V.

Was soll ich nur machen? Was soll ich nur tun? Ich weiß nicht mehr weiter. Ein Plan. Ich brauche einen Plan. Jensen von Ärger abhalten und jemanden losschicken um Meredith abzuholen. Genau. Das ist ein Plan.

Sie atmete tief durch und richtete sich in ihrem Bett auf. Heute musste alles glatt gehen, denn ansonsten würde sie mit Sicherheit durchdrehen.

8:27

„Ah, Tru, da bist du ja!" Tru nahm gegenüber von ihrem Bruder Platz. „Harri, ich brauche dich", begann sie langsam. Harrison sah sie besorgt an. „Was ist los? Oh, nein, es ist einer dieser Tage, nicht wahr?", vermutete er, „Was soll ich tun?"

„Du musst es einfach nur schaffen, Meredith von ihrem Geschäftmeeting abzuholen und zu meiner Party mitzubringen", erklärte Tru ihrem Bruder schnell, „Allerdings brauchst du einen Wagen. Und weil dein eigener in der Reparatur ist, Davis keinen hat und Dad seinen nicht herborgen wird, musst du Jensens nehmen." Harrison warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Und er wird ihn mir einfach so geben?"

Sie hatte sich schon wieder erhoben. „Das muss er." Denn er selbst darf auf keinen Fall auch nur in die Nähe der Straße kommen.

8:40

„Vergiss nicht, dass du auf keinen Fall dein Auto an Davis oder Tru verborgen darfst, Carrie", schärfte Jack seiner Gesprächspartnerin ein, „Platziere dich in der Leichenhalle, und erstatte mir Bericht, über alles, was sich dort so tut."

„Mach ich", erwiderte Carrie durch das Handy, „Allerdings würde es mir leichter fallen dir zu helfen, wenn du mir sagen würdest, was los ist." Jack seufzte nur. Immer wollen alle alles wissen. Auf diese Weise zu arbeiten, ist verdammt schwer. „Es ist nicht so wichtig, worum es geht. Hab einfach ein Auge auf Tru und die Dinge, die sie tut", meinte er, „Das sollte genügen. Alles andere wird sich wie von selbst erledigen."

9:00

„Du hast dich also nach mir gesehnt?", vermutete Jensen und rieb sich verschlafen die Augen. „So ähnlich", erklärte Tru schnell, „Ich dachte, ich könnte den Großteil des Tages mit dir verbringen und dir zugleich bei deinem Praktikum helfen." Jensen sah sie verwirrt an. „Praktikum? Welches Praktikum? Ich mache zur Zeit kein Praktikum", wunderte er sich.

Tru nickte. „Ab jetzt machst du eines. Und zwar in der Leichenhalle. Ich hab schon alles mit Davis besprochen. Wenn du heute schon anfängst, kannst du es schneller einreichen und ersparst dir dann später eines aus der ganze verpflichtenden Reihe von Praktiken", erklärte sie, „Und außerdem könnten wir zusammen arbeiten."

Jensen sah sie ungläubig an. „Tru, nimm mir das nicht übel, aber ich bin mir nicht so sicher, ob ich in einer Leichenhalle arbeiten möchte. Ich meine, dir macht das ja anscheinend Spaß, aber ich will Arzt werden und nicht Pathologe", erklärte er langsam. „Ich doch auch", erwiderte Tru, „Und aus Erfahrung kann ich dir sagen, nirgendwo lernt man mehr als bei dem Aufschneiden von Toten. Willst du mir etwa sagen, dass ich das alles umsonst für dich arrangiert habe? Es sollte ein Silvester-Geschenk sein…"

„Oh, nein, ich bin dankbar. Wirklich dankbar", versicherte ihr Jensen schnell, „Ich…äh…zieh mich schnell um, und dann können wir los. Du kannst mich ja einweisen."

Tru strahlte ihn an. „Wunderbar! Ach, und Harrisons Auto ist kaputt. Kannst du ihn deines für heute borgen? Du brauchst es schließlich nicht."

9:11

„Harrison, du kriegst das Auto. Aber fahr rechtzeitig los. Ich verlasse mich auf dich, hörst du?"

