15. Kapitel

Ich sah die Hasen auf der Lichtung. Eine Mutter, drei Junge. Ich saß totenstill hinter einem Gebüsch. Ich wusste, was zu tun war. Ich hatte es inzwischen schon oft genug getan. Am Anfang hatte es mich angewidert, doch inzwischen... Ich hatte Erfahrung gewonnen mit der Zeit. Ich hatte mich so gestellt, dass ich die Hasen beobachten konnte, ohne dass die Sonne mich blendete und der Busch groß genug war. Ich wusste inzwischen, wie ich mich zu setzen hatte, so dass meine Glieder nicht einschliefen.

Die Hasenfamilie hatte mich nicht bemerkt. Ich wusste, dass eines der Jungen noch im Bau sein musste. Ich schlich näher. Die Mutter bemerkte etwas. Blitzschnell war ich zu der Höhle gestürzt und hatte das kleine Häschen am Genick gepackt. „Aua!"Die Mutter hatte mich ans Bein getreten. Die hatte ja ganz schöne Schlagkraft. Aber ich auch. Und ich hatte Hunger und wollte mal wieder etwas anderes als mühsam eroberten Honig, Beeren, Wurzeln, wenige Waldfrüchte essen. Ich hatte den Kleinen am Genick gepackt, sprang auf und lief ein Stück in den Wald zurück. Geschafft! Triumphierend schüttelte ich den kleinen Hasen hin und her. Er quiekte ängstlich. Doch nun kam noch das, was ich am meisten am Jagen hasste. Ich ging aus dem Wald und etwa zehn Meter vom Waldrand weg. Ich wusste, Fangorn wollte kein Feuer in seinem Wald. Bäume haben eine natürliche Abneigung gegen Feuer, da sie nichts dagegen tun können. Ich ordnete einige Steine in einem Kreis an und suchte etwas trockenes Laub, kleine Zweige und zwei passende Steine zusammen, die ich gegeneinander schlug. Es dauerte ziemlich lange, bis ich ein ordentliches Feuer gemacht hatte.

Nun der Hase, der ängstlich zitterte und quiekte. Ich hatte Mitleid mit ihm. Aber es musste sein. Ich packte ihn und brach ihm das Genick. Ich hörte das leise Knacken. Beim ersten Mal hatte ich mich bei diesem Laut beinahe übergeben.

Jetzt musste ich noch das Fell abziehen und das Kaninchen ausweiden. Widerlich. Ich steckte die Fleischstücke auf einen toten Ast und hielt ihn über das kleine Feuer. So kam ich zu meinem Abendessen. Wie jedes Mal, wenn ich ein kleines Tier erlegt hatte, schwor ich mir, mich in nächster Zeit erstmal wieder von den wenigen Beeren zu ernähren, die es um diese Jahreszeit schon gab. Manchmal, wenn ich eingeladen war, bekam ich auch etwas Enttrank von Fangorn oder einem anderen Ent. Ich hatte gerade das zweite meiner Fleischstückchen aufgegessen, als ich ein Geräusch hörte. Leise Schritte, die das Gras niederdrückten. Wahrscheinlich nicht weit hinter einem der weichen Hügel. Verdammt! Mein Kaninchen konnte ich vergessen. Ich trat das Feuer aus und flüchtete zurück in den Wald, wo ich mich in der Krone eines Baumes versteckte. Dann sah ich sie. Ein Mädchen mit rötlich-blonden Haaren. Ihre Kleider waren von guter Qualität, sahen jedoch abgenutzt und leicht heruntergekommen aus. Sie war erschöpft. Seltsamerweise war sie allein und hatte ein Schwert umgegürtet, in dessen Scheide aber auch ein dünner Holzstab steckte. Sie stockte, als sie die Überreste des Hasen und meines Feuers sah. Ekel stand auf ihrem schmutzigen, von der Sonne braungebrannten Gesicht, als sie das Fell, die Organe und den Kopf des Hasen sah. Nur für einen Augenblick. Sie fasste sich bemerkenswert schnell. Dann fachte sie mein Feuer mit etwas Mühe wieder an und spießte meine Fleischstücke auf meinen Spieß. Das wurde mir dann doch zu viel. Immerhin war das alles eine Menge Arbeit gewesen... Ich sprang geschickt aus dem Baum. „Na, schmeckt's?", fragte ich sarkastisch und lehnte mich gegen den Baumstamm. Sie ließ vor Schreck den Spieß ins Feuer fallen. Dumme Kuh! Jetzt war ein guter Teil des Fleisches verloren... Ich rannte hinüber und zog den Holzstecken schell wieder aus den Flammen. Keine Chance. Sie hatte bestimmt ein Drittel des wenigen Hasenfleisches zerstört. Jetzt war ich echt schlecht gelaunt. „Also? Hat es dir wenigstens geschmeckt? Mir wäre doch sehr unwohl, den Hasen gefangen, getötet, gehäutet, ausgeweidet, das Feuer gemacht und das Vieh schließlich gebraten zu haben ohne dass es dir wenigstens geschmeckt hat... wäre ja grauenhaft..." „Sie war leicht blass geworden. „Äh... tut mir echt... furchtbar leid... Wirklich..." „Na, dann bin ich ja beruhigt!", fuhr ich sie an. Dann beschloss ich, sie einfach zu ignorieren, steckte den Rest meines Abendessens auf einen neuen Zweig und hielt ihn übers Feuer. Sie rührte sich nicht von der Stelle, sondern fuhr fort mich anzustarren. „Was ist? Hoffst du darauf, dass ich dir was abgebe?"

