11. Kapitel
Die Orks liefen schnell. Zu schnell. Mein Kopf brummte. Ich musste mich anstrengen, um Schritt zu halten, denn ich war verletzt. Meine Haare waren von rotem Blut verklebt und am Bauch hatte ich eine tiefe Wunde. Bei jedem Schritt, den ich machte, glaubte ich, vor Schmerz zusammenbrechen zu müssen. Meine Schritte waren längst nicht mehr so leicht und schnell, wie früher und hinterließen Abdrücke in der sandigen Erde, die hier und da zum Vorschein kam... Den Orks war das egal. Trotz meiner Verletzungen und den fest zusammengeschnürten Händen mit ihnen mithalten zu können, kostete mich unglaubliche Anstrengung. Ein Mensch wäre längst gestorben.
Ich bekam nicht mehr viel mit. Es war alles nur Schmerz. Schmerz und laufen. Immer weiterlaufen, zwischen trampelnden Orks durch ein karges, unfreundliches Gebirgsland. Wenn ich langsamer wurde, bekam ich die Peitsche zu spüren. Mein Rücken blutete. Ich spürte das Blut nach jedem Hieb über meine geschundene Haut rinnen. Es war die Hölle.
Lange waren wir unterwegs. Einige Stunden. Vielleicht auch mehr als einen Tag. Ich wusste es nicht mehr. Der Himmel war grau und bewölkt. Die Sonne schien blass zwischen den Wolken hervor.
Und dann, dann erreichten wir den Turm. Eigentlich war es eine Stadt. Das Böse wohnte darin, ich konnte es spüren. Kälte griff nach meinem Herz. Ein weißes, fahles Licht ging von ihr aus und ich wollte nicht wissen, welche Gestalten hinter den unzähligen schwarzen Fenstern hausten, die mich heimtückisch zu mustern schienen. Die Luft war erfüllt von einem fauligen Gestank und auf den Wiesen im Tal wuchsen giftige Gewächse. Ich wusste, wo ich war. Ein alter Soldat hatte mir von dieser Stadt erzählt. Einst war sie gut und schön wie Minas Tirith gewesen. Doch nun, nun war sie böse. Die Stadt der Nazgûl. Der Turm der Hexerei. Minas Morgul.
Sie mussten mich hineinschleppen. Ich war halb blind vor Schmerz. Der Dreck, der durch die nicht wirklich sauberen Orkhände in meine Wunden gelangte, trug nicht gerade zur Heilung bei. Ich brannte. Meine Haut schien zu brennen. Ich wollte nur schreien. Sie warfen mich in einen dunklen, feuchten Kerker weit unter der Stadt. Hier war es auch nicht gerade sauber. Ich würde sterben. Ich kannte mich nicht wirklich mit Medizin aus, aber gab es nicht so was wie Tetanus, Wundstarrkrampf? Die Wunden würden sich sicherlich entzünden und eitern. Einen Moment keimte in mir die Vorstellung auf, die Orkwächter vor der Tür nach einer antiseptischen Zelle und Desinfektionsmittel zu fragen. Doch der Schmerz holte mich sofort zurück. Ich wusste, die Orks hatten vor mich bis zum Tod zu foltern, um Informationen aus mir herauszupressen. Ich hatte sie in den wenigen kurzen Pausen darüber lachen gehört. Das konnten sie vergessen. In spätestens zwei Tagen war ich einen Tod gestorben, der meiner Ansicht nach qualvoll genug war. Ich würde sterben.
Ich war in einer Ecke zu Boden gesunken. Dort lag ein wenig altes Stroh. Dass es verfault war und Ratten darin herumkrochen, war jetzt auch egal. Darauf kam es auch nicht mehr an. Ich hörte nicht das Geräusch aus der anderen Ecke. Und auch das Aufleuchten von tiefblauen Augen bemerkte ich nicht mehr. Ich war bewusstlos geworden.
