Wie immer: ganz herzlichen Dank für die Reviews!
Kapitel 16
Winternacht
Es war der letzte Tag des alten Jahres, als Alexa die Augen aufschlug und merkte, dass sich ihr Unterleib kurz zusammenkrampfte. Alle Müdigkeit verflog, als sie aus dem Bett sprang und wenige Minuten später die Gewissheit hatte, dass ihr Albtraum vorbei war. Sie bekam kein Kind von Ronan. Die Erkenntnis ließ sie lachend und zur selben Zeit hysterisch schluchzend auf ihrem Bett im Schlafsaal zusammenbrechen.
Am vergangenen Tag war sie aus der Krankenstation entlassen worden. Madame Pomfrey, die offenkundig wusste, was Alexa getan hatte, hatte sie vorsorglich mit einem Zauber belegt, der es der Krankenschwester ermöglichte, Alexas Vitalfunktionen ständig zu überwachen. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, denn sie wusste, dass sie eine Aufgabe hatte, die sie vor weiteren Versuchen bewahren würde.
Seitdem hatte sie im Bett gelegen oder am Fenster gesessen, den Schnee beobachtet und Bücher gelesen. Weder Snape noch Dumbledore hatte sie zu Gesicht bekommen und darüber war sie recht froh. Ein Hauself hatte allerdings eine Botschaft des Lehrers überbracht, dass ihre Schwester ebenfalls wieder in der Schule war – wie das vonstatten gegangen war, wusste Alexa nicht, aber sie war heilfroh darüber.
Nachdem sie sich vom Bett erhoben und angezogen hatte, ging sie hinunter in die große Halle. Nur eine Handvoll Schüler war über die Feiertage in der Schule geblieben und so war es fast ein Schock für Alexa, die Halle derart leer zu sehen. Am magischen Himmel der Halle schneite es aus tief hängenden Wolken und die Kerzenleuchter flackerten hin und wieder, als seien es reale Flocken, die in sie hinein fielen. Sie nahm sich ein Brötchen, winkte Liza zu, die mit einer Freundin die Köpfe zusammensteckte und ließ dann den Blick über den fast leeren Lehrertisch streifen. Bis auf Madam Hooch und Minerva McGonogall herrschte dort auffällige Leere.
Ohne wirklichen Hunger zu haben, biss Alexa in das Brötchen und verließ die Halle wieder. Den Rest des Tages verbrachte sie in der Bibliothek, doch sie konnte sich nicht richtig konzentrieren und kurz vor der Dämmerung stellte sie das letzte Buch ins Regal zurück. Etwas ratlos überlegte sie, ob sie zu dem überall in der Schule angekündigten Sylvesteressen gehen sollte, aber darauf hatte sie keine Lust. Also holte sie sich ihren warmen Winterumhang au dem Schlafsaal und verließ wenig später das Schloss.
Schnee knirschte angenehm unter ihren Schritten, als sie langsam den Hang hinunterging, der zum Verbotenen Wald und am Nutzgarten des Schlosses führte. Auf halbem Weg gab es ein kleines Mäuerchen, auf dem sie sich wenig später niederließ, da sie nicht zu weit fortgehen wollte. Der Himmel wurde immer dunkler, doch das reine Weiß der Landschaft wandelte sich nicht und strahlte kalt und rein in den Abend.
Die Kapuze ihres Mantels hochgeschlagen, genoss Alexa die absolute Stille. Es war, als wäre sie vollkommen alleine auf der Welt, beschränkt auf das, was sie sah und empfand, weit fort von dem, was sie bedrückte oder dem, was sie sich vorgenommen hatte. Ein Jahr ging vorüber, ganz leise und sie wusste nicht, was das nächste bringen würde.
Irgendwann legte sie den Kopf in den Nacken und ließ den Schnee auf ihr Gesicht fallen, kleine, sachte Berührungen, die sie genießen konnte. Andere Mädchen in ihrem Alter hatten einen Freund oder waren gar schon verlobt, hielten Händchen und konnten einen Mann ansehen und küssen, ohne sich vor Ekel abwenden zu wollen.