Sie zuckte zusammen. „Ähm... nein...ähh..." „Ja?" „Ähh... vielleicht wisst Ihr... weißt du... einen Platz, wo ich lagern kann? Ich bin schon seit Mittags unterwegs..." Ich konnte ihr einfach nicht länger böse sein. Sie sah wirklich zum Umfallen müde aus. Außerdem sah sie aus, als hätte sie eine gute Geschichte zu erzählen. Und sie war immerhin der erste Mensch, den ich seit, wie es mir schien, einer Ewigkeit sah. Ich grinste. Sie war irgendwie süß, wie sie so leicht verschreckt dastand und nicht wusste, was sie sagen sollte oder ob sie nicht doch lieber einfach umkehren und weglaufen sollte um mich möglichst nie mehr wieder zu sehen. „Na komm, jetzt pflanz dich schon hin! Ich beiß schon net...", sagte ich versöhnlich. Schnell ließ sich sie auf den Boden fallen und legte ihren Lederbeutel hinter sich. Ihr Schwert gürtete sie nicht ab.

Mein Fleisch war inzwischen fertig gebraten. Ich beschloss, nett zu sein und streckte ihr eines der Fleischstückchen entgegen. Sie zierte sich nicht, sondern nahm es und biss hinein. „Sooo", meinte ich, nachdem ich die ersten Bissen gegessen hatte. „Und jetzt kannst du ja so nett sein und mir erzählen, was dich dazu treibt, ganz allein in der Wildnis herumzustreifen..." „Ach, und du bist wohl nicht allein, was?", fragte sie ironisch. Ich zuckte mit den Schultern. Für einen Moment war ich etwas sprachlos, fasste mich allerdings schnell wieder. „Nein. Ich habe hier viele Freunde. Aber erzähl jetzt endlich!" Sie grinste schief. „Wieso sollte ich? Was geht dich das überhaupt an?" „Oh, ich denke schon, dass es mich etwas angeht. Einerseits wohne ich hier und du solltest eigentlich Fangorn, meinen Freund, erstmal um Erlaubnis frage, ob du diesen Wald überhaupt betreten darfst und andererseits hab ich seit... ähm... Oktober, glaube ich, keinen Menschen mehr gesehen..." Sie verstand meinen zweiten Satz falsch. „ Seit wann verlangt es euch Elben nach der Gesellschaft von Menschen? Ihr wart doch immer zufrieden unter euch..."Sie blickte mich leicht verwirrt an. Ich lachte. „'tschuldigung. Eigentlich habe ich seitdem niemanden außer Ents, Bäumen und Waldtieren gesehen... Ich vergaß nur..."Ich stockte. Das musste ich ihr nun wirklich nicht auf die Nase binden. „Was???", fragte sie sofort neugierig und ihre Augen waren aufgeglüht. Wieso interessierte es sie so sehr? Ach was, natürlich war es für sie interessant, dass ein Elb für einen Moment vergessen hatte, was er war... Aber ich sah etwas anderes in ihren Augen leuchten. Erkennen. Sie hatte sich aufgesetzt. „Wer bist du? Wo kommst du her?" Ich stockte. Das war eine sehr unangenehme Frage. „Fangorn nennt mich Suilion. Ich... ich komme... ich komme aus diesem Wald.", sagte ich hastig und deutete unsicher auf den Waldrand. Ihre Miene war ernst, doch in ihre Augen sah ich so etwas wie ein unterdrücktes Grinsen. Wieso las ich eigentlich die ganze Zeit in ihren Augen? „Ach ja? Und wie lange bist du dort schon?" Was bezweckte sie mit dieser Frage? Ich beschloss, dass ich wohl am ehesten Antworten bekommen würde, wenn einfach auf ihre Fragen antwortete. „Herbst. Muss Oktober gewesen sein, schätze ich." Und nun wusste ich, was ich in ihren Augen sah. Freude. Bald strahlte sie über das ganze Gesicht. „Ich auch. Ich bin auch ungefähr seit Oktober hier. Hier in Mittelerde. Ich, ich bin übrigens Éolind. Oder Hermione." Da klickte es bei mir. Ich hatte endgültig verstanden. Ich hatte nicht nur einen Menschen getroffen, sondern sogar eine der drei anderen aus meiner Welt, von denen Fangorn mir erzählt hatte. „Hi. Ich bin oder war Jake.", meinte ich ebenfalls grinsend und reichte ihr aus Jux die Hand. Sie schlug ein.