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Wärme umfing mich. Ich spürte feine, wenn auch schmutzige und ungepflegte Hände auf meinem Hinterkopf. Elbenhände! Der Nebel vor meinen Augen lichtete sich. Ich lag auf dem Boden, den Kopf auf dem Knie einer Frau. „Ahhh... du bist aufgewacht, wie ich sehe!", sagte eine leise, sanfte, jedoch leicht krächzende Stimme, wie von jemandem, der lange Zeit kaum etwas zu trinken bekommen hatte. Ich setzte mich langsam und vorsichtig auf und blickte sie an. Sie war tatsächlich eine Elbin, doch sie sah anders aus, als alle Elben, die ich bisher gesehen hatte. Na ja, genauso genommen war sie ja die erste, die ich sah, doch ich war mir ziemlich sicher, dass andere Elben eher wie ich, als wie sie aussahen. Sie wirkte unendlich alt. Weisheit und Müdigkeit sprachen aus ihren Augen, obwohl ihr Gesicht auf den ersten Blick beinahe jung schien. Ihre Haare waren silbergrau. Sie war von hohem, schlankem Wuchs, doch abgemagert, ihre Wangen waren trocken und eingefallen und von ihrer ehemals wohl sehr kostbaren Kleidung waren nur noch Lumpen übrig. Sie hatte mich geheilt. Doch sie war erschöpft. Zu Tode erschöpft. „Wer bist du?", fragte ich leise auf Sindarin. „Lalaith." Lalaith bedeutet „lachen". Vielleicht hatte dieser Name einst zu ihr gepasst, doch nun sah sie aus, als hätte sie lange keine Gelegenheit zum Lachen mehr gehabt. „Und wie lange bist du schon hier?" „Lange Zeit schon. Ich habe auf dich gewartet, seit ich deine Gefangenschaft voraussah. Um dich zu heilen." Ich verstand nicht. Woher hatte sie gewusst, dass ich hierher kommen würde? Und... wer war sie überhaupt? Keine Elbin, das spürte ich. Sie lächelte plötzlich und jetzt sah ich, wieso dieser Name zu ihr passte. Sie lächelte nicht nur mit dem Mund, sonder auch mit den Augen, mit jedem Winkel ihres Gesichts. „Du bist verwirrt. Du weißt nicht was oder wer genau ich bin. Ich bin keine Elbin. Ich bin auch keine Gefangene dieser Orks. Ich bin eine Maia, Eltaithir, Harry. Eine Maia." Ich fuhr zurück. Das war nicht möglich! Niemand hier kannte meinen Namen. Doch ich fasste mich schnell wieder. Ich wollte hören, was sie zu sagen hatte. „Ich bin eine Dienerin von Yavanna. Sie ist eine der höchsten Valar. Ein Valar ist übrigens so etwas wie ein Gott oder eine Göttin auf dieser Erde, falls dir das hilft." Ich wusste, was ein Valar war. Das stand schließlich im Silmarillion. Und ich wusste auch, wer Yavanna war. „Ich bin hier um dir erklären, wieso ihr hier seid, du und deine Freundin Hermione, Jake und Idril. Ihr seid auf Wunsch der Valar hier. Sauron überzieht Mittelerde mit Krieg und Eärendil, der das alles beobachtete, flehte die Valar an, Hilfe zu gewähren. Doch die Valar kümmern sich kaum noch um die Wesen in dieser Welt. Dennoch öffneten Manwe, Orome, Aule und Yavanna ein Weltentor um Hilfe zu holen. Jeder von ihnen suchte sich einen Menschen aus, der bereits an der Schwelle zum Tod stand, um ihn hier nach Mittelerde zu holen und stattete sie oder ihn mit besonderen Kräften aus. Du selbst wurdest von Aule ausgewählt und er gab dir die Gabe des Feuers, die Gabe zu schießen und einige andere Gaben, die du noch selbst entdecken wirst. Ihr wurdet gerufen, um Mittelerde und den Gefährten zu helfen. Doch es steht euch frei, zu bleiben oder in euer altes Leben zurückzukehren. Dort würdet ihr weiterleben, als wäret ihr nie gestorben. Denn die Valar können euch zwar auf die Erde zurückschicken, doch nicht in den Tod. Das steht nicht in ihrer Macht. Ihr habt die Wahl. Jedem von euch wurde dieses gesagt. Den beiden Mädchen des Wassers und der Erde durch eine alte Aufzeichnung Feanors, des Elben und Schöpfers der Silmarilli. Jake wird es durch Baumbart, den Ent erfahren. Und zu dir kam ich. Meine Aufgabe ist erfüllt. Ich kann nun endlich gehen. Habe keine Angst. Du wirst hier herauskommen und du wirst Mittelerde helfen können, solange du es nur willst und die Hoffnung in deinem Herzen weiterlebt. Ich wünsche dir Erfolg..." Ihre Stimme wurde schwächer. Ihr Gesicht schien plötzlich immer blasser und blasser zu werden, bis es beinahe durchscheinend war. Dann waren ihre Konturen nur noch vage zu erkennen und schließlich war sie verschwunden. Ich starrte noch eine Weile auf den Fleck, wo sie eben noch gesessen hatte.
