervater ausspionieren soll?"
Nun wirkte auch Dumbledore verdutzt.
„Er hat Ihnen die Bitte nicht in meinem Namen vorgetragen? Ich war leider die letzte Zeit nicht oft hier in der Schule und deswegen hatte ich ihm aufgetragen, Sie um Mithilfe zu bitten." Der alte Zauberer schien plötzlich sehr bekümmert und sorgenvoll. Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. „Seit Voldemorts Rückkehr – sehen Sie mich nicht so entsetzt an, den Namen sollte jeder Zauberer frei aussprechen – polarisiert sich die Welt der Zauberer erneut. Die einen bekämpfen ihn, die anderen unterstützen ihn – und wieder andere beziehen keine Seite. Ihr Stiefvater hat wie wir befürchten, den falschen Weg gewählt."
Alexa hörte Dumbledore mit wachsender Unruhe zu. Ihre Gedanken rasten zu Snape, der ihr die Wahrheit verschwiege und eine Bitte Dumbledores in eine Art Erpressung umgewandelt hatte. Warum nur hatte er das getan? Plötzlich begriff sie. Indem er vorgab, sie müsse einen Gefallen für ihn erledigen und vice versa, wollte er verschleiern, dass er ihr eigentlich selbstlos helfen wollte. Es war eine Sache seines verdrehten Stolzes und vor allem war es eine, die sie nicht verstand. Warum wollte er ihr helfen? Von allen Lehrern an der Schule war Snape der einzige, dem sie so etwas nicht zugetraut hätte – aber er war auch der einzige, der es wusste.
Sie schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken daraus zu verscheuchen.
„Sie denken, mein Stiefvater ist ein Todesser?", erkundigte sie sich. Der Schulleiter nickte sachte.
„Es gibt Hinweise, die dafür sprechen, doch keine Beweise. Ich weiß, wie viel ich Ihnen mit meiner Bitte zumute und ich könnte verstehen, wenn Sie im Nachhinein noch zurücktreten. Das tue ich wirklich. Aber sie sind ein engagiertes und kluges Mädchen, Alexa und ich setze viel Vertrauen in Sie."
„Ich mache es", sagte sie leise und vermied es, Dumbledore in die Augen zu sehen. „Ich verstehe jetzt die Gründe und umso mehr möchte ich -."
„Professor Dumbledore!" Die kleine Seitentür klappte und mit rauschenden Gewändern trat Snape ein. Alexa sah, dass er nicht erfreut war über die Anwesenheit des anderen mannes, doch er hielt sich unter Kontrolle. „Ein unerwarteter Besuch."
„Ja. Ich kam, um mich nach den Fortschritten des Unterfangens zu erkundigen und habe einige letzte Unklarheiten beseitigt." Sein Blick fiel scharf über seine hakenartige Nase auf den Lehrer. „Nun, ich verlasse Sie beide. Gute Nacht." In der Tür drehte er sich noch einmal um. „Ach, ja, Serverus. Ich möchte Sie morgen Mittag in meinem Büro sehen."
Dann war der Schulleiter fort und zurück blieb nur drückendes Schweigen. Alexa ging langsam wieder zurück zu ihrem Pult und setzte sich hin. Mit einer erstaunlich ruhigen Hand nahm sie die Feder wieder auf und begann, den Text fortzusetzen. Kein Laut erklang und das verriet ihr, dass Snape sich nicht von der Stelle bewegt hatte.
Ein kleines, bitteres Lächeln entstand auf Alexas Lippen. Er wusste, dass er entlarvt war und das würde ihm nicht gefallen. Doch was würde es auch bringen, diese Hilfe? Er wollte ihr zeigen, wie sie tötete und quälte. Dinge, mit denen er sich sehr gut auszukennen schien. Für einen Moment schloss sie die Augen und die Erinnerungen an Ronans Grausamkeiten überflutet sie. Sein Lachen, wenn er sie wimmern hörte und die ekelhaft kalte Berührung seiner Hände auf ihrem Körper.
Sie spürte, wie die Feder in ihrer Hand zerbrach und öffnete die Augen wieder. Schwarze Tinte war über das Blatt gespritzt wie Blutstropfen. Ihr Lächeln kehrte zurück und es war fast böse. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, Ronan über seine Aktivität als Anhänger des Dunklen Lords aus dem Weg zu schaffen. Aber vielleicht musste sie den Tod, den ihr Sein in ihren geschundenen Körper erlebte, mit gleicher Münze zurückzahlen.
„Sie können gehen", sagte Snape mit beherrschter Stimme. Alexa nickte und erhob sich. Wie Dumbledore blieb auch sie noch einmal in der Tür stehen und sah den Lehrer lange an. Seltsamerweise reagierte er überhaupt nicht darauf, sondern erwiderte die Musterung nur aus dunklen, ausdruckslosen Augen.
„Vielleicht ist etwas Gutes in uns", sagte Alexa bitter. „Aber es stirbt alles irgendwann einmal, nicht wahr?"