„Kein Problem, Sis. Ich mach das. Vertrau mir nur." Ich hoffe wirklich, dass diesmal alles gut geht.

Jensen machte sich ganz gut an seinem ersten Tag in der Leichenhalle. Vor allem hielt er sich von der Straße fern, und das war schon einmal ein riesiger Vorteil. Langsam begann Tru zu hoffen, dass der Tag diesmal ohne Toten zu Ende gehen würde.

Davis tat sein Bestes um Jensen mit Nichtigkeiten zu beschäftigen, allerdings war er ein wenig abgelenkt, weil Carrie vorbei gekommen war. Merkwürdig. Die letzten Male war sie doch nicht hier. Allerdings vielleicht doch und ich war nur zu beschäftigt um es mitzubekommen. Ihr Blick fiel auf die Uhr. Sie hatte noch ein wenig Zeit bevor sie sich mit Avery zum Einkaufen treffen würde. Sie könnten Jensen mitnehmen und dann würde sie ihn überreden ihr bei den Vorbereitungen für die Party zu helfen.

Wenn Harrison rechtzeitig losfuhr, sollte alles glatt gehen. Er würde Meredith mitnehmen und mit ihr bei der Party auftauchen. Der einzige Faktor, der ihr noch Sorgen machte, war Jack. Er hatte sich den ganzen Tag nicht gemeldet, was immer verdächtig war. Offenbar plante er etwas – und sie hatte keine Ahnung, was das war. Aber vermutlich war es etwas Fieses und Gemeines. Etwas, das sie aus dem Konzept werfen würde. Aber davon lasse ich mich nicht beunruhigen. Das wäre ja noch schöner. Wenn ich nur wüsste, was er vorhat.

16:00

Harrison war besonders früh losgefahren, um auf jeden Fall rechtzeitig anzukommen. Immerhin wäre es sehr blöd, wenn er Meredith verpassen würde, denn dann hätte er nicht nur den ganzen Weg umsonst gemacht, sondern auch Tru enttäuscht, und das wollte er auf keinen Fall. Sein Magen grummelte, wie schon den ganzen Tag lang. Er hätte diese Eier im Frühstückscafé nicht essen dürfen. Mit denen hatte irgendetwas nicht gestimmt. Aber woher hätte ich das vorher wissen sollen? Er musste dringend eine Fahrpause einlegen um den Inhalt seines Magens zu entleeren.

19:30

Ich muss daran denken rechtzeitig loszufahren, sonst komme ich noch zu spät zu Trus Silvester-Party. Meredith lächelte ihren Kollegen freundlich zu. Ich hasse das alles hier. Aber was bleibt mir anders über, als ein freundliches Gesicht zu machen. Sie nickte und erweckte den Anschein aufmerksam zu zuhören. Tru wird mich umbringen, wenn ich zu spät komme.

20:00

„Davis! Carrie! Kommt rein!" Davis und seine attraktive Begleitung betraten die Wohnung. „Scheinen ja schon alle da zu sein", bemerkte Davis, „Alle außer…" Tru warf einen alarmierten Blick in Richtung Carrie. „Ja, Harri neigt dazu zu spät zu kommen. Aber ich bin sicher, er wird jede Minute gemeinsam mit Meredith hier auftauchen", erwiderte sie beruhigend lächelnd. Wenn es nur so wäre. Komm schon, Harri. Lass mich nicht im Stich.

Davis und Carrie begaben sich zum Buffet. Die Türglocke läutete. Tru eilte in Richtung Türe und riss sie auf. „Harri, ich….Oh." Es war nur ein Lieferant. „Entschuldigung, ich bin auf der Suche nach Elise Mitchell", meinte dieser freundlich. Tru seufzte. „Da kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kenne keine Elise Mitchell", meinte sie. „Oh. Nun, trotzdem danke. Frohes Neues Jahr." „Ihnen auch." Tru schloss die Türe wieder und versuchte ihre blank liegenden Nerven zu beruhigen. Dann beschloss sie Harrison anzurufen.

