16. Kapitel

Es war meine siebte Nacht auf dem Schiff. Die Sterne glitzerten. Wie lange war es jetzt her, seit ich endlich die passende Möglichkeit abgepasst und aus Minas Morgul geflohen war? Ich grinste. Es war nicht leicht gewesen, denn die Stadt war ständig bewacht. Ich war einige Tage dort umhergeirrt, hungernd, durstend. Ich hatte lieber darauf verzichtet, das schale Wasser aus den wenigen Brunnen in dieser verfluchten Stadt zu trinken. Ich hatte mich in kalten Ruinen vor den Orks versteckt, ständig in dem Gefühl, von vielen dunklen Augen genau beobachtet zu werden. Aber schließlich hatte ich es geschafft. Ich hatte einen umherstreifende Orkwächter hinterrücks getötet, ihm Helm und Rüstung abgenommen und sie über meine eigene Kleidung gestreift. Wenn man mich nicht ganz genau betrachtete, sah ich nun aus wie ein (wenn auch relativ großer) Ork. Ich hatte mich, als eine Patrouille ausgezogen war, unter sie gemischt und kaum war ich einige hundert Meter vom Tor entfernt, wieder davongemacht. Ich war immer noch erstaunt über diese Leistung. Nun, die Orks waren nicht sehr wachsam gewesen, Krieg schien zu nahen, doch noch war er nicht da. Dann war ich lange Zeit nach Osten gewandert. Allein, unbewaffnet, bis auf meinen Stab, nur in dreckige, ausgefranste Hosen und ein zerrissenes Hemd gekleidet.

Kaum jemand hatte mir Unterschlupf für die Nacht gewährt. Ich war nur ein verwilderter Junge, der Körper übersät mit grausamen Narben. Ich hatte entdeckt, dass die Orks nicht wild drauflos geschlagen hatten. Es war ein Muster. Nicht das Auge, nein. Es war nicht einmal hässlich. Es war wunderschön, und zugleich grausam. Und auf irgendeine Art wild. Eine alte Frau, die mich für eine Nacht in ihrer armseligen Hütte schlafen ließ, wofür ich mehr als dankbar gewesen war, hatte mir erzählt, dass die Orks es bei jedem, der zu Tode gefoltert wurde, mit der Peitsche aufzeichneten. Es war so etwas wie eine alte Überlieferung, obwohl kaum ein Ork wusste, was sie bedeutete. Ich erinnerte mich an den ehrfürchtigen Blick der Alten. „Noch nie ist jemand mit diesem Zeichen lebend gesehen worden!", hatte sie geflüstert. „Was bedeuten sie?" „Feuer."

Ich war am nächsten Morgen weitergezogen, immer auf Unfreundlichkeit und Abweisung gestoßen. Ein hartes Leben. Hart, grausam und unfreundlich. Essen stahl ich meistens auf Märkten. Nur einmal hatten sie mich erwischt und mich auspeitschen wollen. Als sie die Narben, die ich unter dem zerrissenen Hemd trug gesehen hatten, hatten sie mich laufen lassen. So erreichte ich endlich den Anduin und dieses Schiff las mich auf, als ich erschöpft, halb verhungert und tief schlafend am Ufer lag. Mir war bald klar geworden, dass es sich nicht um ein friedliches Handelsschiff handelte. Es war eines der wenigen Piratenschiffe. Sie hatten mir nicht misstraut. Man hatte mir zu Essen und zu trinken gegeben. Dann hatten sie mich gefragt, ob ich bei ihnen bleiben wollte. Bei ihnen bleiben, oder fortgehen und schwören, nie ein Wort zu verraten, da man mir sonst die Zunge herausschneiden oder mich töten würde. Ich sagte ja. Ich hatte genug vom ehrbaren Leben.

Und nun, nun war ich also Pirat, was ich mir nie als Beruf erträumt hatte. Gesetzloser. Räuber. Mörder. Na ja, ich hätte ja auch nie gedacht, Zauberschüler zu werden...

Ich lag auf dem Verdeck. Ich trug noch immer die Reste meines alten Hemdes. Eigentlich war es jetzt nicht mehr als eine Weste. Die Fetzen der Ärmel hatte ich mit einem Messer vollständig abgetrennt, weil sie nur gestört hatten und vorne waren sowieso alle Knöpfe abgefallen, so dass ich einfach einen Knoten gemacht hatte. Die Piraten hatten noch eine alte Hose gehabt, die ich genommen hatte und ich hatte ein altes Stück Tuch gefunden, mit dem ich meine Haare zurückhalten konnte und das mich vor der stechenden Sonne schützte.

Helin hielt Wache. Er war ein Freund, so wie Alandil es einst gewesen war, vor langer Zeit als ich noch ehrbarer Soldat im Dienste Gondors gewesen war. Helin war auch so etwas wie der Kapitän des Schiffes. Eigentlich waren bei den Piraten alle gleichgestellt und den Job als Kapitän wollte kaum jemand annehmen, weil er nur zusätzliche Verantwortung bedeutete.