Wir redeten lange, bis es dämmerte. Außerdem war der Himmel inzwischen stark bewölkt. Es würde bald anfangen zu regnen. „Komm, gehen wir in den Wald." „Hast du dort dein Lager?", fragte Éolind. „Ja. Wenn du es so nennen willst..."

Ich führte sie tief in den Wald hinein. Mein ‚Lager' befand sich fast im Herz des Waldes. Hier waren die Bäume alt und riesig. Ich hatte in einer Astgabelung eine Art Baumhaus errichtet. Dort hatte ich viele trockene, abgefallene Äste nebeneinander gelegt und mit getrockneten Grashalmen aneinander befestigt. Es mag zwar nicht so klingen, aber es hielt wirklich. Vor Regen und Wind schützten mich die Bäume. Es war wie ein kleines, aber wunderschönes und sehr hohes Haus. Éolind war begeistert, obwohl sie erst einige Zweifel angesichts der Stabilität hatte und eine Weile brauchte, bis sie hochgeklettert war, was ich mit einigen schnellen Sprüngen schaffte.

Kaum hatten wir uns gesetzt, brach der Regen los. Die dichten Kronen der Blätter fingen die meisten Tropfen ab, so dass wir fast gar nicht nass wurden. „Man, Jake, dass ist echt... echt... toll..." Ich zuckte leicht zusammen, als ich meinen alten Namen hörte. „Ich heiße nicht mehr Jake", sagte ich leise. „Jake gibt es nicht mehr."

Wir schwiegen lange, lauschten nur den Regentropfen, die auf die Blätter trommelten. Es wurde langsam dunkel. Schließlich räusperte ich mich und sagte: „Morgen stell ich dir den alten Fangorn vor..." „Fangorn? Wer ist das denn jetzt wieder?" „Ein Ent. Nee, frag nicht. Die kann man nicht wirklich beschreiben...", meinte ich und grinste. „Na, da bin ich mal gespannt. Weißt du, ich bin ganz schön froh, dass ich dich getroffen habe..." „Wie lange bist du denn schon unterwegs?" „Oh, ich habe dir ja von Idril und Bruchtal und so erzählt und dass ich weggegangen bin um Harry zu suchen. Das muss jetzt so... hm... bestimmt ein paar Monate her sein. Mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor...Sag mal, warst du eigentlich die ganze Zeit in diesem Wald?" „Nein, ich bin auch manchmal rausgegangen, um Karnickel zu rösten..."

So erfuhr ich eine Menge über Her... nein, Éolind, Idril und Harry...