Ich schluckte tief. Das war ganz schön viel, was ich zu verdauen hatte. Ich saß noch eine Weile da, dann merkte ich, dass mir der Fuß eingeschlafen war und so stand ich auf und pirschte auf und ab. Das Wichtigste war erst mal, hier herauszukommen. Das würde sich als schwierig erweisen. Im Turm wimmelte es nur so von Orks. Außerdem hatten sie mir meine Waffen abgenommen. Praktischerweise hatte Lalaith mir die Hände wieder aufgebunden. Hm, meine anderen Sachen hatten sie mir gelassen. Tja, die Orks schienen nicht zu wissen, dass es sehr unvorsichtig ist, einem Zauberer seinen Stab zu lassen. Ich wäre beinahe in Jubelschreie ausgebrochen, als ich ihn fand. Doch dann hörte ich ein Knarren. Der Riegel vor der Tür wurde zurückgeschoben und kratzige Ork-Stimmen ertönten. Hastig steckte ich den Stab in die Manteltasche zurück. Orks kamen herein, bestimmt zehn. Keine Chance, sie zu überwältigen. Mit orkischem Gegröle fesselten sie mich erneut (sie schienen sich keine Gedanken darüber zu machen, dass ich ungefesselt war...) und führten mich auf einen von Fackeln schwach beleuchteten Gang. Eine Steintreppe hinauf. Und schließlich erreichten wir einen großen Innenhof. Es war Nacht. Stimmt, Alandil hatte mir ja erzählt, dass Orks die Sonne nicht besonders mögen. Doch Alandil war tot. Sie banden mich an einen in den Boden gestampften Pfahl, der etwa einen halben Meter hoch war, so dass ich auf dem Boden kniete und rissen mein Hemd hinten auf. Ein großer Ork mit einer Peitsche trat vor mich. Er sprach gebrochenes Westron. „Wir foltern dich. Du uns alles sagen. Alles was du weißt. Sonst wirst du sterben." Na gut, dann würde ich eben sterben. Besser, als alle meine Freunde zu verraten. Ich spuckte ihm vor die Füße. Er schnaubte. „Gut, du hast es so gewollt." Er trat hinter mich. Ich hörte das leise Knarzen, als er die Peitsche aufrollte und das Zischen, als er sie durch die Luft fahren ließ. Ich wusste, was kommen würde. Doch ich würde es überstehen. Tot oder lebendig.