„He, Tru kannst du…" „Später, Jensen", wimmelte sie ihren Freund ab und suchte sich einen stillen Ort zum Telefonieren. Dann wählte sie Harrisons Handynummer. „Komm schon, Harri. Heb ab", beschwor sie ihren Bruder. Endlich meldete sich dieser. „Tru, es tut mir so leid. Ich bin gerade angekommen um Meredith abzuholen, aber sie ist schon weg", erklärte er, „Ich musste andauernd anhalten, weil ich mir den Magen an diesen blöden Eiern im Frühstückscafé verdorben hatte, und hab deswegen zu lange gebraucht…" Tru unterbrach ihren Bruder: „Wie meinst du das, sie ist weg. Ist sie schon losgefahren?" Es folgte eine kurze Pause. Dann erklärte Harrison: „Das ist ja das merkwürdige an der ganzen Sache. Ihr Auto steht noch hier, mit zerstochenen Reifen, aber es gibt keine Spur von Meredith." Wie bitte? „Willst du damit sagen, dass sie verschwunden ist!" Das darf alles nicht wahr sein. „Vielleicht hat sie irgendjemand mitgenommen", schlug ihr Bruder vor, „Ich fahr jetzt auf jeden Fall zurück. Vielleicht treffe ich sie unterwegs." Tru seufzte. „Na gut, aber fahr vorsichtig", ermahnte sie ihn, „Ich will nicht, dass dir noch mal was passiert." Das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt um sich zu besaufen.

21:00

Meredith war noch immer nicht aufgetaucht. Tru lief fast schon die Wände hoch. Sie hatte ihre Schwester in der letzten dreiviertel Stunde in etwa tausendmal angerufen, aber Mery hatte nicht abgehoben. Sie hatte sogar ihren Vater angerufen und gefragt, ob er in den letzten Stunden etwas von seiner ältesten Tochter gehört hatte, natürlich ohne Erfolg. Jensen hatte sie auf ihr nervöses Verhalten angesprochen, aber sie hatte ihn unwirsch zurückgewiesen.

Zumindest schienen sich ihre Gäste gut zu amüsieren. Davis hatte offenbar etwas zu viel Alkohol erwischt, denn er wirkte leicht angeheitert und begann schon zu lallen. Carrie schien das nicht groß zu stören, während Avery sich ein wenig eingeschüchtert von dem merkwürdigen Mann fernhielt.

Ich hoffe, es geht ihr gut. Wenn sie mit jemand anderen gefahren ist, dann….Aber was, wenn ihr trotzdem was passiert?

22:00

„Nein, ich hab keine Spur von Meredith gefunden, aber bei dem Wetter und dem Monsterverkehr hab ich dazu auch gar keine Chance. Ich denke nicht, dass ich es noch vor Mitternacht zurückschaffe", erklärte Harrison, „Aber vielleicht hatte Meredith Glück und ist dem allen davongefahren."

„Ja", murmelte Tru, „Vielleicht."

23:00

„Dad, wie schön, dass du kommen konntest." Tru ließ ihren Vater herein. „Du hast nicht zufällig Meredith auf deinem Weg hierher getroffen, oder?" Richard Davies warf seiner Tochter einen merkwürdigen Blick zu. „Das ist schon das zweite Mal, dass du mich heute nach Meredith fragst", stellte er fest, „Sag mir die Wahrheit: Denkst du sie nimmt wieder Drogen?" Tru schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Nein. Sie ist nur nicht erreichbar, und sie wollte heute kommen. Ich mache mir Sorgen, das ist alles!" Sie wippte unruhig auf und ab. Richard maß sie misstrauisch, fast so als würde er nun denken, dass sie diejenige war, die Drogen nahm. „Tja, eh, Harrison wird es heute nicht schaffen. Er hat sich den Magen verdorben", stotterte Tru, „Gib mir deinen Mantel, und amüsier dich. Aber halt dich von meinem Boss fern, er ist heute ein wenig…lustig." Ihr Vater reichte ihr seinen Mantel, ohne sie weniger merkwürdig anzusehen, und mischte sich dann unter die anderen Gäste. Mery, wo steckst du bloß?