Ich stand auf und setzte mich neben ihn. „Ahh... Feanor!" Die Piraten hatten mich Feanor genannt, weil es nicht leicht war, Eltaithir im Westron und ihrem Dialekt auszusprechen. Feanor war einer der wenigen Elben-Namen, die sie kannten und außerdem hatten alle zugestimmt, dass Feuergeist auf mich perfekt passte, schon wegen dem Zeichen. „Die Sterne sie scheinen wunderschön, nicht wahr, Feanor?" „Das tun sie allerdings." „Wie kleine Flammen.", setzte er hinzu und sah mir dann fest in die Augen. „Erzähl es mir. Du weißt, du kannst mir vertrauen..." „Was meinst du?", fragte ich unschuldig. „Alles. Wo kommst du her? Woher kommen deine Narben? Und..."Er zögerte einen Augenblick."...und wieso schließt sich ein Elbenjunge wie du einem Piratenschiff der Menschen an?" „Erstens weißt du, dass das kein Piratenschiff der Menschen ist. Ildan dort drüben ist ein Halbelb und Nami ist ein Zwerg." „Das ist etwas anderes. Ildan wurde überfallen, sein Hof geplündert, seine Familie ermordet und der Elbenkönig sprach ihm die Schuld zu und ließ ihm sein Ohr abschneiden. Da wäre wohl keiner länger in Schande bei seinem Volk geblieben. Und Nami? Nami ermordete seinen Bruder, weil beide die gleiche Frau liebten, die sich am Schluss in einen Brunnen stürzte... Beide haben also ziemlich tragische Geschichten. Aber jetzt bist du dran." „Na gut."Ich beschloss, ihm den Teil zu erzählen, den er verstehen würde. Von der Erde und all dem brauchte er ja nichts zu wissen, obwohl ich ihn eigentlich nicht anlügen wollte. Die geheimnisvolle Lalaith im Kerker sprach ich auch nicht an. Stattdessen erzählte ich, dass mein Vater mich nach einem Streit weggeschickt hätte und ich so nach Minas Tirith zur Armee gegangen wäre. Über den Rest, abgesehen von meinem Erlebnis im Kerker brauchte ich nicht zu schweigen. Helin hörte still zu. Er riss schockiert die Augen auf, als ich zugab, gefoltert und gestorben zu sein. Schließlich sagte er sehr leise: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich erzähle es niemandem weiter..." Ich grinste. „Oh, erzähl es ruhig. Es ist besser als wenn alle Geheimnisse voreinander haben..." „Weißt du, Feanor, irgendwie habe ich das Gefühl, dass du nun wirklich zu uns gehörst. Deshalb will ich dir erzählen, warum wir wirklich Piraten geworden sind. Es war nicht die Gier nach Reichtum. Es ging um Rache. Rache an den Hohen in Minas Tirith, die es sich alle gut gehen lassen und uns vor vielen Jahren um unser Land brachten. So schlossen sich einige, darunter mein Vater, zusammen und erwarben ein Schiff, mit dem sie die kleineren Handelsschiffe beraubten. Und nun, nun gehörst auch du zu uns." Ich fühlte tatsächlich so etwas wie Stolz.

„Morgen. Morgen bekommst du die Tîth." „Tîth? Zeichen? Was meinst du damit?", fragte ich leicht verwirrt. „Feanor. Willst du Pirat werden? Pirat, bist du stirbst oder Mittelerde untergeht." Ich wusste, das hier war eine wichtige Entscheidung. Sehr wichtig. Doch ich hatte mich entschieden. Die letzten Tage gehörten zu den besten meines Lebens. „Ja." „Dann schwöre." Ich hob die Hand. „Ich schwöre.", sagte ich feierlich. „Gut. Dann erkläre ich dir jetzt, was es mit den Tîth auf sich hat. Als erstes fragst du dich vermutlich, was der Name bedeutet. Schließlich ist Ildan, abgesehen von dir selbst natürlich, der einzige, der noch Sindarin versteht oder spricht, auch wenn er es seit Jahren nicht mehr benutzt hat. Es steht für ein Schiff. Das erste Schiff, das von unseren Vorfahren gekapert wurde hieß Taithir. Nun wird jedem Piraten, sobald er den Schwur geleistet hat, dieser Name in Tengwar auf den Arm geschrieben. Dazu kommt der eigene Name und die Geschichte des Piraten, seit er auf dem Schiff ist." Eigentlich war ich nicht sehr begeistert darüber, mir meinen Körper bemalen zu lassen, doch... es musste einfach sein. Zur Bekräftigung seiner Worte hatte der alte Pirat seinen Ärmel hochgekrempelt und zeigte mir seine Arme. Sein ganzer Arm war bemalt. Elbische Schriftzeichen, mit einer feinen Feder geschrieben. Ich las den Anfang. „Zeichen. Helin, Sohn des Hadin. Auf der ‚Schattenschlange' seit..." Ich hörte auf zu lesen. Der alte Mann grinste. „Morgen, mein Sohn. Morgen bekommst du die ersten Tîth auf deinen Arm. Ab morgen gehörst du endgültig zu diesem Schiff..."

Morgen früh würde ich für immer zu einer Bande gesetzloser Räuber gehören. Rauben, stehlen. Und dabei Hermione suchen.