Die Peitsche knallte auf meinen Rücken und riss die Haut auf. Ich stöhnte und unterdrückte mühsam den Schrei, der mir aus der Kehle fahren wollte. Der Ork holte wieder aus. Mittlerweile hatte sich ein großes Publikum eingefunden. Noch einmal durchzuckte der Schmerz mich wie ein Blitz, der mich verbrennen wollte. Diesmal schrie ich auf. Ein Blutrinnsal lief über meinen Rücken. Der Ork lachte und alle anderen stimmten ein. Das Lachen hallte in meinem Kopf wie ein grausames Echo wider. Wieder hörte ich das Zischen, als die Lederschnur durch die Luft gezogen wurde. Ich presste den Kopf fest auf das spröde Holz. Und wieder durchzuckte mich der grausame Schmerz. Wollte mich verbrennen. Ich stöhnte leise, kaum hörbar. Mein Mund war trocken. Ich atmete heftig und stoßweise. Ich wagte nicht aufzusehen. Der nächste Hieb kam, als der erste Tropfen Blut auf den Boden traf. Ich sah, wie sich dort ein kleiner roter Fleck bildete. Wieder schlug die Peitsche auf meinen Rücken und ließ die trockene Haut weiter aufplatzen. Der Boden um mich herum färbte sich langsam rot. Bei jedem Schlag tropfte das Blut und der Fleck breitete sich weiter aus. Die Orks lachten weiter. Ich erwartete den nächsten Hieb, doch er kam nicht. Der Ork war vor mich getreten. „Schauen mich an, Elb!", bellte er. Ich drückte den Kopf weiter gegen das spröde Holz und sagte nichts. Meine Kehle war trocken. „Ich sagte, du mich anschauen!", brüllte er. Als ich nicht reagierte, packten seine dreckigen Hände mein Kinn und rissen es hoch, so dass ich direkt in sein Gesicht sah, das er über mich gebeugt hatte. Er war widerwärtig. Sein Gesicht war älter als das der meisten Orks und von Blasen und Narben übersät. Es wurde von einem grausamen Grinsen verzehrt. Er weidete sich an meiner Verzweiflung.
„Und, du jetzt reden? Oder hast du noch nicht genug?" Die Orks im Kreis außen herum waren still geworden. Alle hörten gespannt zu. Ich hustete Blut. Ich hatte mir auf die Zunge gebissen, ohne es zu merken. Doch ich schaffte es, ihm direkt in die Augen zu blicken. „Niemals.", krächzte ich. Mehr gab es nicht zu sagen und mehr hätte ich auch gar nicht geschafft. „Gut. Du hast es so gewollt...", grunzte der Ork und fing an, seine Peitsche wieder auszurollen, als ein anderer Ork etwas rief. Ich verstand kein Orkisch, doch der Sinn war klar. Der Ork mit der Peitsche brüllte zurück und fuhr fort, diese in seinen Händen zu massieren. Die anderen wollten wohl auch etwas von dem Vergnügen abhaben, mich foltern zu dürfen. Ein heftiger Streit brach aus. Schließlich zog ein kleiner, aber breit gebauter Ork mit extrem langen Armen dem ersten eins mit seinem Krummschwert über den Kopf und dieser brach zusammen. Damit war der Streit geklärt. Der Ork holte sich die Peitsche unter dem aufmunternden Gebrüll der anderen, die sich wieder im Kreis aufgestellt hatten. Ich hatte ihren widerlichen Gestank in der Nase und Blut im Mund. Der neue Kerl zischte mir etwas auf Orkisch zu, stellte sich hinter mir auf und schwang die Peitsche. Er schien das Verlangen zu haben, die Aufgabe noch gewissenhafter und gründlicher auszuführen als sein Vorgänger. Der Schmerz traf mich mit - so schien es mir - doppelter Wucht und ich wollte schreien. Doch ich konnte nicht mehr schreien. Wieder lief Blut über meinen Rücken. Ich spürte, wie die Haut aufklaffte. Ich presste den Kopf wieder auf das Holz, als könnte es mich schützen und retten. Schlag auf Schlag folgte. Immer mal wieder kam die Frage, ob ich sprechen wollte. Irgendwann antwortete ich nicht mehr. Der zuvor staubiggraue Boden unter meinen Knien war nass von meinem Blut und hatte sich dunkelrot gefärbt. Es gab öfter Streit, wer meine Folter fortsetzten sollte, bei denen immer mindestens ein Ork mit dem Leben bezahlte. Doch bald hob ich nicht einmal mehr bei diesen kurzen Unterbrechungen den Kopf. Was hatte Lalaith gesagt? Hoffnung? Ja, vor unendlicher Zeit, wie es mir nun schien, da hatte ich an die Hoffnung geglaubt. Hatte mir selbst Mut zugesprochen. Und nun? Nun war es vorbei. Ich würde sterben. Es war das Ende. Der Boden war rot von meinem Blut. Ich sah, wie die Welt verschwamm und der Schleier sich hob. Den nächsten Schlag spürte ich nicht mehr.