Niemand hatte gesagt, dass diese Welt fair war und es gab so manchen Tag, an dem sich Alexa einfach nur wünschte, völlig normal zu sein, so, wie sie vor dem Tod ihres Vaters gewesen war. Sie erinnerte sich daran, wie er gelacht und sie auf seiner Schulter getragen hatte. Es war gut gewesen, fröhlich und rein – doch allein der Gedanken an Ronan konnte diese glückliche Erinnerung pervertieren und beschmutzen.
Schritte im Schnee näherten sich und sie musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer sich ihr näherte. Es gab nur eine einzige Person im ganzen Schloss, bei der selbst die Schritte von zielstrebiger Arroganz zeugten.
„Hallo, Professor."
Schnee fing sich ins Snapes Haar und in seiner schwarzen Robe. Er wirkte unzufrieden und inmitten all der weißen Pracht völlig fehl am Platz.
„Was machen Sie um diese Uhrzeit hier draußen?"
„Ich habe Ferien und möchte sie genießen." Sie musste schmunzeln und wandte das Gesicht ab. Hatte er sich etwa Sorgen gemacht? Versöhnlicher fügte sie hinzu: „Wie haben Sie es geschafft, dass Liza hier ist?
Alexa sprang in den Schnee und stapfte zu dem Lehrer hinüber, der wie immer die Arme verschränkte, eine Geste, die Distanz schaffen sollte.
„Es traf sich recht gut, dass Ihre Schwester in Quidditch-Team möchte und Madame Hooch sich bereit erklärt hat, ihr in den Ferien einige Stunden zu geben."
Die Freude darüber, was der unleidliche Lehrer für sie arrangiert hatte, ließ Alexas Herz ein wenig schneller klopfen.
„Ich danke Ihnen, Professor Snape. Für alles." Gerührt und verlegen sah sie kurz zu Boden und dann wieder auf. „Sie sind wunderbar."
Snapes rechte Augenbraue zuckte hoch.
„Sie übertreiben, Miss Hammond. Ihr momentaner Geisteszustand scheint wohl weitere Auswüchse zu treiben."
Alexa zuckte sichtlich zusammen, als sie den Tonfall von Ablehnung und Verachtung in seiner Stimme hörte, doch dieses Mal ließ sie sich nicht davon beeindrucken.
„Warum sind Sie eigentlich immer so bösartig? Warum können Sie nicht akzeptieren, dass Sie jemand mag?"
Eine Windböe trieb ihr eine Strähne ihres Haares ins Gesicht und sie wischte sie energisch beiseite. Inzwischen war es fast ganz dunkel geworden und der Schnee fiel wieder dichter. Plötzlich merkte sie, wie kalt es eigentlich war, aber sie ahnte, dass es nichts mit der Temperatur zu tun hatte. Es war Snape, der die Kälte in sie trieb durch sein Verhalten. Aber sie hasste ihn nicht dafür oder wurde wütend. Über diese Phase war sei längst hinaus. Alexa hatte in seine Seele blicken können und das, was sie dort erkennen konnte, ließ sie erschauern.
Snape ließ die Arme sinken und trat näher, schob sich so schnell an sie heran, dass sie erschrak.
„Weil ich es nicht wünsche."
„Lügner", sagte Alexa leise und atmete tief durch. Ihre Hand fand den Weg in seine, ohne dass sie darüber nachdachte. Sie spürte, dass er zusammenzuckte, doch er entzog sich ihr nicht. Schweigend standen sie voreinander, so nahe, dass nur wenige Schneeflocken tanzend den Weg zwischen sie fanden. Der Moment dehnte sich, wurde zu einer halben Ewigkeit und umfaste doch nur wenige von Alexas zittrigen Atemzügen. Schließlich hob Snape eine Hand und strich ihr langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht, wohl bedacht, ihre Haut nicht zu berühren. Dann löste er sich mit einem Schritt nach hinten endgültig von ihr.
„Sie frieren, Alexa. Gehen Sie hinein."
Und sie tat, was er sagte.