23:53

Tru traf fast der Schlag als ihre Schwester dann plötzlich vor ihr stand. „Meredith! Wann bist du denn gekommen!" Meredith warf ihr Haar zurück. „Ach, schon vor einer Viertelstunde. Dad hat uns rein gelassen. Er meinte, du wärst etwas von der Rolle", meinte sie und schüttelte den Kopf, „Das kann ich verstehen. Ich sag dir, ich hatte einen schrecklichen Tag. Ich dachte schon, ich komme nie mehr nach Hause. Irgendjemand hat meine Reifen zerstochen. Alle vier! Kannst du dir das vorstellen! Ich dachte, ich drehe durch." Tru blinzelte. „Aber wie…wie bist du dann hergekommen?", fragte sie langsam. „Oh, ein Freund von dir ist zufällig vorbei gekommen, und hat mich mitgenommen. Er war mein Lebensretter. Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde ich vermutlich immer noch im Regen stehen und auf den Abschleppdienst warten."

„Ein Freund von mir!"

„Ja, er ist jetzt auch hier."

Tru war vollkommen verwirrt. „Wer…"

„Oh, sein Name ist Jack Harper", erklärte Meredith, „Dort drüben ist er ja." Sie deutete über Trus Schulter hinweg, und tatsächlich stand Jack mitten in ihrer Wohnung und unterhielt sich mit Avery. „Entschuldige mich kurz", murmelte Tru und steuerte auf ihr Gegenstück zu.

„Hallo, Jack", begrüßte sie ihn. „Tru! Wie schön dich zu sehen. Nette Party hast du hier aufgezogen", grinste er sie an. Tru packte ihn am Arm und zog ihn in eine ruhigere Ecke. „Warum hast du…", begann sie. „Nun", meinte Jack, „Du hast die Regeln gebrochen, als du Jensen gerettet hast, also hab ich mir gedacht, ich könnte das auch mal tun." Das ergibt doch alles keinen Sinn. „Aber, aber….du ….du bist der Tod!", protestierte sie. „Komm schon, Tru. Ich helfe deiner Schwester, und du beleidigst mich anstatt dich zu bedanken?", empörte sich Jack, „Ich bin nicht der Tod. Ich sorge nur dafür, dass die Menschen, denen es bestimmt ist zu sterben, das auch tun." Tru massierte sich die Schläfen. „Aber Meredith…", begann sie von Neuem. „Sie hätte sterben sollen, ja. Andrerseits ist da noch diese Sache mit Luc, also war ich dir wohl Einen schuldig", gab Jack zu.

„Und das ist dir über Nacht eingefallen?"

„Nicht unbedingt. Aber vielleicht wollte ich einfach nur, dass die ständigen Wiederholungen von diesem Tag aufhören. Im Übrigen siehst du doch ein, dass dein Freund Jensen eine Anomalie ist, oder?" Tru starrte Jack entgeistert an. „Nein!" Jacks Mundwinkeln zuckten. „Lass uns ein anderes Mal darüber reden", schlug er vor.

Das muss seine neue Masche sein. Er will, dass ich mich in falscher Sicherheit wiege und denke, er hätte aufgegeben, aber in Wahrheit hat er das gar nicht, sondern plant irgendetwas anderes, von dem ich nichts bemerken soll.

„Zehn!"

Und er hat Meredith nur gerettet, damit ich ihm was schuldig bin, und er mir das bei nächster Gelegenheit unter die Nase reiben kann.

„Acht!"

Was? Der Countdown!

„Sieben!"

Sie sah sich schnell nach Jensen um. Sie hatte keine Chance mehr vor Mitternacht zu ihm zu gelangen.

„Sechs!"

„Fünf!"

„Vier!"

„Drei!"

„Zwei!"

„Eins!"

Und dann küsste er sie. Jack küsste sie und hauchte ihr „Frohes neues Jahr" ins Ohr. Tru starrte ihn nur groß an.

Das neue Jahr hatte begonnen.

Ende

A/N: Das war's. Endlich hat Tru das Jahr 2005 erreicht.

Übrigens, war es natürlich Jack der Meredith Reifen durchstochen hat. (Alle vier. So ein Mistkerl).

Wie es weiter geht erfahrt ihr in der Fortsetzung, die den Titel „Who wants to live forever?" tragen wird. Ich weiß allerdings noch nicht genau, wann ich die zu schreiben beginnen.

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