Die Orks liefen schnell. Zu schnell. Mein Kopf brummte. Ich musste mich anstrengen, um Schritt zu halten, denn ich war verletzt. Meine Haare waren von rotem Blut verklebt und am Bauch hatte ich eine tiefe Wunde. Bei jedem Schritt, den ich machte, glaubte ich, vor Schmerz zusammenbrechen zu müssen. Meine Schritte waren längst nicht mehr so leicht und schnell, wie früher und hinterließen Abdrücke in der sandigen Erde, die hier und da zum Vorschein kam... Den Orks war das egal. Trotz meiner Verletzungen und den fest zusammengeschnürten Händen mit ihnen mithalten zu können, kostete mich unglaubliche Anstrengung. Ein Mensch wäre längst gestorben.
Ich bekam nicht mehr viel mit. Es war alles nur Schmerz. Schmerz und laufen. Immer weiterlaufen, zwischen trampelnden Orks durch ein karges, unfreundliches Gebirgsland. Wenn ich langsamer wurde, bekam ich die Peitsche zu spüren. Mein Rücken blutete. Ich spürte das Blut nach jedem Hieb über meine geschundene Haut rinnen. Es war die Hölle.
Lange waren wir unterwegs. Einige Stunden. Vielleicht auch mehr als einen Tag. Ich wusste es nicht mehr. Der Himmel war grau und bewölkt. Die Sonne schien blass zwischen den Wolken hervor.
Und dann, dann erreichten wir den Turm. Eigentlich war es eine Stadt. Das Böse wohnte darin, ich konnte es spüren. Kälte griff nach meinem Herz. Ein weißes, fahles Licht ging von ihr aus und ich wollte nicht wissen, welche Gestalten hinter den unzähligen schwarzen Fenstern hausten, die mich heimtückisch zu mustern schienen. Die Luft war erfüllt von einem fauligen Gestank und auf den Wiesen im Tal wuchsen giftige Gewächse. Ich wusste, wo ich war. Ein alter Soldat hatte mir von dieser Stadt erzählt. Einst war sie gut und schön wie Minas Tirith gewesen. Doch nun, nun war sie böse. Die Stadt der Nazgûl. Der Turm der Hexerei. Minas Morgul.
Sie mussten mich hineinschleppen. Ich war halb blind vor Schmerz. Der Dreck, der durch die nicht wirklich sauberen Orkhände in meine Wunden gelangte, trug nicht gerade zur Heilung bei. Ich brannte. Meine Haut schien zu brennen. Ich wollte nur schreien. Sie warfen mich in einen dunklen, feuchten Kerker weit unter der Stadt. Hier war es auch nicht gerade sauber. Ich würde sterben. Ich kannte mich nicht wirklich mit Medizin aus, aber gab es nicht so was wie Tetanus, Wundstarrkrampf? Die Wunden würden sich sicherlich entzünden und eitern. Einen Moment keimte in mir die Vorstellung auf, die Orkwächter vor der Tür nach einer antiseptischen Zelle und Desinfektionsmittel zu fragen. Doch der Schmerz holte mich sofort zurück. Ich wusste, die Orks hatten vor mich bis zum Tod zu foltern, um Informationen aus mir herauszupressen. Ich hatte sie in den wenigen kurzen Pausen darüber lachen gehört. Das konnten sie vergessen. In spätestens zwei Tagen war ich einen Tod gestorben, der meiner Ansicht nach qualvoll genug war. Ich würde sterben.
Ich war in einer Ecke zu Boden gesunken. Dort lag ein wenig altes Stroh. Dass es verfault war und Ratten darin herumkrochen, war jetzt auch egal. Darauf kam es auch nicht mehr an. Ich hörte nicht das Geräusch aus der anderen Ecke. Und auch das Aufleuchten von tiefblauen Augen bemerkte ich nicht mehr. Ich war bewusstlos geworden.
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Wärme umfing mich. Ich spürte feine, wenn auch schmutzige und ungepflegte Hände auf meinem Hinterkopf. Elbenhände! Der Nebel vor meinen Augen lichtete sich. Ich lag auf dem Boden, den Kopf auf dem Knie einer Frau. „Ahhh... du bist aufgewacht, wie ich sehe!", sagte eine leise, sanfte, jedoch leicht krächzende Stimme, wie von jemandem, der lange Zeit kaum etwas zu trinken bekommen hatte. Ich setzte mich langsam und vorsichtig auf und blickte sie an. Sie war tatsächlich eine Elbin, doch sie sah anders aus, als alle Elben, die ich bisher gesehen hatte. Na ja, genauso genommen war sie ja die erste, die ich sah, doch ich war mir ziemlich sicher, dass andere Elben eher wie ich, als wie sie aussahen. Sie wirkte unendlich alt. Weisheit und Müdigkeit sprachen aus ihren Augen, obwohl ihr Gesicht auf den ersten Blick beinahe jung schien. Ihre Haare waren silbergrau. Sie war von hohem, schlankem Wuchs, doch abgemagert, ihre Wangen waren trocken und eingefallen und von ihrer ehemals wohl sehr kostbaren Kleidung waren nur noch Lumpen übrig. Sie hatte mich geheilt. Doch sie war erschöpft. Zu Tode erschöpft. „Wer bist du?", fragte ich leise auf Sindarin. „Lalaith." Lalaith bedeutet „lachen". Vielleicht hatte dieser Name einst zu ihr gepasst, doch nun sah sie aus, als hätte sie lange keine Gelegenheit zum Lachen mehr gehabt. „Und wie lange bist du schon hier?" „Lange Zeit schon. Ich habe auf dich gewartet, seit ich deine Gefangenschaft voraussah. Um dich zu heilen." Ich verstand nicht. Woher hatte sie gewusst, dass ich hierher kommen würde? Und... wer war sie überhaupt? Keine Elbin, das spürte ich. Sie lächelte plötzlich und jetzt sah ich, wieso dieser Name zu ihr passte. Sie lächelte nicht nur mit dem Mund, sonder auch mit den Augen, mit jedem Winkel ihres Gesichts. „Du bist verwirrt. Du weißt nicht was oder wer genau ich bin. Ich bin keine Elbin. Ich bin auch keine Gefangene dieser Orks. Ich bin eine Maia, Eltaithir, Harry. Eine Maia." Ich fuhr zurück. Das war nicht möglich! Niemand hier kannte meinen Namen. Doch ich fasste mich schnell wieder. Ich wollte hören, was sie zu sagen hatte. „Ich bin eine Dienerin von Yavanna. Sie ist eine der höchsten Valar. Ein Valar ist übrigens so etwas wie ein Gott oder eine Göttin auf dieser Erde, falls dir das hilft." Ich wusste, was ein Valar war. Das stand schließlich im Silmarillion. Und ich wusste auch, wer Yavanna war. „Ich bin hier um dir erklären, wieso ihr hier seid, du und deine Freundin Hermione, Jake und Idril. Ihr seid auf Wunsch der Valar hier. Sauron überzieht Mittelerde mit Krieg und Eärendil, der das alles beobachtete, flehte die Valar an, Hilfe zu gewähren. Doch die Valar kümmern sich kaum noch um die Wesen in dieser Welt. Dennoch öffneten Manwe, Orome, Aule und Yavanna ein Weltentor um Hilfe zu holen. Jeder von ihnen suchte sich einen Menschen aus, der bereits an der Schwelle zum Tod stand, um ihn hier nach Mittelerde zu holen und stattete sie oder ihn mit besonderen Kräften aus. Du selbst wurdest von Aule ausgewählt und er gab dir die Gabe des Feuers, die Gabe zu schießen und einige andere Gaben, die du noch selbst entdecken wirst. Ihr wurdet gerufen, um Mittelerde und den Gefährten zu helfen. Doch es steht euch frei, zu bleiben oder in euer altes Leben zurückzukehren. Dort würdet ihr weiterleben, als wäret ihr nie gestorben. Denn die Valar können euch zwar auf die Erde zurückschicken, doch nicht in den Tod. Das steht nicht in ihrer Macht. Ihr habt die Wahl. Jedem von euch wurde dieses gesagt. Den beiden Mädchen des Wassers und der Erde durch eine alte Aufzeichnung Feanors, des Elben und Schöpfers der Silmarilli. Jake wird es durch Baumbart, den Ent erfahren. Und zu dir kam ich. Meine Aufgabe ist erfüllt. Ich kann nun endlich gehen. Habe keine Angst. Du wirst hier herauskommen und du wirst Mittelerde helfen können, solange du es nur willst und die Hoffnung in deinem Herzen weiterlebt. Ich wünsche dir Erfolg..." Ihre Stimme wurde schwächer. Ihr Gesicht schien plötzlich immer blasser und blasser zu werden, bis es beinahe durchscheinend war. Dann waren ihre Konturen nur noch vage zu erkennen und schließlich war sie verschwunden. Ich starrte noch eine Weile auf den Fleck, wo sie eben noch gesessen hatte.
Ich schluckte tief. Das war ganz schön viel, was ich zu verdauen hatte. Ich saß noch eine Weile da, dann merkte ich, dass mir der Fuß eingeschlafen war und so stand ich auf und pirschte auf und ab. Das Wichtigste war erst mal, hier herauszukommen. Das würde sich als schwierig erweisen. Im Turm wimmelte es nur so von Orks. Außerdem hatten sie mir meine Waffen abgenommen. Praktischerweise hatte Lalaith mir die Hände wieder aufgebunden. Hm, meine anderen Sachen hatten sie mir gelassen. Tja, die Orks schienen nicht zu wissen, dass es sehr unvorsichtig ist, einem Zauberer seinen Stab zu lassen. Ich wäre beinahe in Jubelschreie ausgebrochen, als ich ihn fand. Doch dann hörte ich ein Knarren. Der Riegel vor der Tür wurde zurückgeschoben und kratzige Ork-Stimmen ertönten. Hastig steckte ich den Stab in die Manteltasche zurück. Orks kamen herein, bestimmt zehn. Keine Chance, sie zu überwältigen. Mit orkischem Gegröle fesselten sie mich erneut (sie schienen sich keine Gedanken darüber zu machen, dass ich ungefesselt war...) und führten mich auf einen von Fackeln schwach beleuchteten Gang. Eine Steintreppe hinauf. Und schließlich erreichten wir einen großen Innenhof. Es war Nacht. Stimmt, Alandil hatte mir ja erzählt, dass Orks die Sonne nicht besonders mögen. Doch Alandil war tot. Sie banden mich an einen in den Boden gestampften Pfahl, der etwa einen halben Meter hoch war, so dass ich auf dem Boden kniete und rissen mein Hemd hinten auf. Ein großer Ork mit einer Peitsche trat vor mich. Er sprach gebrochenes Westron. „Wir foltern dich. Du uns alles sagen. Alles was du weißt. Sonst wirst du sterben." Na gut, dann würde ich eben sterben. Besser, als alle meine Freunde zu verraten. Ich spuckte ihm vor die Füße. Er schnaubte. „Gut, du hast es so gewollt." Er trat hinter mich. Ich hörte das leise Knarzen, als er die Peitsche aufrollte und das Zischen, als er sie durch die Luft fahren ließ. Ich wusste, was kommen würde. Doch ich würde es überstehen. Tot oder lebendig.
Die Peitsche knallte auf meinen Rücken und riss die Haut auf. Ich stöhnte und unterdrückte mühsam den Schrei, der mir aus der Kehle fahren wollte. Der Ork holte wieder aus. Mittlerweile hatte sich ein großes Publikum eingefunden. Noch einmal durchzuckte der Schmerz mich wie ein Blitz, der mich verbrennen wollte. Diesmal schrie ich auf. Ein Blutrinnsal lief über meinen Rücken. Der Ork lachte und alle anderen stimmten ein. Das Lachen hallte in meinem Kopf wie ein grausames Echo wider. Wieder hörte ich das Zischen, als die Lederschnur durch die Luft gezogen wurde. Ich presste den Kopf fest auf das spröde Holz. Und wieder durchzuckte mich der grausame Schmerz. Wollte mich verbrennen. Ich stöhnte leise, kaum hörbar. Mein Mund war trocken. Ich atmete heftig und stoßweise. Ich wagte nicht aufzusehen. Der nächste Hieb kam, als der erste Tropfen Blut auf den Boden traf. Ich sah, wie sich dort ein kleiner roter Fleck bildete. Wieder schlug die Peitsche auf meinen Rücken und ließ die trockene Haut weiter aufplatzen. Der Boden um mich herum färbte sich langsam rot. Bei jedem Schlag tropfte das Blut und der Fleck breitete sich weiter aus. Die Orks lachten weiter. Ich erwartete den nächsten Hieb, doch er kam nicht. Der Ork war vor mich getreten. „Schauen mich an, Elb!", bellte er. Ich drückte den Kopf weiter gegen das spröde Holz und sagte nichts. Meine Kehle war trocken. „Ich sagte, du mich anschauen!", brüllte er. Als ich nicht reagierte, packten seine dreckigen Hände mein Kinn und rissen es hoch, so dass ich direkt in sein Gesicht sah, das er über mich gebeugt hatte. Er war widerwärtig. Sein Gesicht war älter als das der meisten Orks und von Blasen und Narben übersät. Es wurde von einem grausamen Grinsen verzehrt. Er weidete sich an meiner Verzweiflung.
„Und, du jetzt reden? Oder hast du noch nicht genug?" Die Orks im Kreis außen herum waren still geworden. Alle hörten gespannt zu. Ich hustete Blut. Ich hatte mir auf die Zunge gebissen, ohne es zu merken. Doch ich schaffte es, ihm direkt in die Augen zu blicken. „Niemals.", krächzte ich. Mehr gab es nicht zu sagen und mehr hätte ich auch gar nicht geschafft. „Gut. Du hast es so gewollt...", grunzte der Ork und fing an, seine Peitsche wieder auszurollen, als ein anderer Ork etwas rief. Ich verstand kein Orkisch, doch der Sinn war klar. Der Ork mit der Peitsche brüllte zurück und fuhr fort, diese in seinen Händen zu massieren. Die anderen wollten wohl auch etwas von dem Vergnügen abhaben, mich foltern zu dürfen. Ein heftiger Streit brach aus. Schließlich zog ein kleiner, aber breit gebauter Ork mit extrem langen Armen dem ersten eins mit seinem Krummschwert über den Kopf und dieser brach zusammen. Damit war der Streit geklärt. Der Ork holte sich die Peitsche unter dem aufmunternden Gebrüll der anderen, die sich wieder im Kreis aufgestellt hatten. Ich hatte ihren widerlichen Gestank in der Nase und Blut im Mund. Der neue Kerl zischte mir etwas auf Orkisch zu, stellte sich hinter mir auf und schwang die Peitsche. Er schien das Verlangen zu haben, die Aufgabe noch gewissenhafter und gründlicher auszuführen als sein Vorgänger. Der Schmerz traf mich mit - so schien es mir - doppelter Wucht und ich wollte schreien. Doch ich konnte nicht mehr schreien. Wieder lief Blut über meinen Rücken. Ich spürte, wie die Haut aufklaffte. Ich presste den Kopf wieder auf das Holz, als könnte es mich schützen und retten. Schlag auf Schlag folgte. Immer mal wieder kam die Frage, ob ich sprechen wollte. Irgendwann antwortete ich nicht mehr. Der zuvor staubiggraue Boden unter meinen Knien war nass von meinem Blut und hatte sich dunkelrot gefärbt. Es gab öfter Streit, wer meine Folter fortsetzten sollte, bei denen immer mindestens ein Ork mit dem Leben bezahlte. Doch bald hob ich nicht einmal mehr bei diesen kurzen Unterbrechungen den Kopf. Was hatte Lalaith gesagt? Hoffnung? Ja, vor unendlicher Zeit, wie es mir nun schien, da hatte ich an die Hoffnung geglaubt. Hatte mir selbst Mut zugesprochen. Und nun? Nun war es vorbei. Ich würde sterben. Es war das Ende. Der Boden war rot von meinem Blut. Ich sah, wie die Welt verschwamm und der Schleier sich hob. Den nächsten Schlag spürte ich nicht mehr.
